Der Rote Gott kommt auf einem Tieflader. Mit schweren Ketten wird die vier Meter hohe Bronzestatue von Josef Wissarionowitsch Stalin mit einem Kran von einem Lkw gehievt und im Hof des ehemaligen Stasi-Gefängnisses Hohenschönhausen abgeladen – liegend, denn aufrecht will man den Massenmörder denn doch an diesem Ort nicht wiedererstehen lassen. Es ist ein Double der gleichen Statue, die einst an der Stalinallee in Ostberlin stand.
"Diese Statue haben wir gefunden in Ulan Bator, in der Hauptstadt der Mongolei, es wurden mehrere Abdrücke gefertigt von dieser Statue, nicht nur für Ostberlin, sondern auch für andere Satellitenstaaten. Diese Statue ist jetzt in Berlin. Wir haben da einen ziemlich aufwändigen Transport gehabt", erzählt Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, nicht ohne Stolz.
Gestellte Fröhlichkeit und echte Begeisterung
Das zwei Tonnen schwere Bronzestandbild ist eines der Hauptausstellungsstücke der Ausstellung. Sie stellt den Personenkult um den sowjetischen Diktator in den Mittelpunkt - die gottgleiche Verehrung, die Stalin in der frühen DDR entgegengebracht wurde. "Es hat funktioniert bis in den letzten Winkel der Gesellschaft. Jede FDJ-Gruppe, jede Betriebsgruppe der SED führte entsprechende kultähnliche Veranstaltungen durch, in jedem Betrieb gab es eine Stalinecke."
Die Ausstellung zeigt Bilder von Massenaufmärschen, von jubelnden und weinenden jungen Menschen – gestellte Fröhlichkeit, aber auch wahrhaft empfundene Begeisterung. Auf der anderen Seite aber auch, was denjenigen passierte, die sich dem Kult wiedersetzten. In einer der Vitrinen hängen mutwillig beschädigte Porträts des Diktators - Beweismittel aus dem Archiv der Stasi-Zentrale. Eine Reinigungskraft hatte mit einem Buntstift "Mörder" auf die Stirn des Diktators geschrieben, ein anderes Porträt war in einer Werkskantine mit Ruß beschmiert worden.
"Und hier haben zwei junge Volkspolizisten mit einem Luftgewehr auf dieses Bildnis geschossen, und da sehen Sie diese zwei Einschusslöcher an der Stirn. Und das ist also jeweils das Corpus Delicti, was die Stasi gesammelt hat. Und diese Leute wurden teils mit horrenden Haftstrafen bestraft", erzählt Kurator Andreas Engwert.
Zwei Wellen des Stalin-Kults in der DDR
Auch wenn es schon in den Zanzigerjahren frühe Stalinverehrer in der deutschen KPD gab, von denen viele später im Moskauer Exil Stalins Säuberungswelle zum Opfer fielen, gab es in der DDR vor allem zwei große Wellen des Personenkultes: Die erste 1949 zum 70. Geburtstag des Diktators. Die Werktätigen in der DDR leisteten freiwillige Überstunden, damit in Stalingrad als Geschenk ein Planetarium mit einem Zeiss-Jena-Projektor errichtet werden konnte. Schüler schrieben Aufsätze über den größten Feldherrn aller Zeiten. Und die Berliner Verkehrsbetriebe schickten dem sowjetischen Staatschef das Modell eines U-Bahn-Waggons.
"Das ist ein U-Bahn-Wagen der Berliner U-Bahn-Linie U2. Und wenn ich mal kurz das Schild zitieren kann, dann steht da drauf: 'Dem aufrichtigen Freund des deutschen Volkes J.W. Stalin zum 70. Geburtstag am 21.12.1949, Berliner Verkehrsbetriebe BVG'."
Klammheimlich demontiert
Gesehen hat Stalin das Geschenk der BVG nie, in die Ausstellung kam es als Leihgabe aus dem Polytechnischen Museum in Moskau. Den zweiten Höhepunkt der Stalinverehrung erlebte die DDR nach dem Tod des Diktators im Jahr 1953. Erst sieben Jahre später nahm der Stalinkult in der DDR ein klammheimliches Ende – da hatte in der Sowjetunion längst Nikita Chruschtschow Stalin vom Thron der Geschichte gestoßen und die Entstalinisierung eingeleitet. In einer Nacht- und Nebelaktion wurde 1961 auch die Bronzestatue in der Berliner Stalinallee von einer Baubrigade der SED abgebaut und demontiert. Der Leiter der Brigade behielt heimlich ein Ohr und die Schnauzbartspitze für sich. Beides kann nun in der Ausstellung bewundert werden. Auch das zeigt diese Ausstellung: So manches, was später gerne unter den Teppich gekehrt wird, kommt eben doch wieder zum Vorschein.