In der Migrationspolitik wollen die Ampel-Parteien alles anders machen als die Große Koalition bislang. Von Neuanfang und Paradigmenwechsel ist die Rede. CDU und CSU sehen insbesondere den sogenannten Spurwechsel sehr kritisch. Dieser bedeutet, dass es nicht darauf ankommt, auf welchem rechtlichen Weg jemand nach Deutschland gekommen ist. Auch wer noch im laufenden Asylverfahren steckt oder wessen Asylantrag abgelehnt ist, kann bleiben und arbeiten, wenn die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind. Bisher gilt das nur in besonderen Fällen, die Ampel will den Spurwechsel generell ermöglichen.
Die Migrationspolitik der Ampel-Koalition
Unionsfraktionschef Brinkhaus sprach im Dlf von „brutaler Offenheit“ der Ampelkoalitionäre und äußerte die Sorge, dass das ein "Pullfaktor" für illegale Migration sein könnte.
Zuviel Rot-Grün bei Ampel? - Interview Ralph Brinkhaus, Unions-Fraktionschef
NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) verteidigte die Pläne dagegen: Die neue Regierung werde das hinterlassene Chaos ordnen, sagte Stamp im Dlf. "Wir trennen in Zukunft gesteuerte Arbeitsmigration und Asyl viel klarer, als das bisher der Fall gewesen ist“, betonte der FDP-Politiker. Der sogenannte Spurwechsel richte sich an diejenigen, die schon länger in Deutschland lebten und sich am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft integriert hätten. Mit legalen Möglichkeiten nehme man zudem den Druck der illegalen Migration. Mit einer geordneten Migrationspolitik könnten durch Jobbörsen beispielsweise im Nordirak entsprechend qualifizierte Menschen mit einem Arbeitsvertrag nach Deutschland einreisen.
Die neue Bundesregierung werde zudem einen Sonderbevollmächtigten seinsetzen, der Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern vieler Flüchtlinge verhandeln solle, etwa mit den Maghreb-Staaten. Denn Rückführungen würden oft an der Bereitschaft der Herkunftsländer scheitern, ihre Staatsbürger zurückzunehmen, sagte Stamp. „Ich kann mich aber ehrlich gesagt nicht daran erinnern, dass Horst Seehofer und die CDU-Innenpolitiker mal nach Afrika oder Asien gereist wären, um so etwas dann auch wirklich zu verhandeln.“
Das Interview im Wortlaut:
Rainer Brandes: Steht die Ampel für Migrantinnen und Migranten aus aller Welt jetzt auf grün?
Stamp: Nein, ganz im Gegenteil! CDU und CSU haben uns ja ein absolutes Chaos in der Migrationspolitik hinterlassen. Die Union ist für die viel zu irreguläre Migration verantwortlich. Deutschland schiebt viel zu oft die Falschen ab, wird aber umgekehrt Straftäter und Gefährder in den meisten Fällen nicht los. Arbeitsverbote, die wir haben, kosten den Steuerzahler Millionen, die dringend benötigte gesteuerte Arbeitskräfteeinwanderung, die so wichtig ist für unser Unternehmen, funktioniert nicht. Eine faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa liegt weiter in großer Ferne, die europäische Ratspräsidentschaft, die wir ja inne hatten, wurde verschlafen. Und das Ergebnis sehen wir an der polnischen Grenze zu Belarus. Es ist also eine desaströse Bilanz von CDU und CSU, und die neue Regierung wird Ordnung ins Chaos bringen. Dass das ausgerechnet jetzt von CDU-Politikern wie Brinkhaus und auch Friedrich Merz kritisiert wird, ist im Grunde genommen ein schlechter Witz.
Aufenthaltsrecht auf Probe
Brandes: Sie sprechen da ja über Ihren Koalitionspartner im Land NRW, Sie regieren ja hier mit der CDU. Haben Sie mal darüber nachgedacht, hier vielleicht auch den Koalitionspartner zu wechseln?
