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Stanley Kubrick. Leben und Werk

Von Stanley Kubrick zu sprechen, das ist leicht, wenn man sich mit Superlativen zufrieden gibt: Die meisten seiner 13 Filme gelten als Meisterwerke. Das Kino der letzten 30 Jahre verdankt ihm einen guten Teil der Weiterentwicklung seiner Formensprache. Ein einsames Genie war er. Ein Kinokünstler mit der Aura eines Malerfürsten der Renaissance. Seit 1974, seit den Dreharbeiten zu "Barry Lyndon", lebte der amerikanische Wunderregisseur zurückgezogen auf seinem britischen Landsitz, drehte auch meistens in England. Einlass bei ihm zu bekommen, das wurde ebenso schwer, wie das am "Hofe" des Zeitungszaren Howard Hughes gewesen sein muss, mit dem er die Menschenscheu teilte. Zeitweise ließ Kubrick sogar ein Double durch London laufen, auf das die britischen Paparazzi prompt hereinfielen. So lange hatte ihn niemand gesehen. Der scheue Regisseur blieb bis zu seinem Tod letztes Jahr eines dieser Phantome, die man nicht berühren kann, ziemlich unerreichbar für Fans und Feinde.

Joseph Schnelle | 07.04.2000
    Alexander Walker, ein britischer Filmpublizist, der ein halbes Dutzend dicker Starportraits von Elisabeth Taylor bis Marlene Dietrich veröffentlich hat, gehörte zu den wenigen, die das scheue Kinogenie mit einem sprichwörtlichen Hass auf die Filmjournaille überhaupt in seine Nähe ließ. Ende der 50er Jahre, als Kubrick seinen Klassiker "Wege zum Ruhm" drehte, aber noch am Anfang seiner Karriere stand, hatte Walker ihn erstmals getroffen, dann mit dem Eifer eines Fans seine Projekte verfolgt, ihm gelegentlich auch Material beschafft und als treuer publizistischer Begleiter begeisterte Kritiken und einige der wenigen autorisierte Interviews mit seinem Regieidol veröffentlicht. Letztes Jahr - kurz nach Kubricks Tod - geriet Walker in die Schlagzeilen, weil er es besonders eilig hatte, eine Kritik von "Eyes wide shut" zu veröffentlichen. Er hatte den Film - ohne Wissen der Bosse von Warner Bros. - schon gesehen.

    Das alles sollte man wissen, um Alexander Walkers Buch "Stanley Kubrick - Leben und Werk" einzuordnen. Es ist das Buch eines Fans, der aus dem Stolz auf die Freundschaft mit dem berühmten Filmregisseur keinen Hehl macht. Er macht sich aber auch keine Gedanken darüber. Dabei ist er doch eigentlich professioneller Berichterstatter in Sachen Kino genug, den begrenzten Wert einer liebvollen Eloge zu überblicken. Zu mehr fehlt ihm die mitreißende Schreibe etwa eines echten Cinephilen französischer Prägung. Walkers interpretiert nur dröge, wo die Liebe zum Gegenstand einem inspirierten Essay Flügel verleihen würde. Minutiös werden die wichtigsten Filme Kubricks nacherzählt und recht eingleisig gedeutet. Was immer wieder zu oberflächlichen Sätzen führt wie: "2001: Odyssee im Weltraum verdient Anerkennung als eindrucksvolles filmisches Meisterwerk." Der Text greift immer wieder zurück auf Interviewfragmente und auf die Frage "Was hat Sie am Thema von Uhrwerk Orange gereizt? erteilt Stanley Kubrick Walker immerhin diese schöne Abfuhr: "Ich glaube, dass solche Fragen immer in der Hoffnung gestellt werden, eine ganz bestimmte Antwort zu erhalten, zum Beispiel: "Dies ist die Geschichte eines Mannes auf der Suche nach seiner Identität. Ich möchte nicht anmaßend erscheinen oder launisch klingen, aber ich denke, dass solche Fragen nur eine Antwort nach sich ziehen können, die entweder bloß interessant klingen will oder schlicht belanglos ist."

