Die Spitzen der großen Koalition haben sich auf ein Konjunkturpaket verständigt, das dabei helfen soll, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu bewältigen. Unter anderem sollen Kommunen durch einen Ausgleich für Ausfälle bei Gewerbesteuereinnahmen entlastet. Eine Übernahme der kommunalen Altschulden konnte die SPD nicht durchsetzen.
Der Leipziger Oberbürgermeister und Präsident des deutschen Städtetags Burkhard Jung (SPD) sagte im Dlf, er sei "freudig überrascht" vom Gesamtpaket der Konjunkturmaßnahmen.
Jung begrüßt Mehrwertsteuersenkung und Familienzuschuss
Die Senkung der Mehrwertsteuer beispielsweise könne den Verbraucher entlasten und so die Wirtschaft wieder ankurbeln - "ich denke, das könnte funktionieren, wenn man sieht, wie zurückhaltend die Menschen zurzeit auch im Kaufverhalten sind", sagte Jung. Das Konjunkturpaket sieht vor, den Mehrwertsteuersatz vom 1. Juli bis zum 31. Dezember von 19 auf 16 Prozent und der ermäßigte Satz von 7 Prozent auf 5 Prozent zu senken.
Auch der geplante Familienzuschuss ist aus Singt des Leipziger Oberbürgermeisters "ein gutes, wichtiges Zeichen" und ein Symbol für Familien, dass die Politik Kinder und Eltern wieder in den Blick nehme. Familien sollen pro Kind einmalig 300 Euro erhalten. Der Bonus muss versteuert werden, er wird aber nicht auf die Grundsicherung angerechnet.
Altschulden "bleiben ein Thema"
Dass die SPD sich mit dem Vorschlag der Übernahme der kommunalen Altschulden nicht durchsetzen konnte, bedauert Jung. Rund 2.000 Gemeinden und Städte in Deutschland seien kaum handlungs- und zahlungsfähig. Vor allem Nordrhein-Westfalen müsse sich in Richtung Kommunen bewegen und ihnen eine perspektive bieten: "Alleine werden die Gemeinden das nicht schaffen".
Auch wenn das Problem nicht im Konjunkturpaket gelöst werde, werde es weiter auf der politischen Agenda bleiben, meint Jung. Dass Städte mit geringer Schuldenlast eine Entlastunmg von hoch verschuldeten Kommunen als unfair betrachten könnten, hält der Präseident des Städtetags für überholt: "Wir sollten weg von einer Neiddebatte hin zu einer Entwicklung dieses Landes".
Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Herr Jung, wie glücklich sind Sie denn über das Konjunkturprogramm, das jetzt auf den Weg gebracht wurde?
Burkhard Jung: Offen gestanden: Das ist schon ein beeindruckendes Paket. Ich bin wirklich sehr, sehr freudig überrascht.
Heckmann: Bevor wir zur Lage der Kommunen kommen, das eigentliche Thema beim Gespräch heute mit Ihnen – Sie vertreten ja die deutschen Städte -, kommen wir vielleicht mal zu der Überraschung des Tages, nämlich die Mehrwertsteuer, dass die für ein halbes Jahr abgesenkt wird. Aus Ihrer Sicht ein sinnvoller Schritt?
Jung: Ich habe damit auch nicht gerechnet, aber ich glaube, es ist in der Tat der Versuch, den Verbraucher zu entlasten, damit wirklich wieder Wirtschaft angekurbelt werden kann. Ich denke, das könnte funktionieren, wenn man sieht, wie zurzeit noch sehr zurückhaltend die Menschen auch im Kaufverhalten sind. Ja!
Heckmann: Das kann sich aber auch als Strohfeuer am Ende entpuppen, wenn zum neuen Jahr die Mehrwertsteuer wieder angehoben wird.
Jung: Ja, aber ich glaube, die Kurbel muss angedreht werden. Insofern: Warten wir es ab. Aber insgesamt ist das ja nur ein Baustein in dem Gesamtpaket.
Heckmann: Aber ein teurer! Das kostet 20 Milliarden Euro.
Jung: Das ist wohl wahr. Aber ich muss sagen, insgesamt ist das Paket doch sehr ausgewogen nach allen Richtungen, in Forschung und Entwicklung, kommunale Investitionen, Kultur, Sport, öffentlicher Nahverkehr. Es ist doch ein sehr, sehr ausgewogenes Paket geworden, muss ich sagen. Ich freue mich sehr!
Familienzuschlag ist "ein sehr symbolhaftes Zeichen"
Heckmann: Ein ausgewogenes Paket aus Ihrer Sicht. Ein Punkt darin ist ja der Familienzuschlag. Darüber wurde ja auch im Vorfeld intensiv diskutiert. Jetzt gibt es 300 Euro pro Kind. Denken Sie, dass das den Familien, die vielleicht am meisten zu leiden hatten, wirklich am Ende hilft? Wie ist da Ihre Perspektive?
