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Stadtplanung
"Radikale Abkehr vom motorisierten Individualverkehr"

Je größer die Stadt, umso größer die Umweltprobleme. Der Klimawandel sei eine der größten Herausforderungen für Städte, sagte die Stadtplanerin Franziska Schreiber im Deutschlandfunk. 80 Prozent der CO2-Emissionen würden in den Städten produziert, vor allem im Verkehrs- und Transportsektor biete sich das größte CO2-Einsparpotenzial.

Franziska Schreiber im Gespräch mit Jule Reimer |
    Stoßstange an Stoßstange stehen die Autos auf der Avenida Paulista in der brasilianischen Großstadt Sao Paulo (Aufnahme vom 11.01.2010).
    Rund 80 Prozent der CO2-Emissionen werden in Städten produziert. (picture-alliance / dpa / Helmut Reuter)
    Jule Reimer: Sechs große Podien und viele kleine Fachforen laden zu Diskussionen ein über Klimaschutz, Energie, Ressourcenschonung, Boden-Biodiversität, Mobilität, Verkehr, Bauen und Wohnen. Angela Merkels halbes Kabinett tritt hier im Park von Schloss Bellevue auf, Wissenschaftler, Gewerkschafter, Verbraucherschützer, Umweltverbände. Auf der letzten Woche der Umwelt 2012, da dominierten eher Alltagsthemen, deutsche Themen, Elektroauto, Tourismus hierzulande. Es gibt jetzt kein besonderes Motto, aber in diesem Jahr fällt der etwas weitere, international ausgerichtete Blick auf.
    Ab 13 Uhr wird hier gleich nach den planetaren Leitplanken gefragt und morgen geht es um die Städte der Zukunft. Und eine, die sich damit sehr gut auskennt, ist die Stadtplanerin Franziska Schreiber von der Denkfabrik adelphi. Überall in der Stadt wachsen die Städte, Mega-Metropolregionen wie Sao Paulo, Shanghai oder Manila. Die haben locker 20 Millionen Einwohner oder mehr und Sie, Frau Schreiber, stellen heute in Berlin zusammen mit dem World Watch Institute deren Jahresbericht dazu vor. Gleichzeitig steht auch im Herbst eine ganz große UN-Konferenz in Ecuador zur Stadtentwicklung an. Blechlawinen, Müll, Abwassermassen - je größer die Stadt, umso größer die Umweltprobleme. Ist das so?
    Franziska Schreiber: Das kann man natürlich so sagen. Aber ich denke, man sollte vielleicht erst mal schauen: Es ist ein bisschen die falsche Frage zu stellen, kann eine Stadt nachhaltig sein. Ich denke, es gibt nicht den Zustand der nachhaltigen Stadt. Ich denke, wir sollten uns auf den Prozess konzentrieren, auf die Politikinstrumente, die notwendig sind auf dem Weg zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Wie können wir Städte in die Lage versetzen, zusammen mit den Bürgern, dass sie die großen Herausforderungen unserer Zeit bewältigen können? Ich denke hier nur an die Bereitstellung von Infrastruktur, die Basisversorgung wie bezahlbaren Wohnraum, Energieversorgung, Gesundheitsversorgung und so weiter, natürlich auch die wachsende soziale und ökonomische Ungleichheit in unseren Städten, die sich oftmals in Segregationstendenzen widerspiegelt, in Nachbarschaften mit vor allem einkommensstarken Familien und in Nachbarschaften, die sozialökonomisch benachteiligt sind. Und dann denke ich natürlich an den Klimawandel als eine der größten Herausforderungen.
    "Städte und Bürger in den Städten sind die zentralen Handlungsakteure"
    Reimer: Wie bedeutsam sind Städte für den Klimawandel? Verhalten sich Menschen, die auf dem Land leben, klimaschonender?
    Schreiber: Ich würde nicht unbedingt sagen, dass sie sich klimaschonender verhalten. Aber ich denke, dass Städte und Bürger in den Städten natürlich die zentralen Handlungsakteure sind. Wenn wir uns überlegen, dass 80 Prozent der CO2-Emissionen in Städten produziert werden, dann sind die Städte natürlich einerseits Verursacher, andererseits aber auch Lösung des Problems.
    Reimer: Wie kann man es lösen?
    Schreiber: Dementsprechend ist es natürlich notwendig, dass zum Beispiel Klimawandel-Anpassungsmaßnahmen, Klimaschutz-Maßnahmen in alle Politikfelder Einzug hält, vor allem im Landnutzungsbereich, im Transportsektor, im Verkehrssektor, in allen möglichen Bereichen, auch Industrie. Ich denke, vor allem der Verkehrs- und Transportsektor bietet hier das größte CO2-Einsparpotenzial.
    Reimer: Welche praktischen Möglichkeiten gibt es da?
    Schreiber: Ich denke, wir brauchen eine radikale Abkehr vom motorisierten Individualverkehr hin zur Eco-Mobility.
    "Fahrradfreundliche und fußgängerfreundliche Städte priorisieren"
    Reimer: Was heißt Eco-Mobility?
    Schreiber: Eco-Mobility ist ein Überbegriff, der beinhaltet, dass wir vor allem fahrradfreundliche und fußgängerfreundliche Städte priorisieren, den öffentlichen Nahverkehr ausbauen, Zugang zu öffentlichem Nahverkehr attraktiv gestalten.
    Reimer: Ganz kurz noch zum Schluss. Wenn Stadtplaner Entscheidungen heute treffen, wie lang wirken die sich aus und sind sich die Stadtplaner möglicherweise der Tragweite bewusst?
    Schreiber: Ich denke, dass die Entscheidungen von heute auf jeden Fall Pfadabhängigkeit haben für die nächsten 50 bis 100 Jahre. Ich denke, dass sich doch viele Stadtregierungen darüber im Klaren sind und bewusst sind, was ihr Handeln von heute für morgen bedeutet. Ich glaube, wir sollten uns stärker darauf konzentrieren, das auch in konkretes politisches Handeln zu übersetzen und in Maßnahmen zu übertragen.
    Reimer: Franziska Schreiber von adelphi, vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.