"Personenzug nach Bleckede, bitte einsteigen, die Türen schließen und Vorsicht bei der Abfahrt." (Pfiff)
Der Bahnhof Lüneburg an einem Herbst-Sonntag. Auf Gleis eins rauscht ein Güterzug durch, auf Gleis fünf warten Reisende auf den verspäteten Regionalzug aus Lübeck. Auf Gleis 4 läuft heute alles ein bisschen anders: Nach der Ansage schließt der Schaffner selbst die Türen. Langsam setzt sich der rote Triebwagen in Bewegung.
"Der ist 66 Jahre alt und früher auch auf dieser Strecke gefahren, das ist uns immer sehr wichtig, Originalfahrzeuge einzusetzen."
Hans Dierken ist Präsident der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsfreunde Lüneburg. Er gehört zu dem Team, das derzeit auf der Strecke von Lüneburg nach Bleckede an der Elbe sonntags für den Zugbetrieb sorgt.
Strecken-Einstellungen in den 1970er-Jahren
Die letzten Personenzüge im regulären Betrieb fuhren hier in den 1970er-Jahren. 1977 wurde der Personenverkehr eingestellt, wie auf so vielen Strecken in der damaligen Bundesrepublik. Eine Entwicklung, die sich nach 1990 auch in den fünf östlichen Bundesländern fortsetzte. Die Politik förderte vor allem den Individualverkehr mit dem Auto, investierte ganz überwiegend in Autobahnen und Straßen. Bahnstrecken verfielen, wurden teilweise demontiert. Auf der Strecke nach Bleckede fuhren zwar weiter Güterzüge – aber immer seltener. Auch diese Strecke verfiel, bis der Eigentümer, die Privatbahn OHE, sie loswerden wollte. 2011 übernahmen die Verkehrsfreunde Lüneburg die Strecke für einen symbolischen Preis zur Pacht: Seitdem pflegen sie Strecke und Triebwagen.
"So, herzlich willkommen an Bord des Heide-Elbe-Express. Ich müsste einmal Ihre Fahrscheine sehen, bitte."
Der Zug fährt in gemäßigtem Tempo durch Wälder, an Feldern und Dörfern vorbei. Aus Gärten und an Bahnübergängen winken Menschen. Im Fahrzeug dominiert Holz, die gut gepolsterten Sitze federn die teilweise etwas ruckelige Fahrt ab. Diese Zugfahrt ist erst seit wenigen Jahren wieder möglich, und auch nur sonntags in den wärmeren Monaten. Aber für einige Fahrgäste ist sie schon zur Gewohnheit geworden.
"Wir sind oft in Bleckede, und da fahren wir, wenn der Zug fährt, immer mit dem Zug. Weil das erstens so nostalgisch ist und zweitens großen Spaß macht und drittens: die Landschaft."
Strecken-Reaktivierung in Planung
Was derzeit vor allem ein Angebot für Ausflügler und Eisenbahnnostalgiker ist, könnte bald ein wichtiges Element des regionalen Verkehrs werden. Der Landkreis Lüneburg prüft, ob er die Strecke nach Bleckede an der Elbe reaktivieren lassen kann. Landrat Jens Böther, CDU.
"Wir gehen da in Vorleistung, weil es uns so wichtig ist. Wir sind natürlich mit dem Land im Gespräch, weil wir natürlich wollen, dass hinterher bei der Umsetzung das Land mit an Bord ist und es auch aufgreift."
Wie andere Bundesländer auch, lässt Niedersachsen Bahnstrecken reaktivieren. Auch die Lüneburger Strecke war 2013 in die engere Auswahl gekommen, in der letzten Runde aber dann doch nicht gefördert worden. 2018 entschied der Landkreis, selbst ein Gutachten in Auftrag zu geben. 100.000 Euro hat der Kreis dafür bereitgestellt. Neben der Strecke nach Bleckede, von Lüneburg Richtung Nordwesten, wird auch die Reaktivierung einer Eisenbahnstrecke Richtung Lüneburger Heide geprüft.
"Also es wäre ein großer Gewinn. Einmal für die Menschen, die schon dort leben, in den Gemeinden, die dort an der Strecke sind. Die könnten dann praktisch mit einer sehr kurzen Fahrtzeit Amelinghausen nach Lüneburg derzeit berechnet 20 Minuten. Das ist top."
