Je größer eine Gruppe werde, umso größer sei die Gefahr von Isolation. Nur durch den Kontakt zur umlebenden Bevölkerung könnten Menschen aus anderen Ländern sich integrieren.
Friedrich befürchtet zugleich, dass sich viele Städte in einem Dilemma befänden, aus dem sie nicht heraus kämen. Oftmals fehle das Geld, um eine kleinteilige Unterbringung der Flüchtlinge zu gewährleisten. Wenn deren Anteil zehn Prozent in einem Wohnviertel überstiegen, dann sei aber mit Konflikten zu rechnen, so Friedrichs.
Ob es zu sozialen Problemen wie in den französischen Banlieues komme, hänge von weiteren Faktoren ab, wie etwa Arbeitslosigkeit.
München als Positivbeispiel
Als positives Beispiel nannte Friedrichs die Stadt München. Dort würden Flüchtlinge zunächst provisorisch untergebracht, gleichzeitig investiere man verstärkt in den sozialen Wohnungsbau. Für den Übergang rechne man mit maximal zwölf Monaten, höchstens 500 Personen würden an demselben Ort untergebracht.
Eine verpflichtende Verteilung von Ankommenden auf die Städte und aufs Land sei grundsätzlich bedenkenswert, so Friedrich. Allerdings fehlten empirische Untersuchungen, wie dort ansässige Menschen darauf reagierten. Sehenden Auges sei man seit 2014 in die Flüchtlingsproblematik hineingelaufen, habe aber wenig dafür getan, frühzeitig Lösungen zu suchen. Das gelte auch für die Stadtplaner in den Kommunen.
Das Interview in voller Länge:
Thielko Grieß: Wie und wo sollen Flüchtlinge wohnen? Viele drängen ja in Großstädte, die ohnehin nur über knappen Wohnraum verfügen. Und viele Städte und Kommunen haben sich entschlossen, schnell und viel zu bauen. In Hamburg zum Beispiel ist von neuen größeren Siedlungen die Rede in vielen Bezirken, in denen mehrere hundert Flüchtlinge beieinander leben sollen. Bürgerinitiativen in Hamburg warnen schon, so sei Integration nun überhaupt nicht zu schaffen, und sie warnen vor Olaf-Scholz-Ghettos, benannt nach dem Ersten Bürgermeister der Hansestadt.
Jürgen Friedrichs beschäftigt sich seit Jahren mit Zusammenhängen zwischen Bauen und sozialen Strukturen in Städten. Vor dieser Sendung haben wir ein Gespräch mit Jürgen Friedrichs aufgezeichnet. Wir haben es gleich zugespitzt mit der Frage: Bieten manche Städte nicht ohnehin schon so wenig Ästhetik, Köln zum Beispiel, dass ein paar einfache Neubauten mehr auch nicht groß stären?
Jürgen Friedrichs: Das glaube ich nicht, denn es gibt sehr viele Städte, gerade in Nordrhein-Westfalen, die durch die Bomben des Zweiten Weltkrieges so zerstört wurden, dass sie natürlich nicht in einer sehr guten Weise wiederaufgebaut werden konnten.
"Architektur darf Flüchtlinge nicht diskriminieren"
Grieß: Aber dann ist es für das Stadtbild ja nicht so sehr erheblich, wenn da nun Bauten hinzukommen, die vielleicht ästhetisch nicht allererste Sahne sind?
Friedrichs: Das glaube ich aber nun wieder doch. Denn wenn Sie äußerlich sehen können, dieses ist ein Container-Dorf oder eine Container-Ansiedlung, oder Sie sehen ein Gebäude mit schlechter Qualität und sagen, ach da wohnen die Asylanten - so würde der Spruch wahrscheinlich lauten -, dann ist das eine Form der Diskriminierung, und das halte ich für ganz problematisch. Wir müssen versuchen, die Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen - das wäre das endgültige Ziel - und zwischendurch in Einrichtungen, die nicht alleine schon durch die Architektur diese Flüchtlinge diskriminieren.
