Philipp May: Der eben schon angesprochene Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, hat schon mitgehört und ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Helmut Dedy: Schönen guten Morgen, Herr May.
May: War das ein guter Tag für alle Stadtbewohner?
May: Schwierige Frage. Es war insofern ein guter Tag, als wir jetzt ein bisschen mehr Klarheit haben, und es war vielleicht auch ein guter Tag, weil das Bundesverwaltungsgericht gesagt hat, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der spielt eine große Rolle, und das ist, glaube ich, keine so schlechte Botschaft.
May: Aber die Städte dürfen de facto jetzt Fahrverbote erlassen. Das war auch die große Eilmeldung, die gestern kam. Dann müssten Sie sich eigentlich freuen über das Urteil, wenn Sie was dürfen?
Dedy: Na ja. Die beiden ganz konkreten Fälle, Stuttgart und Düsseldorf, da ist es jetzt so, dass die Länder die Luftreinhaltepläne fortschreiben müssen, weiterentwickeln müssen, und sie müssen auch klären, ob Fahrverbote nötig sind. Und wenn die Fahrverbote nötig sind, dann werden wir sie umsetzen müssen, und da kann man nur sagen, wir haben im Moment überhaupt nicht das Instrumentarium dazu. Also es macht nicht so richtig Freude, etwas zu dürfen, es dann aber vielleicht praktisch nicht zu können. Das ist nicht die Ideallösung.
May: Das heißt, es geht nur mit der blauen Plakette, die die Bundesregierung beziehungsweise dort vor allem die Union partout nicht einführen will?
Dedy: Wir haben bei der Umsetzung der Entscheidung, glaube ich, im Praktischen zwei Probleme. Einmal sagt das Bundesverwaltungsgericht, Streckensperrungen können gehen. Das ist das, was ja Hamburg gestern auch schon angekündigt hat als Reaktion darauf.
May: Ja, Max-Brauer-Allee. Die kenne ich, in der Nähe habe ich mal gewohnt. Da steht zufällig eine Messstation.
Dedy: Und dann sperren Sie diese Strecke und das heißt, der Verkehr sucht sich Ausweichwege.
"Wir brauchen eine bundeseinheitliche Regelung"
May: Das würde dann die Königsstraße sein, wo alle ausweichen auf dem Weg nach Altona. Die werden sich freuen, es wird da ganz schön stickig dann.
Dedy: Das ist eine Möglichkeit, oder sie fahren durch die Wohngebiete oder an der Schule vorbei. Das macht eigentlich überhaupt keinen rechten Sinn, das wird man sich sehr genau angucken müssen, wie das geht.
Und das zweite ist: Wir wissen nach wie vor nicht, was für ein Fahrzeug das ist, wenn es auf uns zugefahren kommt. Ist das ein Diesel, ist das ein Benziner, das ist unbekannt. Deshalb braucht es eine Kennzeichnung und wir brauchen, glaube ich, eine bundeseinheitliche Regelung. Es ist keine schöne Vorstellung, dass Sie mit einem Diesel in Deutschland unterwegs sind, und Sie wissen nicht, in welche Stadt dürfen Sie und in welche Stadt dürfen Sie nicht.
May: Es ist ja gut, dass Sie das fordern. Was machen Sie, wenn sich die Bundesregierung weiterhin verweigert?
Dedy: Die Bundesregierung wird sich nicht weiterhin verweigern können. Ich denke, dass der Hinweis des Bundesverwaltungsgerichts zu sagen, die Euro-vier-Diesel müssen früher aus den Städten raus als die Euro fünf, dass das ein ganz klarer Fingerzeig ist, dass die Bundesregierung mit der Autoindustrie deutlicher sprechen muss. Die muss denen sagen, ihr habt das angerichtet, ihr müsst das jetzt ausbaden, und natürlich auch auf Kosten der Autoindustrie, nicht auf Kosten der Leute, die die Fahrzeuge gekauft haben.
Bei der blauen Plakette, da bin ich mir auch relativ sicher, dass die Bundesregierung kein Interesse daran hat, einen Flickenteppich in Deutschland zu haben. Wir fordern schon seit zwei Jahren die blaue Plakette. Bisher haben sie da nicht nachgegeben. Ich bin zuversichtlich, dass das Urteil jetzt diese Diskussion noch mal neu beleben wird.
May: Wir haben gerade schon Jürgen Resch von der Umwelthilfe gehört. Der hat schon angekündigt, klagen zu wollen, sollten die neuen Luftreinhaltepläne, die jetzt angepasst werden müssen, nicht eingehalten werden. Sie gehen auch davon aus, dass es jetzt in den bis zu 70 Städten tatsächlich dann irgendwann zu Fahrverboten kommt über die Zeit?
Dedy: Na ja, wir müssen bei den 70 Städten differenzieren, wie die Grenzwerte gerissen werden. Wir haben Städte, da liegt der 40er-Grenzwert praktisch bei 80, in anderen liegt er bei 42. Wenn ich eine Stadt habe, wo 42, 43 Mikrogramm auftreten, da werde ich das wahrscheinlich noch hinbekommen, auf unter 40 zu kommen. Aber bei den richtig schwierigen Fällen, da wird das nicht gehen und da werden wir um Fahrverbote nicht drum herumkommen.
