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Staatskrise im Irak
"Man kann Gesellschaften nicht von außen modernisieren"

Die Situation im Irak sei auch die Folge von der politischen Entscheidung, keine amerikanischen Sicherheitskräfte im Land zu belassen, sagte Michael Werz vom Center for American Progress im Deutschlandfunk. Diese sei jedoch von irakischer Seite gefällt worden.

Michael Werz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    An einer Wahn lehnen Gewehre, daneben Helme mit den Flaggen Iraks und der USA.
    Kurdische Peschmerga-Kämpfer stehen offen zu ihren Sympathien zu den USA. (dpa/Sebastian Backhaus)
    Werz arbeitet für das Center for American Progress, einer Denkfabrik, die der Demokratischen Partei nahesteht. Die Krise im Irak "löst viel Nervosität in Washington aus", sagt er. Eine große Rolle bei der Krise spiele die Entscheidung des irakischen Premierministers Nuri al-Maliki, keine amerikanischen Sicherheitskräfte im Land zu belassen. "Das ist keine Entscheidung, die in Washington gefallen ist." Wobei man die Sinnhaftigkeit westlicher Streitkräfte in dem religiösen Konflikt diskutieren könne. Das Verhältnis zwischen US-Präsident Barack Obama und al-Maliki sei nicht das beste, sagte Werz: "Einige sprechen von einer Zerrüttung."
    Den Konflikt verglich er mit dem Krieg auf dem Balkan - "wenn sich die Gewalt einmal niederschlägt und staatliche Kategorien fallen und Menschen sich in religiöse Ethnien teilen." Der Konflikt führe zu einer Bilanz aus den jüngsten amerikanischen Kriegen: "Man kann - das ist die schmerzhafte Erfahrung aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan - Gesellschaften nicht von außen modernisieren."

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Der amerikanische Außenminister John Kerry, er weiß, sich zu präsentieren, zeigt sein strahlendes Lächeln vor der Weltpresse. Gestern, als er neben dem irakischen Ministerpräsidenten al-Maliki zu sehen war bei seinem nicht angekündigten Besuch in Bagdad, da war von guter Laune keine Spur. Kein Wunder, droht der Irak doch, ins komplette Chaos zurückzufallen, und nicht nur die Amerikaner sehen einen Gutteil der Verantwortung dafür bei dem irakischen Regierungschef. Am Telefon ist jetzt Michael Werz vom Center for American Progress. Das ist eine Denkfabrik, die der demokratischen Partei nahesteht. Schönen guten Morgen, Herr Werz.
    Michael Werz: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Präsident Obama hatte ja den Irak-Krieg seines Vorgängers Bush als Fehler bezeichnet. Stellt sich jetzt heraus, der Abzug der amerikanischen Kampftruppen war ein noch größerer Fehler, denn die irakische Armee scheint, der islamistischen Isis ja nur wenig entgegenzusetzen?
    Werz: Es ist richtig, dass die Situation im Irak größte Bedenken auslöst und auch sehr viel Nervosität erzeugt in Washington. Aber man darf natürlich nicht vergessen, dass die Entscheidung, keine amerikanischen Kampftruppen im Land zu belassen, keine ist, die von der US-Regierung getroffen worden ist, sondern eine von Nuri al-Maliki, dem irakischen Präsidenten, als es Ende 2011 darum ging und auch schon in den Jahren vorher, ein Abkommen zu treffen, das es ermöglicht hätte für die USA, Sicherheitskräfte im Land zu lassen. Es war die Rede von einer überschaubaren Anzahl von Kampftruppen, die die lokalen Sicherheitskräfte ausbilden sollten. Da haben sich die Iraker dagegen entschieden, weil sie die notwendigen gesetzlichen Grundlagen nicht geschaffen haben. Insofern war das keine Entscheidung, die in Washington gefallen ist.
    Heckmann: Also wäre es durchaus besser gewesen, amerikanische Kampftruppen noch weiterhin im Land zu belassen?
    Werz: Auch das kann man diskutieren, weil natürlich angesichts des gegenwärtigen Bürgerkrieges, der ausgebrochen ist im Irak, es fraglich ist, ob es Sinn macht, hier westliche Truppen zu stationieren und dann Ziele zu bieten, auf die sich die Aggressionen und die militärischen Orientierung dann hin entwickeln könnten. Letztlich werden die Irakis selber versuchen müssen, mit dieser Situation fertig zu werden. Im Moment sieht es nicht so aus, als ob das innerhalb kürzerer Zeiträume geschehen kann. Aber man kann – und das ist die schmerzhafte Erfahrung der Kriege, die die USA im Irak und in Afghanistan geführt haben – Gesellschaften nicht von außen modernisieren.