Jung: Da bin ich unsicher. Aber ich glaube, dass das ein sehr symbolhaftes Zeichen ist, überhaupt Kinder und Familien so in den Blick zu nehmen. Denken Sie, was da zuhause doch in den letzten Monaten weggeschleppt worden ist und in vielen Familien die Situation sich zugespitzt hat in der kleinen Mietwohnung, im Hinblick auf Kurzarbeit, im Hinblick auf Einschränkungen, die man erlebt hat, auch Lohneinbußen. Ich denke mal, das ist ein gutes Zeichen, ein wichtiges Zeichen, dass wir überhaupt Familien und Kinder so in den Blick nehmen.
Heckmann: Ein wichtiges Zeichen, aber ein Symbol, sagten Sie gerade auch. Reicht das aus, ein Symbol den Eltern zu geben in Deutschland?
Jung: Wir müssen uns das Gesamtpaket angucken. Wenn man sich anschaut, wie nach allen Richtungen im Prinzip das öffentliche Leben wieder Gestalt annehmen soll, wie man von der Kultur über den Sport die Entwicklung anschiebt, wie man an den Schul- und an den Kita-Ausbau sogar gedacht hat. Nein, ich möchte mich nicht beschweren, bis aufs Thema Altschulden. Ich bin wirklich sehr angetan und ich glaube, das kann zünden und kann wirken.
"Es bleibt ein Thema, wie wir mit den Altschulden umgehen"
Heckmann: Bis aufs Thema Altschulden. Sie haben das Stichwort selber genannt. Das wollte ich jetzt auch intensiv mit Ihnen besprechen. Finanzminister Olaf Scholz hatte ja gefordert, dass die Altschulden zumindest für die besonders verschuldeten Kommunen übernommen werden sollen durch den Bund. Sie hatten das ja auch gefordert im Vorfeld der Verhandlungen. Das wird es jetzt nicht geben. Also eine schlechte Nachricht für die Kommunen, für die Städte in Deutschland?
Jung: Ich glaube, das Thema bleibt auf der Agenda, weil in der Tat über 2.000 Gemeinden und Städte in Deutschland, wenn man wirklich die Zinslast sich weiterentwickeln sieht und wir aus der Zins-Niedrigphase rauskommen, kaum handlungs- und zahlungsfähig sind. Es bleibt auf der Agenda.
Auf der anderen Seite freue ich mich sehr über die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft – Stichwort Hartz-IV-Kosten, Mietkosten, die wir vor Ort wegtragen müssen. Das ist eine nachhaltige dauerhafte Entlastung gerade der Städte und Gemeinden, die in besonderer Weise Sozialausgaben-Lasten tragen müssen, die bei den Kosten der Unterkunft sehr, sehr stark gebeutelt sind aufgrund von Arbeitslosigkeit und Sozialausgaben. Das ist auch eine Unterstützung für Gemeinden mit Altschulden, bei denen gezielt auf diese besondere soziale Belastung hingewirkt wird. Ich sage mal Licht und Schatten. Insgesamt freue ich mich sehr über diese nachhaltige Entlastung und gleichzeitig weiß ich – und das hat Olaf Scholz, denke ich, auch gestern Nacht deutlich gemacht -, es bleibt ein Thema, wie wir mit den Altschulden von vielen Gemeinden und Städten umgehen.
Heckmann: Bleibt ein Thema, aber bis dato bleiben die hoch verschuldeten Kommunen auf ihren Altschulden sitzen, sind wenig handlungsfähig auch für die Zukunft. Und diese Schulden – so argumentieren jedenfalls die verschuldeten Städte – sind ja durch Strukturwandel beispielsweise bedingt, oder auch durch Entscheidungen des Bundes, dass die Kommunen Leistungen in Sachen Hartz IV zu übernehmen haben.
Jung: Ja! Aber gleichzeitig weiß man auch das: Jetzt aktuell drängt uns natürlich in der Tat die Sorge vor Haushaltssperren und Konsolidierung. Das heißt, die Kosten der Unterkunft sind direkt eine nachhaltige, dauerhafte Entlastung, der Ausgleich für entgangene Steuern 2020 von fast sechs Milliarden hilft direkt. Und wenn die Länder mitmachen und 50 Prozent ihres Anteils bringen, dann ist das eine unglaubliche Hilfe jetzt in der Krise 20/21, und kann uns natürlich jetzt dabei helfen, nicht zu konsolidieren, nicht zu sperren, sondern weiter zu investieren und die Wirtschaft und die Menschen in Beschäftigung zu halten. Kurzum, ich darf es mal formulieren: Da ist uns natürlich das Hemd näher als der Rock. Jetzt aktuell in der Krise geholfen zu kriegen, das ist das Wichtigste gewesen, und das Thema Altschulden werden wir uns weiter vornehmen.
