Christian Kehrer legt ein vierseitiges DIN A4-Faltblatt auf den großen Tisch des Versammlungsraumes im Rathaus von Beerfelden. Die gesamte erste Seite des Infoblattes ist von einer fröhlichen Kinderzeichnung gefüllt. Ein üppiger hellgrüner Baum vor blitzblauem Himmel, in die mächtige Krone hat der junge Künstler oder die Künstlerin acht kreisrunde Buttons gehängt. Darin sind Gebäude abgebildet, die sich auf dem Gebiet der neuen Stadt befinden, die im hessischen Odenwald gegründet werden soll: ein altes Eisenbahnviadukt, eine evangelische Kirche, ein mittelalterlicher Galgen, ein Skilift oder ein Skaterplatz. Auf dem Baumstamm steht der handgeschriebene Satz: "Wir in Oberzent".
Die erste Stadt, die im 21. Jahrhundert in Hessen neugegründet wird, könnte künftig "Oberzent" heißen. Darüber ist jedoch noch nicht entschieden worden. Christian Kehrer, der den Gründungsprozess im Rathaus von Beerfelden koordiniert, gibt zu: Nicht alle Bürger auf dem Gebiet der geplanten neuen Stadt finden den Namen "Oberzent" schön:
"Ja schön, da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Es gibt Bürger, die finden ihn nicht so toll. Es ist halt symbolisch für die Region. Also – Oberzent, das kommt aus dem Mittelalter. Und das trifft genau hier diese vier Kommunen und deshalb wurde erst einmal hier dieser Begriff auch verwendet."
Verwendet als Arbeitstitel gewissermaßen. Im Laufe des kommenden Jahres soll dann beschlossen werden, wie die Stadt tatsächlich heißt, zu der sich vier Kommunen im Odenwald zusammenschließen wollen: die Stadt Beerfelden und die Gemeinden Hesseneck, Rothenberg und Sensbachtal.
Nach der Fusion wäre die neue Stadt flächenmäßig die drittgrößte Stadt Hessens. Nach Frankfurt am Main und Wiesbaden.
Problem des demografischen Wandels
Allerdings: Zur nächsten Autobahnauffahrt braucht man von hier aus eine Stunde. Zu den Arbeitsplätzen in den Ballungsräumen Rhein-Main und Rhein-Neckar fährt man gar anderthalb Stunden oder mehr. Deswegen ziehen immer mehr Menschen weg. Der Einwohnerverlust ist der Hauptgrund für die angestrebte Fusion, erklärt Christian Kehrer:
"Ein großes Problem ist der demografische Wandel. Gerade bei uns hier im ländlichen Raum hat sich die Bevölkerungsentwicklung doch drastisch bemerkbar gemacht und wir haben hier über 1.000 Menschen in der Region verloren. Und das sind 1.000 Menschen, die auch kein Wasser mehr nutzen und entsprechend müssen die verbleibenden Personen immer höhere Steuern und immer höheren Aufwand finanzieren."
Weniger Kosten
Mit der Fusion könnten jährlich rund 900.000 Euro mehr in der Kasse bleiben, weil drei hauptamtliche Bürgermeisterstellen eingespart werden, und mehr Geld aus dem kommunalen Finanzausgleich fließt. Außerdem belohnt das Land Hessen die geplante Fusion mit einem Schuldenerlass.
Die Steuern oder Abgaben etwa für die Wasserversorgung könnten deshalb künftig gesenkt werden. Das ist ein Grund, warum eine überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger auf dem Gebiet der künftigen Stadt im Frühjahr für den Zusammenschluss der vier Gemeinden stimmte. Thomas Ihrig ist der bisherige Bürgermeister der Gemeinde Hesseneck:
"Das eine wird sein, es wird eine gewisse Dämpfung gemeindlichen Steuern geben. Und zum anderen gibt es immer wieder Aufgaben, wir diskutieren ja auch gerade das Thema Gesundheitsversorgung."
Mehr finanzielle Spielräume
Ein neues Ärztezentrum – das brauche man dringend auf dem Gebiet der neuen Stadt. Denn der Ärztemangel im hessischen Odenwald ist wie in vielen anderen ländlichen Regionen Deutschlands ein ganz entscheidender Stadtortnachteil. Für Egon Scheuermann, dem bisherigen Bürgermeister der Gemeinde Sensbachtal ist es auch kein Problem, wenn das neue Ärztehaus im nächsten Jahr in der künftigen Kernstadt Beerfelden entsteht und die Sensbachtaler ein paar Kilometer zum Arzt fahren müssen:
"Also, bisher war es ja auch schon so - wenn man einkaufen wollte oder zum Hausarzt, dann war der in Beerfelden. An der Situation, an der Grundstruktur ändert sich ja nichts. Die gleichen Wege, die man vorher schon hatte, hat man jetzt in der gleichen Kommune."
Aber diese neue Kommune hat eben wieder mehr finanzielle Spielräume- etwa für die Förderung des so dringend benötigten neuen Gesundheitszentrums. Das ist auch der Grund, warum die beiden Bürgermeister Egon Scheuermann und Thomas Ihrig aktiv daran mitwirken, ihren eigenen Arbeitsplatz wegzurationalisieren:
"Wir haben einfach mehr Luft, um alles, was so zukommt an Aufgaben, besser leisten zu können."
Im Frühjahr 2018, so ist der Plan, soll die Stadtgründung vollzogen sein. Bis dahin muss also auch die Namensfrage geklärt werden.