Neulich lud mich mein jüdischer Kollege Eyal zum Kiddusch ein, zu einem Schabbat-Segen am Freitag-Abend mit anschließendem Essen. Ich freute mich sehr über die Einladung und sagte zu. Dann ging ein intensiver SMS- und Whatsapp-Wechsel los. Sie würden immer nur den Kiddusch rezitieren und den Kindersegen, ob mir das genug sei? Und ob koscheres Essen für mich ein Thema sei. Ich schrieb zurück ja, ja, schon, ich esse immer vegetarisch und Fisch. Antwort des Kollegen: Das liege ganz auf der Linie seiner Familie, ob ich denn auf gekaschertes Geschirr Wert legte, auf "koscher gemachte" Teller, Tassen, Messer und Gabel. Dunkel erinnerte ich mich, wie man Geschirr koscher bekommt oder eben nicht bekommt. Und dass es hinlänglich kompliziert ist. Ich schrieb sinngemäß, dass ich kein gekaschertes Geschirr brauche. Ich stellte mir vor, wie der Kollege aufgeatmet hat.
Charmante Verklemmungen
Wenn mich Nicht-Juden fragen, warum mir koscheres Essen wichtig ist, sage ich immer: Weil es auch eine Form des Gebetes ist, sich zu fragen: Kann ich das essen? Sich im Alltag mit solchen Fragen zu beschäftigen, sage ich, macht die Religion im Alltag präsent. Und dass ich den Gedanken ganz toll finde: "An diese Regeln halten wir uns alle gemeinsam."
Dieser Gedanke ist super koscher, klar und einsichtig, aber leider von jeglicher Praxis unberührt. Denn in der Praxis stimmt weder das "alle" noch das "wir" noch das "gemeinsam" so richtig. Jeder entscheidet selbst, ob ihm oder ihr die Koscher-Regeln überhaupt etwas sagen, ob er das das Mininmalprogramm wählt (kein Schweinefleisch), die vegetarische Umgehungsvariante so wie ich oder sich halt die koschere Dröhnung gibt (gekascherte Küche, nur geschächtestes Fleisch, unterschiedliche Teller für milchiges und fleischiges Essen und und und).
Die Vielfalt hat ihren Charme. Passt zur modernen Zeit. Führt aber zu jeder Menge Verklemmungen. Da fragen sich Gastgeber, ob ihre Wohnung koscher genug ist. Und Gäste fragen sich, ob sie bei einer freundlichen Einladung etwas mitbringen dürfen. Denn ein Geschenk wäre strenggenommen verboten, weil am Schabbat nichts von meinem Besitz in den Besitz eines anderen übergehen darf und umgekehrt.
Mein Siegel, dein Siegel
Ich war in Jerusalem zu einem Schabbat-Essen eingeladen. Wir standen zu mehreren vor der Tür und trauten uns nicht zu klingeln. Vielleicht ist er schomer, dachten wir. Das heißt: Vielleicht hält er sich an die Schabbat-Regeln, zu denen gehört keinen elektrischen Strom anzustellen und mithin auf keine Türklingel zu drücken? Dann kam der Gastgeber aus der Synagoge nach Hause und machte ungerührt das Radio an.
Manchmal stelle ich mir vor, wie einfach das jüdische Leben wäre, wenn ich ultraorthodox wäre (zumal ich mir vorstelle, dass mir Schläfenlocken super gut stehen). Wenn man ultraorthodox wäre, ist doch klar, was man tun und lassen muss, denke ich. Aber dann fällt mir ein: Das Koscher-Siegel der einen Orthodoxen ist den anderen Orthodoxen nicht koscher genug.
Der Kiddusch bei Eyal war übrigens sehr nett. Schöne Gespräche, nette Kinder, leckeres Gemüse. Dann fragte er mich, ob er denn auch Krabben hätte machen können und ob ich die auch zum Fisch zählen würde. Schalentiere aus dem Meer sind schon in der Bibel verboten. Krabben sind leider meine Grenze, sagte ich. Einen Moment lang fühlte ich mich richtig strenggläubig.