    Heckmann: Und in der Tat: bei al-Maliki sieht man die Hauptverantwortung für die derzeitige Entwicklung, weil er es nämlich versäumt habe, eine Regierung zu bilden, an der auch die Sunniten und die Kurden beteiligt sind. Jetzt drängen die USA al-Maliki, eine solche Regierung zu bilden. Weshalb erst jetzt? Hat man da möglicherweise etwas versäumt?
    Die Amerikaner haben begrenzte Mittel
    Werz: Man kann sagen, dass das sicherlich ein Versäumnis war insofern, als die USA nicht so präsent gewesen sind, wie sie es hätten sein können in den vergangenen anderthalb Jahren. Das hängt auch damit zusammen, dass das Verhältnis zwischen Nuri al-Maliki und Präsident Obama nicht das beste ist. Einige sprechen sogar von einer gewissen Zerrüttung, die sich da breit gemacht hat.
    Die Resultate und die schmerzhafte Erfahrung, dass nach der langjährigen Intervention im Irak, gegen die Barack Obama als Kandidat ja politisch aufgetreten ist und die nicht seine Erbschaft war, die er hinterlassen wollte, hat sich gezeigt, dass Maliki sich nicht als ein Partner präsentiert hat, der auch nur in Ansätzen bereit war, eine demokratische Tradition insofern zu etablieren im Irak, als dass alle Minderheitengruppen vertreten wären in seiner Regierung. Wir kennen dieses Problem aus der Diskussion der 90er-Jahre von Bosnien und in anderen Balkanstaaten.
    Wenn sich einmal die Gewalt niederschlägt und staatliche Institutionen zerfallen und die Menschen dann beginnen, sich in ethnischen und religiösen Kategorien selber zu definieren, und entsprechend auch versuchen, die Realität so zu interpretieren, dann ist das schnell eine Situation, die in eine Ausweglosigkeit und in eine Gewaltform führt, die dann kaum noch einzuhegen ist.
    Heckmann: Eingehegt werden soll die Entwicklung eben durch die Bildung einer breiteren Regierung, an der auch wie gesagt die Sunniten beteiligt sind. Bisher macht al-Maliki aber keine Anstalten, sich zu bewegen oder gar komplett zur Seite zu treten. Welche Mittel haben denn die Amerikaner, ihn dazu zu treiben?
    Werz: Die Amerikaner haben begrenzte Mittel. John Kerry ist ja vor Ort und hat versucht, so viel Druck auszuüben, wie das möglich ist. Man darf natürlich nicht ignorieren, dass bei den Wahlen am 30. April dieses Jahres Nuri al-Malikis Bündnis doppelt so viele Stimmen erhalten hat wie seine politischen Konkurrenten. Er hat fast 100 von etwas über 320 Abgeordneten in der Nationalversammlung. Insofern ist es nicht ganz einfach, ihn aus dem Weg zu räumen. Der Präsident und auch John Kerry haben ganz deutlich gesagt, dass das auch letztlich nicht die Aufgabe der Vereinigten Staaten ist, weil natürlich nach Wahlen, von denen alle sagen, mit einer relativ hohen Wahlbeteiligung von über 14 Millionen Leuten, die relativ demokratisch abgelaufen sind, angesichts der Tradition der Region, dass das ein Schritt vorwärts gewesen ist, den man jetzt nicht von außen ohne weiteres wieder revidieren kann. Letztlich wird es wieder darauf ankommen, im Irak eine Diskussion zu führen, wie man sich ins Einvernehmen setzen kann. Das ist nicht einfach.
    Den Kurden kommt mit Sicherheit eine Schlüsselrolle zu, weil sie sowohl im Norden Syriens als auch im Norden Iraks und auch in der Türkei eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Vielleicht wäre es wichtig, hier darüber nachzudenken, wie man auf kreative Art und Weise versuchen kann, neue Bündnispartner zu schaffen für den Präsidenten.
    Heckmann: Normalerweise heißt es bei solchen internationalen Krisen und Kriegsherden ja, alle Optionen lägen auf dem Tisch, gerade von Seiten Washingtons aus. Im Fall Iraks hat Obama natürlich jetzt gesagt und die Entsendung von Bodentruppen ausgeschlossen. Das ist natürlich vor dem Hintergrund der Erfahrungen leicht nachvollziehbar. Dennoch: Ist es möglicherweise ein Fehler, sich auf diese Weise festzulegen, weil das die Optionen einschränkt?
