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Stadt, Land, Flut

Es ist ruhig in diesem Winter am Ufer des Rheins. Es gab kaum Schnee in den Mittelgebirgen und auch sonst keine Wassermassen, die den Rhein hätten über die Ufer treten lassen. Doch die Ruhe ist trügerisch. Die Zahl der extremen Wetterereignisse wird steigen, daran rüttelt niemand mehr, und mit dem Klimawandel werden auch die kommenden Hochwasser an Zerstörungskraft gewinnen.

Von Arndt Reuning |
    Eine Reise. Dort beginnen, wo alles endet. An der Mündung. Hoek van Holland. Ein kleiner Ort in der Nähe von Rotterdam. Am obersten Arm des Rheindeltas, wo der Fluss im Rhythmus von Ebbe und Flut in die Nordsee strömt. Es ist Sturmflut-Saison.

    Unter wolkenverhangenem Himmel suchen Autofahrer nach ihrem Weg zur Fähre, die sie nach England übersetzen soll. Während der Wind an den Fahnenmasten eine monotone Melodie zupft. Und dann weiter weht über das flache Land am Flussufer entlang. Hinter dem Industriegebiet aber stellt sich ihm unvermittelt ein Hindernis in den Weg: Eine haushohe Metallwand, über 200 Meter lang, wie eine Handfläche gewölbt. Genau gegenüber am Südufer das Gegenstück dazu.

    Die Wände gehören zum Maeslant-Sperrwerk ("Maaslant"). Einem riesigen Tor an der Mündung des Rheins. Wenn eine schwere Sturmflut aufzieht, kann es den Fluss zum Meer hin abriegeln und das Land dahinter schützen. In Zukunft wird sich die Sperre alle drei Jahre einmal wegen einer Sturmflut schließen müssen. Glauben Klimaforscher. Denn die Zahl der extremen Wetterereignisse wird steigen.

    Erste Station: Das Rheindelta
    Peter Persoon arbeitet im Besucherzentrum des Maeslant-Sperrwerkes. Vom Fenster aus kann er die nördliche Hälfte der Anlage überblicken. Hinter der Stahlwand erstreckt sich ein Gelände so groß wie ein Parkplatz. Dort hat die Flut Tang und Holzstücke abgeladen. Darüber verläuft eine gewaltige, 240 Meter lange Fachwerk-Konstruktion aus Stahl: Der Arm, der die Flut-Wand hält und führt. Sollte wirklich einmal ein Sturm die Wassermassen gegen das geschlossene Wehr pressen, muss die Stahlkonstruktion dagegen halten.

    " Es ist, als würden 35-tausend Autos gegen jede der beiden Flutwände drücken. Die starken Stahl-Arme leiten diese Kraft dann auf zwei Kugelgelenke. Die sitzen in einem Beton-Fundament, welches den Druck aufnimmt. 52-tausend Tonnen Beton. Das mag sehr viel erscheinen, aber Fachleute haben ausgerechnet: Der erste wirkliche Sturm wird die Fundamente um zwanzig Zentimeter nach hinten schieben. "

    Das Maeslant-Sturmflutwehr ist nur ein Bauwerk, mit dem die Niederlande das verästelte Delta von Rhein und Maas schützen. Eine Reaktion auf die verheerende Flut im Jahr 1953. Damals durchbrach eine Springflut die Deichlinie und setzte weite Teile im Süden des Landes unter Wasser. Mehr als 1800 Menschen fanden den Tod. Die Regierung beschloss daraufhin, die Küste im Mündungsgebiet besonders sorgfältig zu schützen. Die Geburtsstunde des Delta-Plans. Die Niederländer haben Deiche neu gezogen und Sturmflutwehre errichtet. Das Maeslant-Sperrwerk ist das jüngste und auch das letzte Glied in der Kette der Delta-Werke.

