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Staatsleistungen an die Kirche
"Falsch verstandene Freundlichkeit gegenüber den Kirchen"

Auch wer nicht Mitglied ist, finanziert die Kirchen: über Staatsleistungen aus Steuermitteln. Der FDP-Politiker Stefan Ruppert will diese Zahlungen beenden - so, wie es das Grundgesetz vorsehe. Beim Thema sexueller Missbrauch müsse der Staat seinen Strafanspruch "unbedingt durchsetzen".

Stefan Ruppert im Gespräch mit Monika Dittrich |
Hessen, Fulda: Kardinal Reinhard Marx, links, Erzbischof von München und Freising und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, ist im Anschluss einer Pressekonferenz der Deutschen Bischofskonferenz zur Vorstellung der Studie "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz" von Kameras umringt.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Reinhard Marx inmitten von Journalistinnen und Journalisten. (Arne Dedert/dpa)
Monika Dittrich: Heute beginnt die Vollversammlung der katholischen deutschen Bischöfe. Ein Thema, das dort nicht auf der Tagesordnung steht, aber seit sage und schreibe 100 Jahren ein Thema sein müsste, das sind die sogenannten Staatsleistungen, die die Kirchen bekommen. Im vergangenen Jahr war das eine halbe Milliarde Euro, 538 Millionen, um genau zu sein. Wir sprechen hier nicht über die Kirchensteuer – denn das ist ja ein Mitgliedsbeitrag. Sondern es geht um Geld, das die Kirchen vom Staat bekommen, aus dem allgemeinen Steueraufkommen – etwa als Entschädigung dafür, dass sie im 18. oder 19. Jahrhundert ihre Kirchengebäude abgeben mussten. Diese Praxis sollte schon längst beendet werden – so steht es in Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 und dieser Verfassungsauftrag wurde auch in das Grundgesetz übernommen. Ich habe den religionspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Stefan Ruppert gefragt, wie lange die deutschen Steuerzahler wohl noch die Gehälter der deutschen Bischöfe bezahlen müssen.
Stefan Ruppert: Sie sprechen die Staatsleistungen an, also die Leistungen des Staates an die Kirche aufgrund von Enteignungen im 19. Jahrhundert. Ich wünsche mir, dass die abgelöst werden. Das bedeutet, dass durch eine Zahlung des Staates dieser Anspruch an ein Ende kommt. Ich bin dazu in guten Gespräch, aber ob auch die große Koalition auf einen fairen Interessenausgleich auf Staat und Kirche eingeht, da bin ich mir noch nicht sicher.
Dittrich: Warum ist es so schwierig, die Praxis der Staatsleistungen zu beenden?
"Einmalige Zahlung in beträchtlicher Höhe"
Ruppert: Sie beruhen auf sehr unterschiedlichen Rechtsgrundlagen. Zum einen: die Enteignungen 1803 und 1806, zum anderen sind neue Verträge hinzugekommen. Sie sind historisch gewachsen und belaufen sich auf 540 Millionen im Jahr und sind von der Kirchensteuer, das will ich auch mal deutlich sagen, von der Kirchensteuer zu unterscheiden. Es hat jetzt die Rolle nach der Verfassung, eine Rahmengesetzgebung zu erlassen, also Regeln für die Ablösung und dann könnten die Länder nach diesen Regeln vorgehen.
Zu Ihrer Frage, warum es noch nicht dazugekommen ist: zum einen, weil eine einmalige Zahlung des Staates notwendig ist, die dann auch eine beträchtliche Höhe erreicht. Davor mag der eine oder andere zurückscheuen. Und dann gibt es noch eine aus meiner Sicht falsch verstandene Freundlichkeit gegenüber den Kirchen. Ich bin selbst sehr kirchlich geprägt, bin Protestant und gläubiger Mensch. Aber ich finde es richtig, dass im weltanschaulich neutralen Staat die Kirche für ihre eigene Finanzierung sorgt und nicht ein Steuerzahler, der nicht in der Kirche ist. Deswegen schafft diese Ablösung eine Unabhängigkeit der Kirchen gegenüber dem Staat und macht beide glaubwürdiger.
Dittrich: Diese Freundlichkeit, die Sie gerade genannt, haben, führt die dazu, dass die Parteien sich mit den Kirchen nicht anlegen wollen?
"Ich verstehe, dass die Kirchen diesen Akt der Selbstlosigkeit nicht leisten wollen"
Ruppert: Ich schätze die Kirchen als wichtige Institutionen. Ich glaube aber auch, dass es für eine Kirche am Ende besser ist, wenn sie sagen kann, sie finanziert sich aus eigenen Mitteln und kooperiert mit dem Staat in einer freundlichen Art und Weise. Insofern finde ich es eine falsch verstandene Haltung, man wolle sich mit den Kirchen nicht anlegen, wenn man an das Thema nicht rangeht. Zuletzt muss ja auch gesagt werden: Es ist ein Auftrag unserer Verfassung. Wir sollen also als Anhänger des Grundgesetzes diesen Auftrag umsetzen. Und sich dem zu verweigern finde ich schon etwas merkwürdig.
