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Stapfend durch den Winterwald

Wintersport – das bedeutet meistens Skifahren oder rodeln. Inzwischen ist eine weitere Variante winterlicher Betätigung hinzugekommen: das Wandern mit Schneeschuhen. Die Adelegg, ein einsamer Landstrich mitten im Allgäu, lässt sich sehr gut damit erkunden.

Von Hans Georg Meurer | 21.02.2010
    In Wintern wie diesen erstickt die Adelegg im Schnee. Keiner kann erklären, warum, aber dieses schöne Stück Allgäu zwischen Kempten, Leutkirch und Isny ist ein wahres Schneeloch. Bis zu einem Meter und mehr türmt sich der Schnee im Wald, bessere Voraussetzungen für eine Schneeschuhtour in die geschichtsträchtige Gegend kann es nicht geben.

    "Die Adelegg. Eine Welt für sich. Ein Vorposten der Alpen, das dunkle Herz des Allgäus. Eine wilde Landschaft für Wanderer und Naturfreunde."

    So steht es auf der Karte, die Wanderer im Sommer und Schneeschuhgeher im Winter auf dem sogenannten Glasmacherweg durch die Adelegg führt. Die Idee für diesen Themenwanderweg hatte Rudi Holzberger. Er ist hier geboren, und wer die Adelegg erwandern will, braucht ihn als fachkundigen Führer. In wenigstens sechs Tagesetappen ist der Glasmacherweg eingeteilt, auf 20 Kilometern geht es durch tief eingeschnittene, wild-romantische Täler und über bis zu 1000 Meter hohe Berge. Die Orte hier lassen sich an einer Hand abzählen. Treffpunkt unserer Wanderung ist der Ghoresberg, mittendrin im "dunklen Herzen des Allgäus"

    "Wir stehen jetzt hier direkt neben der Alpe Ghoresberg am allerschönsten Flecken. Das Tolle hier ist, dass unten eine Loipe weggeht und der Startplatz für die Schneeschuhwanderungen ist. Wir sehen inzwischen, dass die Winterwanderer unheimlich zunehmen. Der Glasmacherweg ist jetzt erst drei Jahre alt und zieht doch jedes Jahr mehrere 1000 Besucher an."

    Jeder, der einigermaßen fit ist und im Sommer gerne wandert, kann auch mit Schneeschuhen unterwegs sein. Das Plastikgeflecht ist so klein wie der Kopf eines Tennisschlägers und wird mit zwei Handgriffen an den Schuhen befestigt. Wenn das Geländer steiler wird, muss die Fersenhalterung geöffnet werden, um die Fußspitzen möglichst im rechten Winkel gegen den Berg anzustellen und die Schneeschuhe dennoch mit ganzer Fläche aufzusetzen. Wanderstöcke sorgen zusätzlich für Gleichgewicht. So erschließt man sich auf den markierten Wegen einsame Winterwunderwelten.

    "Ah, das ist ja einfach nur schön. Es hat geschneit über Nacht und jetzt geht man in aller Ruhe ganz allein durch unberührte Natur, Wald, und da kann man weiß Gott alles hinter sich lassen. Aber es ist auch ein bisschen anstrengend. Also man braucht n bisschen Kondition dafür, aber einfach nur schön."

    "Das ist Klein-Kanada: es gibt hier Hirsche, Luchse und Gämsen. Es gibt eine Flora und Fauna, die einmalig ist."

    So beschreibt Rudi Holzberger seine Heimat. Der promovierte Medien- und Agrarwissenschaftler kennt sie wie kein zweiter.

    "Extrem waldreich, extrem steile Topografie, sowas gibt's nirgendwo in dieser Art im Allgäu ansonsten."

    In Kreuzthal, mitten drin in der Adelegg, liegen seine Wurzeln. Lange Zeit gab es nur einen Weg ins Tal, aus dem Württembergischen, die Straße aus dem bayerischen Kempten wurde erst in den 1970er-Jahren gebaut. Jetzt, im gesetzten Alter, fühlt er sich zu den Wurzeln zurückgezogen. Seine Heimat, seine Adelegg, will er retten. Flächen für Landwirtschaft will er schaffen und Aufforstung verhindern. Touristen sollen wiederkommen, im Sommer wie im Winter, so wie Ende des 19. Jahrhunderts, zur Blütezeit des Glasmacherhandwerks. Er kämpft um Subventionen, um dem Tal neues Leben einzuhauchen. Eine der 18 Natur- und Kulturstationen dieses Wanderweges ist sein Heimatort Kreuzthal/Eisenbach, wo mal mehr als 1.000 Menschen lebten. Kein Bäcker und kein Metzger, kein einziger Laden ist geblieben, nur ein Gasthaus wartet auf Gäste. Mittags unter Woche hat es geschlossen.