    " Ja, das war das letzte, die Nummer 13. Hoffentlich nicht unsere Unglückszahl. Es war das Abschlussprojekt. Angefangen hatten wir mit Bauwerken in der Provinz Seeland. Und tatsächlich hat es dann noch vierzig Jahre gedauert, bis wir uns zum Bau dieses Sperrwerkes durchgerungen hatten. "

    Als in den Fünfziger Jahren die ersten Deiche und Wehre des Delta-Plans in Angriff genommen wurden, dachte noch niemand an mögliche Gefahren durch eine menschengemachte Erderwärmung. Daran, dass Sturmfluten häufiger an die Küste schwappen könnten und dass der Meeresspiegel steigen würde. Das Maeslant-Wehr jedoch mit seinen gewaltigen Dimensionen wird auch in Zukunft den Fluten einen Riegel vorschieben.

    " Für dieses Projekt haben wir einen Zeithorizont von hundert Jahren. Vorhaben, die wir im Moment erst noch entwickeln, sollen zweihundert Jahre lang bestehen. Weiter in die Zukunft können wir noch nicht blicken, denn zur Zeit weiß niemand genau, wie das Klima sich dann weiter entwickeln wird. Aber für die kommenden zweihundert Jahre können wir planen. "

    Einer der Klima-Propheten ist Hans von Storch vom GKSS Forschungszentrum in Geesthacht. Er hat untersucht, wie sich Sturmfluten an der deutschen Nordseeküste in Zukunft entwickeln werden. Bis zum Jahr 2030, so ein Ergebnis, werden die Deichbau-Ingenieure mit einem Plus von bis zu zwanzig Zentimetern rechnen müssen. Zunächst kein Problem. Allerdings:

    "Für den Zeithorizont 2085, also die letzten 30 Jahre meinen wir damit des 21. Jahrhunderts, 2070 bis 2100, da kommen wir schon zu größeren Werten. So was in der Größenordnung von 60, 70 Zentimetern. Darin ist enthalten ein wesentlicher Anteil im mittleren Meeresspiegelniveau plus der Sturmaktivität. Und das sind dann Zahlen, die anraten, dass man darüber nachdenkt, wie man Küstenschutz zum Ende des Jahrhunderts in Deutschland betreibt."

    Mit dem Klimawandel leben, heißt die Devise. Oder: Neue Deiche braucht das Land. Höhere Deiche. Und breitere. Weil sich diese Bauwerke nicht willkürlich aufstocken lassen. Sonst würden sie ihre Stabilität verlieren. Und da die Deiche und Sperrwerke nicht nur wenige Jahre ihren Dienst tun sollen, sondern Jahrzehnte oder Jahrhunderte lang, muss heute schon der Klimawandel von morgen einkalkuliert werden. Der mit der Trägheit einer Titanic auf die Küsten zusteuert.

    "Der menschengemachte Klimawandel ist nicht vermeidbar. Und in der Tat sieht man sich als jemand, der sagt, wir müssen über Anpassung reden, immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, dass man sozusagen defätistisch sei, dass man den Siegeswillen der guten Menschen in der Besiegung der Klimakatastrophe vermindern würde, wenn man über so etwas nachdenkt. Aber das geht einfach an der Faktenlage vorbei."

    Text14 (Sprecher2): Mehr als 500 Millionen Euro will Niedersachsen in den kommenden Jahren ausgeben, um die Deiche zu verstärken, laut "Generalplan Küstenschutz". Sich an den Klimawandel anzupassen, das heißt aber nicht nur, Deiche höher zu ziehen. Sondern auch, dem Wasser einen Teil des Landes zurück zu geben. Als Überflutungsflächen. Aus Äckern und Wiesen könnten Naturschutzgebiete entstehen, die von Zeit zu Zeit überschwemmt werden.

    Nicht nur an der Küste, auch an den Wasserwegen im Binnenland. Eine Herausforderung, wenn ein Fluss direkt durch eine Stadt fließt. Vorbei an Häusern und Fabriken, die auch unterirdisch über ein dicht gewebtes Kanalnetz mit dem Fluss verbunden sind.


