Die Wahlen im südostasiatischen Land Myanmar im November 2020 hatte die Partei "Nationalliga für Demokratie" (NDL) von Aung San Suu Kyi laut offiziellen Angaben gewonnen, wurde aber vom Militär nicht anerkannt. Als am 1. Februar 2021 die neue Legislaturperiode des gewählten Parlaments von Myanmar beginnen sollte, putschte das Militär. Es verhängte einen Notstand, nahm gewählte Volksvertreter fest und löste das Parlament auf. Seitdem ist der Alltag von Protesten und Gewalt geprägt – nicht zum ersten Mal in der Geschichte des Landes.
Nach der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1948 von Großbritannien folgte eine demokratische Phase, die mit einem Putsch 1962 endete. Seitdem wird Myanmar von verschiedenen Militärmachthabern regiert.
Auslöser für den ersten Putsch war der Streit zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen und der Zentralregierung. Myanmar ist ein multiethnischer Staat mit über 130 verschiedenen Volksgruppen, die etwa 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die größte Ethnie ist mit 70 Prozent Bevölkerungsanteil die der Birmanen (Bamar). Seit der Unabhängigkeit fordern diese Ethnien Gleichberechtigung durch föderale Prinzipien und somit mehr Eigenständigkeit.
Anfang der 60er-Jahre wollte der demokratisch gewählte Ministerpräsident den Buddhismus zur Staatsreligion erheben und die Macht zentralisieren. Daraufhin gab es erstmals Unruhen im ganzen Land, die blutig niedergeschlagen wurden. In den darauffolgenden Jahrzehnten bestand Myanmars Politik aus einer Mischung aus sozialistischer Planwirtschaft, vermischt mit Nationalismus und Staatsbuddhismus. Ein Weg, der das einst blühende Myanmar zum Armenhaus Asiens werden ließ – von der Außenwelt isoliert.
Am 5. September 1987 ließ General Ne Win in einer Art Währungsreform bestimmte Geldnoten entwerten, um den Schwarzmarkt einzudämmen. Die daraufhin einsetzenden Proteste der Bevölkerung wurden gewaltsam niedergeschlagen. Es waren vor allem Studenten, die auf der Straße gegen Willkür, Zwang und Rückständigkeit des Militärregimes protestierten. Nach der Niederschlagung des Aufstands, der am 8. August 1988 seinen Höhepunkt erreichte, suchten die Militärs neue Wege des Machterhalts. Als Europa und die USA Sanktionen gegen das Regime verhängten, konnte das Land auf China bauen: Der mächtige Nachbar sprang mit Investitionen bei der Ausbeutung der Bodenschätze wie Gas, Edelsteine oder Holz in die Bresche.
Im Herbst 2007 kam es zu einer dritten Protestwelle, als die Regierung über Nacht die Kraftstoff- und Lebensmittelpreise massiv erhöhte. Unter der Führung Zehntausender Mönche und Nonnen begehrte das Volk gegen die Machthaber auf - auch dieser Aufstand wurde blutig niedergeschlagen.
Phase der Demokratisierung
2011 begann ein demokratischer Reformprozess, den das Militär überraschenderweise eingeleitet hatte. Bei Neuwahlen im März 2011 wurde Ex-Generalleutnant Thein Sein als Zivilist Präsident von Myanmar. Er gab sich liberal und brachte Reformen ein, die das Land von den diktatorischen Strukturen befreien sollten: weniger Pressezensur, freies Internet, die Aufforderung an Oppositionelle im Ausland, heimzukehren und am Aufbau des Landes mitzuwirken. Dennoch blieb ein Viertel der Sitze in beiden Parlamentskammern für das Militär und deren militärnahe Partei Union Solidarity and Development Party (USDP) reserviert.
Zu diesem Zeitpunkt stand das Land aufgrund eines drohenden Staatsbankrotts unter Druck - dringend notwendige Subventionen von der Weltbank wurden jedoch nur an eine zivile Regierung ausgegeben. Durch die Reformen hoffte man auf internationale Akzeptanz sowie die Aufhebung von Handelssanktionen und Reiseverbote für Spitzenpolitiker. Die Machthaber öffneten schrittweise das Land und warben um Investoren.
Doch auch in dieser Phase sorgte sich das Militär vor allem um das eigene Überleben. Die 2008 von Generälen erarbeitete Verfassung begünstigte sie weiterhin. So bedarf eine Verfassungsänderung der Zustimmung von mindestens 75 Prozent in beiden Häusern des Parlaments.