    Stanley Kubricks Filme entziehen sich meist gerade der exakten Beschreibung, schließlich hat er sich mehrfach dazu bekannt, dass er den Film als "außersprachliche Erfahrung" sieht. Auf die Bilder, die Bewegungen, ihr Zusammenspiel mit der Musik, auf die Montagerhythmen kommt es an, wenn man einen Film wie "2001 -Odyssee im Weltraum" beschreiben will. 1968 traf Kubrick mit diesem Film, seinem Bilderrausch und seiner psychedelischen Kosmologie exakt den Zeitgeist und eroberte die schwarze Projektionsfläche des Weltraums endgültig für das Kino. Die einzige Figur mit "Herz" in diesem kühl orchestrierten philosophischen Film nach einem Roman von Arthur C. Clarke ist der Bordcomputer "HAL", dessen langer Tod bis zum letzten elektronischen Atemzug zu den unvergesslichen Szenen der Filmgeschichte gehört. Der Raumfahrer Dave schaltet ihn Chip für Chip ab. Es ist, als reiße er ihm das Herz heraus.

    Walker stellt den Film "2001: in den Mittelpunkt eines zusätzlichen, allerdings sehr kurzes Kapitel über die Farbe bei Kubrick, das mit Abbildungen auch aus seinem letzten Film "Eyes Wide shut" garniert ist. Ansonsten ist von großen interpretativen oder erzählerischen Bögen in diesem Buch wenig zu spüren. Walker hangelt sich lieber von Film zu Film und hängt einen recht selbstverliebten Nachruf - den er letztes Jahr für den Sunday Telegraph verfasste - als persönliche Schlussbemerkung an, der man allerdings immerhin entnehmen kann, wie Pablo Picasso in Cannes einmal ein paar einfältige Filmkritiker - unter ihnen Walker - düpierte. Mit Stanley Kubrick hat das rein gar nichts zu tun. Das dünne Eis, auf dem sich Walker stets am Rande der Belanglosigkeit bewegt, muss den Lektoren dieses Bandes doch aufgefallen sein. Denn man hat die Textsammlung um eine Bildanalyse von Sybil Taylor und Ulrich Ruchti ergänzt. Die führt parallel zu Walkers Versuchen über Kubrick recht anregend durch dessen stilistisches Universum. Viel hat man davon allerdings nicht, denn die Schwarz-Weiß- Filmbilder sind schlecht wiedergegeben und verstecken meist hinter weißen Schleiern und Unschärfen, was die Autoren doch so gern bewiesen hätten.

    Das beste Bildmaterial steht noch bei "Uhrwerk Orange" zur Verfügung, mit dem sich Kubrick 1971 den Ruf einhandelte, Gewalt zu verherrlichen und der zu seiner Wiederaufführung vor ein paar Wochen in London die Diskussion von damals wieder entfachte. Malcolm McDowell spielt den Anführer einer Jugendgang, die zu "Singing in the Rain" eine Frau vergewaltigen. Gewalt als Faszinosum, aber auch als Teil der menschlichen Natur. Wenn man sie völlig ausmerzt, führt auch das in eine totalitäre Gesellschaft.

    Das sardonische Grinsen der Hauptfigur Alex kehrt wieder in "Shining", Stanley Kubricks gotischem Horrorfilm gedreht 1980 mit Jack Nicholson als Schriftsteller in der Schaffenskrise, von dem ein verfluchtes Haus Besitz ergreift. Aus dem Aufzug schwappt Blut, seltsame Figuren bevölkern die Hotelzimmer und eine schwebende Kamera befördert die Zuschauer in die düstere Hälfte ihres Unterbewussten. Auch davon kaum eine Spur in Walkers Filmbuch, das insgesamt doch zu selten auch nur ansatzweise in die fremdartigen Kinowelten des Stanley Kubrick entführt. Da war er so nah dran an dem wohl wichtigsten Filmregisseur des Jahrhunderts, das kurz nach seinem Tod zu Ende gegangen ist und er hat ihm kein einziges mal die Frage gestellt: wie haben sie das gemacht? Ein einziges Mal aber, auch das erzählt Walker in seinem Buch, hat er für Kubrick tatsächlich gearbeitet, ohne Bezahlung versteht sich. Er entwarf fiktive Zeitungsartikel, die die blutige Vorgeschichte des Overlookhotels in "Shining" illustrieren sollten. Kubrick ließ die geplante Sequenz jedoch fallen. Statt dessen endet der Film jetzt mit dem Photo von einem Ball, der laut Bildinterschrift am 4ten Juli 1921 stattgefunden hat. In der Mitte des Bildes steht lächelnd Jack. Das kann gar nicht sein, denn der ist in der Szene zuvor endlich ums Leben gekommen. Aber Jack Nicholson grinst uns trotzdem zweifelsfrei an.