    Zweite Station: Köln
    "Et kütt wie et kütt."

    Träge wälzt sich der Rhein am Schokoladenmuseum vorbei mitten durch die Stadt hindurch. Nur wenige Meter weiter preschen die Autos aus dem Rheinufertunnel, schieben, drängeln, wechseln die Spur.

    Eingekeilt zwischen der Blechlawine und dem Strom des Rheins liegt eine Baustelle. Ein Raupenfahrzeug mit einem Bohraufsatz scheint gerade einige römische Säulen im Erdboden zu versenken.

    Die Säulen sind so genannte Bohrpfähle. Sie bilden bis tief in den Boden eine undurchlässige Mauer und sollen verhindern, dass im Fall eines Hochwassers das Wasser durch den Grund in die Stadt drückt. Oben auf den Pfählen können bei Bedarf mobile Schutzwände installiert werden. Sie bestehen aus stabilen Stahlstützen, zwischen die Dammbalken aus Aluminium gestapelt werden. Je nach Helferzahl dauert das zwischen 15 und 24 Stunden.

    Ein Stückchen weiter nördlich am Rheinufer sind die Bauarbeiten bereits abgeschlossen. Die neue Hochwasserlinie verläuft nur wenige Meter vor den Kneipen, Restaurants, Biergärten und Hotels der Kölner Altstadt. Der Rheingarten mit seiner Uferpromenade, das touristische Herz von Köln. Eine fest installierte Schutzwand zwischen Fluss und Häusern, die den freien Blick verstellt, würde sich hier natürlich von alleine verbieten. Hochwasserschutz in der Stadt ist oft auch ein Platzproblem. Von dem mobilen Baukastensystem jedoch sieht man im Moment kaum etwas.

    "Man sieht ein Mäuerchen mit Metallplatten. In diesen Metallplatten sind vier Schrauben reingeschraubt. Das sind Blindschrauben, die werden herausgenommen. Und man setzt dann in diese Schrauben eine Stütze darauf. Und die Stütze wird dann festgeschraubt in diesen Bohrlöchern. Jeweils zwischen zwei Stützen können dann die Dammbalken reingestapelt werden."

    Yvonne Wieczorrek von der Hochwasserschutzzentrale Köln.

    In einem Lager unter der Auffahrt zur Deutzer Brücke, gleich am Rheingarten, warten die Stahlstützen und Dammbalken auf das nächste Hochwasser.

    "Die schwerste Stütze, die wir hier haben, die wird in Rodenkirchen aufgebaut. Das ist auch die größte. Die wiegt über eine Tonne, und da braucht man Spezialwerkzeug.". "

    Text23 (Sprecher2): Eine Uferlänge von insgesamt zehn Kilometern sollen die mobilen Wände in Köln schützen. Deiche, Schutzwände und Tore sollen den Rest sichern. Die Gesamtkosten: rund 200 Millionen Euro. Und ungefähr noch einmal so viel, um das Kanalnetz gegen das Wasser aus dem Rhein dicht zu machen. Der größte Teil der Stadt soll auf diese Weise ein Hochwasser unbeschadet überstehen können, wie es statistisch gesehen alle einhundert Jahre auftritt. Besonders sensible Bereiche sollen sogar gegen eine zweihundertjährliche Flut geschützt werden, Industrieanlagen und Krankenhäuser zum Beispiel. Solche extremen Hochwasser kennt Köln vor allem in den Wintermonaten. Wenn der Schnee in den Mittelgebirgen durch einen Wärmeeinbruch schmilzt. Dann müssen nur noch starke Niederschläge hinzukommen, um den Pegel in Köln nach oben schnellen zu lassen. So ist es zum Beispiel in den Jahren 1993 und 1995 gewesen, als das Wasser weite Teile der Altstadt überflutete.