Aung San Suu Kyi betrat Ende der 1980er-Jahre die politische Bühne von Myanmar und hat sie bis heute geprägt. Sie ist die Tochter des Generals Aung San. Er gilt als "Vater der Nation" und war 1948 an der Unabhängigkeit des Landes (damals Birma genannt) von Großbritannien beteiligt.
Nach den vom Militär angesetzten Wahlen 1990 gewann Aung San Suu Kyi haushoch. Nachdem die Militärjunta diese nicht anerkannte, verbrachte Aung San Suu Kyi die folgenden 20 Jahre meist unter Hausarrest. Auch weil sie nicht zu ihrer Familie nach Großbritannien zurückgekehrt war, wurde sie in dieser Zeit zu einer Symbolfigur für ein demokratisches und ziviles Land.
Die von Aung San Suu Kyi geführte Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) ist vor allem eine Interessenvertretung der buddhistischen Bamar, die mehr als 60 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Kleinere Parteien, die auch die Anliegen der Minderheiten vertreten, haben bei Wahlen kaum eine Chance, ins Parlament einzuziehen.
Bei den Wahlen von 2012 akzeptieren die Militärs Aung San Suu Kyi und ihre Partei NLD im Parlament. Bei den vom Militär zugelassenen Wahlen 2015 und 2020 gewann ihre Partei rund 80 Prozent der Parlamentssitze. Angetreten war sie mit dem Versprechen, den Einfluss des Militärs weiter zurückzudrängen.
Sie bekleidete ab 2016 das Amt der sogenannten Staatsberaterin - ein eigens für sie geschaffenes Amt, da laut der Verfassung des Militärs von 2008 nur jemand Präsident oder Präsidentin des Landes werden konnte, der keine familiären Verbindungen ins Ausland hat. Aung San Suu Kyi war aber mit einem Briten verheiratet und hat mit ihm zwei Söhne.
Aung San Suu Kyi und die Rohingya
In die Kritik geriet die Politikerin angesichts der Rohingya-Krise 2017. Damals brannten burmesische Soldaten als Reaktion auf Überfälle durch die bewaffnete Rohingya-Gruppe Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) 500 Dörfer der muslimischen Volksgruppe nieder. Babys wurden getötet, Frauen verschleppt und vergewaltigt. 700.000 Menschen flüchteten ins benachbarte Bangladesch. Die Internationale Gemeinschaft reagierte mit Entsetzen.
Aung San Suu Kyi schwieg zunächst zu diesen Menschenrechtsverletzungen, was ihr internationales Ansehen massiv beschädigte. Schließlich bezeichnete sie die Gräueltaten an den Rohingya als "Notwehr der Armee" gegen bewaffnete Rebellen. Viele Beobachter zeigten sich überrascht, wie sich Aung San Suu Kyi zu den Gewalttaten an den Rohingya äußerte und sich mit jenen Generälen arrangierte, die sie zuvor unter Hausarrest gesetzt hatten. Es gab deshalb auch Forderungen, ihr den 1991 erhaltenen Friedensnobelpreis abzuerkennen.
Am 1. Februar 2021 wurde die Regierung unter Aung San Suu Kyi vom Militär unter Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing gestürzt. Sie und führende Mitglieder der Partei Nationale Liga für Demokratie wurden verhaftet.
Die zentrale Figur des Putschs 2021 ist Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing. Er steht seit fast zehn Jahren an der Spitze der Streitkräfte und hat sich infolge des Staatsstreiches zum Staatspräsidenten Myanmars ernannt. Min Aung Hlaing ist 65 Jahre alt und hätte regulär Mitte 2021 aus Altergründen abtreten müssen. Mit dem Ausscheiden aus dem Amt verlieren Militärs in Myanmar Einkünfte aus Schürfrechten - in dem sonst armen aber an Bodenschätzen reichen Land - und damit ihre eigentliche Einkommensquelle.
In der Rohingya-Krise 2017 gilt Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing als der Hauptverantwortliche. Die Vergeltungsaktion nach dem Angriff der muslimischen Rebellen erfolgte auf seinen Befehl.