Stamp: Nein, weil die CDU in Nordrhein-Westfalen mit uns ja längst ja eine vernünftige Politik genau in dieser Richtung macht. Herr Brinkhaus hat ja auch den Spurwechsel nicht verstanden, das ist übrigens auch in Ihrem Beitrag eben nicht ganz deutlich geworden: Mit dem Konzept der neuen Regierung wird ja auf die Zukunft gezielt, wir trennen in Zukunft gesteuerte Arbeitsmigration und Asyl viel klarer, als das bisher der Fall gewesen ist. Der Rechtskreiswechsel oder auch Spurwechsel richtet sich ja an die, die schon länger hier sind und sich am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft integriert haben.
Brandes: Das stimmt, aber wenn diese Menschen einmal mit einem Asylverfahren hier hingekommen sind, dann können sie diesen Spurwechsel ja vollziehen, das steht ja da so drin.
Stamp: Nein, es richtet sich an diejenigen, das wurde vorhin etwas vermischt, die bis zum 01.01.2017 gekommen sind, die haben die Möglichkeit eines Aufenthaltsrechts auf Probe, um dann die Kriterien zu erfüllen. Und ich kann nur sagen, dass diese Rechtssicherheit, die wir jetzt schaffen wollen, dass das der ausdrückliche Wunsch von Handwerk und Mittelstand ist, da ist die Kritik von Herrn Brinkhaus falsch. Und ich habe auch den Eindruck, dass da der Kontakt zu realen Arbeitswelt etwas verloren gegangen ist. Und genau bei uns in Nordrhein-Westfalen in meiner Verantwortung, aber in einer gut funktionierenden Koalition mit der CDU setzen wir das um, wir haben die höchsten Rückführungsquoten, wir gehen am härtesten gegen Straftäter und Gefährder vor, aber gleichzeitig schieben wir eben keine gut integrierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab.
„Pull-Effekte entstehen dadurch, dass Abschiebungen nicht funktionieren“
Brandes: Es kann aber ja trotzdem sein, dass Menschen, die jetzt aus ihren Herkunftsländern fliehen möchten, dass die diese ganzen Details gar nicht so genau verstehen, ist ja auch für uns nicht so ganz einfach, sondern die sehen einfach nur, aha, Deutschland macht jetzt die Tore auf. Ist da nicht vielleicht doch etwas dran an der Kritik der Union?
Stamp: Nein, Pull-Effekte entstehen nicht, wenn gut integrierte Arbeitnehmer bei uns bleiben, sondern Pull-Effekte entstehen insbesondere dadurch, dass unsere Asylverfahren zu lange dauern und dass die Abschiebungen nicht funktionieren. Und für die sind ja wesentlich nun CDU und CSU verantwortlich gewesen, weil sie jahrelang nicht gehandelt haben. Wir beschleunigen jetzt mit der neuen Regierung noch mal die Asylverfahren und haben eine Rückführungsoffensive verabredet, das ist ja in Ihrem Beitrag auch deutlich geworden. Und schauen Sie, bisher scheitern Rückführungen oft an der Bereitschaft der Herkunftsländer, ihre Staatsbürger zurückzunehmen. Daher brauchen wir stabile Migrationsabkommen mit diesen Ländern. Ich kann mich aber ehrlich gesagt nicht daran erinnern, dass Horst Seehofer und die CDU-Innenpolitiker mal nach Afrika oder Asien gereist wären, um so etwas dann auch wirklich zu verhandeln. Deswegen, das steht auch explizit im neuen Koalitionsvertrag drin, wird die neue Bundesregierung einen Sonderbevollmächtigten einsetzen, der genau solche Abkommen verhandelt. Nur wenn wir eine wirklich Grundlage auch mit den Ländern haben – beispielsweise mit den Maghreb-Staaten –, werden auch die Rückführungen funktionieren.