"Alleine werden die 2.000 Gemeinden das nicht schaffen können"
Heckmann: Sie sagen, es bleibt auf der Agenda. Was erwarten Sie denn von den Bundesländern, die ja eigentlich für die Kommunen zuständig sind? Wenden Sie sich jetzt an die?
Jung: Der Ball ist bei den Bundesländern ganz klar. Nordrhein-Westfalen ist gefragt, so wie es Hessen vorgemacht hat. Niedersachsen ist gefragt. Niedersachsen und Hessen haben es vorgemacht, dass man direkt als Länder helfen kann, und ich glaube, vor allen Dingen Nordrhein-Westfalen muss sich jetzt bewegen in Richtung auf die Kommunen.
Heckmann: Was heißt helfen kann? Die Länder sollen die Altschulden dieser Kommunen übernehmen?
Jung: Zumindest ein Programm auflegen, damit eine Perspektive da reinkommt. Das kann ein Fonds sein, das kann Unterstützung sein, das kann Übernahme sein von einem Teil. Ich glaube, alleine werden die 2.000 Gemeinden das nicht schaffen können, und insofern sollte man den Blick nach Hessen oder Niedersachsen wagen. Dort sind die richtigen Wege eingeschlagen worden.
Heckmann: Der Deutsche Landkreistag – das ist ja die Vereinigung, die eher die kleinen Kommunen, die Dörfer unter anderem vertreten, die Landkreise eben -, die sehen das ein bisschen anders. Die sagen, eine Übernahme der Altschulden löst das Problem nicht, denn die Zinsen sind ohnehin bei fast null. Viel wichtiger sind Investitionen in die Zukunft.
Jung: Das wird mit diesem Paket, was jetzt heute Nacht verabschiedet worden ist, auf jeden Fall ermöglicht. Das muss man schon sagen. Wenn man sich anguckt, wie gezielt und genau in die Bereiche hineininvestiert werden soll – Stichwort Klimaschutz, indem die Fördermittel, die Eigenanteile gesenkt werden können, Stichwort Forschung, Wissenschaft, Entwicklung, Kultur, Sport -, das sind sehr gezielte Maßnahmen und ich glaube, da können wir uns nicht beschweren. Nein, klares Votum des Städtetags: Wir sind mit diesem Paket insgesamt sehr, sehr erfreut, und ich glaube, das ist wirklich ein beeindruckendes Signal.
"Weg aus der Neiddebatte hin zu einer Entwicklung dieses Landes"
Heckmann: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat argumentiert, es kann nicht sein, dass verschuldete Kommunen freigekauft werden und die, die gespart haben und wirtschaftlich gehandelt haben, die sind die Dummen. Ist da nicht was dran?
Jung: Ach, das ist eine komische Neiddebatte. Wissen Sie, wenn ich keinen Nachteil davon habe, dass ein anderer was bekommt, wenn ich keinen Nachteil davon habe, dass vielleicht auch möglich wird, dass ein Kind in Wuppertal oder in Pirmasens wieder ein Hallenbad besuchen kann, dann verstehe ich diese Debatte nicht.
Aber lassen Sie uns heute wirklich erst mal mit dem Programm beschäftigen, was jetzt auf dem Tisch liegt mit über 40 Punkten. Ich habe es noch nicht im Einzelnen intensiv studieren können. Ich glaube, auch beim öffentlichen Nahverkehr ist ja noch Arbeit vor uns. Hier geht es um Regionalisierungsmittel. Hier braucht es noch mal aus Brüssel eine Genehmigung. Ich glaube, wir haben noch viel zu tun, und das andere Thema, das werden wir noch mal debattieren müssen, und wir sollten weg aus der Neiddebatte hin zu einer Entwicklung dieses Landes und nicht so rückwärtsgewandt immer gucken, ätsch, bätsch, was haben die damals gemacht, was haben die falsch gemacht, und die dürfen heute nicht bestraft oder belohnt werden. Ich finde das schwierig, ich finde das wirklich schwierig.
Heckmann: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit aus Ihrer Sicht, Herr Jung, abschließend gefragt, dass dieses Programm wirklich dazu hilft, die Rezession, in der wir ja stecken in Deutschland, in Europa insgesamt, zu verkürzen oder abzudämpfen?
Jung: Ich glaube, das wird zünden. Es wird helfen. Wenn ich allein von unserem Haushalt ausgehe, wo ich sehe, 2020 werden wir durch diese Möglichkeiten, Land- und Bundesunterstützung, wahrscheinlich einen ausgeglichenen Haushalt hinbekommen, in die Planung _21 gehen. Das heißt, wir können investieren. Drei Viertel der Investitionen in Deutschland kommen in der kommunalen Ebene zustande. Das heißt, das ist direkte regionale Wirtschaftsförderung und Wertschöpfung. Dann müsste es gelingen, auch durch diese Corona-bedingten Pausen hindurch die Ausgaben der öffentlichen Hand wirtschaftsfördernd und arbeitsplatzsichernd einzusetzen. Ich bin sehr zuversichtlich, muss ich sagen.
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