"Jahrzehntelang kaum gefördert"
Mehr Zugverkehr könnte hier auch Straßen und Städte vom Autoverkehr entlasten: In Lüneburg hat der Verkehrsstau morgens und abends in den vergangenen Jahren merklich zugenommen. Die wachsende Universitätsstadt mit ihren inzwischen weit über 70.000 Einwohnern ist gut ans Eisenbahnnetz angeschlossen. Eine halbe Stunde dauert die Fahrt zum Hauptbahnhof Hamburg, zu Stoßzeiten gehen mehrere Züge stündlich. Doch wer im weit ausgedehnten Landkreis wohnt, kann von einer direkten Bahnverbindung nur träumen.
"Heute werden in den ländlichen Räumen etwa neun Prozent aller Kilometer, die wir so zurücklegen, nur mit Bus und Bahn zurückgelegt. Das Auto bestimmt das Mobilitätsverhalten dort", sagt Philipp Kosok von der Agora Verkehrswende, einer Denkfabrik, zu deren Partnern auch das Bundesumweltministerium gehört.
"Der Grund ist, dass natürlich dort öffentliche Verkehrsmittel schwieriger zu organisieren sind, weil die Einwohnerdichte geringer ist als etwa im städtischen Raum. Aber auch weil er Jahre, jahrzehntelang dort kaum gefördert wurde und eine ganz starke Politik und auch Straßenausbau praktiziert wurde, die letzten Endes zu dem wachsenden Autoverkehr und zu einem sehr schwachen ÖPV führt, sodass sich heute viele Menschen dort abgehängt fühlen."
Die Menschen wollten mobil sein, um ihre Lebensbedürfnisse zu erfüllen, sagt Meike Jipp. Die Psychologin ist Direktorin des Instituts für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
"Die Menschen wollen in den Supermarkt zum Einkaufen. Sie wollen Freunde treffen, sie wollen zur Schule, zu Arbeit et cetera. und suchen sich das Verkehrsmittel aus, welches eben diese Bedürfnisbefriedigung am wahrscheinlichsten erlaubt oder am einfachsten erlaubt. Und da kommt eben die Attraktivität des Autos rein. Es ist unkompliziert, es steht typischerweise bei mir vor der Haustür. Und diese Unkompliziertheit hat der heutige ÖPNV eben nicht", sagt Jipp insbesondere mit Blick auf die ländlichen Räume.
Versuche mit Rufbus
Die sind in Deutschland sehr unterschiedlich gestaltet. Eine Kleinstadt mit gutem S-Bahnanschluss gehört ebenso zu ländlichen Räumen wie ein Ort in dünn besiedelten riesigen Landkreisen, wo es außer dem Schulbus kaum ein ÖPNV-Angebot gibt. Bleckede, das Städtchen an der Elbe, in das derzeit nur sonntags ein Zug fährt, war einst Zonenrandgebiet. Personenzüge fahren hier seit 1977 nicht mehr. Und so setzt sich hier jeden Morgen ein Schwarm von Autos in Bewegung, erzählt Bürgermeister Dennis Neumann.
"Die beruflichen Anlaufstellen sind in der Regel natürlich in erster Linie Lüneburg und nähere Umgebung, also die Speckgürtelbereiche. Aber dann tatsächlich auch Hamburg, teilweise auch so in Richtung Finkenwerder, so die klassischen Arbeitgeber, die es da so gibt. Und ja, tatsächlich ist im Augenblick noch das überwiegende Mittel der Wahl das Auto. Deshalb, weil uns wirklich ein gutes Angebot fehlt, was auf der Schiene frequentiert ist. Wir nehmen immer noch zur Kenntnis, dass der geneigte Pendler weniger Akzeptanz beim Bus hat als beispielsweise bei der Schiene."
Der Landkreis Lüneburg hat das Busangebot in den vergangenen Jahren stark ausgebaut, als Teil eines integrierten Mobilitätskonzeptes. Die Busse fahren seitdem häufiger und sind besser vernetzt: Außerdem gibt es als zusätzliches Angebot auch Busse, die man per Telefon bestellen kann. Landrat Jens Böther:
"Das ist ein Angebot, mit dem wir vor ungefähr zwei Jahren begonnen haben, diesen Rufbus, das rollen wir derzeit über den gesamten Landkreis aus. Es ist noch nicht in jeder Gemeinde gelangt, aber wir sind in der Umsetzung. Und ich denke wir haben ein sehr attraktives Angebot, und dadurch können wir es eben erreichen, dass wir auch nahezu jede Haltestelle in auch kleineren Ortschaften, die sonst vielleicht gar nicht angefahren worden sind, sozusagen dann mit aufnehmen und letztendlich den Bedarf entsprechend auch bedienen können."
