Unter Historikern herrscht bis heute keine Einigkeit darüber, wie groß die Bereitschaft von Tschetschenen und Inguschen wirklich war, mit den Deutschen zu kooperieren: Die Wehrmacht hatte in der zweiten Hälfte des Jahres 1942 den Kaukasus erreicht. In den Augen Josef Stalins war die Region ein Risikofaktor: Die von Russland im 19. Jahrhundert unterworfenen kaukasischen Völker könnten sich gegen die Rote Armee wenden. Stalin reagierte 1944 mit Vergeltung, als die Wehrmacht längst auf dem Rückzug war, und ließ Tschetschenen und Inguschen innerhalb weniger Tage in Güterzügen nach Kasachstan und Kirgisien deportieren.
Menschen starben wie Küken
"Wir wurden in Baracken untergebracht, in denen vor uns Gefangene gewohnt hatten", berichtet eine Frau, die damals Kind war. "Menschen starben wie Küken. Sie lagen einfach auf der Straße, konnten nicht einmal begraben werden. Wer lebte, stellte sich nachts in der Schlange nach Brot an. Viele haben aber nicht überlebt. Dann wurden sie alle in einem Straßengraben verscharrt."
Der sowjetische Geheimdienst NKWD, den Lawrentij Berija führte, begann die Deportation am 23. Februar von rund einer halben Million Tschetschenen und Inguschen. Wer zu fliehen versuchte, wurde in den kaukasischen Bergen gejagt, meist sofort erschossen oder mit jahrzehntelanger Lagerhaft bestraft. Erst 1957, vier Jahre nach dem Tod Stalins, durften die Überlebenden zurückkehren.
In der heutigen Republik Inguschetien, die zu Russland gehört, ist der 23. Februar ein besonders schwieriger Feiertag: Ganz Russland begeht den Tag des Verteidigers des Vaterlandes – in Inguschetien aber ist der Tag untrennbar mit dem Gedenken an Deportierte und Tote verbunden. Republik-Oberhaupt Junus-Bek Jewkurow vergangene Woche in Inguschetien:
"Wir dürfen uns allen heute nicht verbieten, an das Geschehene zu erinnern, wenn wir unserer Ahnen würdig sein wollen. Das ist unsere Geschichte."
Ein Zeichen gegen den Stalin-Kult
Das Parlament Inguschetiens will nun einen Schritt gehen, den es in der gesamten Russischen Föderation so noch nicht gegeben hat: Nach einem Gesetzentwurf soll es in der Teilrepublik künftig verboten sein, Denkmäler oder Büsten Stalins aufzustellen, Straße, Plätze oder Orte nach ihm zu benennen und seine Politik öffentlich zu rechtfertigen. Sjalimchan Jewloew, der Vorsitzende der Volksversammlung von Inguschetien, ist Initiator des Gesetzes und begründet:
"Wir wissen, dass man in einigen Regionen und Städten Russlands versucht, Stalin zu verherrlichen. Wir aber sagen, dass es eines der von ihm unterdrückten Völker gibt, das ihn als Tyrann und Menschenfeind betrachtet und als denjenigen, der die Entscheidung zur Deportation von Volksgruppen getroffen hat."
Jewloew ist Mitglied der Partei "Einiges Russland", was bemerkenswert ist, weil sie weitgehend vom Kreml gesteuert wird. Unter Präsident Putin ist die offene Auseinandersetzung über Verbrechen Stalins so gut wie zum Erliegen gekommen. Dennoch haben sich die Abgeordneten in Inguschetien nach der ersten von drei Lesungen einstimmig für das Gesetz ausgesprochen.
Vor allem Vertreter der Kommunistischen Partei Russlands in Moskau können an der Deportation nichts Verwerfliches erkennen. Wladimir Kaschin, der stellvertretender Vorsitzende des Zentralkomitees ist, sagte der Zeitung "Kommersant", angesichts der Bemühungen Stalins um die Bildung der kaukasischen Bergvölker hätten diese keinen Grund sich zu beklagen.
Steigende Sympathie für Stalin
Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Lewada dokumentiert die Spaltung des Landes: 46 Prozent der Befragten gaben an, beim Gedanken an Josef Stalin Respekt, Sympathie oder Bewunderung zu empfinden. Das ist der höchste Wert, seitdem die Meinungsforscher diese Frage stellen – seit 16 Jahren.