Martin Zagatta: Autoabgase stehen im Verdacht, Krebs zu erregen, und jährlich sollen es in Deutschland mehr als 10.000 Menschen sein, die vorzeitig sterben, weil sie zu viele Stickoxide einatmen. Dennoch scheren sich die deutschen Städte, so der Vorwurf, wenig um die Grenzwerte. Das allerdings könnte sich jetzt ändern, weil die Kommunen von Gerichten dazu verurteilt werden, Fahrverbote für ältere Diesel auf den Weg zu bringen, jetzt auch in München. Aber warum sind die Kommunen so untätig bisher? Helmut Dedy ist der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages und jetzt am Telefon, guten Morgen, Herr Dedy!
Helmut Dedy: Schönen guten Morgen, Herr Zagatta!
Zagatta: Herr Dedy, was bedeuten denn diese vor Gericht erstrittenen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge für die deutschen Städte, wovon gehen Sie da jetzt aus?
Dedy: Also, wir gingen schon vor der Entscheidung und gehen weiterhin davon aus, dass wir in einzelnen Regionen Deutschlands vielleicht 2018, 2019 Fahrverbote erlassen müssen, weil wir ansonsten nicht in der Lage sein werden, die Stickoxidgrenzwerte einzuhalten.
Zagatta: Wieso müssen das eigentlich immer Gerichte durchsetzen? Wäre das nicht eine selbstverständliche Aufgabe der Kommunen, ihre Bürger vor solchen Giften zu schützen?
"Beim Thema Stickoxide befinden wir uns in einem echten Dilemma"
Dedy: Ja, das ist unsere Aufgabe und der stellen wir uns natürlich auch. Nur, wenn Sie das Thema Stickoxide nehmen, dann müssen Sie sehen, dass wir uns da in einem echten Dilemma befinden. Wenn wir dem Gesundheitsschutz Rechnung tragen und Fahrverbote flächendeckend erlassen, dann legen wir die Städte lahm. Also brauchen wir einen Mix. Wir müssen die Einhaltung der Werte sicherstellen und wir müssen dafür sorgen, dass wir mit diesen Instrumentarien, die wir haben, vernünftig umgehen. Und das jetzige Instrumentarium reicht nicht. Wenn Sie sich die Entscheidung des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs ansehen, dann steht da ja drin, dass wir bisher die rechtliche Möglichkeit noch gar nicht haben, und dann sind wir beim Stichwort blaue Plakette. Also, wenn wir über Fahrverbote sprechen, dann müssen wir auch über die Frage sprechen: Wie kriegen wir die praktisch umgesetzt? Und da fehlt uns bisher noch das richtige Instrument. Und das ist keine Sache der Kommunalpolitik, sondern das ist eine Sache der Bundespolitik.
Zagatta: Aber dennoch, Sie haben doch so eine Art, wenn ich Sie recht verstanden habe, Fürsorgepflicht für Ihre Einwohner. Wenn Sie da von einem Dilemma sprechen: Sind das gleichwertige Interessen, dass Autos oder Autofahrer da in die Stadt einfahren können, oder ist die Gesundheit der Bürger nicht wichtiger? Kann man das irgendwie, wenn Sie sagen Dilemma, kann man das als gleichwertig ansehen?
Dedy: Nein, das würde ich auf keinen Fall als gleichwertig ansehen. Wir tun doch eine ganze Menge. Es gibt Luftreinhaltepläne für jede Großstadt. In diesen Luftreinhalteplänen ist geregelt, dass wir den Verkehrsfluss verstetigen, da ist geregelt, dass wir Busse und Bahnen weiter ausbauen, da geht es auch um die Antriebe von Bussen und Bahnen, da ist der Radverkehr thematisiert. All das tun wir. Und wenn Sie das mal auf den Feinstaubbereich erstrecken, dann sieht man, dass wir da eine ganze Menge Erfolge erzielt haben. Nur, bei Stickoxiden kommen wir an Grenzen, weil da eben die Dieselantriebe uns die Einhaltung der Grenzwerte unmöglich machen. Also, Gesundheitsschutz geht vor, das ist das Prioritäre, völlig klar. Wir versuchen, vor dem Ziel des Gesundheitsschutzes Fahrverbote zu vermeiden, deshalb diese vorrangigen Lösungen, die ich gerade skizziert habe. Aber wenn das nicht reicht, dann wird es in deutschen Großstädten Fahrverbote geben.
Zagatta: Müssen denn die EU-Grenzwerte, die von deutschen Städten offenbar oder von vielen deutschen Städten massiv überschritten werden, müssen diese EU-Grenzwerte eingehalten werden? Oder kann sich da, so wie das im Moment ja fast passiert, jede deutsche Stadt darüber hinwegsetzen?
Dedy: Das setzen sich die deutschen Städte ja nicht drüber hinweg. In den Luftreinhalteplänen ist sichergestellt, dass die Grenzwerte eingehalten werden sollen, das ist das Ziel.
Zagatta: Aber die Praxis sieht anders aus.
