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Standpunkt Judenhass
Feinde, Hasser, Widersacher

In den Tagen nach dem Anschlag von Halle gab es viel Solidarität mit Juden in Deutschland. So hat es zumindest unser Autor Gerald Beyrodt erlebt. Er ist selbst jüdisch. Zuerst war er von der Anteilnahme berührt. Mittlerweile ist er jedoch enttäuscht.

Von Gerald Beyrodt |
Die durch Beschuss beschädigte Tür der Synagoge Halle.
Die Tür der Synagoge in Halle wurde durch Beschuss stark beschädigt, hielt aber stand (dpa-Bildfunk / Jan Woitas)
Das jüdische "Gebet vor dem Schlafengehen" spreche ich nie, schon gar nicht vor dem Schlafengehen. Ich habe es versucht. Aber wenn ich es spreche, ist meine Nachtruhe gestört. Zu plastisch malt es aus, was für Gefahren in der Nacht lauern: Pfeile, Seuchen und Pest etwa. Und dann der Hinweis auf die Feinde:
"Ewiger, wie zahlreich sind meine Bedränger, viele haben sich gegen mich erhoben."
Danach folgt die Beruhigung:
"Du aber Ewiger, bist mein Schild, (schützest) meine Ehre, erhebest mein Haupt." Wenn ich mir erst mal die zahlreichen Bedränger so richtig ausgemalt habe, beruhigt mich auch die Vorstellung eines Schildes nicht mehr.
Es hat Zeiten gegeben, da hatten Jüdinnen und Juden die Verfolger und Feinde tagtäglich vor Augen. Da sprachen sie mit solchen Gebeten nur aus, was sie immerzu sahen. Nach Halle habe ich häufig darüber nachgedacht, wie oft die jüdische Liturgie Judenhass zum Thema macht. Auch und gerade an Jom Kippur, dem Tag der Geschehnisse von Halle. Nehmen wir den bekanntesten jüdischen Bittgesang an Jom Kippur, das Awinu Malkenu- das heißt: Unser Vater, unser König. Da heißt es:
"Unser Vater, unser König, mache unsere schweren Verhängnisse zunichte. Unser Vater, unser König, mache die Gedanken unserer Hasser zunichte./Unser Vater, unser König, vereitle den Rat unserer Feinde./ Unser Vater, unser König, vernichte alle unsere Bedränger und Widersacher./ Unser Vater unser König, verschließe den Mund unserer Ankläger."
Ja, wir haben Hasser. Ja, wir haben Bedränger und Widersacher. Ja, wir haben Feinde. Es ist eine uralte jüdische Erfahrung. Es gibt wieder Länder, in denen der Antisemitismus zum guten Ton gehört. In Deutschland sind wir nicht von Feinden, Hassern und Widersachern umgeben. Das hoffe ich, und das halte ich im Moment für realistisch. Was der Attentäter von Halle dachte und tat, findet keine breite Zustimmung in der Bevölkerung. Wenigstens das nicht.
Mich hat bewegt, wie viele Freunde sich in den Tagen nach dem Attentat von Halle an mich gewendet haben und ihr Mitgefühl geäußert haben. Einen Moment lang schien es so, als wäre das Land aufgewacht und hätte wirklich begriffen, dass man wirksam etwas gegen die Antisemitismen von rechts, links, von Deutschtümelnden und Muslimen tun muss. Und als hörte es mit der Selbsttäuschung auf, Antisemitismus sei eine Sache von zwölf Jahren gewesen. Und jetzt? Das Land schläft wieder ruhig. Aber die Hasser, Bedränger und Widersacher sind noch wach.