Bestell- und Wartezeit: bis zu zwei Stunden
Der Landkreis Lüneburg mache vieles richtig, sagt Hans-Christian Friedrichs vom VCD, dem alternativen Verkehrsclub Deutschland. Friedrichs ist Vorsitzender des VCD-Regionalverbands Elbe-Heide und auch Mitglied des Landesvorstands Niedersachsen.
"Das was der Landkreis Lüneburg mit dem IMK, dem integrierten Mobilitätskonzept gemacht hat, und den neuen Rufbuslinien ist sehr zielführend. Wegweisend, denke ich. In anderen Landkreisen sind wir noch weit davon entfernt. Wir haben hier jetzt auch tangentiale Verbindungen rund um Lüneburg über die Dörfer, die jetzt eigentlich alle gut eingebunden sind. Knackpunkt ist eben die lange Wartezeit oder Bestellzeit von zwei Stunden. Man muss also schon sehr genau wissen, wann man von A nach B möchte. Ansonsten ist das Angebot deshalb ausgezeichnet, weil es zu 100 Prozent in den HVV integriert ist, also Zeitkarteninhaber beispielsweise haben keine Mehrkosten. Dadurch ist es hochattraktiv."
Doch kaum hatte der Landkreis sein neues Konzept gestartet, kam die Corona-Pandemie. Viele Menschen hatten Angst, sich in Bus oder Bahn mit dem Virus anzustecken – die Nutzungszahlen im ÖPNV gingen fast überall in Deutschland zurück. Weiter gestiegen ist dagegen die Zahl der Autos: Gut 48 Millionen Pkw waren nach Angeben des Kraftfahrtbundesamtes zu Beginn des Jahres in Deutschland angemeldet. In vielen Haushalten gibt es zwei oder sogar noch mehr angemeldete Fahrzeuge.
"Der Verkehr ist und bleibt das große Sorgenkind in den Klimazielen für die Bundesrepublik", sagt Philipp Kosok von Agora Verkehrswende.
"Seit 30 Jahren hat sich der CO2-Ausstoß im Verkehrssektor überhaupt nicht geändert. Wir haben jetzt acht Jahre Zeit, um den CO2-Ausstoß zu halbieren und dann bis 2045 auf null runterzufahren. Wir brauchen also eine grundsätzlich andere Verkehrspolitik."
Zwar steigt auch die Zahl der Elektroautos in Deutschland. Aber:
"Das allein wird aber nicht reichen. Selbst wenn wir sehr optimistisch sind beim Ausbau der erneuerbaren Energien haben wir noch auf Jahrzehnte das Problem, dass die nicht reichen, um diese große Energiemenge, die der Verkehr heute benötigt, zu decken. Wir werden also dauerhaft entweder nicht alles mit erneuerbaren Energien decken können, dann lösen wir das CO2-Problem nicht, oder wir werden Energiesparen müssen im Verkehr."
Bundesverkehrspolitik setzt noch stark aufs Auto
Die deutsche Verkehrspolitik entsprechend der Pariser Klimaziele zu gestalten, dürfte also eine ambitionierte Aufgabe auch für die nächste Bundesregierung sein. In den vergangenen acht Jahren stellte die CSU den Verkehrsminister. Der aktuelle Minister Andreas Scheuer findet zwar oft lobende Worte für alternative Verkehrsmittel, hat den sogenannten Deutschlandtakt auf den Weg gebracht, um Züge und andere Verkehrsmittel besser zu verzahnen. Doch der finanzielle Schwerpunkt des aktuellen Verkehrswegeplans liegt weiterhin auf dem Straßenverkehr. Ein gut ausgebautes Schienen-Netz und bessere Angebote im Fernverkehr, für den der Bund zuständig ist, seien letztlich das Rückgrat auch für den regionalen ÖPNV, sagt Hans-Christian Friedrichs vom Verkehrsclub Deutschland. Das gelte im Landkreis Lüneburg wie anderswo.
