Sie sieht aus wie eine von den unzähligen Baustellen auf den Straßen von Köln: im Schatten des Domes, am Kurt-Hackenberg-Platz. Eingekeilt zwischen dem Museum Ludwig, dem Römisch Germanischen Museum und den für die Stadt typischen Zweckbauten. Die Autos schieben sich an einer gut fünfzehn Meter langen Baugrube vorbei, die mitten auf der Fahrbahn hinter einem Gitterzaun klafft. Ein Bagger steht oben an der Kante und wühlt Erde und Steine aus dem Boden heraus. Von außen verrät nur wenig, dass dieses Loch zu einem archäologischen Jahrhundertprojekt in der Domstadt gehört, von dem sich die Wissenschaftler einen umfassenden Einblick erhoffen in das unterirdische Gedächtnis von Köln.
"Die Städte unter den Städten
Archäologische Grabungen zwischen Beton und Asphalt
Eine Sendung von Arndt Reuning"
Wenn der Archäologe Marcus Trier in seinem Büro am Fenster steht, kann er die Baustelle am Kurt-Hackenberg-Platz wie von einem Logenplatz aus überblicken. Die Kölner Verkehrs-Betriebe arbeiten hier an einer neuen Stadtbahnlinie, welche vom Bahnhof aus unterirdisch in den Süden der Stadt führen soll.
"Das, was wir jetzt hier offen sehen können, das ist eine etwa 2500 Quadratmeter große Fläche, die durch Betonplatten in Teilen abgedeckt ist. Das ist archäologisch schon untersucht. Das ist keine Haltestelle, sondern ein rein technisch bedingtes Bauwerk, was eben nicht, wie sonst bei der U-Bahn im unterirdischen Tunnelvortrieb abgewickelt werden kann, sondern in einer offenen Baugrube vorgenommen werden muss."
Marcus Trier arbeitet am Römisch-Germanischen Museum, und sein Interesse am Bau der Stadtbahn ist vor allem beruflich bedingt. Denn wenn die Tunnelbaumaschinen, die sich wie riesige Würmer durch den Kiesboden unter der Stadt wühlen, zu den Haltestellen vordringen, dann nähern sie sich historisch bedeutsamen Schichten. In denen die ehemaligen Bewohner die Stadt am Rhein ihre Spuren hinterlassen haben. Marcus Trier trägt die Verantwortung dafür, dass diese Zeugnisse der Vergangenheit nicht ausgelöscht werden. Zusammen mit seinem Chef, dem Direktor des Römisch-Germanischen Museums, Hansgerd Hellenkemper.
"Soweit wir wissen, gibt es keine Stadt in der Bundesrepublik Deutschland, die so gesegnet ist mit archäologischen Zeugnissen, mit einem solchen wunderbaren unterirdischen Archiv wie die Stadt Köln. Archäologische Spuren in Köln reichen 7000 Jahre zurück, aber die wirklich intensive Siedlungsbewegung beginnt unter Kaiser Augustus. Das heißt, vor 2000 Jahren wird diese Stadt gegründet, und sie verändert ihren Platz nicht mehr. Schicht um Schicht wächst diese Stadt hoch, und das ist das, was wir heute im Untergrund sehen."
Die archäologischen Untersuchungen zum Kölner Stadtbahn-Projekt stellen den bisher größten Eingriff in das unterirdische Archiv der Stadt Köln dar. Insgesamt zehn Grabungsflächen reihen sich an der gut vier Kilometer langen Trasse auf, ungefähr drei Fußballfelder groß ist die Gesamtfläche für die archäologischen Untersuchungen. An manchen Stellen sind die historisch gewachsenen Schichten bis zu fünfzehn Meter dick. Die Arbeiten haben im Jahr 2004 begonnen und werden erst 2009 beendet sein. Die Zeit, welche die Archäologen im Archiv verbracht haben, noch bevor die erste Schaufel Erdboden gehoben wurde, gar nicht eingerechnet. Selbst in ganz Europa zählt das Kölner Stadtbahn-Projekt zu den größten archäologischen Grabungen in einer Metropole. Dabei stellt jede einzelne Untersuchungsfläche die Wissenschaftler vor neue Herausforderungen. Jede Haltestelle gibt Einblick in eine andere Episode der Stadtgeschichte. Der Weg der Trasse durch die Stadt markiert zugleich den geschichtlichen Wandel, den Köln in den vergangenen 2000 Jahren durchlebt hat. Marcus Trier:
"In der Innenstadt ist es natürlich die römische Stadt, die mittelalterliche Stadt. Im Süden berühren wir eben die sogenannte zweite mittelalterliche Stadterweiterung am Chlodwigplatz von 1180, weiter südlich berühren wir die preußischen Festungswerke des späten 19. Jahrhunderts. Aber wir unterscheiden zunächst einmal von der Bedeutung nicht in "römisch ist wichtiger als 19. Jahrhundert", sondern alle archäologischen Bodendenkmäler werden mit gleicher Akribie und Sorgfalt untersucht. Denn alle sind historische Zeugnisse städtischer Geschichte."
Und diese Geschichte hoffen die Archäologen nun ein Stückchen weiter enthüllen zu können. Hansgerd Hellenkemper:
"Eine der zentralen Fragen an die Kölner Geschichte sind Entwicklungsfragen. Nämlich wie verändert sich die römische Stadt im Frühmittelalter und auch zum Hochmittelalter hin? Welche Flächen werden vergrößert? Welche Bauten werden neu errichtet? Was benutzt man aus dem Altertum? Beispielsweise hat ja Köln keinen eigenen Stein. Jeder Stein, jeder Naturstein in Köln in römischer Zeit wie im Mittelalter muss von außen nach Köln eingeführt werden. Das ist schon ein ungeheurer wirtschaftlicher Aspekt."
Bonn im Sommer 2006. Während die Archäologen in Köln sich durch die historischen Schichten der zukünftigen Stadtbahn-Haltestellen wühlen, haben ihre Kollegen in Bonn ein Grundstück im ehemaligen Regierungsviertel in eine braune Fläche verwandelt, die einem frisch umgebrochenen Acker gleicht. Genau vor dem einstigen Plenarsaal des Bundestags.
"Dort gegenüber haben Sie einmal die alte Akademie, die nachher zum Bundesrat geworden ist. Und das alte Bundespresseamt sehen Sie auf der anderen Seite, in der Mitte halt unsere riesige Grabung. Und wenn wir jetzt hier um die Ecke gucken könnten, könnten wir den Langen Eugen und den neuesten Posttower sehen."
Nora Andrikopoulou-Strack vom Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege. Die Institution gehört zum Landschaftsverband Rheinland und ist für die Ausgrabungen auf diesem Areal zuständig. In römischer Zeit stand hier ein kleines Dorf, ein Vicus, ein gutes Stück südlich des Heerlagers Castra Bonnensia mit seiner Vorstadt, Canabae genannt. Die beiden lagen ungefähr dort, wo sich heute die Bonner Innenstadt befindet. Genauso wie in Köln arbeiten die Archäologen in Bonn vor den Schaufeln des Bautrupps her. Hier im ehemaligen Regierungsviertel sollen ein Kongresszentrum und ein Hotel in die Höhe gezogen werden. Und deshalb müssen die Archäologen zunächst in die Tiefe gehen. Genau wie in der Domstadt haben sie eine ungewöhnlich große Fläche zu beackern, ungefähr vier Fußballfelder. Hier aber an einem einzigen Ort, was besondere Erkenntnisse verspricht, so der Grabungsleiter Cornelius Ulbert.
#"Es ist einfach die zusammenhängende Fläche. Man hat nicht einzelne Puzzleteile, die man mühsam zusammen fügen muss, sondern man hat mehrere Strukturen in Verbindung miteinander."
