Thekla Jahn: In Kunst zu investieren lohnt sich – nicht nur ideell, sondern auch finanziell. Das wissen Kunstsammler nur zu gut. Aber auch für eine Stadt kann es lohnen. Im nordspanischen Bilbao hat es sogar so gut funktioniert, das die Stadt zum Vorbild für Politiker und Stadtplaner geworden ist. Das dortige Guggenheim-Museum, dass Star-Architekt Frank Gehry entworfen hat und 1997 eingeweiht wurde, bescherte der Stadt einen wirtschaftlichen Boom.
Doch ob sich dieser Bilbao Effekt auch andernorts wiederholen lässt – das ist nicht gesagt. Ein Team am Lehrstuhl für Raumentwicklung in München hat sich gemeinsam mit der Hafencity Universität Hamburg und der TU Berlin drei ikonische Kulturbauten angeschaut, die seit über 15 Jahren in Betrieb sind: darunter das Wissenschaftszentrum phaeno in Wolfsburg, dass von Stararchitektin Zaha Hadid entworfen wurde.
Nadja Alaily-Mattar ist Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Raumentwicklung in München – Schönen guten Tag.
Nadja Alaily-Mattar: Ja, guten Tag. Hallo.
Jahn: Wolfsburg wird ja in erster Linie mit VW verbunden wird – schließlich war das Werk der Grund für Gründung der Stadt 1938. Konnte das von Stararchitektin Zaha Hadid entworfene Gebäude der Stadt ein anderes Image verleihen - es ist ja schon ein sehr spezieller, wuchtiger Beton-Baukörper.
Alaily-Mattar: Also man hat es zumindest versucht. Inwiefern das funktioniert hat - es ist ja erst seit 15 Jahren in Betrieb ...
Jahn: Aber immerhin, 15 Jahre.
Alaily-Mattar: Ja, ja, genau. Aber schauen Sie, diese Gebäude, die wirken ja auch lange nach. Also man darf das jetzt nicht innerhalb von 15 Jahren so schnell beurteilen. Und vor allen Dingen ging es ja bei dem Projekt phaeno um nicht nur diese Außenwirkung, sondern auch diese Innenwirkung. Da geht es auch um Sachen wie 'citizen-pride', das Selbstverständnis einer Stadt und so weiter. Also gewissermaßen hat das schon, kann man schon Erkenntnisse generieren, dass es in Wolfsburg auch nach Außen gewirkt hat. Das Projekt wurde ja auch so konzipiert, dass es auch als Postkarten-Image funktionieren soll. Ich würde nicht sagen, dass das auch wirklich funktioniert hat, aber nach Innen hat das schon eine große Wirkung.
"Eine Stadt braucht Zeit, um sich zu entwickeln"
Jahn: Sie sagen gerade nach Innen - die Stadtplaner hatten sich ja für den Entwurf von Zaha Hadid deswegen besonders entschieden, weil in Wolfsburg dieser Hauptbahnhofplatz eher unbelebt war und man sich versprach, durch diese Architektur die Bewohner auch an diesen Platz zu ziehen. Der Beton hat aber so einen Charme einer Parkgarage entwickelt und die Bewohner nutzen es nicht wirklich.
Alaily-Mattar: Ja, das stimmt, das haben wir auch gehört in Wolfsburg, dass das auch ziemlich schwierig ist. Besonders, ja, das Gebäude sollte ja auch ein bisschen höher angehoben sein und der Platz darunter ist schon ein bisschen einengend. Aber ich glaube, man darf das Besonders nicht so kurzfristig beurteilen. Eine Stadt braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Und 15 Jahre im Leben einer Stadt sind wirklich sehr kurzfristig.
Jahn: Nehmen wir die andere Stadt, die Sie untersucht haben: Graz. Dort sollte auch ein architektonisches Leuchtturmprojekt verbindend wirken, das Kunsthaus. An den, ja, mittelalterlichen Kern dieser österreichischen Stadt platziert, haben die Architekten Peter Cook und Colin Fournier ein Bauwerk, das sich mit seinen biomorphen, runden Formen so wie ein blubbernder Fremdkörper darstellt, was die beiden Schöpfer auch ganz offensiv am Anfang schon verraten haben und gesagt haben, ja, wir nennen es 'Friendly Alien'. Was hat dieser architektonische Kontrapunkt der Stadt Graz gebracht?
Alaily-Mattar: Das Kunsthaus ist ja im Zuge der Kulturhauptstadt 2003 entstanden und es war auch als Wahrzeichen für dieses Veranstaltungsjahr konzipiert worden. Das Areal, wo das Kunsthaus gebaut worden ist, wurde bewusst in der "schlechten Seite" in Anführungszeichen gebaut, um halt dieses Quartier aufzuhippen und die Urban-Regeneration anzukurbeln. Das haben die auch geschafft.