Nachdem am 1. Februar 2021 das Militär die Macht in Myanmar ergriffen hat und die Regierung von Aung San Suu Kyi gestürzt wurde, ernannte das Militär am 1. August eine "Übergangsregierung". Der damals verhängte Ausnahmezustand sollte zunächst ein Jahr andauern, Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing verlängerte ihn inzwischen bis zum August 2023. Erst dann sollen wieder Wahlen stattfinden.
Nach den eher friedlichen Massenprotesten der ersten Wochen nach dem Putsch hat das Militärregime diese niedergeschlagen. Seitdem versucht das Militär jeglichen Widerstand mit Gewalt zu unterdrücken. Bisher sollen nach Schätzungen der Gefangenenhilfsorganisation AAPP mehr als 1.200 Menschen getötet und Tausende festgenommen sowie teilweise gefoltert worden sein.
Die untergetauchte gewählte Regierung (National Unity Government) hat zunächst verlautbart, die Situation friedlich lösen zu wollen. Inzwischen haben sie selbst eine Truppe gebildet, die People's Defence Force kurz PDF. In dieser Truppe sind viele ethnische Minderheiten vertreten, die versuchen der Militärmacht im Land etwas entgegenzusetzen – mit zum Beispiel Anschlägen, Minen, selbstgebastelten Waffen. Das Militärregime hat diese seit Mai 2021 existierende Truppe als terroristisch eingestuft und geht hart gegen sie vor - mit unter anderem Bombardements von Dörfern und Städten.
Aung San Suu Kyi befindet sich weiter im Hausarrest und sieht sich mit einer Reihe strafrechtlicher Anschuldigungen konfrontiert, die im Zusammenhang mit dem vom Militär erhobenen Vorwürfen des Wahlbetrugs stehen. Erstmals nach dem Putsch sagte die entmachtete Regierungschefin Ende Oktober 2021 vor einem Gericht deswegen aus. Details sind jedoch kaum bekannt: Das regierende Militärregime hat allerdings ihrem Anwaltsteam ein Redeverbot erteilt und jede Kommunikation mit Medien, internationalen Organisationen und ausländischen Regierungen untersagt.
Die Vereinten Nationen sowie die EU haben den Militärputsch auf das Schärfste verurteilt. International wird das Regime aufgefordert, die Gewalt zu stoppen und die Demokratie wiederherzustellen. Die EU hat mehrere Sanktionen verhängt, unter anderem gegen staatlich kontrollierte Unternehmen, Firmenkonglomerate, eine Veteranenorganisation und mehr als 30 Personen - darunter mehrere Mitglieder der sogenannten Übergangsregierung.
Zuletzt hatte die USA Anfang November die jüngsten Entwicklungen in Myanmar als "besorgniserregend" eingestuft. Das Außenministerium in Washington bezeichnete das Vorgehen der Militärführung als "abscheulich und brutal". Die US-Regierung reagierte mit ihrem Appell auf Berichte, wonach in einer Region mit überwiegend christlichen Bewohnern mindestens 100 Wohnhäuser sowie mehrere Kirchen von Soldaten niedergebrannt wurden. Die Hilfsorganisation "Save The Children" teilte mit, auch eines ihrer Büros sei zerstört worden.
Eine weitere Reaktion auf den Putsch 2021 kam vom
Verband der Südostasiatischen Nationen (ASEAN)
. Üblicherweise halten sich die Bündnispartner an das Prinzip, sich nicht in die Belange von anderen Mitgliedstaaten einzumischen. Doch durfte die Staatsführung vom ASEAN-Mitglied Myanmar nicht am Gipfel Ende Oktober 2021 teilnehmen. Im Frühjahr hatte das Bündnis den General noch eingeladen und sich mit ihm auf einen Fünf-Punkte-Plan geeinigt. Der umfasste die Beendigung jeglicher Gewalt und dass der ASEAN-Sonderbotschafter sich frei in Myanmar bewegen kann. Das Militärregime unternehme allerdings keine Schritte zur Wiederherstellung der Demokratie in Myanmar, begründete ASEAN die Ausladung von Min Aung Hlaing. Stattdessen luden sie einen nicht politischen Vertreter ein. Min Aung Hlaing reagierte mit Kritik auf diese Entscheidung. Er hatte sich vermutlich von einer ASEAN-Teilnahme einen staatsmännischen Eindruck seiner Selbst für die Welt und für Myanmar erhofft.
(Quellen: Ingrid Norbu, Lena Bodewein, Holger Senzel, dpa, AFP, epd, cp)