May: Sie glauben auch, ohne diese Hardware-Nachrüstung, die Sie ja gerade schon gefordert haben, wird es partout nicht gehen. Das, was die Autoindustrie sagt, dass das mit den Software-Updates reicht, unter diese Grenzwerte zu kommen, das halten Sie auch für Augenwischerei?
Dedy: Was mich sehr nachdenklich macht ist, dass die Bundesregierung bisher die Ergebnisse nicht vorlegt. Sie sagt zwar, bei wie vielen Fahrzeugen gab es Software-Updates, aber sie sagt nicht, welche Wirkung hat das denn. Und an den Messstationen sehen wir bisher keine Wirkung der Software-Updates. Alles spricht dafür, dass das nicht ausreichend ist, und dann müssen Filteranlagen rein, dann muss Hardware nachgerüstet werden. Und wenn das kostet – ich wiederhole mich -, dann muss die Autoindustrie dort gefragt werden.
"Wenn der Bund nichts tut, sind die Dieselfahrer die Dummen"
May: Sie können das fordern, aber wenn der Bund nichts tut, dann sind Sie am Ende die Dummen.
Dedy: Ja! Wenn der Bund nichts tut, dann sind erst mal die ganzen Dieselfahrer die Dummen. Das ist ja vielleicht auch nicht ganz unwichtig. Wenn die Fahrverbote hinterher bei uns landen, wir sie umsetzen müssen, und wir kriegen das Instrumentarium nicht, dann wird man diese Diskussion weiterhin führen müssen. Es kann nicht gehen, dass die Bundesregierung über längere Zeit die Realität nicht zur Kenntnis nehmen will, immer sagt, ich will keine Fahrverbote. Das ist nicht entscheidend, ob die Bundesregierung Fahrverbote will. Wir haben gestern gesehen, dass Gerichte mit auf dem Spielfeld sind, und die entscheiden halt anders und das wird die Bundesregierung zur Kenntnis nehmen müssen.
May: Das ist ja eine eindeutige Kritik, die Sie gerade üben in Richtung der Bundesregierung. Haben Sie denn eine Erklärung dafür, dass die Bundesregierung das nicht zur Kenntnis nimmt?
Dedy: Ich vermute, dass sie gerne nicht mit Fahrverboten in Verbindung gebracht werden möchten. Das verstehe ich auch. Es gibt keine Stadt, die Fahrverbote will oder Fahrverbote sucht. Nur, wenn sie kommen wie in diesem Fall, dann wird man die Realität zur Kenntnis nehmen müssen und dann wird man das praktikabel machen müssen. Das ist sicherlich auch im Interesse der Bundesregierung.
May: Praktikabel hieße dann blaue Plakette. – Jetzt muss man natürlich auch fragen: Wo ist eigentlich die Verantwortung der Städte? Auch Sie wussten ja, dass die EU-Grenzwerte seit ihrer Einführung 2010 Jahr für Jahr überschritten werden.
Dedy: Ja. Wir sind natürlich auch verantwortlich für die Luftreinhaltung in den Städten. Ich möchte daran erinnern, dass wir bei der Feinstaubthematik ganz viel erreicht haben. Es gibt faktisch kein Feinstaub-Problem mehr in Deutschland. Bei den Stickoxiden stoßen wir an eine Grenze. 75 Prozent der Stickstoff-Dioxide im Verkehr stammen von Diesel-PKW. Da liegt die Quelle des Problems. Das können wir durch eine Verbesserung der Fuhrparks natürlich kompensieren in Teilen. Das können wir durch Radverkehr, durch Fußgängerverkehr kompensieren. All das haben wir getan, aber wir werden das Kernproblem nicht lösen und das Kernproblem heißt Diesel-PKW, und damit liegt die Verantwortung bei der Autoindustrie.
"Die Bundesregierung hat lange gebraucht, aufzuwachen"
May: Sind Sie das möglicherweise zu spät angegangen?
Dedy: Die Frage kann man hinterher immer stellen. Wir führen diese Diskussion seit über zwei Jahren und die Bundesregierung hat immer mit dem Mantra, wir wollen keine Fahrverbote, reagiert. Ich würde mir nicht den Schuh anziehen wollen, wir waren zu spät, sondern ich würde eher sagen, die Bundesregierung hat lange gebraucht, aufzuwachen.
May: Herr Dedy, es gibt ja mehrere Möglichkeiten für Entlastungen, für weniger Straßenverkehr in den Städten zu sorgen. Es muss ja nicht immer eine blaue Plakette sein. In London zum Beispiel, da wird eine City-Maut für Fahrzeuge erhoben. Das klingt ja auch nach etwas, was man hier durchaus mal als Alternative durchdenken könnte. Wird über solche Maßnahmen bei Ihnen auch diskutiert?
Dedy: Ja, darüber wird diskutiert. Wir haben vor etwa einem Jahr uns intensiv mit der Frage dieser Finanzierungsmodelle befasst und haben gesagt, wenn eine einzelne Stadt das machen möchte, dann muss sie das machen können. Diese Option, diese Experimentierklausel, die muss es geben. Wir haben bisher noch keine Stadt in Deutschland, die sagt, ich gehe diesen Weg. Aber auch diese Debatte werden wir auch jetzt heute in Lübeck noch mal intensiver führen müssen.
May: Helmut Dedy war das, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Herr Dedy, vielen Dank für das Gespräch.
Dedy: Ich danke Ihnen.
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