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Staatsministerin Dorothee Bär
Unverzichtbare Tweet-Tsunamis

Bei Dorothee Bär dürften wir damit rechnen, dass sie weiter in die Zukunft blickt als Normalsterbliche - und dort auch mehr als andere erkennt, meint Arno Ozessek in seiner Glosse. Seine Idee: Lassen wir die "Digital-Doro" mal machen und verfolgen auf Twitter, was geht.

Von Arno Ozessek |
    Dorothee Bär lächelt, sie ist umgeben von Fotografen und Reportern vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin.
    Die CSU-Politikerin Dorothee Bär auf dem Weg zu Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD (dpa/Bernd von Jutrczenka)
    Eins vorweg: Dorothee Bär ist eine sympathische Vertreterin des Bayerischen. Wer das anders sieht, sollte kurz an Markus Söder denken.
    Wie Söder steht auch Bär stets stolz zu ihrer Herkunft. Während in Deutschland alle groß von Heimat reden, zeigt sie sich bei Wikipedia im feschen Dirndl. Und ein charmantes Selfie im FC Bayern-Trikot, das hat sie schon vor Jahren auf Twitter gepostet.
    Folgerichtig entfuhr ihr gestern beim Bayern-Sieg in Leverkusen der originelle Tweet "Thomas Müller - Fußballgott".
    Denn fürwahr, bis hin zum Doppelporträt mit Kanzlerin oder Klitschko postet Bär alles, was die Leute unbedingt von ihr wissen müssen. 77.000 Follower beweisen: Zivilgesellschaftlich ist der Bärsche Tweet-Tsunami unverzichtbar.
    Von Urbanisierung und Digitalisierung
    Angesicht ihrer bodenständigen Qualifikationen wundert es nicht, dass "Doro", wie wir sie mit der Wochenzeitung "Die Zeit" liebevoll nennen wollen, nun Star-Rednerin auf dem Jahreskongress des Verbandes deutscher Lokalzeitungen war - der übrigens souverän unprovinziell in Berlin-Mitte im Zollernhof des ZDF stattfand.
    Doro trug dort zwar weder Dirndl noch die alternativen bayerischen Hoheitszeichen Laptop und Lederhose. Aber den zupackenden Laptop-Lederhosen-Spirit als solchen brachte sie sehr wohl in die Veranstaltung. Und zwar mit der geschmeidigen Prophezeiung: "Der Megatrend Digitalisierung wird den Megatrend Urbanisierung stoppen."
    Bornierte Statistik-Freaks mögen einwenden, dass seit der Digitalisierung die Urbanisierung trendmäßig eher noch mal mega zugenommen hat, weil aus Hintertupfingen noch kein München wird, nur weil man dort auch per Amazon Unterhosen bestellen kann.
    Lassen wir die Doro mal machen
    Aber bei Doro dürfen wir damit rechnen, dass sie weiter in die Zukunft blickt als Normalsterbliche - und dort auch mehr als andere erkennt.
    Das tut sie ja auch mit Blick auf die Vergangenheit. Kürzlich zum Beispiel hat Doro hiesige Bedenkenträger wissen lassen, der aktuelle Datenschutz in Deutschland sei auf einem Stand "wie im 18. Jahrhundert".
    "Digital-Doro", so viel erschloss sich aus dem Kontext, meinte damit: Unser Datenschutz heute ist echt von gestern. Voll 18. Jahrhundert halt. Wir sollten uns in puncto Schutz lockerer machen als zu Lessings Zeiten.
    Doch der Clou war, dass Doro eine Wissenslücke zugleich aufzeigte und schloss. Denn bisher hatte die Forschung übersehen, dass es im 18. Jahrhundert Datenschutz überhaupt schon gab.
    Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache DWDS etwa behauptet bis heute unverfroren, das Wort "Datenschutz" lasse sich erst nach 1970 nachweisen.
    Merken wir uns: Das DWDS verbreitet historische Fake News von Trumpscher Irrwitzigkeit. Und raten wir den Zuständigen, noch einmal in den Quellen des 18. Jahrhunderts zu blättern.
    Wenn der Begriff dann untrüglich auftaucht, wird sich zeigen: Digitalministerin Bär hat natürlich recht - für heute ist so ein gammeliges Schutz-Ding von damals viel zu streng.
    Kurz und gut: Lassen wir die Doro mal machen und verfolgen auf Twitter, was geht.
    Kommen wir der engagierten Doro entgegen!
    Wenn man bedenkt, dass augenblicklich in 14 Ministerien 76 Abteilungen und 244 Teams an digitalen Themen arbeiten, wird Doro zum Beispiel ohne die Flugtaxis, von denen sie zum Amtsantritt geschwärmt hat, kaum alle nötigen Kontakte pflegen können.
    Und hat sich in ähnlicher Lage nicht auch schon Baron Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen und ist auf Kanonenkugeln am Himmel hin und her gedüst?
    Okay, manchmal passieren im digitalen Elysium halt solche blöden Lappalien wie mit Mark Zuckerbergs Facebook und Cambridge Analytica.
    Aber müssen wir das wirklich immer gleich so – uijujujui – bierernst nehmen?
    Ja, Kruzifix! Dann würde "Digital-Doro" wohl noch länger, so wie gestern, klagen müssen: Wir brauchen nicht mehr Begeisterung, sondern überhaupt erst mal Begeisterung."
    Kommen wir der engagierten Doro also entgegen! Finden wir das digitale Zeugs ab morgen einfach genau so geil wie sie!