Dittrich: Die Kirchen in Deutschland sind ohnehin finanziell gut ausgestattet, insbesondere die katholische Kirche. Sie haben die große Summe genannt. Nun könnte man doch erwarten, dass die Kirchen auf diese Summe verzichten, nachdem sie schon 100 Jahre lang zusätzlich Staatsleistungen kassiert haben.
Ruppert: Da verstehe ich die Kirchen, dass sie diesen Akt der Selbstlosigkeit nicht leisten wollen. Es ist ein Rechtsanspruch, den sie haben. Es ist ihnen Unrecht widerfahren und sie haben Verträge geschlossen. Da bin ich Rechtsstaatsanhänger und sage: Es handelt sich um kirchliche Ansprüche und die einfach zu negieren und zu verlangen, dass man darauf verzichtet, finde ich ein bisschen viel verlangt. Auf der anderen Seite muss der Staat eine Entscheidung treffen und ich glaube, dass für die Kirchen die "Preise" nicht besser werden. Deswegen setze ich auf konstruktive Gespräch mit den Kirchen. Am Ende werden wir einen Gesetzentwurf , der die Rahmenbedingungen festlegen soll. Ob er eine Mehrheit findet, da habe ich meine berechtigten Zweifel.
"Ich bin dafür, dass die Kirchen die Akten offenlegen"
Dittrich: Nun sehen wir diese Freundlichkeit des Staates auch bei einem anderen Thema, nämlich bei der sexuellen Gewalt in der katholischen Kirche. Es geht um schwere Straftaten, trotzdem kann man den Eindruck gewinnen, dass die Politik sich zurückhält und darauf vertraut, dass die Kirchen das Problem allein in den Griff bekommen.
Ruppert: In Fällen, in denen Straftaten begangen worden sind, muss geguckt werden, ob sie noch nicht verjährt sind. Und wenn sie nicht verjährt sind, muss der Staat seinen Strafanspruch unbedingt durchsetzen. Ich nehme die Diskussion in der Kirche unterschiedlich wahr: Einige drängen sehr darauf, das Problem anzugehen. Andere äußern zwar ihr Entsetzen über das, was passiert ist, aber es fehlt manchmal an konkreten Maßnahmen, so etwa bei Papst Franziskus.
Dittrich: Aber eine konkrete Maßnahme könnte zum Beispiel sein, dass man es so macht wie in Australien, dass es eine staatliche Kommission gibt, die auch beispielsweise die Aktenherausgabe erzwingen kann. Warum gibt es das in Deutschland nicht?
Ruppert: Da, wo es Anhaltspunkte gibt, ermitteln die Staatsanwaltschaften auch. Man kennt häufig nur die Aktenlage nicht. Ich bin durchaus dafür, dass die Kirchen diese Akten offenlegen. Es gibt Persönlichkeitsrechte, die zu wahren sind. Aber ich habe kein Verständnis dafür, wenn man nicht vollumfänglich mit dem Staat kooperiert. Das verlange ich auch von den Kirchen. Es gibt darüber hinaus eine moralische Verpflichtung. Viele dieser Straftaten sind leider verjährt. Aber auch da besteht eine moralische Pflicht der Kirchen, dieses Unrecht aufzuarbeiten, so wie auch staatliches Unrecht immer aufgearbeitet werden muss. Das erwarte ich von den Kirchen.
"Kirchen tragen zum sozialen Frieden bei"
Dittrich: Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Deutschland? Brauche die Parteien die Kirchen?
Ruppert: Wir haben ein gutes Staats-Kirchen-Recht oder moderner gesprochen: Religionsverfassungsrecht. Es akzeptiert, dass der religiöse Mensch sich in eigenen Angelegenheiten selbst organisiert und selbst bestimmt. Aber es fordert ein, dass dies immer in den Grenzen der Verfassung zu geschehen hat. Das ist moderner als die strikte Laizität etwa in Frankreich, wo der Staat Schwierigkeiten hat mit Religionsgemeinschaften überhaupt ins Gespräch zu kommen. Insofern finde ich unser Religionsverfassungsrecht sehr modern, es ist ein freundliches Verhältnis. Kirchen tragen zum Gelingen des sozialen Friedens vieles bei. Das will ich immer wieder unterstreichen, aber bei einigen Punkten – kirchliches Arbeitsrecht, Ablösung der Staatsleistungen und natürlich auch beim Missbrauchsskandal – liegen Aufgaben vor uns.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.