"Wenn ich hier in den Bus einsteige, dann muss der Bus regelmäßig fahren. Das muss verlässlich sein. Ich muss auch sicher sein, dass er einigermaßen pünktlich am Bahnhof ankommt. Ich muss dort genug Zeit haben, zum Umsteigen. Aber auch nicht unattraktive anderthalb Stunden. Und dann muss die Reisekette weiter funktionieren."
Auch der Fachkräftemangel macht die Verkehrswende schwierig, denn für den Ausbau von Schienenverbindungen werden Fachleute gebraucht – ebenso wie für Betrieb, Pflege und Wartung von Zügen und Bussen.
Und auch wenn es erste Modellversuche gibt: Bis autonom fahrende Fahrzeuge die Menschen zu Hause abholen, dürfte noch viel Zeit vergehen. Aber, sagt Philipp Kosok von Agora Verkehrswende:
"Die Verkehrswende hat leider nicht mehr so viel Zeit. Wir haben jetzt 30 Jahre lang überhaupt kein einziges bisschen CO2 im Verkehrssektor eingespart. Und wir haben laut dem Klimaschutzgesetz jetzt noch acht Jahre, um diese Menge zu halbieren. Das heißt, wir brauchen jetzt Sofortlösungen, und wir müssen uns dessen bedienen, was wir dahaben. Und das sind noch nicht die autonomen Fahrzeuge. Wir sollten jetzt nicht warten, bis die kommen, aber mit den kleinen Fahrzeugen können wir heute schon ein sehr flexibles Angebot in die Fläche bringen, vor allen Dingen diese dünnbesiedelte Fläche, mit dem sich deutlich Menschen für den ÖPNV gewinnen lassen, die dann natürlich nicht den ganzen Tag nur mit diesen kleinen Fahrzeugen unterwegs sind. Es ist auch teuer und aufwendig, die damit vor allem zu den Regionalbahnhöfen gebracht werden, um dann größere Distanzen wiederum mit dem besonders energieeffizienten Zug zurückzulegen."
Ausgleich zwischen Metropolen und ländlichem Raum
Zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem Rufbus zum Bahnhof, und dann weiter. Dass dieses Modell die Menschen zum Umstieg bewegt, darauf hoffen sie in Stadt und Landkreis Lüneburg. Noch aber warten sie auf das Gutachten zur Reaktivierung der Bahnstrecken. Aus Sicht von Hans Dierken vom Arbeitskreis Verkehrsfreunde Lüneburg könnte es dann aber recht schnell gehen:
"Am einfachsten wäre zu sagen, die Strecke wird repariert. Wenn sie repariert wird, dann braucht man keine Planfeststellungsverfahren, keine Genehmigung, gar nichts, braucht man eigentlich, nur das Geld. Man schreibt so was aus, und ein halbes Jahr später ist ungefähr der Unternehmer gefunden, der das erbringen kann."
Dierken schätzt die Bauzeit auf ein halbes bis ganzes Jahr. Dann könnten technisch gesehen vom Land bestellte Züge fahren. Um die 24 Kilometer lange Strecke zu beschleunigen und kürzere Fahrtzeiten zu ermöglichen, würden allerdings langjährige Planungen und Baumaßnahmen notwendig. Landrat Jens Böther:
"Für den Schienenpersonennahverkehr sind wir als Landkreis selbst nicht zuständig, sondern das ist eine Landesaufgabe. Und das ist ein Wunsch, dass man sagt, wenn da gebaut werden muss, ausgebaut werden muss, hinterher auch die Fahrzeuge gestellt werden müssen, dass das zügig, schnell und in guter Qualität erfolgt. Das ist ein Wunsch. Unabhängig davon ist es eben insgesamt für den ländlichen Raum wichtig, dass da ein Ausgleich erfolgt zwischen den Metropolen und dem, was im ländlichen Raum erforderlich ist."
Weitgehende politische Einigkeit in Lüneburg
Für seine Stadt Bleckede würde eine neue Bahnverbindung einen erheblichen Gewinn bedeuten, sagt Bürgermeister Neumann. Auch er blickt auf die übergeordneten politischen Ebenen: Wenn dort eine Verkehrswende gewollt sei, müsse auch entsprechend gehandelt werden.