Von diesen Strukturen sind schon einige ans Tageslicht gelangt. Nur ein paar Meter von einem planwagenartigen Zelt entfernt ragen Fundamente aus weißem Gestein aus dem Erdboden. Ulbert:
"Wenn man sich das Parlament, Bundeshaus, wegdenkt, hat man hier einen wunderbaren freien Blick auf den Rhein und bis auf die andere Seite. Und wir haben jetzt hier an dieser höchsten Stelle des Plateaus einen von uns einfach mal Monument genannten Bau, von dem wir selbst noch nicht so recht wissen, was es ist. Da müssen wir mal in der Literatur nach Vergleichsbeispielen schauen. Wir haben hier massive Pfeilerfundamente, fünf Stück. Dahinter eine Mauer mit einer Nische und dahinter wieder vier kleinere Pfeiler. Leider ist das Gebäude, der Bau, nach beiden Seiten hin gestört. Auf beiden Seiten standen Häuser bzw. war ein Weg, so dass wir gar nicht wissen, wie groß das Gebäude ursprünglich gewesen ist. Wir können nur allein aufgrund der Tatsache der Massivität der Fundamente und der Lage auf den Rhein hin orientiert sagen, dass es ein ganz massiver, repräsentativer Bau gewesen ist."
Von einem gallo-römischen Tempel gleich in der Nachbarschaft zum Monumentalbau sind nur dunkle Verfärbungen in der Erde geblieben. Welche Gottheit hier verehrt wurde, darüber können die Archäologen im Moment nur spekulieren. Ulbert:
"Das kann außer Jupiter kann das nahezu jeder gewesen sein. Es ist nicht der klassische römische Tempel, den man aus Griechenland oder aus Rom kennt, sondern es ist hier eine Mischform, deswegen gallo-römisch, zwischen den gallischen einheimischen Religionen oder Tempeln und einem römischen Tempel."
Östlich des Tempels haben die Wissenschaftler einen römischen Ofen entdeckt, in dem offenbar die Ziegel gebrannt wurden für ein Gebäude in der hinteren Ecke des Geländes. Dort hatten die Bagger zunächst mehrere Meter Erde abgetragen, ganz vorsichtig. In einer ehemaligen Senke sind die Wissenschaftler dann auf die gut erhaltenen Reste eines öffentlichen Bades gestoßen. Ulbert:
"Wir haben jetzt hier unser Badegebäude – ein Badegebäude kann man in jeder noch so kleinen römischen Villa finden. So muss natürlich auch ein Vicus ein Badegebäude haben. Und es besteht mindestens aus drei Räumen: Wir haben hier vorne das so genannte Caldarium, das Heißbad. Dann haben wir hier vorne das Tepidarium, das Warmbad, und hier das Frigidarium, das Kaltbad."
Oberhalb des ehemaligen Bades, an der Abbruchkante über der archäologischen Grabung steht ein weiteres Relikt aus einer vergangenen Ära: der sogenannte Kanzlerkiosk. Ein Verkaufsbüdchen aus den fünfziger Jahren, eine Ikone der Bonner Republik, wo einst Abgeordnete und Bauarbeiter gleichermaßen anstehen mussten. Auch dieses denkmalgeschützte Gebäude muss dem neuen Kongresszentrum weichen und vorerst ins Depot gebracht werden.
Bei all ihren Untersuchungen haben die Archäologen immer ihren engen Zeitplan vor Augen: bis zum 31. Oktober müssen die Arbeiten abgeschlossen sein, dann beginnen die Bauarbeiten.
"Nächster Halt: Römischer Hafen"
Wieder zurück in Köln beim Projekt Nord-Süd-Stadtbahn. Der Archäologe Marcus Trier:
"Der Zeitdruck ist bei jeder archäologischen Rettungsgrabung gegeben, Zeit spielt bei jeder Rettungsgrabung, egal ob es Nord-Süd-Stadtbahn-Archäologie ist oder sonst eine bauvorgreifende Rettungsgrabung im Stadtgebiet, immer eine extrem wichtige Rolle."
Aber nicht nur die Zeit ist knapp bemessen, sondern auch der Raum. Was sich besonders auf den engen und stark befahrenen Straßen in Köln bemerkbar macht. Normalerweise beginnen Archäologen ihre Ausgrabungen an der Oberfläche und arbeiten sich dann immer weiter nach unten in den Boden vor. Bei dem Stadtbahn-Projekt konnten sie sich das nicht immer leisten. Trier:
"Und dort wurde eben nicht immer nur von oben nach unten gegraben, sondern es wurde zum Teil im Tunnelvortrieb unterirdisch gegraben, es wurde unter Deckel unter künstlichem Licht gegraben, es wurde im Drei-Schichten-Betrieb ausgegraben und dokumentiert, zum Teil wurden wie Stollen in den archäologischen Befund hinein gegraben, und dann von der Seite ein Befund untersucht. All das war notwendig, um den Verkehr in der Stadt nicht noch weiter lahm zu legen, der durch die Baumaßnahmen eh schon ungeheuer eingeschränkt ist."
Am Kurt-Hackenberg-Platz sind die Kölner Archäologen für ihre Anstrengungen reichlich belohnt worden. Trier:
"In römischer Zeit verlief hier eine etwa siebzig bis achtzig Meter breite Nebenrinne des Rheins, die im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus als Hafen der römischen Stadt genutzt worden ist, und genau hier an der Stelle zu unseren Füßen quasi ragten in die Baugrube hinein die erhaltenen Reste einer hölzernen Kaianlage, die wir dendrochronologisch untersuchen konnten und die als Fällungsdatum eine Datierung 91/92 nach Christus ergeben hat."
Aus dem 12. Jahrhundert hingegen stammen die Überreste einer Bergkristallwerkstatt. Solch eine Entdeckung hat es in Mitteleuropa bisher noch nicht gegeben. Übrig geblieben ist von der Werkstatt eine Arbeitsgrube, über der auf einem Holzrost die Steine bearbeitet wurden. Die Schleifrückstände fielen durch den Rost in die Grube und bildeten dort Ablagerungen. Trier:
"Hineingefallen sind aber auch zum Teil sogar fertig geschliffene Steine, die man eben aus dem Schlamm nicht mehr heraus gesucht hat. Es sind die Hämmerchen, die man zum Zuschlagen der Steine benutzt hat, hinein gefallen, es sind Bleiplatten, die man zum Polieren der Bergkristalle benutzt hat, hineingefallen, also all das, was im Rahmen der Verarbeitung der Steine benötigt worden ist, ist in den Schlamm hinein geplumpst, und keiner hat sich die Mühe gemacht, es wieder heraus zu suchen."
Eher zu den Kuriositäten gehört der Fund eines Nashornschädels, welcher die Wissenschaftler zunächst vor ein Rätsel stellte: Hatten sie es hier mit einem prähistorischen Fund zu tun oder tatsächlich mit einem Tier aus römischer Zeit, das über die Alpen nach Köln gebracht worden war? Marcus Trier:
"Die naturwissenschaftlichen Untersuchungen, C14-Datierungen, haben ergeben, dass es sich um einen Wollnashornschädel handelt, der etwa 37.000 vor Christus datiert, aber das Spannende daran war: Dieser Schädel hat in römischer Zeit als eine Art Werkbank gedient, und es klebten auch römische Scherben in dem Schädel drin, also irgendein römischer Handwerker hat sich dieses massiven, über 20 kg schweren Schädels als Werkbank in zweiter Verwendung bedient."
