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Stammzellen, vermehret euch!

Medizin.- Da Wunden von Diabetikern meist schlecht heilen und das betroffene Gewebe abstirbt, sind Amputation von Gliedmaßen oftmals die letzte Lösung. Doch dieser Schritt müsse nicht sein, sagt jetzt ein Stammzellforscher der Universität Leipzig.

Von Sigrun Damas |
    Eine klaffende Wunde, entzündet bis auf den Knochen. So sieht sein rechter Fuß aus. Klaus Herber ist Diabetiker. Sein Stoffwechsel ist gestört, seine Wunden heilen schlecht. Das Bein müsse amputiert werden, sagen die Chirurgen. Ein Schock.

    "In dem Augenblick bin ich in so´n Loch reingefallen. Und dann... ich hab dann zu mir gesagt: Das kann nicht sein! Das machst Du nicht, Klaus Herber! Du machst es einfach nicht."

    Der Termin für die Amputation steht schon fest. Da erfährt der 57-Jährige von einer neuen, noch nicht erprobten und noch nicht für die breite Anwendung zugelassenen Therapie. In Einzelfällen können Ärzte damit einen sogenannten Heilversuch starten, um Schlimmeres zu verhindern. Der Patient muss natürlich zustimmen. Klaus Herber tut es, trotz aller Ungewissheit.

    "Das haben die Ärzte mir ja auch gesagt. Dass das ein Heilungsversuch ist. Und ein Heilungsversuch ist praktisch: Ich nehme ein Stück Holz und möchte einen Adler draus machen. Aber ob ich das fertig kriege, weiß ich vorher nicht."

    Klaus Herbers Arzt hat Kontakt zu einem Stammzellforscher von der Universität Leipzig. Und der hat ein neues Verfahren zur Wundheilung entwickelt, das jetzt erstmalig angewendet werden soll. Der Stammzelltechnologe Augustinus Bader will damit versuchen, den Prozess der natürlichen Wundheilung nachzuahmen.

    "Der Natur wird abgeschaut, wie Regeneration funktioniert bei Defekten. Sie können sich das vorstellen wie ein Kochrezept. (...) Und die Natur hat sich so ein Kochrezept für die eigene Heilung auch entwickelt. Und die Bestandteile des Kochrezepts verstehen wir zunehmend – und die hab ich wieder zusammen gefügt."

    Dazu hat Bader den Prozess Schritt für Schritt analysiert. An kleinen Wunden, denn diese - einen Schnitt in den Finger zum Beispiel - repariert der Körper ganz von alleine. Bei größeren Verletzungen braucht er Unterstützung, und die möchte Augustinus Bader liefern.

    "Und das ist der eigentliche Trick. Der Versuch, quasi eine große Wunde so zu reparieren, als wenn´s eine kleine Wunde wäre."

    Und so sieht die Therapie aus: Patient Klaus Herber wird Blut abgenommen. Dieses kommt in eine Zentrifuge. Sie trennt die im Blut enthaltenen Stammzellen ab. Stammzellen gelten als Alleskönner - sie können sich in verschiedene Gewebe verwandeln, zum Beispiel in Haut, Knorpel oder Knochen. Die Stammzellen gibt der Arzt auf eine Art Nährboden, ein hautähnliches Flies. Und alles zusammen dann – Stammzellen und Flies – auf die entzündete Wunde. Zusätzlich spritzt der Arzt das Bluthormon EPO in den Wundrand. Es soll die Stammzellen dazu bringen, sich zu vermehren. Die Wunde selbst steuert zur Reparatur Zytokine bei – Eiweißbotenstoffen des Immunsystems.

    Der ganze Prozess dauert 20 Minuten. Die Stammzellen verlassen den Körper also nur kurz - und das Erstaunliche geschieht: Die Wunde heilt. Heute, ein Jahr später, ist der Fuß von Klaus Herber fast komplett wieder hergestellt. Selbst der behandelnde Arzt, Hans-Jürgen Hollmann, ist verblüfft:

    "Wir haben seit 30 Jahren Diabetiker behandelt und schlecht heilende Wunden. Und waren eigentlich immer auf der Verliererschiene. Und bei Herrn Herber haben wir zum ersten Mal gewonnen."

    Ein Aufsehen erregender Heilerfolg, aber ein Einzelfall. Die Therapie mit den eigenen Stammzellen muss sich jetzt bei vielen Patienten als wirksam erweisen. Erst dann kann sie zugelassen werden. Nicht nur bei diabetischen Wunden, auch bei der Wundheilung bei Verbrennungsopfern oder zum Aufbau verlorener Knochensubstanz soll sie helfen. Dazu beginnen in diesem Jahr verschiedene Studien an deutschen Kliniken. An der Universitätsklinik in Kiel hat das Team um Jörg Wiltfang das Stammzellverfahren bereits an 30 Patienten erprobt, zum Aufbau von Kieferknochen. Mit gutem Erfolg. Die so regenerierte Knochensubstanz ist deutlich stabiler. Und

    "Die Belastung der Patienten ist geringer, weil wir weniger Knochenmaterial vom Patienten selber verwenden müssen."

    Bleibt die Frage nach den Risiken. Stammzellforscher Augustinus Bader hält sie für gering:

    "Wenn ein Prozess sicher ist, dann muss es ein Prozess sein, den die Natur selbst angelegt hat. Die Zellen werden nicht mehr manipuliert außerhalb des Körpers und können dadurch keine genetische Veränderung erfahren."

    Wunden heilen, Gewebe regenerieren – mit den eigenen Stammzellen. Die Fachwelt schwankt zwischen Euphorie und Skepsis. Ob die Therapie wirklich sicher und wirksam ist, müssen die Studien in den kommenden Jahren erst zeigen.