    Markierungen an alten Gebäuden aber zeigen, dass den Kölnern das Wasser schon weit höher gestanden hat. Im Winter 1784 hatte es den historischen Höchststand von dreizehn Metern fünfundfünfzig erreicht - zehn Meter über dem Normalstand. Damals hatten sich Eisschollen unter einer Brücke verkeilt und den Rhein aufgestaut. Heutzutage wäre solch eine spezielle Situation eher unwahrscheinlich, glaubt Reinhard Vogt, Leiter der Hochwasserschutzzentrale Köln.

    " "Aber ein Hochwasser in dieser Größenordnung wäre auch heute grundsätzlich möglich, wenn es zu einer Wellenüberlagerung von Mosel und Rhein und eventuell auch noch Main käme. Wenn das passieren würde, könnte man auch hier in Köln Wasserstände von 12, 13 Metern bekommen, und das wäre eine absolute Katastrophe."

    In der Altstadt stünde das Wasser dann im zweiten Stock. Das Messegelände und der Zoo wären überflutet, auch einige Krankenhäuser, die Polizeileitstelle, weite Gebiete im Osten der Stadt und die Chemie-Industrie im Norden. Potentieller Schaden: 10 Milliarden Euro.

    "Das Hochwasser hält sich einfach nicht an Statistiken. Und die Statistik hat auch zu viele Haken, weil sie viele Veränderungen in den letzten dreißig Jahren nicht berücksichtigt. Die Klimaveränderung wird dazu führen, dass wir zukünftig vermehrt und deutlich höhere Hochwasser haben werden. Und da sind sich die Wissenschaftler eigentlich einig: Dass die Wassermengen in den Wintermonaten so ansteigen werden, dass es mehr Hochwasser gibt, gleichzeitig aber Dürreperioden im Sommer das Gegengewicht darstellen werden."

    Auch hier gilt: Mit Deichen und Schutzwänden alleine können die Fachleute dem Klimawandel nicht begegnen. Wichtig sind Überschwemmungsflächen, die den Scheitel der Flutwelle auseinander ziehen. Das Kölner Konzept sieht zwei solcher Retentionsflächen vor. Aber auch weiter oben am Rhein muss es sie geben.

    "Ich muss sagen: Die Länder sind sehr unterschiedlich in ihren Tätigkeiten. Frustrierend ist eigentlich, dass Hessen sich noch immer weigert, direkte Hochwasser-Retentionsmaßnahmen am Rhein durchzuführen. Die Zusammenarbeit zwar mit den Fachleuten vor Ort ist sehr gut, zwischen den Fachleuten herrscht eigentlich Einigkeit. Das Problem ist, dass natürlich die Rückhalteräume auch politisch umgesetzt werden müssen. Und da muss eigentlich viel mehr geschehen."

    Dritte Station: Der Polder Söllingen/Greffern am Oberrhein
    Die Menschen hier nennen sie "Bushaltestellen". Die kleinen Häuschen auf dem Rheinseitendamm, zwischen dem Fluss auf der einen Seite und dem Polder Söllingen/Greffern auf der anderen. Der Polder liegt zwischen Karlsruhe und Straßburg und ist eine künstlich geschaffene Überflutungsfläche, von Schutzdämmen eingefasst. Die Bushaltestellen markieren die Einlassstellen. Bei Hochwasser im Rhein können die Tore geöffnet werden. Sie leiten einen Teil der Flut unterirdisch in einen Baggersee, der dann kontrolliert über die Ufer tritt. Das verzögert die Hochwasserwelle im Fluss.

    Der gesamte Polder erstreckt sich über ungefähr 600 Hektar Land. Das entspricht knapp einem Drittel der Fläche der Kölner Innenstadt. Verteilt auf insgesamt vier Teilpolder, die dem natürlichen Gefälle entlang des Flusses folgen.

    "Und der Sinn ist im Prinzip statt einer großen Badewanne, einem Rückhalteraum mit einer großen Aufstautiefe, zu teilen in verschiedene Kaskaden, die hintereinander geschaltet sind, und dann die Aufstautiefe auf ein ökologisch verträgliches Maß zu begrenzen."

