Stadtflucht
Gehört der Provinz die Zukunft?

In Deutschland gibt es eine „neue Landlust“: Immer mehr Großstädter wandern ab und suchen ihr Glück im Dorfleben. Was sind ihre Beweggründe und wie stark ist dieser Trend?

    In einem Getreidefeldern steht ein einsamer Bauernhof.
    Sehnsuchtsort: Immer mehr Städter zieht es aufs Land. (picture alliance / imageBROKER / alimdi / Arterra)
    Fast drei Jahrzehnte kannte die innerdeutsche Migrationsbewegung vorwiegend eine Richtung: Die Menschen zogen in Großstädte, viele ländliche Regionen verloren Einwohner. Doch es zeichnet sich eine Trendwende ab: Dörfer und Kleinstädte werden als Wohnorte wieder beliebter. Liegt die Zukunft in der Provinz?

    Was ist der aktuelle Trend bei der Binnenwanderung in Deutschland?

    Die deutschen Großstädte haben im Jahr 2021 den stärksten Bevölkerungsverlust seit fast 30 Jahren erlebt. Das zeigt eine Analyse des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) von 2022.
    Demnach zogen mehr Großstädter ins Umland, in kleinere Städte und in ländliche Regionen. Gleichzeitig sank die Zahl der Zuzüge in die Großstädte. Laut BiB bestätigen die Ergebnisse einen „anhaltenden und verstärkten Trend zur Suburbanisierung in Deutschland“.
    Dieser Trend besteht laut dem Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung bereits seit 2017. Das Institut hat die bundesdeutschen Wanderungsbewegungen zwischen 2008 und 2020 untersucht. Ergebnis: Zwei Drittel der Landgemeinden verzeichnen einen merklichen Zuzug.

    Wie sahen die Wanderbewegung in den 90er-Jahren aus?

    Nach der Wiedervereinigung machte in den 1990er-Jahren das Wort "Landflucht" die Runde. Dieses bezeichnet das Phänomen, dass vor allem junge Menschen massenhaft die neuen Bundesländer verließen. Die Folgen waren Dörfer voll leer stehender Häuser, heruntergekommene Infrastruktur, menschenleeren Regionen.
    Hart traf die Landflucht vor allem Mecklenburg-Vorpommern. Seit dem Ende der DDR zogen etwa 400.000 Menschen von dort weg. Viele von ihren waren gut ausgebildete Frauen.

    Warum zieht es Menschen aufs Land?

    Die Preise für Immobilien sind in den vergangenen Jahren in vielen deutschen Städten erheblich gestiegen. Dagegen lockt auf dem Land nach wie vor billiger Wohnraum.
    „Die Kostenargumente sind immer auf Platz eins“, sagt Annett Steinführer vom Thünen-Institut zu den Gründen vieler Menschen für einen Umzug aufs Land. Die Forschungseinrichtung hat in einer repräsentativen Befragung die Wanderbewegungen in Deutschland seit 2005 untersucht.
    Ein weiteres Ergebnis: Allein aus Kostengründen verlässt kaum jemand die Großstadt. Es kommen immer mehrere Gründe zusammen. Diese sind seit Jahrzehnten gleichbleibend: Zugang zu Natur, mehr Fläche, ein Garten. Hinzu kommt die Vorstellung davon, „in etwas Eigenem zu leben“ - für die Altersvorsorge, weil es dem „sozialen Status entspreche“ oder weil man „so großgeworden“ ist.
    Damit Städter sich mit dem Landleben anfreunden können, müssen aber auch bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Eine für die meisten besonders wichtige Voraussetzung hat das Berlin-Institut ermittelt: „Der Internetzugang lag ganz weit vorn als Entscheidungsgrund für die Wohnortpräferenz, und zwar eher als andere Infrastrukturgründe“, sagt Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts.

    Wen zieht es von der Stadt aufs Land?

    Laut Annett Steinführer vom Thünen-Institut sind es vor allem Familien, die es in die ländlichen Räume zieht. Diese Gruppe würde auch in der Werbung für Finanzierungen eines Eigenheims auf dem Land gezielt angesprochen.
    Doch anders als vor zehn Jahren noch packt die neue Landlust auch kinderlose jüngere Menschen. Dazu zählen auch junge Berufseinsteiger zwischen 25 und 29 Jahren, wie die Untersuchung des Berlin-Instituts zeigt.

    Ist der Speckgürtel oder das platte Land beliebter?

    Die wenigsten Großstadtbewohner ziehen aufs platte Land. Sie wandern vor allem in den „ersten Speckgürtel“ ab, so Annett Steinführer vom Thünen-Institut. Dort, wo das Umland schon wie in Hamburg oder München dicht besiedelt ist, lässt sich der Städter etwas weiter außerhalb im „zweiten Ring“ nieder.
    Eine Folge der zunehmenden Stadtflucht ist die Urbanisierung ländlicher Regionen, so Steinführer. Der Speckgürtel wird immer breiter. Auch Landstriche, die weiter abliegen, ziehen inzwischen neue Einwohner an.

    Warum bleiben Dorfbewohner auf dem Land?

    Männer und Alte bleiben, Frauen und Jüngere gehen, das beschreibt in groben Zügen die Situation nach der Wende in Ostdeutschland. Doch gingen nicht alle jungen Frauen. Die Rostocker Sozialwissenschaftlerin Melanie Rühmling hat jüngst die Bleibegründe von Dorfbewohnerinnen in Mecklenburg-Vorpommern erforscht.
    Ein Ergebnis ihrer Interviews: Zu bleiben ist kein passives Verharren, sondern eine aktive Entscheidung. Dabei spielten viele Faktoren eine Rolle: der Partner vor Ort, das soziale Netzwerk der Kinder, die Eltern.
    Quellen: Deutschlandfunk, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Berlin-Institut, Deutschlandatlas, tmk