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Stammzellen gegen Schlaganfall

Medizin.- Bei einem Schlaganfall werden Nervenzellen im Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt und sterben ab. Um diese zu ersetzen, könnten in Zukunft Stammzellen eingesetzt werden. Der erste Patient wurde schon jetzt so behandelt.

Wissenschaftsjournalist Michael Lange im Gespräch mit Uli Blumenthal |
    Uli Blumenthal: Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Er entsteht, wenn Nervenzellen im Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt werden und deshalb absterben. Diese abgestorbenen Zellen könnten in Zukunft durch Stammzellen ersetzt werden. Im schottischen Glasgow ist jetzt jedenfalls der erste Schlaganfallpatient mit Stammzellen behandelt worden. Einige britische Forscher sprechen von einem Meilenstein für die Schlaganfalltherapie. Der Aktienkurs der verantwortlichen Firma jedenfalls, Reneuron, stieg sogleich um 16 Prozent. Michael Lange, Sie haben sich über die Hintergründe dieser Meldung informiert. Welche Zellen hat der Schlaganfallpatient in Glasgow erhalten?

    Michael Lange: Die Zellen wurden bereits vor sieben Jahren von einem abgetriebenen Fötus gewonnen, von der Firma Reneuron. Die hat die dann im Labor weiter vermehrt, und an diesem Wochenende wurde dann dieses standardisierte Zellpräparat mit einer 22 Zentimeter langen Nadel in das Gehirn des Patienten gespritzt. Und zwar so, dass die Zellen in die Nähe des Bereiches kommen, wo der Schlaganfall stattgefunden hat. Der Patient war ein über 60-jähriger Lastwagenfahrer, der bereits vor 16 Monaten einen Schlaganfall erlitten hatte.

    Blumenthal: Ist das Verfahren nun neu, dass Stammzellen aus abgetriebenen Föten zur Behandlung eingesetzt werden?

    Lange: Das ist nicht neu. Es gab schon mal eine Zeit, in der sehr viele Versuche in diese Richtung stattgefunden haben. 1987 haben schwedische Wissenschaftler versucht, Parkinson mit Zellen aus abgetriebnen Föten zu behandeln. Sie wollten, dass diese Zellen den Botenstoff Dopamin im Gehirn der Kranken herstellten, mussten diese Versuche dann aber abbrechen. Und dann haben noch einige amerikanische Teams weitergemacht. 2001 wurden aber so viele Nebenwirkungen festgestellt, vor allen Dingen Zuckungen und unwillkürliche Bewegungen bei einigen der Patienten, so dass dann diese Versuche abgebrochen werden mussten. Und die Anträge der Firma Reneuron, die auch in die USA gegangen sind, wurden jetzt von den US-Behörden abgelehnt, aber eben in Großbritannien erlaubt und da beginnen jetzt die klinischen Untersuchungen.

    Blumenthal: Es ist jetzt ein Patient behandelt worden. Was unterscheidet diese Studie, die damit begonnen wurde, von früheren Versuchen?

    Lange: Es ist ein ganz wesentlicher Unterschied. Und zwar wurden früher einfach die Zellen aus dem Gehirn der Föten herausgenommen und dann in das Gehirn der Patienten gespritzt. Das ist diesmal nicht so einfach. Die Zellen können sich im Labor vermehren. Und zwar haben die Wissenschaftler ein Gen, c-myc heißt das, das ist bekannt als Unsterblichkeitsgen, auch als Krebsgen, haben das in diese Zellen eingeführt. Die Zellen sind im Labor immer weiter gewachsen. Und dann musste allerdings dieses Gen wieder ausgeschaltet werden. Sie haben dann auch einen Mechanismus entwickelt, mit dem sie das Gen, bevor es in das Gehirn des Patienten gespritzt wurde, tatsächlich wieder ausgeschaltet werden konnte. Vor zwei Jahren haben sie Tierversuche veröffentlicht, da hat es funktioniert. Und nun probieren sie es auch am Menschen.

    Blumenthal: Also man hat sozusagen eine eigene Linie entwickelt, aus diesen Gehirnzellen, aus einem abgetriebenen Fötus, und hat die etabliert und die dann jetzt genutzt?

    Lange: Ja, das ist in der Tat ein standardisierter Versuch. Der ist sozusagen nachweisbar. Man kann jetzt, wenn man Erfolg hat, tatsächlich sagen: Dieses bestimmte Stammzellenpräparat aus Föten hat die und die Effekte, hat die und die Erfolge oder die und die Nebenwirkungen.

    Blumenthal: Wie groß ist die Chance, dass die gespritzten Zellen jetzt tatsächlich neues Nervengewebe im Gehirn des Patienten bilden?

    Lange: Die Firma hat die Hoffnung und einige Wissenschaftler der Universitätsklinik in Glasgow haben die auch gegenüber Medien formuliert. Ich habe darüber mit dem deutschen Stammzellenforscher Oliver Brüstle gesprochen. Der sieht das sehr skeptische. Der sagt, bestenfalls kann es dazu kommen, dass diese Stammzellen im Gehirn bestimmte Faktoren freisetzen und die das eigene Gewebe wieder reaktivieren. Dass da wirklich Regeneration stattfindet, also dass totes Gewebe durch neues, gesundes Gewebe ersetzt wird – die Chancen dafür schätzt er äußerst gering ein und will definitiv hier nicht von einem Durchbruch oder einem Meilenstein reden.

    Blumenthal: Und wann kann man, zeitlich gefragt, wirklich wissen, ob diese Stammzellen, diese fötalen Stammzellen dem Patienten geholfen haben?

    Lange: Das wird noch einige Zeit dauern. Es werden jetzt etwa zwölf Patienten gesucht, die so behandelt werden. Und dann wird man wieder nachschauen: was ist passiert? Ist es vielleicht doch zu Krebs gekommen (man weiß es nicht)? Haben sich die Zellen integriert? Wie entwickelt sich die Symptomatik des Patienten? Er leidet an leichten Lähmungen: hören die auf? Verschlimmern die sich? Und dann wird man je nachdem bei den nächsten Patienten die Dosis erhöhen und dann kann man frühestens in zwei Jahren darüber nachdenken, ob man in Phase zwei geht. Dann untersucht man, ob tatsächlich diese Zellen etwas bewirken in Richtung Heilung. Darum geht es jetzt noch gar nicht.