In Bonn ist es Herbst geworden. Der Kanzlerkiosk ist mittlerweile ins Depot gewandert und wartet darauf, an einer anderen Stelle neu aufgebaut zu werden. Und auch die Ausgrabung vor dem ehemaligen Bundestagsgebäude nähert sich dem Ende. Der Archäologe Peter Henrich kniet auf dem blanken Erdboden, den er mit einem kleinen Spatel aufmerksam nach Kleinfunden untersucht. Von Zeit zu Zeit senkt ein Bagger seine Schaufel und kratzt vorsichtig die obersten Zentimeter Erde weg. Henrich:
"Normalerweise, also bei Forschungsgrabungen, wo man viel Zeit hat, werden diese Schichten ganz sorgfältig von Hand entnommen und nach Funden durchsucht, aber uns fehlt dafür die Zeit, und aus diesem Grunde haben wir uns entschlossen, da den Bagger zum Einsatz zu bringen."
In einem Gebäudekomplex an der Heussallee haben die Archäologen ihr Domizil aufgeschlagen. Im Keller stapeln sich die Kästen mit den Funden: Scherben, Knochen und Steine. Die toten Gegenstände können Geschichten erzählen, zum Beispiel wie sich bestimmte Stilelemente im Laufe der Jahrhunderte verändert haben. Peter Henrich:
"Wir haben hier also zwei Ausgüsse von Keramikschüsseln, und diese Ausgüsse wurden in Löwenkopf-Form gestaltet. Und man erkennt ganz gut, dass zu Beginn der Löwenkopf noch sehr schön und sehr vollplastisch ausgestaltet worden ist, und im Laufe des dritten und frühen vierten Jahrhunderts wird dieser Löwenkopf immer mehr sozusagen verballhornt, das heißt die Ohren werden immer größer, das Gesicht wird immer spitzer, immer maushafter im Prinzip. Und so erkennt man auch eine chronologische Entwicklung von einer sehr guten Qualität bis hin zu der eher schon fast satirehaften Darstellung des Löwen."
Besonders viele Objekte haben die Wissenschaftler in den antiken Müllgruben gefunden, ein Querschnitt durch das römische Leben im Vicus. Neben vielen Bruchstücken aus Terra sigillata, dem Porzellan des Altertums, ist in einer Müllgrube auch ein kleiner Bronzeanhänger in Form eines Adlers aufgetaucht. Henrich:
"So haben wir also eine Müllkontinuität vom 5. Jahrtausend vor Christus bis quasi in die letzten Jahre vor unserer Grabungstätigkeit hier."
Denn auch die Akteure der Bonner Republik haben ihren Abfall auf dem Gelände hinterlassen. Unter anderem haben die Archäologen eine ganz besondere Müllgrube entdeckt. Henrich:
"Diese Müllgrube war randvoll mit Schampus-Flaschen und Austernschalen. Das heißt, man hat hier die Reste eines kleinen Gelages ganz dezent im Garten vergraben. Und uns Archäologen bleibt natürlich nichts verborgen, auch solche Relikte können wir feststellen. Diese Grube war zwischen dem Plenarsaal und dem Sitz der Parlamentarischen Gesellschaft etwa auf der Mitte, und einer dieser beiden Gesellschaften ist diese Feier zuzuschreiben."
"Nächster Halt: Römische Vorstadt"
Am Kölner Waidmarkt ist ein sogenannter Gleiswechsel entstanden, wo die Stadtbahnzüge bei einer Störung im Tunnel von einer Röhre in die andere hinübergleiten können. Bei den archäologischen Grabungen sind die Experten hier auf die Überreste jener Vorstadt gestoßen, die im 1. Jahrhundert nach Christus vor den südlichen Mauern der Colonia Claudia Ara Agrippinensium wuchs. Ungefähr hier nahm die Fernstraße ihren Ausgang, die nach Bonn führte. Auf der Höhe des heutigen Waidmarktes haben die Archäologen eine westliche Zubringerstraße auf diese wichtige Nord-Süd-Achse dokumentiert. Das Holz, das dabei verbaut wurde, hat sich im feuchten Boden hervorragend gehalten. Marcus Trier:
"Eine Art Knüppeldamm war dort aufgeschüttet und dann mit Kies überdeckt worden. Und dieser Knüppeldamm, insgesamt aus 200 Hölzern bestehend, konnte sehr genau datiert werden. Das heißt, wir können dort beweisen, dass schon 17 nach Christus im Sinne eines Straßenausbaus, einer Infrastrukturbaumaßnahme Nebenstraßen an die Hauptstraße herangeführt wurden."
Und weil die Wege und Straßen für das Wachstum und Wohlergehen der Stadt unverzichtbar waren, wurden sie auch im Mittelalter noch gepflegt. Das können die Archäologen an den verschiedenen Schichten ablesen, die sich über dem römischen Bauwerk aufgetürmt hatten. Im Gegensatz zu einzelnen Objekten, wie Münzen, Keramik oder Knochen, gehen solche Bodendenkmäler mit der Ausgrabung unwiederbringlich verloren. Der Stadtarchäologe von Köln, Hansgerd Hellenkemper:
"Diese Nord-Süd-U-Bahn-Strecke ist Fluch und Segen der Archäologie zugleich. Fluch weil dort, wo gegraben wird, wo die Bahnhöfe entstehen beispielsweise, nie mehr Archäologie möglich sein wird, weil dort nur noch Beton verbaut zu finden sein wird in den nächsten 100 Jahren. Zum anderen aber werden wir reich beschenkt gegenwärtig mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Entwicklung der Stadt."
Ähnlich sieht es auch Nora Andrikopoulou-Strack, die für die Ausgrabungen im ehemaligen Regierungsviertel in Bonn zuständig ist.
"Archäologie bedeutet kontrollierte Zerstörung der Vergangenheit. Man glaubt immer, das ist das Findeerlebnis. Aber jedes mal, wo man findet, holt man’s aus der Erde raus, holt man den Müll der Römer, den sie reingetan haben, zeichnet, fotografiert und misst diesen Befund. Und dann hat man den überführt im Prinzip in Scherben und Papier. Aber der ist nicht mehr wiederholbar, der ist weg. Es ist so, als ob Sie ein Buch lesen würden und dann, wenn Sie die Seite gelesen haben, einfach sie verbrennen."
Mittlerweile ist es November geworden. Und auf der Grabungsfläche vor dem ehemaligen Bonner Plenarsaal haben die Baufahrzeuge inzwischen Einzug gehalten. Offiziell sollten die archäologischen Arbeiten nun zu Ende sein. Grabungsleiter Cornelius Ulbert hat trotzdem noch alle Hände voll zu tun.
"Aber wie man hier unschwer erkennen kann, haben die Ausschachtungsarbeiten begonnen, und wir treten sozusagen den geordneten Rückzug an. Es wird jetzt hier zunächst die erste Baugrube ausgehoben, und wir arbeiten jetzt noch am Bad und bei den Streifenhäusern, weil dort die Ausschachtungen etwas später beginnen werden."
Die Fundamente der Streifenhäuser haben die Wissenschaftler auf einem kleinen Stück des Geländes gefunden, das durch die Dahlmannstraße von dem Hauptareal abgegrenzt wird. Diese Art von Wohn- und Handwerkhäusern ist charakteristisch für einen Vicus. Ulbert:
"Die stehen hier wie Reihenhäuser eins neben dem anderen, manche haben sogar die gleichen Seitenwände. Was aber sehr interessant ist: dass hier Handwerker gewohnt haben oder auch Kneipen waren. Ganz hier vorne haben wir wahrscheinlich einen Töpfer, da haben wir quasi die Laufscheibe einer Töpferscheibe im vorderen Gebäudeteil gefunden. Und in einem anderen Haus haben wir sogenannte Glashäfen gefunden. Das sind die Tonschalen, in denen Glas geschmolzen wurde. Also war hier wahrscheinlich ein Glasbläser tätig."