Geordnete Migrationspolitik mit Jobbörsen
Brandes: Sie haben ja gesagt, Sie möchten da einen Paradigmenwechsel, also mehr legale Zuwanderung, dafür weniger illegale Zuwanderung. Aber sind wir mal ehrlich, die Menschen, die jetzt aus dem Irak im Wald von Belarus sitzen, sind das wirklich die Menschen, die hier Chancen hätten, einen Arbeitsplatz zu bekommen und damit legal einwandern könnten?
Stamp: Ja, wir haben ja viele Interviews, wie ich meine auch vom Deutschlandfunk, gehört mit denjenigen, die dort im Niemandsland sind, die beispielsweise aus dem Nordirak gekommen sind und dort gut qualifiziert gewesen sind und sagen, dass sie Verwandtschaft in Deutschland haben und auch Aussicht auf einen Arbeitsvertrag. Wenn man eine geordnete Migrationspolitik macht mit Jobbörsen beispielsweise im Nordirak in Erbil oder in Dahuk, dann könnten diejenigen, die dort entsprechend qualifiziert sind, dann auch mit einem Arbeitsvertrag nach Deutschland einreisen. Und mit legalen Möglichkeiten nimmt man dann auch den Druck der illegalen Migration viel stärker. Das ist, glaube ich, etwas, worauf wir uns konzentrieren sollten, unser gesamtes Konzept ist darauf ausgelegt, dass wir insgesamt irreguläre Migration reduzieren wollen und die wirklich von Wirtschaftswissenschaft, aber vor allem eben auch von Handwerk, vom Mittelstand, aber auch von der Industrie geforderten zusätzlichen Arbeitskräfte, die wir brauchen, gesteuert und geordnet zu organisieren.
Corona-Maßnahmen im Stadion
Brandes: Herr Stamp, wir müssen heute noch kurz über die Corona-Lage sprechen. Der Städte- und Gemeindebund sagt jetzt, Großveranstaltungen, volle Fußballstadien, das darf es nicht mehr geben. Aber an diesem Wochenende spielen in Nordrhein-Westfalen der 1. FC Köln in Köln vor 50.000 Zuschauerinnen und Zuschauern. Warum erlauben Sie so etwas noch?
Stamp: Ja, das ist eine Diskussion gewesen, die ja die Gesundheitspolitiker und die Kommunen auch miteinander geführt haben. Und es war bisher die Auffassung, dass das, was die Aerosol-Forscher gesagt haben, dass mit entsprechender 2G-Regelung an der frischen Luft im Stadion das Ansteckungsrisiko beherrschbar ist. Wir müssen aber insgesamt angesichts der laufenden Entwicklung insbesondere dessen, was uns möglicherweise da auch an neuen Mutationen ins Haus steht, alles auf den Prüfstand stellen.
Brandes: Sie sind ja auch zuständig für Kinder in Nordrhein-Westfalen, Ihre FDP-Kollegin ist zuständig für die Schulen, es gibt weiterhin keine Maskenpflicht für Schülerinnen und Schüler in NRW. Ich kann Ihnen nur sagen, meine eigene Tochter, die ist in der Grundschule, die sagt, 90 Prozent in ihrer Klasse tragen freiwillig Maske, weil sie einfach keinen Bock haben, in Quarantäne zu gehen. Warum müssen die Kinder diese Verantwortung übernehmen, die die Politik nicht übernimmt?
Stamp: Ja, meine Töchter machen das auch so. Es ist trotzdem so, dass das gesamte Klima in den Klassen schon etwas entspannter war, dass es jetzt nicht in jeder Sekunde am Platz darauf geachtet wird …
Brandes: Aber müssen wir das jetzt ändern?
Stamp: … dennoch hat unsere Schulministerin ja gestern gesagt, dass wir auch über weitere Maßnahmen nachdenken und dabei die Maskenpflicht auch am Platz ausdrücklich eingeschlossen ist.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.//