    Werz: Nein, das war eine richtige Äußerung des Präsidenten aus zwei Gründen. Er hat wörtlich gesagt vor einigen Tagen auf einer Pressekonferenz, dass das Problem im Irak nicht mit zehntausenden amerikanischer Truppen zu lösen ist, und das ist natürlich auch richtig. Diese Erfahrungen haben wir jetzt in zwei Irak-Kriegen gemacht in den vergangenen 20 Jahren. Zum zweiten ist die Unterstützung seiner Außenpolitik dramatisch abgestürzt in den Vereinigten Staaten, auch innerhalb seiner eigenen Partei, und er muss hier darauf achten, dass er sich nicht in eine Situation begibt, die für ihn politisch schädlich ist. Er hat gesagt, was US-amerikanische Interessen letztlich bedrohen würde, ist eine Form regionaler Destabilisierung, die sich jetzt abzeichnet, und er hat auch auf die globalen Energiemärkte verwiesen. Das war ein relativ deutliches Signal auch an die Europäer, da die USA zunehmend energieunabhängig sind, sich auch hier Gedanken zu machen, welche Rolle Europa zukommt.
    US-Außenminister John Kerry (r.) und der irakische Regierungschef Nuri al-Maliki.
    US-Außenminister John Kerry (r.) und der irakische Regierungschef Nuri al-Maliki. (dpa/Prime Minister Office/Handout)
    Kerry-Besuch als "deutliche Solidaritätserklärung"
    Heckmann: Außenminister John Kerry, der war ja gestern in Bagdad und hat angekündigt oder zumindest in Aussicht gestellt, dass es Luftangriffe der Amerikaner geben könnte, um die Isis zu bekämpfen, auch wenn keine neue breite Regierung gebildet worden ist vorher. Nicht wenige Experten sagen aber, dass Luftangriffe alleine herzlich wenig bringen dürften.
    Werz: Das ist, denke ich, auch Konsens in Washington. Der Besuch von Außenminister Kerry war vor allem dazu angetan, eine deutliche Solidaritätserklärung nicht mit Präsident al-Maliki, sondern mit der irakischen Zentralregierung und auch ein Signal zu senden dafür, dass der Irak als Land nicht auseinanderfällt, sondern dass das nach wie vor eine nationale Einheit bleiben muss. Der Außenminister hat auch gesagt, dass er versuchen wird, nicht nur auf die Regierung, sondern auch auf alle anderen politischen Akteure Druck auszuüben, zu einem Einvernehmen zu kommen innerhalb des Irak. Dass jetzt innerhalb einer Bürgerkriegssituation, die im Moment vollkommen unübersichtlich ist und in der auch die Isis-Rebellen, die ja eine heterogene Gruppe sind, die erst seit einigen Jahren existiert, von der man auch nicht genau weiß, wie langfristig sie die gegenwärtigen Geländegewinne wird verteidigen können, dass es hier keinen Sinn macht, jetzt aus der Luft zu intervenieren, ohne genaue Pläne zu haben, das ist auch den Amerikanern klar. Insofern darf man das im Moment noch als eine politische Drohung interpretieren, die dazu angetan ist, einen diplomatischen Prozess in Gang zu bringen.
    Heckmann: Sie haben gerade gesagt, Herr Werz, es war richtig von Obama, die Entsendung von Bodentruppen auszuschließen, auch aus innenpolitischen Gründen. Die Neokonservativen scheinen ja derzeit wieder im Aufwind zu sein. Wie gefährlich könnte die Krise von Syrien bis Irak für Obama selbst werden?
    Werz: Das ist für Obama ein innenpolitisches Problem, weniger wegen der einzelnen und vereinzelten neokonservativen Stimmen, die ja auf fast jedes Problem in der Welt versuchen, immer nur mit militärischen Lösungen dann zu reagieren. Es ist so, dass auch eine Mehrheit der Unterstützer der republikanischen Partei überhaupt nichts wissen will von einer Entsendung von Bodentruppen in den Irak. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass sich inzwischen bei einer überwiegenden Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner die Einsicht durchgesetzt hat, dass der Irak-Krieg ein großer Fehler gewesen ist, der ja bekanntlich auch aufgrund von falschen Informationen oder der Darstellung falscher Informationen der amerikanischen Öffentlichkeit damals legitimiert worden ist.
    Für Barack Obama wird es darauf ankommen, jetzt den schmalen Grat zu gehen zwischen der Präsentierung einer starken Position, die zeigt, dass Amerika noch in der Lage ist, Entwicklungen in der Region zu beeinflussen – das ist natürlich nicht einfach -, und auf der anderen Seite aber auch ganz deutlich zu signalisieren, vor allem in seine eigene Partei hinein, dass er sich auf kein militärisches Abenteuer einlassen wird, so wie das seine Vorgängerregierung getan hat.
    Heckmann: Michael Werz vom Center for American Progress war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Werz, danke Ihnen für Ihre Zeit!
    Werz: Vielen Dank, Herr Heckmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.