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Stadtspaziergänge in Corona-Zeiten
Flanieren durch den Ausnahmezustand

In Corona-Zeiten erleben wir ein Comeback des Stadtspaziergangs. Dabei lassen sich Rückschlüsse über Gesellschaft, Politik und Kultur ziehen, wie Architekt Lukas Staudinger meint. Er hat ein innovatives Stadtführungsformat entwickelt, das sich auch mit Physical Distancing vereinbaren lässt.

Lukas Staudinger im Gespräch mit Sebastian Wellendorf |
Über der geteerten Flugbahn auf dem Berlienr Tempelhofer Feld sieht man das gelbe Logo der Stadtvermittlungs-App.
Die Poligonal-App ist akustische Stadtvermittlung - zum Beispiel auf dem Tempelhofer Feld in Berlin (Poligonal)
Eine Großwohnsiedlung für 5.000 Menschen in den 1980er-Jahren in Westberlin - und zwar komplett über einer Autobahn gebaut. Dieses utopische stadtplanerische Projekt beleuchtet der Architekt und Stadtvermittler Lukas Staudinger:
"Wir haben eine Stadtführung konzipiert, in der man diese Großbausiedlung entdecken kann, in der man mit Anwohnern darüber spricht, wie es sich denn so anfühlt, über der Autobahn zu wohnen, über der Autobahn zu schlafen", sagte Staudinger im Deutschlandfunk.
"Schlafen auf der Autobahn" ist eine der Stadtführungen, die Staudinger in seiner Agentur für Stadtvermittlung "Poligonal" anbietet. Wichtig sei ihm auch immer die planerische Dimension, zu zeigen, "wie es zu solchen Wohn-Utopien, zu solchen Gebäuden kommen kann."
Ortsspezifische Beiträge per App
Klar, Gruppenführungen mit 25 Leuten sind nun coronabedingt nicht mehr möglich. Daher hat Poligonal ein Audiowalk-Format für Stadtentwicklung entwickelt. Mit einer App, die auf Geo-Tagging basiert. Wenn man die App heruntergeladen habe und sich an einen bestimmten Ort begebe, erklärte Staudinger, "erkennt das Handy, dass ich da bin und spielt dann ortsspezifische Informationen ab".
"Diese Informationen könnten von Bewohnern oder Experten stammen, die zu diesem Ort etwas zu sagen haben", so Staudinger. Im Falle ihres jüngsten Audiowalks würden vor Ort aber auch, etwa mit dem "Corona-Diary" einer Stadtforscherin, künstlerische Beiträge abgespielt.
Die Wiederentdeckung des Flanierens
Ein anderer Audiowalk handelt vom Flaneur und verspricht "eine akustische Zeitreise ins Berlin der 1920er- und 1930er- Jahre." Begleitet von Texten von Irmgard Keun, Siegfried Kracauer und Walter Benjamin.
"Flanieren ist erstmal ziellos - anders als der Spaziergang", so Staudinger. "Wenn man so will ist der Weg das Ziel, und man erlaubt sich mehr wahrzunehmen."
Das Flanieren - vielleicht ja eine Kulturtechnik die nach 100 Jahren ein Revival feiert: "Wenn ich den ganzen Tag zu Hause bin und gehe jetzt eine Stunde durch die Stadt flanieren, dann richte ich mich her, ziehe mir vielleicht etwas Cooles an und zelebriere dann dieses Gehen. Es gibt einfach ein größeres Interesse gerade, zu sehen und auch sich zu zeigen."
Äußerungen unserer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.