Eine antike Einkaufsmeile also? Oder ein römisches Gewerbegebiet? Eine üble Gegend in der Nähe einer Schiffsanlegestelle am Rhein, mit Spelunken für die Arbeiter? Vielleicht ein wenig von allem. Ulbert:
"Man hat hier so einen überdachten Portikus, ja so eine Art überdachten Gehweg, Fußgängerweg gehabt davor. Und in den vorderen Teilen der Häuser waren eben die Kneipen, Handwerker, Verkaufsläden. Im hinteren Teil waren die Wohnbereiche. Und dahinter dann in den Gärten Gruben, Werkstätten oder auch Latrinen. Und ganz vereinzelt hat man auch hier im Vicus ganz am Ende der Gärten auch Tote bestattet."
Auf der anderen Seite stehen noch die Grundmauern des römischen Bades, während der antike Brennofen und die Grundmauern des Monuments bereits – entsorgt wurde. Ulbert:
"Ach, das war das Monument, das wurde – oder hat sich heftig dem Schredder widersetzt und musste als Bauschutt abtransportiert werden. Ja, und den Ofen haben wir kontrolliert zerschnitten und ist normal als Schutt weggefahren worden."
Archäologie als dokumentierte Zerstörung. Kommt da nicht ein wenig Wehmut selbst bei den Profis auf, wenn die Zeugnisse einer vergangenen Ära auf der Bauschuttdeponie landen? Cornelius Ulbert:
"Ja natürlich, wenn man da Monate lang den Ofen frei gelegt hat und das dann alles weg kommt – klar, aber ich meine: Schließlich bezahlt Hyundai dafür, dass die hier ein Baugrundstück bekommen, und so ist das halt – Denkmalpflege."
Immerhin: Das römische Bad wird erhalten bleiben. Als ständiges Ausstellungsstück soll es dem Wellness-Bereich des neuen Hotels einen ganz besonderen Flair verleihen. Und durch eine Glasscheibe auch für die Bonner Bürgerinnen und Bürger weiterhin zu bestaunen sein.
Die Auswertung der Grabung läuft jetzt auf Hochtouren. Michaela Diepenseifen ist für die Dokumentation verantwortlich. Sie gibt alle Beschreibungen, Zeichnungen und Fotos in den Computer ein. Diepenseifen:
"Das ist nachher alles digital in irgendwelchen Listen erfasst. Oder günstigstenfalls in unserer Datenbank dann. Und kann dann auch jederzeit von diesem Gesamtplan, den wir haben, von diesem digitalen Gesamtplan auch abgerufen werden, dass wir dann da was anklicken, eine Struktur meinetwegen, und dann ganz genau wissen, welche Datierung das hat und was an Bearbeitungsschritten mit diesem archäologischen Befund dann geschehen ist."
Ein Trend der Archäologie in den letzten Jahren, besonders wenn die Zeit drängt: Die Wissenschaftler verlagern möglichst viel Arbeit vom Feld ins Büro. Computertechnik hilft ihnen dabei. Während früher viele Grabungsskizzen von Hand angefertigt wurden, arbeiten die Archäologen heutzutage mit einer Digitalkamera. Am Rechner werden die Bilder perspektivisch entzerrt und in eine Karte umgerechnet.
"Nächster Halt: Mittelalterliche Stadtmauer und Preußische Festung"
Die Severinstorburg beherrscht die Kölner Haltestelle Chlodwigplatz. Ein trutziges, turmartiges Gebäude mit einer zinnenbewehrten Krone, ein Überbleibsel der mittelalterlichen Stadtmauer. Begonnen wurde der Bau des Wehrtors im 12. Jahrhundert. Später, im 15. Jahrhundert, errichteten die Kölner dann eine weitere Verteidigungslinie vor der Stadtgrenze. Direkt bei der Severinstorburg stand damals ein massives Bollwerk aus Stein. Marcus Trier:
"Es diente dazu, vor den strategisch besonders empfindlichen und natürlich bedeutenden Toranlagen der Stadt kleine Vorfestungen anzulegen, auf denen man Geschütze aufbauen konnte, denn seit der Mitte des 15. Jahrhunderts gab es schwere Artillerie, und Köln war eine der Städte, die am frühesten auf dieses Problem reagiert haben."
Später dann, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wurde die mittelalterliche Stadtbefestigung geschleift, um die Stadt zu erweitern. Die Severinstorburg und ein kurzes Stück der Stadtmauer blieben zwar stehen, aber die Vorfeldbefestigung verschwand oberhalb der Erde. Jetzt haben die Stadtbahn-Archäologen die Reste im Boden gefunden. Und eine Haltestelle weiter südlich sind sie auf noch jüngere Überreste der Kölner Militärgeschichte gestoßen: Im Jahr 1815 wurde nach dem Wiener Kongress das Rheinland dem preußischen Königreich angegliedert. Und Köln wurde zu einer modernen Festung ausgebaut. Zunächst entstanden einzelne Forts, später ein weiterer Vorgürtel. Nachdem gegen 1880 die mittelalterliche Stadtmauer niedergelegt worden war, ließen die Preußen um die Stadt herum ein System aus Wall und Graben errichten. Marcus Trier:
"Diese Festungsanlagen sind archäologisch bislang kaum erforscht. Wir haben in den letzten zwei Jahren an vier oder fünf Stellen im Stadtgebiet, unter anderem auch im Rahmen der Nord-Süd-Stadtbahn-Archäologie, diese Anlagen erstmals archäologisch genauer untersuchen können. Und insofern ist es ein ganz wichtiger Aufschluss gewesen dort am Bonner Wall, wo die Bonner Friedenstorpassage archäologisch untersucht werden konnte. Es ist der erste große Aufschluss an diesem Stück Kölner Stadtgeschichte."
In Bonn haben die Archäologen ihre Grabungsarbeiten nun abgeschlossen. Ein Jahr soll noch vergehen, bis die Experten ihre Ergebnisse in einem ersten ausführlichen Bericht zusammenstellen. Eines aber ist schon während der Arbeit vor Ort klar geworden: Die bisherigen Vorstellung, ein Vicus sei ein einfaches Straßendorf, wird so nicht mehr haltbar sein. Der Grabungsleiter Cornelius Ulbert:
"Wir haben Holzarchitektur, wir haben Steinarchitektur, wir haben Monumentalarchitektur, wir haben ein Bad, wir haben öffentliche Bereiche, wir haben Straßen, Kanäle, Infrastruktur. Das war für diese Fläche doch schon eine erstaunliche Befundvielfalt."
Nora Andrikopoulou-Strack vom Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege:
"Nachträglich zusammengefasst lehrt diese Grabung einen, dass Vici, wenn sie eine entsprechende Größe haben, durchaus urbanen Charakter haben. Das ist eben halt nicht eine Ansammlung von Hütten aneinander an einer Hauptstraße, sondern es gibt einen öffentlichen Bereich, da hat ein öffentliches Leben stattgefunden, man ist ins Bad gegangen, man ist zum Tempel gegangen. Und wie dieses Monument, das wir noch nicht einordnen können, zeigt: es gibt auch eine monumentale Architektur, die eben zeigt: wir sind wer."
Hatten die Wissenschaftler vor den Ausgrabungen damit gerechnet, dass sich ihnen solch eine Schatztruhe öffnen würde? Andrikopoulou-Strack:
"Archäologie ist immer ein Krimi, und es ist immer eine Lotterie. In diesem Fall eine Schatztruhe? Als Archäologe habe ich ein Problem mit dem Schatz. Aber eine Truhe war’s allemal. Eine Truhe, die man nicht kannte. Und das ist aber immer. Der Boden, wenn Sie den aufmachen, auch wenn Sie klare Vorstellungen haben, was da in etwa kommen wird, der Boden hält immer Überraschungen bereit. Und es war schon ein kleiner Schatz für die Geschichte von Bonn, die wir aufgedeckt haben."
