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Stadt des Protests
Chinas Hongkong-Problem

17 Jahre nach der Rückgabe Hongkongs an China erreicht die Unzufriedenheit in der ehemaligen britischen Kolonie einen neuen Höhepunkt. Presse- und Meinungsfreiheit sind unter Beschuss. Am Sonntag geht ein inoffizielles Demokratie-Referendum unter Rekordbeteiligung zu Ende. Eine junge, lautstarke und immer größere Protestbewegung droht mit zivilem Ungehorsam. Peking und Hongkong sind auf Kollisionskurs.

Von Markus Rimmele |
    PLA-Soldaten marschieren.
    China demonstriert vor dem 25. Jahrestages des Tiananmen-Blutbads Stärke. (dpa/picture alliance/epa/Rolex Dela Pena)
    1. Juli 1997. Im strömenden Regen geben die Briten zum Klang der Hymnen Hongkong zurück an China. Große Sorge herrscht damals bei vielen in der Stadt. Das Tiananmen-Massaker liegt erst acht Jahre zurück. Das Fortune-Magazin aus den USA titelt im Vorfeld: "The death of Hong Kong", "Hongkongs Tod".
    "Mehrere Hunderttausend Hongkonger waren ins Ausland emigriert. Allein 1994 zogen nur nach Kanada 45.000 Menschen. Vor allem, um kanadische Pässe zu bekommen und sich zu schützen."
    Erinnert sich der Hongkonger Politikwissenschaftler David Zweig.
    Doch dann kommt es anders. Fast alles bleibt nach dem "Handover" zunächst beim Alten in Hongkong. Nach der Formel "Ein Land, zwei Systeme" genießt die Stadt einen hohen Grad an Autonomie, abgesichert durch das neue Grundgesetz, das von den Briten mit ausgehandelt worden war. Außenpolitik und Verteidigung sind Pekings Angelegenheiten. Für den Rest ist die Hongkonger Verwaltung selbst zuständig. Das kapitalistische Wirtschaftssystem bleibt erhalten, ebenso die Rechtsstaatlichkeit, Presse- und Meinungsfreiheit. Die Stadt blüht wirtschaftlich auf, verdient kräftig mit am China-Boom. 2007 schreibt das Fortune-Magazin, das mit dem "Tod von Hongkong" sei damals stark übertrieben gewesen.
    Peking greift immer offener in Hongkongs Angelegenheiten ein
    Hong Kong 2014. Und wieder ist alles anders. Eine Demonstration jagt die nächste. Peking greift immer offener in Hongkongs Angelegenheiten ein. Festlandchinesen sitzen an immer mehr Schaltstellen in der Wirtschaft. Kritische Journalisten verlieren ihre Jobs, drei wurden gar auf offener Straße mit Messern attackiert.
    "In Sachen Demokratie geht es bergab in Hongkong, sagt dieser Demonstrant, ein Student, bei der jährlichen Gedenkfeier für die Opfer des Tiananmen-Massakers. Die versuchen jetzt, Hongkong in den Rest Chinas einzugliedern. Die Autonomie Hongkongs befindet sich im Niedergang."
    Mit der Ernennung des derzeitigen Hongkonger Chief Executive, des Regierungschefs Leung Chun-ying vor zwei Jahren kippte die Stimmung. Leung gilt in der Stadt als Schoßhund Pekings. Aktueller Hauptstreitpunkt ist die Demokratisierung des Wahlrechts. 2017 soll der Regierungschef zum ersten Mal durch allgemeine Wahlen vom Volk bestimmt werden. Das sieht Hongkongs Grundgesetz so vor. Doch: Peking will die Kandidaten für die Wahl voraussuchen. Für Vertreter der Demokraten wäre es damit wohl kaum möglich zu kandidieren.
    "Seit zwanzig Jahren warten wir auf ein Wahlrecht, in dem jeder Mensch eine Stimme hat, sagt die Hongkonger Politikerin Anson Chan. Die Leute wollen jetzt, dass Peking sein Versprechen einlöst. Wir wollen kein System, in dem man uns sagt: Hier habt Ihr drei Marionetten, wählt eine davon. Das ist für uns kein allgemeines Wahlrecht."
    Hongkong macht Rückschritte
    Anson Chan war zu Zeiten des Handover 1997 das Gesicht Hongkongs, als Verwaltungschefin die zweite Frau in der Stadt. Sie beruhigte damals die Welt. Hongkong werde auch unter Pekings Herrschaft seine Freiheiten behalten, so Chan damals. Heute ist sie sich dessen nicht mehr sicher. Hongkong mache Rückschritte, sagt sie.
    Hongkongs Zivilgesellschaft begehrt auf. Seit einer Woche läuft ein inoffizielles Referendum. Mehr als 700.000 Menschen, viel mehr als erwartet, haben sich darin schon für ein demokratisches Nominierungsverfahren ausgesprochen. Das Referendum ist rechtlich bedeutungslos, doch ein Signal in Richtung Peking. Organisiert hat die Abstimmung Occupy Central, eine Bürgerbewegung, die damit droht, Hongkongs Innenstadt durch Menschen lahmzulegen, sollte die Regierung keine demokratische Wahlreform vorlegen.
    Hongkongs junge Protestbewegung
    Vier von fünf Hongkongern zwischen 20 und 30 unterstützen Occupy Central. Hongkongs Protestbewegung ist jung und lebendig.
    "Wenn wir in der Zukunft noch mehr von China abhängen, wird es übel. Wenn wir dann etwas gegen die Regierung unternehmen, könnten wir ins Gefängnis kommen, so diese 16-jährige. Wir Jungen haben das Bewusstsein: Wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir unsere Freiheit verlieren und unsere Lebensweise."
    Kaum eine Woche vergeht ohne Demonstration in Hongkong. Mal protestieren Schüler und Eltern, mal Anwälte, mal Menschenrechtsaktivisten. Fast immer geht es um den als bedrohlich empfundenen Einfluss Pekings.
    Doch die chinesische Regierung zeigt kein Entgegenkommen. Im Gegenteil. Sie veröffentlichte Anfang Juni ein Weißbuch zu Hongkong. Die umfassende Rechtshoheit über Hongkong liege in Peking, heißt es da. Die Demokraten sehen darin einen Bruch mit der "Ein Land, zwei Systeme"-Formel. Ein Schock für viele Bürger. Die Wut und die Protestlust wachsen.
    Die Atmosphäre wird immer angespannter, sagt der Politikwissenschaftler Joseph Cheng. Die Leute haben das Gefühl: Jetzt kommt der Moment der Entscheidung.
    "Ich bin mir ganz sicher, sagt Anson Chan. Wenn die Regierungen in Hongkong und Peking in Sachen Demokratie jetzt nicht Wort halten, wird das zu einer Mobilisierung der Massen führen."