"Ich war so unbefangen, deshalb habe ich nicht verstanden, warum mir niemand glaubte. Ich hatte einfach keine Ahnung, welche Art von Daten die Leute überzeugen würde. Ich habe also versucht, die Merkmale zu sammeln, die andere Zellen nicht haben."
Im Interview mit "Nature" im Januar hatte die junge Japanische Forscherin Haruko Obakata noch gedacht, die Überzeugungsarbeit hinter zu haben. Die in dem renommierten Fachmagazin veröffentlichten Daten schienen zu belegen, dass es überraschend einfach ist, Körperzellen in Stammzellen zurückzuverwandeln: Stimulus-Triggered-Acquisition of Pluripotency, kurz STAP so nannte sich die Methode. Ein einfaches Säurebad sollte der Trick sein.
Die Wissenschaftswelt war überwältigt. Auch Kenneth Lee, Stammzellforscher an der Universität Hongkong war zunächst enthusiastisch:
"Direkt bevor Obakata ihre Experimente vorstellte, hatte ich an etwas sehr Ähnlichem gearbeitet. Und dann kam ihre Studie raus. Das Verfahren schien für jeden Zelltyp zu funktionieren. Einfach durch Behandlung mit Säure! Ich dachte, das kann nicht sein, aber ich versuche es trotzdem."
Schlechte Wiederholbarkeit lässt Experten stutzig werden
Obwohl er das STAP-Protokoll genau befolgt und sogar dieselben Zellen zur Verfügung hat, gelingt es Kenneth Lee aber nicht, Stammzellen herzustellen. Auch andere Kollegen beginnen, stutzig zu werden. Öffentliche Vorwürfe werden laut, ein Teil der Abbildungen in den zwei Publikation zu STAP-Zellen wäre geschönt.
Das Riken-Institut im japanischen Kobe, wo die Forschung durchgeführt wurde, reagiert auf die Kritik und setzt im März einen Untersuchungsausschuss ein. Die von Haruko Obakata gesammelten Daten erscheinen Fachleuten immer weniger überzeugend und immer mehr zu gut, um wahr zu sein.
"Ich sprach mit meinen Kollegen und die sagten: Du hast so viel investiert, warum versuchst du nicht, deine Ergebnisse zu veröffentlichen. Versuch's bei 'Nature'. Versuch's wenigstens mit einem kurzen Artikel der sagt: 'Es funktioniert nicht'. Ich habe es also zu 'Nature' geschickt und eine Woche später eine Ablehnung bekommen."
Kaum Platz für Kritik
Wie die meisten großen Fachzeitschriften benutzt auch "Nature" ein geschlossenes Peer-Review-Verfahren. Jedes eingereichte Manuskript wird von zwei bis drei Wissenschaftlern gelesen, die für das fragliche Feld Experten sind. Ihre Identität bleibt geheim. Das kritische Hinterfragen und Prüfen von Ergebnissen ist allein ihre Aufgabe. Konstruktive Kritik von Dritten hat in diesem Gutachterprozess nur eingeschränkt Platz, wie "Nature" in einer schriftlichen Stellungnahme erklärt:
"'Nature's Richtlinie ist es, Leserkritiken an Forschungsarbeiten abzuwägen und nur dann zu publizieren, wenn die Autoren stichhaltige Beweise vorbringen, die die Kernaussage der veröffentlichten Arbeit infrage stellen."
Kenneth Lee ist selber Gutachter bei einem Journal der "Nature"-Gruppe. Grundsätzlich stimmt er mit der Vorgehensweise überein. Ihn ärgert aber die Zurückhaltung in Bezug auf sogenannte Negativ-Ergebnisse", also Berichte über etwas, das nicht funktioniert, insbesondere wenn es dabei um die Reproduzierbarkeit von Experimenten geht. Lee:
"Ich fand das frustrierend. Warum veröffentlichen wir nur positive Ergebnisse, aber nie negative? Ich denke, es gibt einige veröffentlichte Methoden, die so nicht funktionieren. Ich meine - bedeutet das: Was veröffentlicht ist, ist auf ewig in Stein gemeißelt?"
Tatsächlich empfiehlt das Riken-Institut im April einen Rückzug der umstrittenen Artikel. Der Untersuchungsausschuss, den das Forschungsinstitut eingesetzt hat, findet in den beiden Publikationen insgesamt sechs Ungereimtheiten, insbesondere frisierte Grafiken. Zwei davon werden als schweres wissenschaftliches Fehlverhalten eingestuft.
Autorin gesteht Fehler ein
Obakatas Co-Autoren, allesamt hoch angesehene Wissenschaftler, werden weitestgehend entlastet. Die Hauptverantwortung soll Haruko Obakata tragen, die sich bei einer Pressekonferenz entschuldigt:
"Ich nehme diese Verantwortung sehr ernst. Es tut mir unendlich leid. Die Fehler, die ich gemacht habe, ändern nichts an der Kernaussage der Publikationen. Die Experimente sind sorgfältig ausgeführt worden und die Daten existieren. Ich habe die Publikationen nicht mit einer schlechten Absicht geschrieben. Tatsächlich ist das STAP-Phänomen viele Male bestätigt worden."
"Nature" zieht die Reißleine
Heute gab "Nature" bekannt, die umstrittenen Studien zurückzuziehen. Begründung:
"Durch die vom Riken-Institut veranlassten Untersuchung ist klar geworden, dass Daten die von großer Bedeutung für die Kernaussage waren, missinterpretiert worden sind. Abbildungen, die unterschiedliche Zellen und Embryonen abbilden sollten, waren in Wirklichkeit identisch.
Alle Co-Autoren beider Publikationen sind zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht länger hinter den Veröffentlichungen stehen können und haben entschieden diese zurückzuziehen."
Mit dieser Entscheidung wartet "Nature" nicht länger auf die eindeutige Beantwortung der Frage, die viele Stammzellforscher bewegt: Existieren STAP-Zellen oder war alles ein großer Bluff?
STAP bekommt zweite Chance
Ein weiteres vom Forschungsinstitut Riken berufenes Komitee arbeitet derzeit an dem, was Kenneth Lee nicht gelungen ist: der Reproduzierbarkeit des STAP-Verfahrens. Haruko Obakata bekommt hier eine Gelegenheit, sich zu rehabilitieren. Sie ist von Riken in das Komitee berufen. Fünf Monate werden ihr gegeben, das Verfahren unter der Aufsicht anderer Wissenschaftler zu reproduzieren. Erste Zwischenergebnisse sind für Ende Juli angekündigt.