Die beiden anderen Teile der Serie werden gesendet am:
Sonntag, 30. Dezember, 16:35 Uhr
Die Kultur, die aus der Wüste kam
Archäologische Grabungen in der Sahel-Zone
Montag, 31. Dezember, 16:35 Uhr
Von versunkenen Städten und ihren Schätzen
Archäologische Grabungen unter Wasser
"Die Städte unter den Städten
Archäologische Grabungen zwischen Beton und Asphalt
Eine Sendung von Arndt Reuning"
Wenn der Archäologe Marcus Trier in seinem Büro am Fenster steht, kann er die Baustelle am Kurt-Hackenberg-Platz wie von einem Logenplatz aus überblicken. Die Kölner Verkehrs-Betriebe arbeiten hier an einer neuen Stadtbahnlinie, welche vom Bahnhof aus unterirdisch in den Süden der Stadt führen soll.
"Das, was wir jetzt hier offen sehen können, das ist eine etwa 2500 Quadratmeter große Fläche, die durch Betonplatten in Teilen abgedeckt ist. Das ist archäologisch schon untersucht. Das ist keine Haltestelle, sondern ein rein technisch bedingtes Bauwerk, was eben nicht, wie sonst bei der U-Bahn im unterirdischen Tunnelvortrieb abgewickelt werden kann, sondern in einer offenen Baugrube vorgenommen werden muss."
Marcus Trier arbeitet am Römisch-Germanischen Museum, und sein Interesse am Bau der Stadtbahn ist vor allem beruflich bedingt. Denn wenn die Tunnelbaumaschinen, die sich wie riesige Würmer durch den Kiesboden unter der Stadt wühlen, zu den Haltestellen vordringen, dann nähern sie sich historisch bedeutsamen Schichten. In denen die ehemaligen Bewohner die Stadt am Rhein ihre Spuren hinterlassen haben. Marcus Trier trägt die Verantwortung dafür, dass diese Zeugnisse der Vergangenheit nicht ausgelöscht werden. Zusammen mit seinem Chef, dem Direktor des Römisch-Germanischen Museums, Hansgerd Hellenkemper.
"Soweit wir wissen, gibt es keine Stadt in der Bundesrepublik Deutschland, die so gesegnet ist mit archäologischen Zeugnissen, mit einem solchen wunderbaren unterirdischen Archiv wie die Stadt Köln. Archäologische Spuren in Köln reichen 7000 Jahre zurück, aber die wirklich intensive Siedlungsbewegung beginnt unter Kaiser Augustus. Das heißt, vor 2000 Jahren wird diese Stadt gegründet, und sie verändert ihren Platz nicht mehr. Schicht um Schicht wächst diese Stadt hoch, und das ist das, was wir heute im Untergrund sehen."
Die archäologischen Untersuchungen zum Kölner Stadtbahn-Projekt stellen den bisher größten Eingriff in das unterirdische Archiv der Stadt Köln dar. Insgesamt zehn Grabungsflächen reihen sich an der gut vier Kilometer langen Trasse auf, ungefähr drei Fußballfelder groß ist die Gesamtfläche für die archäologischen Untersuchungen. An manchen Stellen sind die historisch gewachsenen Schichten bis zu fünfzehn Meter dick. Die Arbeiten haben im Jahr 2004 begonnen und werden erst 2009 beendet sein. Die Zeit, welche die Archäologen im Archiv verbracht haben, noch bevor die erste Schaufel Erdboden gehoben wurde, gar nicht eingerechnet. Selbst in ganz Europa zählt das Kölner Stadtbahn-Projekt zu den größten archäologischen Grabungen in einer Metropole. Dabei stellt jede einzelne Untersuchungsfläche die Wissenschaftler vor neue Herausforderungen. Jede Haltestelle gibt Einblick in eine andere Episode der Stadtgeschichte. Der Weg der Trasse durch die Stadt markiert zugleich den geschichtlichen Wandel, den Köln in den vergangenen 2000 Jahren durchlebt hat. Marcus Trier:
"In der Innenstadt ist es natürlich die römische Stadt, die mittelalterliche Stadt. Im Süden berühren wir eben die sogenannte zweite mittelalterliche Stadterweiterung am Chlodwigplatz von 1180, weiter südlich berühren wir die preußischen Festungswerke des späten 19. Jahrhunderts. Aber wir unterscheiden zunächst einmal von der Bedeutung nicht in "römisch ist wichtiger als 19. Jahrhundert", sondern alle archäologischen Bodendenkmäler werden mit gleicher Akribie und Sorgfalt untersucht. Denn alle sind historische Zeugnisse städtischer Geschichte."
Und diese Geschichte hoffen die Archäologen nun ein Stückchen weiter enthüllen zu können. Hansgerd Hellenkemper:
"Eine der zentralen Fragen an die Kölner Geschichte sind Entwicklungsfragen. Nämlich wie verändert sich die römische Stadt im Frühmittelalter und auch zum Hochmittelalter hin? Welche Flächen werden vergrößert? Welche Bauten werden neu errichtet? Was benutzt man aus dem Altertum? Beispielsweise hat ja Köln keinen eigenen Stein. Jeder Stein, jeder Naturstein in Köln in römischer Zeit wie im Mittelalter muss von außen nach Köln eingeführt werden. Das ist schon ein ungeheurer wirtschaftlicher Aspekt."
Bonn im Sommer 2006. Während die Archäologen in Köln sich durch die historischen Schichten der zukünftigen Stadtbahn-Haltestellen wühlen, haben ihre Kollegen in Bonn ein Grundstück im ehemaligen Regierungsviertel in eine braune Fläche verwandelt, die einem frisch umgebrochenen Acker gleicht. Genau vor dem einstigen Plenarsaal des Bundestags.
"Dort gegenüber haben Sie einmal die alte Akademie, die nachher zum Bundesrat geworden ist. Und das alte Bundespresseamt sehen Sie auf der anderen Seite, in der Mitte halt unsere riesige Grabung. Und wenn wir jetzt hier um die Ecke gucken könnten, könnten wir den Langen Eugen und den neuesten Posttower sehen."
Nora Andrikopoulou-Strack vom Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege. Die Institution gehört zum Landschaftsverband Rheinland und ist für die Ausgrabungen auf diesem Areal zuständig. In römischer Zeit stand hier ein kleines Dorf, ein Vicus, ein gutes Stück südlich des Heerlagers Castra Bonnensia mit seiner Vorstadt, Canabae genannt. Die beiden lagen ungefähr dort, wo sich heute die Bonner Innenstadt befindet. Genauso wie in Köln arbeiten die Archäologen in Bonn vor den Schaufeln des Bautrupps her. Hier im ehemaligen Regierungsviertel sollen ein Kongresszentrum und ein Hotel in die Höhe gezogen werden. Und deshalb müssen die Archäologen zunächst in die Tiefe gehen. Genau wie in der Domstadt haben sie eine ungewöhnlich große Fläche zu beackern, ungefähr vier Fußballfelder. Hier aber an einem einzigen Ort, was besondere Erkenntnisse verspricht, so der Grabungsleiter Cornelius Ulbert.
#"Es ist einfach die zusammenhängende Fläche. Man hat nicht einzelne Puzzleteile, die man mühsam zusammen fügen muss, sondern man hat mehrere Strukturen in Verbindung miteinander."
