„Alleine als Sicherheitsakteur werden Sie dieser komplexen Vorgänge einfach nicht Herr. Es kann der Verein nicht alleine schaffen, es kann aber auch die Polizei nicht alleine schaffen“, dieses Urteil zieht Uwe Stahlmann Anfang 2023 im Deutschlandfunk. Er ist Leiter der Landesinformationsstelle Sporteinsätze in Baden-Württemberg und ein großer Fürsprecher von Stadionallianzen. Deren Ziel ist nicht nur die Zahl der Einsatzkräfte bei einem Bundesligaspiel zu reduzieren. Es geht auch um eine gemeinsame Strategie mit allen relevanten Sicherheitspartnern im Vorfeld - angepasst auf jedes Spiel.
Ins Gespräch gehen dann beispielsweise die beteiligten Vereine, Fanprojekte, Polizei, und die Vertreter der Kommunen. Vor allem, um Gewalt bei Fußballspielen einzudämmen und zu deeskalieren, so Stahlmann: „Klar bin ich auch der Überzeugung, dass sich das auf die Fanszene überträgt, wenn wir eben besonnen reagieren und uns entsprechend aufstellen!“
Bisher sprechen die Zahlen für sich. Laut des baden-württembergischen Innenministeriums konnten mit Hilfe der Stadionallianzen seit 2017 zehntausende Polizei-Einsatzstunden eingespart werden – das bedeutet 2 Millionen Euro jährlich. Mehr als 80 Prozent der Bundesligaspiele verliefen dabei vollkommen störungsfrei und friedlich.
Stadionallianz in Stuttgart nach massivem Polizeieinsatz ausgesetzt
Doch plötzlich ist alles anders. Die Stuttgarter Polizei hat nämlich an dem Standort – der erste bundesweit – das Erfolgsmodell „Stadionallianz“ eigenmächtig ausgesetzt. Und zwar nach dem VfB-Heimspiel gegen den BVB, als es zu einem massiven Polizeieinsatz gekommen ist. Auf Deutschlandfunk-Anfrage schreibt dazu das Polizeipräsidium, dass man jetzt erst einmal die Heimspielwoche mit DFB-Pokal und Bundesliga abwarten wolle. Weiter heißt es:
„Anschließend werden wir die Situation gemeinsam mit dem VfB neu bewerten. Aus diesem Grund möchten wir uns hierzu vorab nicht vertieft äußern. Grundsätzlich ist die Stuttgarter Polizei als einer der „Gründungsväter“ aber vom Instrument der sog. Stadionallianzen, deren Grundlage gegenseitiges Vertrauen untereinander ist, seit Jahren überzeugt.“
Auf konkrete Nachfragen, warum die Polizei sich jetzt daraus zurückgezogen hat, gibt es keine Rückmeldung. Laut lokalen Medien liegt es vor allem an der massiven Kritik am Einsatzleiter durch Fans und auch durch den VfB-Fanbeauftragten. Alle hatten eine In-Gewahrsamnahme von elf Stuttgarter Anhängern als ungerechtfertigt angesehen. Der Klub selbst hält sich dazu öffentlich bisher zurück.
VfB-Fanprojekt: "Miteinander reden ist die beste Deeskalation"
Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk macht allerdings das VfB-Fanprojekt deutlich, dass sich der Wert der Stadionallianzen erst in Krisensituationen wie aktuell zeigen würde: „Miteinander reden ist eben die beste Deeskalation, die es gibt. Deswegen finden wir es extrem schade, dass jetzt diese Stadionallianzen da einseitig zumindest ausgesetzt wurden. Und wir würden uns einfach wünschen, dass da wieder alle einen Tisch zurückkehren und kommunizieren“, so Benjamin Lauber – Vorstandsmitglied des Fanprojekts.
Noch deutlichere Kritik an der Polizei Stuttgart formuliert die Rechtsanwältin Angela Furmaniak, die seit Jahren Fans bei Konflikten mit der Polizei am Standort Stuttgart vertritt. Sie kritisiert einerseits das mittlerweile massive Auftreten der Polizei. So seien beim eigentlich harmlosen Heimspiel gegen Werder Bremen auch mehrere Wasserwerfer aufgefahren, neben behelmten Beamten mit schwerer Schutzausrüstung oder auch Reiter-Staffeln. Zudem fehle ihr in dieser Situation eine gewisse Selbstreflektion:
„Mein Eindruck ist in der Tat, dass die Kritikfähigkeit der Polizei relativ wenig ausgeprägt ist. Und nicht nur das, sondern das, insbesondere auch die Fähigkeit oder die Bereitschaft, selbstkritisch mit der eigenen Handlung, mit dem eigenen Vorgehen ins Gericht zu gehen, vielleicht sogar noch weniger ausgeprägt ist.“
Stadionallianzen gibt es auch in weiteren Bundesländern
Dass die Kritik aus der Fanszene beispielsweise bei der Polizei und deren Einsatzleiter nicht auf Wohlwollen gestoßen sei, kann Benjamin Lauber vom VfB-Fanprojekt nachvollziehen. Aber man müsse das Projekt der Allianzen davon trennen: „Die Stadionallianzen, da sitzen ja eigentlich alle, die daran interessiert sind zu deeskalieren. Die Mitglieder dort sind immer kooperativ. Das heißt, ich glaube, es ist einfach der falsche Ort, um zu sagen, wir ziehen uns jetzt zurück!“
Denn mittlerweile sind die Stadionallianzen so etwas wie ein Exportschlager. Dem erfolgreichen Beispiel aus Baden-Württemberg sind laut Deutscher Fußball-Liga DFL auch Niedersachsen, Bayern und Hessen gefolgt. Im Lauf dieses Jahres seien mit Berlin, Bremen und Sachsen noch drei weitere Bundesländer hinzugekommen.
Fananwältin: Polizei braucht mehr Fingerspitzengefühl und Verständnis
Doch aktuell werden sie nicht überall konsequent genutzt, um den Konflikt zwischen Fans und Polizei zu beruhigen. In Niedersachsen ist zum Beispiel unter der Woche ein neuer Arbeitsprozess zwischen Innenministerium, Polizei und Clubs initiiert worden. Die Stadionallianzen sind dabei nicht explizit erwähnt worden.
Für Fananwältin Angela Furmaniak ist dagegen klar, wer zuerst handeln könnte, um die Situation insgesamt zu beruhigen: „Die Polizei muss meines Erachtens nach tatsächlich nicht alles tun, was sie rechtlich tun darf. Wenn von Seiten des Polizeiapparates mehr Fingerspitzengefühl, mehr Verständnis für die Befindlichkeiten, für die Eigenarten der Subkultur der Fans vorhanden wäre, wäre glaube ich, schon ein ganz, ganz großer Schritt gemacht in Richtung einer Lösung und Entspannung des Problems.“