    Barbara Lampert vom Regierungspräsidium Karlsruhe. Sie war am Bau des Polders Söllingen-Greffern beteiligt. Der Polder gehört zu einer Reihe von dreizehn Rückhalteflächen, die in Baden-Württemberg am Rhein entstehen. Im Rahmen des Integrierten Rheinprogramms. Die Polder entlang des Oberrheins sollen die bautechnischen Sünden der Vergangenheit wieder rückgängig machen. Denn mit Anfang des 19. Jahrhunderts hatten die Menschen hier begonnen, den Lauf des Stroms zu verändern. Der Ingenieur Johann Gottfried Tulla ließ den Rhein begradigen und zur Wasserstraße ausbauen. Das sumpfige Auenland an den Ufern wurde umgewandelt zu Acker- und Siedlungsflächen. Land, das von je her dem Wasser gehört hatte. Im 20. Jahrhundert entstanden dann noch zehn Staustufen, um mit Wasserkraft Strom zu erzeugen. Elke Rosport leitet das Referat Hochwasserschutz am Regierungspräsidium Karlsruhe. Auf drei verschiedenen Landkarten zeigt sie, wie der Flussausbau den Rhein verändert hat.

    "Also, man sieht hier zum Beispiel die historische Entwicklung: Man hat früher ein sehr breites Rheinbett gehabt mit vielen Nebenarmen, mit vielen Schlingen und Überflutungsflächen. Hat das dann im ersten Schritt schon ein Stück weit kanalisiert, die Dämme sehr viel näher zum Rhein genommen. Das sieht man hier an einem Band, die ganzen Nebenarme und Schlingen wurden abgeschnitten. Und heute sieht man praktisch einen Kanal bis Iffezheim durch die Wasserkraftnutzung."

    Der Oberrheinausbau verwandelte so eine lebendige Auenlandschaft in eine Wasserrinne.

    "Das hat sich für die Hochwassersituation sehr negativ ausgewirkt, weil die Hochwasserwelle sehr viel höher wird, also auch in ihrem Scheitel sehr viel höher wird und auch sehr viel schneller kommt. Was dazu führt, dass sie sehr ungünstig zum Teil mit den Nebenflüssen überlagert wird und dabei natürlich eine Verschärfung für den nördlicheren Teil bedeutet."

    Im Jahr 2005 hat das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung eine Studie zum Klimawandel in Deutschland vorgelegt. Als eine der Regionen, die von den zukünftigen Veränderungen besonders betroffen sein werden, nennen die Autoren auch den Oberrheingraben. Die Polder dort können also dabei helfen, extreme Hochwasser zu entschärfen. Auch wenn der Klimawandel für ihre Planung keine Rolle gespielt hat.

    "Also, wir sind eigentlich schon im Verzug, sag ich mal, mit den Maßnahmen, die wir hier jetzt haben ohne Klimawandel. Also, wir sind immer noch dabei, den Oberrheinausbau rückgängig zu machen. Und damit zunächst unabhängig von den Folgen, die natürlich durch den Klimawandel kommen werden."

    Bayern und Baden-Württemberg haben zusammen mit dem Deutschen Wetterdienst eine Studie angefertigt. Zur Klimaveränderung und Wasserwirtschaft. Mit dieser so genannten Kliwa-Studie können die Fachleute nun abschätzen, wie stark die Hochwasser bis zum Jahr 2050 zunehmen werden. Vassilios Kolokotronis von der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg.

    "Damit haben wir auch diesem ganzen Thema Klimaänderung auch eine Quantität gegeben. Weil oft wurde in den Medien von einer Klimakatastrophe gesprochen und von den Auswirkungen der Klimaänderungen mit katastrophalen Ergebnissen, ohne dass irgendjemand irgendeine Zahl oder Quantität genannt hat. Die Zahlen, so wie sie heute aussehen, deuten, zumindest was Abfluss und Hochwasser betrifft, auf keine Katastrophe hin. Weil das ist beherrschbar."