Von diesen Strukturen sind schon einige ans Tageslicht gelangt. Nur ein paar Meter von einem planwagenartigen Zelt entfernt ragen Fundamente aus weißem Gestein aus dem Erdboden. Ulbert:
"Wenn man sich das Parlament, Bundeshaus, wegdenkt, hat man hier einen wunderbaren freien Blick auf den Rhein und bis auf die andere Seite. Und wir haben jetzt hier an dieser höchsten Stelle des Plateaus einen von uns einfach mal Monument genannten Bau, von dem wir selbst noch nicht so recht wissen, was es ist. Da müssen wir mal in der Literatur nach Vergleichsbeispielen schauen. Wir haben hier massive Pfeilerfundamente, fünf Stück. Dahinter eine Mauer mit einer Nische und dahinter wieder vier kleinere Pfeiler. Leider ist das Gebäude, der Bau, nach beiden Seiten hin gestört. Auf beiden Seiten standen Häuser bzw. war ein Weg, so dass wir gar nicht wissen, wie groß das Gebäude ursprünglich gewesen ist. Wir können nur allein aufgrund der Tatsache der Massivität der Fundamente und der Lage auf den Rhein hin orientiert sagen, dass es ein ganz massiver, repräsentativer Bau gewesen ist."
Von einem gallo-römischen Tempel gleich in der Nachbarschaft zum Monumentalbau sind nur dunkle Verfärbungen in der Erde geblieben. Welche Gottheit hier verehrt wurde, darüber können die Archäologen im Moment nur spekulieren. Ulbert:
"Das kann außer Jupiter kann das nahezu jeder gewesen sein. Es ist nicht der klassische römische Tempel, den man aus Griechenland oder aus Rom kennt, sondern es ist hier eine Mischform, deswegen gallo-römisch, zwischen den gallischen einheimischen Religionen oder Tempeln und einem römischen Tempel."
Östlich des Tempels haben die Wissenschaftler einen römischen Ofen entdeckt, in dem offenbar die Ziegel gebrannt wurden für ein Gebäude in der hinteren Ecke des Geländes. Dort hatten die Bagger zunächst mehrere Meter Erde abgetragen, ganz vorsichtig. In einer ehemaligen Senke sind die Wissenschaftler dann auf die gut erhaltenen Reste eines öffentlichen Bades gestoßen. Ulbert:
"Wir haben jetzt hier unser Badegebäude – ein Badegebäude kann man in jeder noch so kleinen römischen Villa finden. So muss natürlich auch ein Vicus ein Badegebäude haben. Und es besteht mindestens aus drei Räumen: Wir haben hier vorne das so genannte Caldarium, das Heißbad. Dann haben wir hier vorne das Tepidarium, das Warmbad, und hier das Frigidarium, das Kaltbad."
Oberhalb des ehemaligen Bades, an der Abbruchkante über der archäologischen Grabung steht ein weiteres Relikt aus einer vergangenen Ära: der sogenannte Kanzlerkiosk. Ein Verkaufsbüdchen aus den fünfziger Jahren, eine Ikone der Bonner Republik, wo einst Abgeordnete und Bauarbeiter gleichermaßen anstehen mussten. Auch dieses denkmalgeschützte Gebäude muss dem neuen Kongresszentrum weichen und vorerst ins Depot gebracht werden.
Bei all ihren Untersuchungen haben die Archäologen immer ihren engen Zeitplan vor Augen: bis zum 31. Oktober müssen die Arbeiten abgeschlossen sein, dann beginnen die Bauarbeiten.
"Nächster Halt: Römischer Hafen"
Wieder zurück in Köln beim Projekt Nord-Süd-Stadtbahn. Der Archäologe Marcus Trier:
"Der Zeitdruck ist bei jeder archäologischen Rettungsgrabung gegeben, Zeit spielt bei jeder Rettungsgrabung, egal ob es Nord-Süd-Stadtbahn-Archäologie ist oder sonst eine bauvorgreifende Rettungsgrabung im Stadtgebiet, immer eine extrem wichtige Rolle."
Aber nicht nur die Zeit ist knapp bemessen, sondern auch der Raum. Was sich besonders auf den engen und stark befahrenen Straßen in Köln bemerkbar macht. Normalerweise beginnen Archäologen ihre Ausgrabungen an der Oberfläche und arbeiten sich dann immer weiter nach unten in den Boden vor. Bei dem Stadtbahn-Projekt konnten sie sich das nicht immer leisten. Trier:
"Und dort wurde eben nicht immer nur von oben nach unten gegraben, sondern es wurde zum Teil im Tunnelvortrieb unterirdisch gegraben, es wurde unter Deckel unter künstlichem Licht gegraben, es wurde im Drei-Schichten-Betrieb ausgegraben und dokumentiert, zum Teil wurden wie Stollen in den archäologischen Befund hinein gegraben, und dann von der Seite ein Befund untersucht. All das war notwendig, um den Verkehr in der Stadt nicht noch weiter lahm zu legen, der durch die Baumaßnahmen eh schon ungeheuer eingeschränkt ist."
Am Kurt-Hackenberg-Platz sind die Kölner Archäologen für ihre Anstrengungen reichlich belohnt worden. Trier:
"In römischer Zeit verlief hier eine etwa siebzig bis achtzig Meter breite Nebenrinne des Rheins, die im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus als Hafen der römischen Stadt genutzt worden ist, und genau hier an der Stelle zu unseren Füßen quasi ragten in die Baugrube hinein die erhaltenen Reste einer hölzernen Kaianlage, die wir dendrochronologisch untersuchen konnten und die als Fällungsdatum eine Datierung 91/92 nach Christus ergeben hat."
Aus dem 12. Jahrhundert hingegen stammen die Überreste einer Bergkristallwerkstatt. Solch eine Entdeckung hat es in Mitteleuropa bisher noch nicht gegeben. Übrig geblieben ist von der Werkstatt eine Arbeitsgrube, über der auf einem Holzrost die Steine bearbeitet wurden. Die Schleifrückstände fielen durch den Rost in die Grube und bildeten dort Ablagerungen. Trier:
"Hineingefallen sind aber auch zum Teil sogar fertig geschliffene Steine, die man eben aus dem Schlamm nicht mehr heraus gesucht hat. Es sind die Hämmerchen, die man zum Zuschlagen der Steine benutzt hat, hinein gefallen, es sind Bleiplatten, die man zum Polieren der Bergkristalle benutzt hat, hineingefallen, also all das, was im Rahmen der Verarbeitung der Steine benötigt worden ist, ist in den Schlamm hinein geplumpst, und keiner hat sich die Mühe gemacht, es wieder heraus zu suchen."
Eher zu den Kuriositäten gehört der Fund eines Nashornschädels, welcher die Wissenschaftler zunächst vor ein Rätsel stellte: Hatten sie es hier mit einem prähistorischen Fund zu tun oder tatsächlich mit einem Tier aus römischer Zeit, das über die Alpen nach Köln gebracht worden war? Marcus Trier:
"Die naturwissenschaftlichen Untersuchungen, C14-Datierungen, haben ergeben, dass es sich um einen Wollnashornschädel handelt, der etwa 37.000 vor Christus datiert, aber das Spannende daran war: Dieser Schädel hat in römischer Zeit als eine Art Werkbank gedient, und es klebten auch römische Scherben in dem Schädel drin, also irgendein römischer Handwerker hat sich dieses massiven, über 20 kg schweren Schädels als Werkbank in zweiter Verwendung bedient."
In Bonn ist es Herbst geworden. Der Kanzlerkiosk ist mittlerweile ins Depot gewandert und wartet darauf, an einer anderen Stelle neu aufgebaut zu werden. Und auch die Ausgrabung vor dem ehemaligen Bundestagsgebäude nähert sich dem Ende. Der Archäologe Peter Henrich kniet auf dem blanken Erdboden, den er mit einem kleinen Spatel aufmerksam nach Kleinfunden untersucht. Von Zeit zu Zeit senkt ein Bagger seine Schaufel und kratzt vorsichtig die obersten Zentimeter Erde weg. Henrich:
"Normalerweise, also bei Forschungsgrabungen, wo man viel Zeit hat, werden diese Schichten ganz sorgfältig von Hand entnommen und nach Funden durchsucht, aber uns fehlt dafür die Zeit, und aus diesem Grunde haben wir uns entschlossen, da den Bagger zum Einsatz zu bringen."