"Die Mobilitätswende wird allein mit Bussen nicht zu erreichen sein. Das sind ergänzende Mittel für mich, die auch notwendig sind. Für mich muss es am Ende dieser Schritt werden, dass man in diese Reaktivierung kommt und die Signale, die wir bekommen, auch aus Hannover, beispielsweise von der Landesnahverkehrsgesellschaft, die sind durchaus positiv. Dieses Gutachten ist ja schlussendlich ein Wirtschaftlichkeitsgutachten, aber auch da sind die Signale so, dass man das auch wirtschaftlich entsprechend hinbekommen kann mit einer entsprechenden Taktung. Und ich setze da große Hoffnung in diese Bahnstreckenreaktivierung."
Während in Berlin über Mobilität und Verkehrswende viel diskutiert wird und die Parteien unterschiedliche Konzepte verfolgen, sind sich in Lüneburg bei der Hoffnung auf die Reaktivierung der Strecke praktisch alle politischen Kräfte einig. Der parteilose Dennis Neumann in Bleckede, CDU-Landrat Jens Böther und auch die gerade erst gewählte grüne Bürgermeisterin von Lüneburg. Claudia Kalisch hatte schon im Wahlkampf ein Zeichen gesetzt: Für eine Veranstaltung charterte sie den Triebwagen der Eisenbahnfreunde Lüneburg, der sich an diesem Sonntag seinem Ziel nähert.
"Deswegen ist das Auto jetzt immer das Mittel der Wahl. Aber wenn man sich entscheiden würde, dass die Züge vielleicht wieder stündlich fahren würden, oder zweistündlich, dann wäre das vielleicht anders."
"Die Leute fahren alle mit dem Auto, weil es viel schneller geht."
Mobilitätsverhalten stark von Routinen geprägt
Mobilitätsverhalten sei sehr stark von Routinen geprägt, sagt die Psychologin und Verkehrsforscherin Meike Jipp vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
"Wenn Sie es gewohnt sind, jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, dann ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass sie es morgen eben auch machen. Und wir haben diese Pandemie-Situation jetzt schon seit über anderthalb Jahren. In anderthalb Jahren bauen sich auch neue Routinen auf. Und was wir in unseren Befragungen eben sehr schön gesehen haben ist, dass die Gewinner der Pandemie eben das Auto und das Fahrrad sind und nicht der ÖPNV. Und auch die Personen, die früher ÖPNV gefahren sind, zum Beispiel Kombination auch mit dem Auto, also praktisch von zu Hause zum nächsten Bahnhof mit dem Auto gefahren sind und dann am Bahnhof das Auto haben stehen lassen, in den Zug gesessen sind und dann praktisch mit dem Zug weitergefahren sind. Das sind heute die Person, die eben die komplette Strecke mit dem Auto zurücklegen."
Was also könnte Menschen nach der Pandemie dazu bringen, auf den Bus und die Bahn umzusteigen? Letztlich müsse das Angebot von hoher Qualität sein, dazu regelmäßige Takte, verständliche Tarife – so viel Einigkeit herrscht auch hier.
Modelle und Ideen gibt es genug
Eine zukünftige Bundesregierung wird wohl auch darüber entscheiden müssen, ob und wie das Autofahren unattraktiver werden könnte, sagt Philipp Kosok von Agora Verkehrswende.
"Die nächste Bundesregierung muss und wird wahrscheinlich auch weiter an der Steuerschraube drehen, weil dieser Zustand, den wir heute haben, dass die große Klimabelastung, die vor allem der Straßenverkehr verursacht, kaum eingepreist ist, nicht auf Dauer hinnehmbar ist. Wir müssen da ein Stück weit Waffengleichheit sozusagen für die öffentlichen Verkehrsmittel und den Autoverkehr schaffen, dass diejenigen, die klimafreundlich unterwegs sind, das tatsächlich auch am Preis merken. Von daher wird es auch über den Preis funktionieren. Es kann aber nicht allein über den Preis funktionieren. Es wird auch Ausgleichsmaßnahmen brauchen, vor allem für all diejenigen, die in geringes Einkommen haben."
In Luxemburg ist die Nutzung des Öffentlichen Verkehrs seit 2019 kostenlos. In Wien gibt es bereits seit 2012 das 365-Euro-Ticket, das ein ganzes Jahr lang für den ÖPNV gilt. Österreich wird Ende Oktober auch ein sogenanntes Klimaticket für das gesamte Land einführen: Für 1095 Euro können Menschen ein ganzes Jahr lang unbegrenzt den Fern- und Nahverkehr nutzen. Modelle und Ideen für die Verkehrswende gibt es genug.