Jahn: Das heißt, das Konzept ist im Prinzip aufgegangen, dass sich die Stadtväter in Graz überlegt haben. Haben Sie bei Ihren Untersuchungen herausgefunden, wann es funktioniert und wann nicht? Haben Sie ein Patentrezept entwickeln können oder, ja, vielleicht sogar Kontraindikationen herausgefunden, also dann, wenn es nicht funktionieren wird?
Alaily-Mattar: Nein, ein Patentrezept gibt es nicht. Und das ist auch diese, was wir auch diese Bilbao-Falle nennen. Jede Stadt ist anders und es gibt ganz andere Gegebenheiten vor Ort. Es ist keine Formula, dass man jetzt von einer Stadt zu einer anderen einfach wieder anwenden kann.
Jahn: Auch nicht, wenn man sagt, je berühmter der Architekt ist, desto eher wird es Auswirkungen haben nach Außen, nach Innen? Oder je ungewöhnlicher der Entwurf, desto mehr wird es in der Welt wahrgenommen? Je gefälliger modern und alt zusammenkommen, desto mehr werden die Bewohner sich damit wohlfühlen?
Alaily-Mattar: Auf jeden Fall nicht. Einige unserer Ergebnisse, also besonders die Ergebnisse der Medienanalyse bestätigen das nicht.
"Es ist wichtig, auch die Wirkungen aufzudröseln"
Jahn: Sie haben noch eine dritte Stadt untersucht und zwar die Schweizer Stadt Luzern, das ist die kleineste der von Ihnen untersuchten Städte mit 80.000 Einwohnern. Dort hat der Pariser Architekt Jean Nouvel ein Kultur- und Kongresszentrum ersonnen, bei dem er den Vierstättersee, an dem Luzern ja liegt, und sein Gebäude verzahnt. Das Dach ragt in den See hinaus und Wasserkanäle führen direkt ins Gebäude hinein. Das ist ein ganz anderes Konzept gewesen. Profitieren die Luzerner? Und zwar zu 100 Prozent?
Alaily-Mattar: Auf jeden Fall, also das bestätigen auch andere Studien. Aber auch, was sehr interessant ist in dem Fall KKL, es gibt ja auch diese Nutzungsrechte, wo dann halt die lokalen Vereine auch dieses Gebäude nutzen können. In dem Sinne profitieren die Luzerner natürlich von diesem ausgezeichneten Gebäude.
Jahn: Das heißt also, nicht nur das Wasser kommt in dieses Gebäude rein, sondern sogar die Welt kommt nach Luzern. Sie sprechen da gerade einen ganz wichtigen Punkt an: Das Gebäude ist Eines, die Architektur und die Nutzung ist das Andere, das darf man ja auch nicht beiseite lassen. In Bilbao sind es ja auch die Kunstwerke, weshalb man nach Bilbao fährt, nicht nur die Architektur. Genauso ist es in Luzern. Die Akustik, weshalb man sich möglicherweise in den Konzertsaal begibt, und nicht nur die Architektur, ebenso in Graz. Wie wichtig ist Gebäude, wie wichtig ist Nutzungskonzept?
Alaily-Mattar: Also das ist auch von einem Fall zum anderen unterschiedlich. Aber für die Untersuchungen ist das natürlich sehr wichtig, dass man versucht, auch die Wirkungen aufzudröseln, sage ich mal. Wir haben in Luzern das Luzern Festival, das ja auch unter den klassischen Musikfestivals auf der Welt auch sehr bekannt ist, das zieht natürlich auch Leute an. Also in Wolfsburg ist es dann halt eine andere Geschichte. Das ist eigentlich mehr regional ausgerichtet von der Funktion her, aber hier interessanterweise auch mit dem Namen Hadid, Zaha Hadid, die Architektin des Gebäudes, hat da natürlich nochmal so einen Weltklasse, globalen Namen erhalten. Und da ist die Architektur, wirkt die Architektur auf einer globalen Ebene.
Inwiefern diese globale Anerkennung, inwiefern man da auch wirklich ökonomisch, also wirtschaftlich davon profitiert, ist dann auch nochmal eine andere Sache. Also es werden jetzt nicht Massentouristen nach Wolfsburg kommen, um dieses eine Gebäude von Zaha Hadid zu sehen. Also man kann das vielleicht nicht monetarisieren, es heißt aber nicht, dass das nicht wirkt. Also da ist die Wirkung eine andere halt, da hat das eine sozio-kulturelle Wirkung, also diese Stärkung des Mutes der Stadt, des Selbst, wie die Stadt sich selbst sieht, wie die Stadtväter sich vis-à-vis Volkswagen aufstellen und so weiter. Und das darf man nicht unterschätzen.
Jahn: Nadja Alaily-Mattar, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Raumentwicklung an der TU München und mitbeteiligt an der Studie zum Einfluss von Star-Architektur an der Entwicklung einer Stadt. Ich danke Ihnen.
Alaily-Mattar: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.