In einem Gebäudekomplex an der Heussallee haben die Archäologen ihr Domizil aufgeschlagen. Im Keller stapeln sich die Kästen mit den Funden: Scherben, Knochen und Steine. Die toten Gegenstände können Geschichten erzählen, zum Beispiel wie sich bestimmte Stilelemente im Laufe der Jahrhunderte verändert haben. Peter Henrich:
"Wir haben hier also zwei Ausgüsse von Keramikschüsseln, und diese Ausgüsse wurden in Löwenkopf-Form gestaltet. Und man erkennt ganz gut, dass zu Beginn der Löwenkopf noch sehr schön und sehr vollplastisch ausgestaltet worden ist, und im Laufe des dritten und frühen vierten Jahrhunderts wird dieser Löwenkopf immer mehr sozusagen verballhornt, das heißt die Ohren werden immer größer, das Gesicht wird immer spitzer, immer maushafter im Prinzip. Und so erkennt man auch eine chronologische Entwicklung von einer sehr guten Qualität bis hin zu der eher schon fast satirehaften Darstellung des Löwen."
Besonders viele Objekte haben die Wissenschaftler in den antiken Müllgruben gefunden, ein Querschnitt durch das römische Leben im Vicus. Neben vielen Bruchstücken aus Terra sigillata, dem Porzellan des Altertums, ist in einer Müllgrube auch ein kleiner Bronzeanhänger in Form eines Adlers aufgetaucht. Henrich:
"So haben wir also eine Müllkontinuität vom 5. Jahrtausend vor Christus bis quasi in die letzten Jahre vor unserer Grabungstätigkeit hier."
Denn auch die Akteure der Bonner Republik haben ihren Abfall auf dem Gelände hinterlassen. Unter anderem haben die Archäologen eine ganz besondere Müllgrube entdeckt. Henrich:
"Diese Müllgrube war randvoll mit Schampus-Flaschen und Austernschalen. Das heißt, man hat hier die Reste eines kleinen Gelages ganz dezent im Garten vergraben. Und uns Archäologen bleibt natürlich nichts verborgen, auch solche Relikte können wir feststellen. Diese Grube war zwischen dem Plenarsaal und dem Sitz der Parlamentarischen Gesellschaft etwa auf der Mitte, und einer dieser beiden Gesellschaften ist diese Feier zuzuschreiben."
"Nächster Halt: Römische Vorstadt"
Am Kölner Waidmarkt ist ein sogenannter Gleiswechsel entstanden, wo die Stadtbahnzüge bei einer Störung im Tunnel von einer Röhre in die andere hinübergleiten können. Bei den archäologischen Grabungen sind die Experten hier auf die Überreste jener Vorstadt gestoßen, die im 1. Jahrhundert nach Christus vor den südlichen Mauern der Colonia Claudia Ara Agrippinensium wuchs. Ungefähr hier nahm die Fernstraße ihren Ausgang, die nach Bonn führte. Auf der Höhe des heutigen Waidmarktes haben die Archäologen eine westliche Zubringerstraße auf diese wichtige Nord-Süd-Achse dokumentiert. Das Holz, das dabei verbaut wurde, hat sich im feuchten Boden hervorragend gehalten. Marcus Trier:
"Eine Art Knüppeldamm war dort aufgeschüttet und dann mit Kies überdeckt worden. Und dieser Knüppeldamm, insgesamt aus 200 Hölzern bestehend, konnte sehr genau datiert werden. Das heißt, wir können dort beweisen, dass schon 17 nach Christus im Sinne eines Straßenausbaus, einer Infrastrukturbaumaßnahme Nebenstraßen an die Hauptstraße herangeführt wurden."
Und weil die Wege und Straßen für das Wachstum und Wohlergehen der Stadt unverzichtbar waren, wurden sie auch im Mittelalter noch gepflegt. Das können die Archäologen an den verschiedenen Schichten ablesen, die sich über dem römischen Bauwerk aufgetürmt hatten. Im Gegensatz zu einzelnen Objekten, wie Münzen, Keramik oder Knochen, gehen solche Bodendenkmäler mit der Ausgrabung unwiederbringlich verloren. Der Stadtarchäologe von Köln, Hansgerd Hellenkemper:
"Diese Nord-Süd-U-Bahn-Strecke ist Fluch und Segen der Archäologie zugleich. Fluch weil dort, wo gegraben wird, wo die Bahnhöfe entstehen beispielsweise, nie mehr Archäologie möglich sein wird, weil dort nur noch Beton verbaut zu finden sein wird in den nächsten 100 Jahren. Zum anderen aber werden wir reich beschenkt gegenwärtig mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Entwicklung der Stadt."
Ähnlich sieht es auch Nora Andrikopoulou-Strack, die für die Ausgrabungen im ehemaligen Regierungsviertel in Bonn zuständig ist.
"Archäologie bedeutet kontrollierte Zerstörung der Vergangenheit. Man glaubt immer, das ist das Findeerlebnis. Aber jedes mal, wo man findet, holt man’s aus der Erde raus, holt man den Müll der Römer, den sie reingetan haben, zeichnet, fotografiert und misst diesen Befund. Und dann hat man den überführt im Prinzip in Scherben und Papier. Aber der ist nicht mehr wiederholbar, der ist weg. Es ist so, als ob Sie ein Buch lesen würden und dann, wenn Sie die Seite gelesen haben, einfach sie verbrennen."
Mittlerweile ist es November geworden. Und auf der Grabungsfläche vor dem ehemaligen Bonner Plenarsaal haben die Baufahrzeuge inzwischen Einzug gehalten. Offiziell sollten die archäologischen Arbeiten nun zu Ende sein. Grabungsleiter Cornelius Ulbert hat trotzdem noch alle Hände voll zu tun.
"Aber wie man hier unschwer erkennen kann, haben die Ausschachtungsarbeiten begonnen, und wir treten sozusagen den geordneten Rückzug an. Es wird jetzt hier zunächst die erste Baugrube ausgehoben, und wir arbeiten jetzt noch am Bad und bei den Streifenhäusern, weil dort die Ausschachtungen etwas später beginnen werden."
Die Fundamente der Streifenhäuser haben die Wissenschaftler auf einem kleinen Stück des Geländes gefunden, das durch die Dahlmannstraße von dem Hauptareal abgegrenzt wird. Diese Art von Wohn- und Handwerkhäusern ist charakteristisch für einen Vicus. Ulbert:
"Die stehen hier wie Reihenhäuser eins neben dem anderen, manche haben sogar die gleichen Seitenwände. Was aber sehr interessant ist: dass hier Handwerker gewohnt haben oder auch Kneipen waren. Ganz hier vorne haben wir wahrscheinlich einen Töpfer, da haben wir quasi die Laufscheibe einer Töpferscheibe im vorderen Gebäudeteil gefunden. Und in einem anderen Haus haben wir sogenannte Glashäfen gefunden. Das sind die Tonschalen, in denen Glas geschmolzen wurde. Also war hier wahrscheinlich ein Glasbläser tätig."
Eine antike Einkaufsmeile also? Oder ein römisches Gewerbegebiet? Eine üble Gegend in der Nähe einer Schiffsanlegestelle am Rhein, mit Spelunken für die Arbeiter? Vielleicht ein wenig von allem. Ulbert:
"Man hat hier so einen überdachten Portikus, ja so eine Art überdachten Gehweg, Fußgängerweg gehabt davor. Und in den vorderen Teilen der Häuser waren eben die Kneipen, Handwerker, Verkaufsläden. Im hinteren Teil waren die Wohnbereiche. Und dahinter dann in den Gärten Gruben, Werkstätten oder auch Latrinen. Und ganz vereinzelt hat man auch hier im Vicus ganz am Ende der Gärten auch Tote bestattet."