    "Wir stehen jetzt über der Kirche. Drüben ist Eisenbach, württembergische Seite, bayerische Seite Kreuzthal. Früher eine grenzübergreifende Gemeinde, schon das ein Kuriosum, heute Landratsamt Ravensburg Landratsamt Oberallgäu, drüben Württemberg, hier Bayern."

    Fred aus Salzburg ist passionierter Schneeschuhgeher. Der "Weg ist das Ziel" – ein Motto wie geschaffen für das Schneeschuh-Wandern.

    "Schneeschuhgehen mit Fred: Das ist das wahre Erlebnis Schneeschuhe. Und wie geht's? – Es ist so, dass man das Vergnügen hat, in vollkommen unberührten Schnee einzutreten. Also es hat bestimmt einen halben Meter geschneit. – Ja, knietief kommt man mitsamt den Schneeschuhen. Also sanft-mobiler kann man kaum unterwegs sein. Wobei die Mobilität sich in Grenzen hält. Ja, es geht alles n bisschen langsamer. Das Schönste am Schneeschuhwandern ist, dass man einfach durch den Wald stapfen kann, gar nicht viele Meter macht, sondern schaut, keucht – ja, das passiert jetzt schon, wo es ein bisschen bergauf geht."

    "Ich glaub, es bleibt eine wilde Region und es bleibt auch überschaubar hier",
    meint Michael Hofmann, der in dieser Wildnis erlebnispädagogische Wanderungen mit Jugendlichen organisiert. Im Winter sagen sich hier Hase und Igel gute Nacht. Wir wandern rund um Kreuzthal ohne einer Menschenseele zu begegnen, durch scheinbar unberührte Natur. Geradezu ideal für Erlebnisferien, ob mit oder ohne Schneeschuhe.

    "Wir machen zum Beispiel für Schulklassen Orientierungsläufe hier, wir haben einen kleinen Teamseilgarten, der mitten in einem dichten Wald liegt. Wir machen Bachtouren, Conyonüberquerungen und Schneeschuhtouren - jetzt im Winter wunderschön!"

    Der Glasmacherweg ist viel friedliche Landschaft. Die wenigen Orte hatten seinerzeit alle mit Glas zu tun. Im vergangenen Jahrhundert hielten sie einen Dornröschenschlaf, viele Gebäude und Fabriken sind noch gut erhalten und bilden die Kulisse für ein lebendiges Museum. Wunderschöne Ziele für Schneeschuh-Wanderer.

    "Jetzt sind wir in Schmidsfelden, der schönste Teil des Glasmacherwegs, weil hier einmalig in Deutschland ein ganzes Ensemble eines typischen Glasmacherdorfes erhalten geblieben ist. Inzwischen sind alle Häuser renoviert, wieder bewohnt von Kunsthandwerkern. Auch zwei Glasmacher haben sich wieder angesiedelt, ein Glasmuseum ist gebaut worden, die Glashütte ist restauriert und so bleibt dieses Ensemble mit einem einmaligen Charme jetzt Gott sei Dank erhalten."

    Und mittendrin betreibt Rudolf Schneider mit seiner Remise ein kleines feines Restaurant. Seine Küchenphilosophie lautet "Natur pur":
    "Das ist die Idee, genau. Weil das alles zusammenpasst: Schmidsfelden, die Natur, gutes Essen und eine ganz tolle Lebenssituation. Es sind wenige Häuser hier im Dorf, die Leute fühlen sich wohl, wenn sie hierher kommen – eben, weil es so friedlich ist."

    Auch Dietmar Eisele vom Adelegg-Verein Kreuzthal kämpft dafür, dass Gäste sich die Schönheiten der Adelegg erwandern sollen und dagegen, dass das Tal wieder in Vergessenheit gerät:

    "Man redet ja immer im Allgäu, dass die Dörfer immer mehr sterben. Und da müssen wir einfach dagegen tun. Wenn wir das nicht machen, wer denn dann?"

    Man mag ihnen Glück wünschen bei dem Versuch, in das "dunkle Herz des Allgäus" ein wenig Licht zu bringen – und dass die Schönheiten der Adelegg dabei nicht unter die touristischen Räder kommen.