    Glauben die Experten heute. In Baden-Württemberg sollen - laut KLIWA-Studie - die Jahrhunderthochwasser zunächst um fünfzehn bis fünfundzwanzig Prozent mehr Wasser führen. Nach diesen Werten richten sich nun die Bauingenieure. Für die Zeit nach 2050 ist eine Abschätzung jedoch schwierig. Weil aber ein Deich auch noch in hundert Jahren schützen soll, empfiehlt der Experte eine flexible Strategie, die den Ingenieuren jede Option offen lässt.

    "Und zwar dann muss man nicht gleich alle Dämme zum Beispiel oder Deiche höher bauen, sondern wir müssen nur bautechnisch vorsehen, dass sie zukünftig vergrößert werden können."

    Wird ein Deich um einen Meter erhöht, dann geht sein Fuß um das Dreifache in die Breite. Dieser Platzbedarf muss bei der Planung berücksichtigt werden.
    "Wenn eine Straße entlang vom Deichfuß geht: nicht zu nahe heran an den Deichfuß machen, sondern Platz lassen, um den Deich zu erhöhen. Oder wenn man Gelände aufkauft, um den Deich zu bauen oder den Damm zu bauen: Genug kaufen, damit eine künftige Erweiterung und Verbreiterung des Dammfußes ohne großen Aufwand möglich ist."

    Aber es gibt auch noch einen weiteren Weg, wie man mit Hochwasser umgehen kann. Und der führt uns in die Schweiz, in das gebirgige Einzugsgebiet des Rheins.

    Vierte Station: Die Engelberger Aa am Vierwaldstädter See
    "Die Investitionen haben sich gelohnt."

    Die voralpinen Berge sind hier hinten im Engelbergertal so steil, dass im Winter kaum die Sonne in die Schlucht hineinscheint. Es liegt noch immer ein Teil des Schnees, der vor wenigen Tagen gefallen ist. Im vorderen, flachen Teil des Tals zum Vierwaldstätter See hin ist er bereits weggetaut.

    Es sieht so aus, als stünden wir in einem trockenen Flussbett. Überall liegen Felsbrocken herum und Geröll.

    "Also, wir stehen hier am oberen Ende der Talebene, hier kommt die Engelberger Aa aus der Schlucht heraus, wo sie ein relativ hohes Gefälle hat und damit sehr viel Geschiebe mittransportieren kann."

    Der Kantonsingenieur des Kantons Nidwalden, Josef Eberli. Das Geröll, oder Geschiebe, stammt von dem verheerenden Alpenhochwasser im August 2005. Eine Sturzflut aus den Bergen hatte damals an dieser Stelle das Flussbett der Engelberger Aa um das Fünffache erweitert und die Steine hier abgelagert.

    Im Gebirge kommt das Hochwasser schnell. Und mit Macht. Es schießt die steilen Bergflanken herab und nimmt Holz und Steine mit.

    "Also, es ist beängstigend, wenn man am Wasser steht. Es ist auch ein Schwefelgeruch in der Luft von den Geschiebekörnern, die aneinander reiben. Also man schmeckt die Hochwasserwelle, es schmeckt nach Schwefel. Etwa so wie in der Hölle. Wie es in der Hölle riechen könnte."

    Besonders gefährlich wird es, wenn das Wasser das Geschiebe in Siedlungen ablädt. Manche Häuser werden von dem Geröll dabei förmlich eingemauert. Das Ziel der Kantonsverwaltung ist es daher, das Hochwasser Schritt für Schritt zu entschärfen. Deshalb soll etwas weiter unten im Tal ein Auenwald angelegt werden, eine natürliche Bremse, die dem Wasser seine Transportkraft nimmt.

