Wilfried Obenauer stellt sich als "Seniorapotheker" vor. Seit rund 40 Jahren führt er mit seiner Familie die Brunnenapotheke im Zentrum von Beerfelden im Odenwald. Wilfried Obenauer schmerzt es, dass rund um seine Apotheke viele Geschäfte leer stehen, weil Supermärkte auf der grünen Wiese längst die Kunden abgeworben haben. Einige der Häuser im Zentrum der 6.000-Einwohner-Stadt stehen seit Jahrzehnten leer und sind kaum mehr als Ruinen, beklagt der Apotheker:
"Jeder der hier nach Beerfelden kommt, sieht die Ruinen, die leider Gottes von Privatleuten verwaltet werden, die nicht in der Lage sind, aus diesen Objekten etwas Sinnvolles zu machen."
Auch deshalb nicht, weil es seit Jahren einen Bevölkerungsrückgang im Zentrum von Beerfelden gibt. Nun hofft Wilfried Obenauer auf neuen Schwung durch die Stadtneugründung Oberzent, in die Beerfelden gemeinsam mit drei Nachbargemeinden im hessischen Odenwald aufgehen wird.
Das alte Kaufhaus ist nahezu ideal für das neue Ärztezentrum
Vor allem hofft der Brunnen-Apotheker darauf, dass im Zuge der Fusion seiner schrumpfenden Stadt mit den ebenfalls strukturschwachen Nachbarkommunen das geplante neue Gesundheits- und Ärztezentrum in der Nähe der letzten Apotheke im Ortskern entsteht:
"Jetzt müssen wir halt dafür sorgen, dass die Stadt selbst nicht nach und nach stirbt. Denn es sind Gelder vorhanden, die man meiner Meinung nach investieren sollte, dass die Kernstadt von Beerfelden - also von der Stadt Oberzent - und das soll ja Beerfelden sein, dass diese Infrastruktur wieder verbessert wird."
Das leer stehende Kaufhaus Knoll gleich gegenüber der Brunnenapotheke ist noch keine Ruine. Doch auch das große Gebäude steht leer. Nahezu ideal für das neue Ärztezentrum, das die neue Stadt Oberzent für besonders vorrangig hält, um die Grundversorgung der Bürger zu gewährleisten.
Gottfried Görig ist der bisherige Bürgermeister von Beerfelden. Er wird am 1.1. 2018 seinen Schreibtisch nach knapp zwei Jahrzehnten im Amt räumen, weil der Übergang in die neue Stadt Oberzent durch einen vom Land Hessen eingesetzten Staatskommissar organisiert wird. Der wird die neue Stadt kommissarisch leiten, bis im April 2018 ein Stadtparlament und ein neuer Bürgermeister gewählt werden:
"Ja, das Thema Leerstand ist schon eine große Sache bei uns in Beerfelden, sei es gewerblich oder auch im privaten Bereich. Jetzt so ein Haus wie das Kaufhaus Knoll umzubauen, wäre natürlich auch eine tolle Sache. Wäre für mich auch als Bürgermeister optimal, wenn wieder Licht in so ein großes Haus reinkäme."
In der Nachbargemeinde sind die meisten Häuser gepflegt
Um die benötigten Parkplätze zu schaffen, könnte man eine hässliche Hausruine abreißen, die nur wenige Meter vom Kaufhaus Knoll entfernt auf der anderen Straßenseite steht. Gottfried Görig:
"Gut, auch Thema bei uns. Diese ehemalige Gaststätte Zum Felsenkeller hier in Beerfelden. Oftmals auch an mich ran getreten: Bürgermeister, kaufe das Ding, reiße es ab und mache Parkplätze draus. Das ist so einfach daher gesagt. Natürlich wäre es toll, wenn man hier eine Lösung finden könnte für dieses alte Gemäuer, das ja mittlerweile schon um die 30 Jahre leer steht. Das wird dann auch Aufgabe der neuen Stadt Oberzent sein, da ein Stadtentwicklungskonzept auszuarbeiten, das solche Gebäude beinhaltet."
Der neue politische Schwung, den der Ortskern von Beerfelden braucht, wird nach der offiziellen Gründung von Oberzent wohl von außen kommen. Aus den Nachbargemeinden, die mit Beerfelden fusionieren und mit Ungeduld darauf warten, dass sich die Kernstadt nach Jahren der Stagnation endlich weiterentwickelt und langfristig zum "Ankerort" für die neue Stadt wird.
Hans Heinz Keursten, der ursprünglich vom Niederrhein stammt, ist der scheidende Bürgermeister der Nachbargemeinde Rothenberg. Hier sind die meisten Häuser gepflegt, viele sind frisch gestrichen. Rothenberg ist eine Perle für die neue Stadt Oberzent. Hans Heinz Keursten fordert nun auch ein städtebauliches Konzept für die Kernstadt Beerfelden, in das das geplante Gesundheitszentrum eingepasst wird.
"In Beerfelden sind doch viele Problemfälle an allen Ecken und Kanten und da gehört ein Konzept her. Man kann das nicht einfach irgendwo hinstellen."
Das Land Hessen signalisiert deutlich Unterstützung
Schon gar nicht auf die grüne Wiese. Das findet auch Claus Weyrauch. Er ist Gemeindevertreter der Wählergemeinschaft Rothenberg, der stärksten Fraktion im Ortsparlament. Auch er betont die Bedeutung einer nachhaltigen Lösung für das geplante Gesundheitszentrum in der Kernstadt von Oberzent. Grundsätzlich hat Claus Weyrauch auch Sorgen, ob sich die neue Stadt mit dann rund 10.000 Einwohnern mit dem Projekt zur Verbesserung der medizinischen Versorgung in der strukturschwachen Region nicht politisch überfordert:
"Und es ist ja auch nach der letzten Bundestagswahl befunden worden, auf den ländlichen Raum mehr einzugehen. Ich bin da auch selbst ein bisschen im Zwiespalt. Ist denn diese Aufgabe der gesundheitlichen Versorgung der Leute wirklich kommunalpolitisches Thema oder nicht eher im Bund oder im Land anzusiedeln."
Das Land Hessen signalisiert jedoch deutlich, dass man die neue Stadt Oberzent unterstützen will, wo es nur geht. Denn eine freiwillige Städtefusion hat es in Hessen seit einem halben Jahrhundert nicht mehr gegeben. Wenn Oberzent ein Erfolgsprojekt wird, könnte es auch in anderen strukturschwachen Räumen Schule machen. Für den Ortskern von Beerfelden, die man auch die "Stadt am Berg" nennt, wäre ein Gesundheitszentrum jedenfalls ein Symbol für eine Trendwende, findet nicht nur "Seniorapotheker" Wilfried Obenauer:
"Und dann wären wir wieder über den Berg in der Stadt am Berg."