Grieß: Aber nun ist es ja so: Die Zeit drängt, weil viele Flüchtlinge da sind, und natürlich ist der Kostenfaktor ein wichtiger Faktor. Das darf nicht unendlich viel Geld kosten. Was sollen die Städte tun?
Friedrichs: Die Städte sind in einem Dilemma, aus dem sie nicht herausfinden werden. Wir wissen genau, dass diese großen Siedlungen, die zum Teil geplant werden, von 400, 500 oder 600 Personen falsch sind.
Grieß: Oder noch mehr Personen.
Friedrichs: Oder gar noch mehr.
"Flüchtlinge sollen nicht unter sich bleiben"
Grieß: Es geht zum Teil um mehr als tausend.
Friedrichs: Das sind sozusagen Neubausiedlungen, in denen die Flüchtlinge unter sich sind, was ja schon mal ein Problem darstellt, so dass die Kontakte unter den Flüchtlingen wahrscheinlich sehr viel größer sind als die Kontakte zu der umgebenden, sagen wir mal, deutschen Bevölkerung. Das halte ich für einen Riesennachteil. Und je kleiner die Zahl der Flüchtlinge ist, die ich in einem Wohngebiet ansiedle, desto eher besteht natürlich die Bereitschaft, diesen Familien oder diesen Personen zu helfen und sich um sie zu kümmern. Und je mehr dort sind, desto geringer wird das sein und desto eher wird man vielleicht sogar damit rechnen müssen, dass Leute aus dem Gebiet ausziehen.
Grieß: Wenn man jetzt sagt, dass Integration auch über Wohnungsbau funktioniert und über diese Maßnahmen, und Sie sagen, das ist ein Dilemma, aus dem kommen die Städte nicht heraus, dann müssen wir festhalten: Wir schaffen das nicht.
Friedrichs: Was wir hier im besten Falle als Integration gerade durch die Art der Unterbringung schaffen sollten, schaffen wir nicht. Das sehe ich auch so.
Grieß: Gibt es irgendeine Übergangslösung oder irgendetwas, was vor allem die Großstädte - wir haben ja vor allem gerade die Großstädte mit knappem Wohnraum im Blick - tun können?
"Viel stärker in sozialen Wohnungsbau investieren"
Friedrichs: Ich glaube, das Münchner Modell, nämlich zunächst zu sagen, wir haben Unterbringung in provisorischen Einrichtungen, aber bauen gleichzeitig verstärkt sozialen Wohnungsbau, dieses wäre das richtige Modell. Dass es Übergang gibt, daran wird man nicht vorbei kommen, aber dass der Übergang auch wirklich nur einer ist, der den Flüchtlingen über eine Strecke von vielleicht zwölf, maximal zwölf Monaten ermöglicht, dann woanders unterzukommen, das hielte ich für sinnvoll. Und auch dann ist sehr die Frage, ob man solche Einheiten von 500 oder 400 Personen machen sollte. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in ein Wohngebiet kaum mehr als fünf bis zehn Prozent Flüchtlinge setzen können, ohne dass es zu Konflikten kommt.
Grieß: Nun hat kaum eine Stadt und kaum eine Kommune die Möglichkeiten auch finanziell, die München hat. Bauen deutsche Kommunen und Städte sich hier Banlieues, die wir aus Frankreich kennen und die wir vor allem als Problemviertel kennen, in denen die Mülltonnen brennen?
Friedrichs: Das will ich nicht vorhersagen. Aber ich stimme Ihnen insofern zu, als wir uns ein Problem bauen und dass die Integration der Flüchtlinge damit erschwert wird. Ob das nun gleich die Ausmaße der Banlieues annimmt, hängt sehr viel davon ab, inwieweit die Personen die Sprache lernen und inwieweit wir die Möglichkeit haben, sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren, was ja ein Problem gerade der Jugendlichen in den Banlieues in Frankreich ist. Insofern muss man da vorsichtig sein. Aber wir lösen ein Problem, nämlich das der Unterkunft, und schaffen gleichzeitig ein neues. Das ist das Problem.