    Noch ist das Projekt nicht abgeschlossen, aber vieles ist schon erledigt: Bauarbeiter haben Brücken erhöht, um dem Wasser und dem Holz Platz zu geben. Sie haben Dämme entlang des Ufers saniert und das Ufer befestigt. Dicke Felsbrocken schützen es nun vor Erosion.

    Damit bereiten sich die Schweizer nicht alleine auf einen Klimawandel in der Zukunft vor. Auch die Vergangenheit hat schon gezeigt: Es kann jederzeit ein noch größeres Hochwasser geben. Das alle Schutzbauten überwindet oder Dämme durchbricht - und deshalb die Gebäude in vermeintlich sicheren Gebieten umso stärker in Mitleidenschaft zieht. Deshalb haben die Schweizer schon vor rund zwei Jahrzehnten begonnen, in Sachen Hochwasserschutz umzudenken. Nicht Härte allein setzen sie dem weichen Element Wasser entgegen, sondern auch gezielte Nachgiebigkeit.

    Hier an der Engelberger Aa zum Beispiel, indem sie an ausgewählten Stellen der Dämme Sollbruchstellen einbauen. Wie etwa kurz vor dem Dorf Buochs am Ufer des Vierwaldstätter Sees.

    "Also wir haben einerseits auf der gegenüberliegenden Seite einen ordentlichen Deich. Und auf dieser Seite haben wir eine Überlaufschwelle, gekoppelt mit einem Kippelement, das von Kies gehalten wird. Sobald die Engelberger Aa über 125 Kubikmeter ansteigt, überfließt sie hier nach links über diese Schwelle, spült den Kies weg, und die Kippelemente kippen um. Und dadurch kann dann, wenn die Hochwasserwelle weiter ansteigt, eben genügend Wasser entlastet werden, dass wir weiter unten in Buochs nur 150 Kubikmeter Durchfluss haben."

    An der Sollbruchstelle verlässt das Wasser sein Flussbett und kann dann über einen Korridor aus unbebautem Land in den See fließen.

    "Das Wasser, das hier rausfließt, fließt hier auf das Wiesland und auf das Flugfeld, das wir hier haben. Früher ein Militärflugplatz, der jetzt zivil genutzt wird. Sonst aber haben wir eben eine Ebene mit Wiesland, die weiter nicht großen Schaden nimmt, wenn hier Wasser darüber fließt."

    So kann das System praktisch jede Wassermenge aufnehmen. Was zuviel ist, strömt gebremst über die Wiesen an Buochs vorbei. Durch den Ort selbst fließt nie soviel Wasser, dass es für die Häuser gefährlich werden könnte. Einen ersten Praxistest haben die Sollbruchstellen schon bestanden, beim Alpenhochwasser 2005. Josef Eberli glaubt, auch für den kommenden Klimawandel gerüstet zu sein.

    "Aber von daher gesehen ist gerade dieser differenzierte Hochwasserschutz, der eben gutmütig ist und auch Überlastfälle, auch übergroße Ereignisse ohne Veränderung ertragen kann und gutmütig ableiten kann, sehr geeignet, diesen Herausforderungen zu begegnen. Im weiteren entsteht dadurch auch wieder Raum für die Ökologie, dass wir auch von daher gesehen der Natur wieder etwas zurückgeben können von dem, was in den letzten Jahrzehnten ihr weggenommen wurden."

    Es ist ein weiter Weg gewesen. Von dem gigantischen Tor gegen die Sturmfluten an der Mündung des Rheins bis ins Einzugsgebiet mitten in der Schweiz. Jede Region am Rhein benötigt ihren eigenen Hochwasserschutz, ihr eigenes maßgeschneidertes Konzept. Seit jeher. Denn extreme Überflutungen hat es schon immer gegeben. Aber die Klimaveränderung wird die Situation verschärfen. Und darauf müssen sich die Anrainer einstellen.

    In diesem Winter jedoch ist es ruhig an den Ufern des Rheins - ungewöhnlich ruhig.

    Es ist ruhig in diesem Winter am Ufer des Rheins. Ungewöhnlich ruhig.