Dedy: Die Praxis sieht derzeit noch anders aus, in 28 Regionen in Deutschland werden diese Grenzwerte dauerhaft gerissen. Und deshalb sind wir jetzt an dem Punkt, dass wir sagen: Ja, wir gehen davon aus, dass wir zu Fahrverboten kommen werden. Nur, wenn Sie die eine Seite sehen, dann müssen Sie eben auch die andere Seite sehen: Wir wollen ja auch für die Menschen die Städte lebendig halten, also beide Ziele nach Möglichkeit erreichen. Wenn wir nur Gesundheitsschutz erreichen können mit Fahrverboten, dann wird es Fahrverbote geben.
Zagatta: Empfehlen Sie denn als Dachverband der Deutschen Städte, jetzt Fahrverbote da einzuführen? Oder muss man sich das jeweils für jede Stadt erklagen?
Dedy: Na, Sie klagen ja gar nicht gegen die Stadt. Wenn Sie sich das bayrische Verfahren angucken, da ist der Freistaat Bayern der Beklagte. Der Freistaat Bayern wird jetzt mit den Münchnern gemeinsam, mit der Stadt das Luftreinhalteprogramm für München nachbessern müssen …
Zagatta: Aber Entschuldigung, die Strafzahlungen drohen doch den Städten?
Dedy: Nein, die drohen nicht den Städten.
Zagatta: Nein?
Dedy: Nein, die drohen in Bayern … Also, wenn Sie sich den Beschluss anschauen, dann droht die Strafzahlung dem Freistaat Bayern, nicht der Stadt.
Zagatta: Und so ist es auch europäisches Recht, da würden die Städte nicht belangt?
"Uns wäre die Einführung der blauen Plakette lieb"
Dedy: Die Städte sind da erst mal nicht dran, nein, sondern es ist eine Sache der zuständigen Stellen, die die Luftreinhaltepläne machen müssen. So, und das ist eine Frage jetzt konkret in Bayern, des Freistaates Bayern, und der wird jetzt mit den Münchnern in Gespräche eintreten, wie können wir das hinbekommen? Und der wird – so hat das Gericht entschieden – auch sagen müssen, dass man zu Fahrverboten kommen muss, wenn andere vorrangige Möglichkeiten nicht mehr ausreichen.
Zagatta: Wieso geht das so langsam? Haben Sie auch den Eindruck oder täuscht das, dass die deutsche Politik da sehr untätig ist?
Dedy: Ja, ich glaube, dass ein Problem darin besteht, dass viele sagen, wir wollen keine Fahrverbote. Das sagen ja auch prominente Mitglieder der Bundesregierung. Das ist nur keine Politik, zu sagen, ich will keine Fahrverbote, sondern Politik wäre es zu sagen: Wenn ich nicht drum herum komme – und das sieht ja offenbar so aus –, dann muss ich ein Instrumentarium schaffen, mit dem wir das umsetzen können. Also, ein Fahrverbot macht nur Sinn, wenn ich es kontrollieren kann. Und das kann ich im Moment mit dem, was wir haben, nicht, dafür brauchen wir eine Kennzeichnungspflicht. Und deshalb sagen wir ja auch: Uns wäre die Einführung der blauen Plakette lieb.
Zagatta: Da fühlen Sie sich im Stich gelassen oder …
Dedy: Ja, ich finde, das ist nicht unser Thema. Also, das wird bei uns abgeladen, die Verkehrspolitik sagt, wir wollen keine Fahrverbote, die Umweltpolitik sagt, haltet mal bitte die Grenzwerte ein! Das muss schon miteinander verzahnt werden, das muss schon abgestimmt werden. Und da glaube ich schon, dass sich da in der nächsten Zeit auch was tun wird. Wenn Sie nach Stuttgart schauen, Stuttgart sagt: 2017 vielleicht das letzte Jahr, in dem es noch freiwillig geht. Wenn Sie nach München schauen, da sagt der Verwaltungsgerichtshof: Bis Ende 2017 muss das eingeführt werden. Also, wir kommen jetzt in die Phase, wo es nicht mehr darum geht, gibt es Fahrverbote, sondern wo es darum geht, wie werden wir Fahrverbote umsetzen können? Und dann bin ich eben in der praktischen Anwendung und das ist dann auch tatsächlich mit unser Job, dass in den Städten entschieden wird: Wie kann ich das machen, welche Ausnahmeregelungen muss ich treffen und wie kann ich sicherstellen, dass ich die Gesundheit der Menschen schütze?
Zagatta: Zumal eine emnid-Umfrage ergibt … Also, Sie haben ja darauf hingewiesen, die Politik wolle das nicht. Eine EMNID-Umfrage sagt, dass 60 Prozent der Deutschen für Fahrverbote für besonders schmutzige Diesel sind mittlerweile. Erleben Sie den Druck da in Ihren Städten, ja?
Dedy: Ja klar erleben wir den Druck. Es ist … Immer wenn Sie ein sensibles Thema haben, wie in diesem Fall Gesundheitsschutz, dann wird das natürlich bei den Rathäusern oder in den Rathäusern abgeladen. So, und da gehört es im Grundsatz auch hin. Nur, wenn wir damit umgehen sollen in den Städten, dann brauchen wir auch die Möglichkeit, das vernünftig und praktikabel zu gestalten. Und da fühle ich mich dann tatsächlich von der Bundespolitik im Moment im Stich gelassen.
Zagatta: Helmut Dedy, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Dedy, danke für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.