Ein Liebespaar. Innig hält sie ihn im Arm. Versunken ineinander lehnen sie an der Wand. Sie die Augen geschlossen. Er schaut auf sie hinunter. Zärtlichkeit inmitten der Lebensader New Yorks, der U-Bahn. Im Hintergrund ein Obdachloser auf dem Boden. Ein Foto wie ein ganzer Film.
"Ich mag das Bild besonders, das ist aus der Serie 'Liebe und Leben in der New Yorker Subway'. Hier an der 81. Straße am Naturkundemuseum", sagt Sean Corocran. Er steht vor einer der 130 Fotografien. Der Kurator: ein kleines bisschen verliebt in das Bild und wohl auch in den Fotografen - zumindest sein Werk. Stanley Kubrick: der weltberühmte Regisseur, Drehbuchautor, Produzent, Oskar-Preisträger. So kennt die Welt ihn. Dass er mit 17 als Fotograf begann, wissen die Wenigsten.
Faszination für Tabus
"Was diese Ausstellung so interessant macht? Dass sie eine unbekannte Geschichte von einem sehr bekannten Mann erzählt. Sie erzählt, wie die Fotografie das Fundament für Kubricks Filmkarriere legte", sagt Donald Albrecht, der zweite Kurator des Museum of New York, das jetzt die Fotografien des berühmten Filmregisseurs ausstellt.
Kubrick, mit 17 veröffentlichte er sein erstes Bild im Magazin "Look". Das Foto eines Zeitungsverkäufers, aufgenommen am Tag als Franklin Delano Roosevelt starb. Die Schlagzeilen vermelden es, der Verkäufer starrt verloren ins Leere. Sein erstes verkauftes Foto. Mit 17!
Donald Albrecht: "Wir wissen nicht warum, er es dem Magazin 'Look' anbot, nicht dem Magazin 'Life'. 'Life' war berühmter, 'Look' war eher für die Alltagsgeschichten."
Und die erzählt dieser Stanley Kubrick in Fotos. Der Mann, der "Shining" drehte, "Eyes Wide Shut", "Clockwork Orange" - hier in den frühen Bildern angelegt, was er später auf die Leinwand brachte, sagt Kurator Albrecht: "Er mochte das Merkwürdige, das Exzentrische, das visuell Überwältigende. Hier, das Bild eines tätowierten Zirkusartisten: Schwere Eisenringe ziehen die nackten Brustwarzen nach unten. Das hat sein Auge gefangen. Das Tabu, das Fremde, so wie später seine Filme."
"Kubrick bannte New Yorker Typen"
130 Fotos aus verschiedenen Serien. Liebe auf Parkbänken. Leute, die Fratzen ziehen. Es sind zärtliche Liebeserklärungen an New York, die Heimat des 1928 in der Bronx geborenen Stanley Kubrick.
Donald Albrecht: "Kubrick bannte New Yorker Typen, Gesichter, Charaktere. Den coolen muskulären Tough Guy. Die Dame, den Boxer, das Showgirl. Den Durchschnitts-New-Yorker. Die Liebenden auf der Feuertreppe. Die Charaktere der Stadt eben."
"Durch eine andere Linse", heißt die Ausstellung. Es ist nicht die Linse der späteren Filmkamera, es ist die Linse eines Fotoapparates, mit der der junge Stanley Kubrick schon damals Ende der 40er Geschichten erzählen konnte. New Yorker Geschichten. Bilder voller Zärtlichkeit. Einer Stadt voller Bilder. New York eben.