Auf der anderen Seite stehen noch die Grundmauern des römischen Bades, während der antike Brennofen und die Grundmauern des Monuments bereits – entsorgt wurde. Ulbert:
"Ach, das war das Monument, das wurde – oder hat sich heftig dem Schredder widersetzt und musste als Bauschutt abtransportiert werden. Ja, und den Ofen haben wir kontrolliert zerschnitten und ist normal als Schutt weggefahren worden."
Archäologie als dokumentierte Zerstörung. Kommt da nicht ein wenig Wehmut selbst bei den Profis auf, wenn die Zeugnisse einer vergangenen Ära auf der Bauschuttdeponie landen? Cornelius Ulbert:
"Ja natürlich, wenn man da Monate lang den Ofen frei gelegt hat und das dann alles weg kommt – klar, aber ich meine: Schließlich bezahlt Hyundai dafür, dass die hier ein Baugrundstück bekommen, und so ist das halt – Denkmalpflege."
Immerhin: Das römische Bad wird erhalten bleiben. Als ständiges Ausstellungsstück soll es dem Wellness-Bereich des neuen Hotels einen ganz besonderen Flair verleihen. Und durch eine Glasscheibe auch für die Bonner Bürgerinnen und Bürger weiterhin zu bestaunen sein.
Die Auswertung der Grabung läuft jetzt auf Hochtouren. Michaela Diepenseifen ist für die Dokumentation verantwortlich. Sie gibt alle Beschreibungen, Zeichnungen und Fotos in den Computer ein. Diepenseifen:
"Das ist nachher alles digital in irgendwelchen Listen erfasst. Oder günstigstenfalls in unserer Datenbank dann. Und kann dann auch jederzeit von diesem Gesamtplan, den wir haben, von diesem digitalen Gesamtplan auch abgerufen werden, dass wir dann da was anklicken, eine Struktur meinetwegen, und dann ganz genau wissen, welche Datierung das hat und was an Bearbeitungsschritten mit diesem archäologischen Befund dann geschehen ist."
Ein Trend der Archäologie in den letzten Jahren, besonders wenn die Zeit drängt: Die Wissenschaftler verlagern möglichst viel Arbeit vom Feld ins Büro. Computertechnik hilft ihnen dabei. Während früher viele Grabungsskizzen von Hand angefertigt wurden, arbeiten die Archäologen heutzutage mit einer Digitalkamera. Am Rechner werden die Bilder perspektivisch entzerrt und in eine Karte umgerechnet.
"Nächster Halt: Mittelalterliche Stadtmauer und Preußische Festung"
Die Severinstorburg beherrscht die Kölner Haltestelle Chlodwigplatz. Ein trutziges, turmartiges Gebäude mit einer zinnenbewehrten Krone, ein Überbleibsel der mittelalterlichen Stadtmauer. Begonnen wurde der Bau des Wehrtors im 12. Jahrhundert. Später, im 15. Jahrhundert, errichteten die Kölner dann eine weitere Verteidigungslinie vor der Stadtgrenze. Direkt bei der Severinstorburg stand damals ein massives Bollwerk aus Stein. Marcus Trier:
"Es diente dazu, vor den strategisch besonders empfindlichen und natürlich bedeutenden Toranlagen der Stadt kleine Vorfestungen anzulegen, auf denen man Geschütze aufbauen konnte, denn seit der Mitte des 15. Jahrhunderts gab es schwere Artillerie, und Köln war eine der Städte, die am frühesten auf dieses Problem reagiert haben."
Später dann, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wurde die mittelalterliche Stadtbefestigung geschleift, um die Stadt zu erweitern. Die Severinstorburg und ein kurzes Stück der Stadtmauer blieben zwar stehen, aber die Vorfeldbefestigung verschwand oberhalb der Erde. Jetzt haben die Stadtbahn-Archäologen die Reste im Boden gefunden. Und eine Haltestelle weiter südlich sind sie auf noch jüngere Überreste der Kölner Militärgeschichte gestoßen: Im Jahr 1815 wurde nach dem Wiener Kongress das Rheinland dem preußischen Königreich angegliedert. Und Köln wurde zu einer modernen Festung ausgebaut. Zunächst entstanden einzelne Forts, später ein weiterer Vorgürtel. Nachdem gegen 1880 die mittelalterliche Stadtmauer niedergelegt worden war, ließen die Preußen um die Stadt herum ein System aus Wall und Graben errichten. Marcus Trier:
"Diese Festungsanlagen sind archäologisch bislang kaum erforscht. Wir haben in den letzten zwei Jahren an vier oder fünf Stellen im Stadtgebiet, unter anderem auch im Rahmen der Nord-Süd-Stadtbahn-Archäologie, diese Anlagen erstmals archäologisch genauer untersuchen können. Und insofern ist es ein ganz wichtiger Aufschluss gewesen dort am Bonner Wall, wo die Bonner Friedenstorpassage archäologisch untersucht werden konnte. Es ist der erste große Aufschluss an diesem Stück Kölner Stadtgeschichte."
In Bonn haben die Archäologen ihre Grabungsarbeiten nun abgeschlossen. Ein Jahr soll noch vergehen, bis die Experten ihre Ergebnisse in einem ersten ausführlichen Bericht zusammenstellen. Eines aber ist schon während der Arbeit vor Ort klar geworden: Die bisherigen Vorstellung, ein Vicus sei ein einfaches Straßendorf, wird so nicht mehr haltbar sein. Der Grabungsleiter Cornelius Ulbert:
"Wir haben Holzarchitektur, wir haben Steinarchitektur, wir haben Monumentalarchitektur, wir haben ein Bad, wir haben öffentliche Bereiche, wir haben Straßen, Kanäle, Infrastruktur. Das war für diese Fläche doch schon eine erstaunliche Befundvielfalt."
Nora Andrikopoulou-Strack vom Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege:
"Nachträglich zusammengefasst lehrt diese Grabung einen, dass Vici, wenn sie eine entsprechende Größe haben, durchaus urbanen Charakter haben. Das ist eben halt nicht eine Ansammlung von Hütten aneinander an einer Hauptstraße, sondern es gibt einen öffentlichen Bereich, da hat ein öffentliches Leben stattgefunden, man ist ins Bad gegangen, man ist zum Tempel gegangen. Und wie dieses Monument, das wir noch nicht einordnen können, zeigt: es gibt auch eine monumentale Architektur, die eben zeigt: wir sind wer."
Hatten die Wissenschaftler vor den Ausgrabungen damit gerechnet, dass sich ihnen solch eine Schatztruhe öffnen würde? Andrikopoulou-Strack:
"Archäologie ist immer ein Krimi, und es ist immer eine Lotterie. In diesem Fall eine Schatztruhe? Als Archäologe habe ich ein Problem mit dem Schatz. Aber eine Truhe war’s allemal. Eine Truhe, die man nicht kannte. Und das ist aber immer. Der Boden, wenn Sie den aufmachen, auch wenn Sie klare Vorstellungen haben, was da in etwa kommen wird, der Boden hält immer Überraschungen bereit. Und es war schon ein kleiner Schatz für die Geschichte von Bonn, die wir aufgedeckt haben."
Die beiden anderen Teile der Serie werden gesendet am:
Sonntag, 30. Dezember, 16:35 Uhr
Die Kultur, die aus der Wüste kam
Archäologische Grabungen in der Sahel-Zone
Montag, 31. Dezember, 16:35 Uhr
Von versunkenen Städten und ihren Schätzen
Archäologische Grabungen unter Wasser