Grieß: Haben Sie den Eindruck, Herr Friedrichs, dass in den Kommunen und Städten Fachleute in den Verwaltungen sitzen, die das Problem ähnlich begreifen?
Friedrichs: Ich wage das nicht zu beurteilen. Ich fürchte, dass in den Städten die Not und die Frage, wie untergebracht werden soll, so überragend ist als Problem, dass eine sehr differenzierte kleinräumige Betrachtung des Stadtgebietes mit der Frage, wo man Leute unterbringen kann, kaum möglich ist. Die Stadt Hamburg hat in einem Papier vom Januar 2016 geschrieben, wenn man eine kleinteilige Lösung wollte, würde man ungefähr 1,1 Prozent der gesamten Wohnfläche von Hamburg für die Flüchtlinge aufwenden müssen, und das sei unmöglich.
Grieß: Unter diesen Voraussetzungen, die Sie schildern, Herr Friedrichs, halten Sie es für zwingend, Asylbewerber und Menschen mit dem Aufenthaltsstatus, den sie dann bekommen haben, verpflichtend zu verteilen auf Städte und Dörfer, eben auch auf das Land?
"Es fehlt an empirischen Erkenntnissen"
Friedrichs: Das kann man sehr wohl machen, wenn man genauer wüsste, wie kleinere Kommunen, sagen wir mal, eine Stadt von 50.000 oder ein Dorf von 5000 Einwohnern oder 2000 darauf reagieren. Dazu haben wir keine empirischen Erkenntnisse. Das Dilemma ist, dass wir in diese Flüchtlingsproblematik hineinlaufen und dass der Staat keinerlei Anstrengungen unternommen hat, das parallel seit mindestens 2014 mal empirisch zu untersuchen und Gelder dafür bereitzustellen.
Grieß: Aber es gibt ja Jahrzehnte Erfahrungen der Einwanderung, und die war ja so klein nicht. Und da gibt es keinerlei Daten, auf die man zurückgreifen könnte, keinerlei Erfahrungen?
Friedrichs: Ja es gibt die Erfahrung, dass Personen, die sprachlich gebildet sind und eine gute Ausbildung haben, natürlich einen Beruf haben können und dann auch so ausgebildet sind, dass sie sich mit genügend Einkommen eine Wohnung suchen können. Das ist nicht das Problem. Hier kommen aber sehr viele auf einmal und diese große Menge, die gleichzeitig kommt, ist das Problem.
Grieß: Abschließend, Herr Friedrichs, eine Frage zu denjenigen, die schon da sind, die schon da wohnen. Was wissen Sie über den Widerstand, den es ja auch gibt gegen Flüchtlingsunterbringung? Organisiert sich der anders, je nach Einkommen, je nach Bildungsniveau?
Friedrichs: Sehr wahrscheinlich, ja. Ich glaube, dass mit dem niedrigen Bildungsniveau auch eher eine Form von aggressivem Protest verbunden ist, während in den anderen Fällen eher Personen, sagen wir, mit einer akademischen Bildung dazu neigen zu klagen. Aber auch das muss man differenziert sehen, denn unter denen, die sehr gebildet sind, gibt es ebenso viele, die die Flüchtlinge als Bereicherung ansehen und sich für sie einsetzen. Es gibt sehr viele Flüchtlingsinitiativen, die auch von Personen mit überdurchschnittlicher Bildung begleitet werden.
Grieß: Dann kann ein Stadtplaner ja eigentlich nur urteilen, Obergrenze einziehen, Zuwanderung begrenzen, Grenzen möglichst schließen?
Friedrichs: Vermutlich ja.
Grieß: ... sagt Jürgen Friedrichs, Stadtsoziologe aus Köln, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.