Friedbert Meurer: Das war das Thema gestern: Bei den Grünen gibt es einen Generationswechsel, die Partei macht geradezu Tabula rasa. Jürgen Trittin und Renate Künast hören auf. Der eine wäre gerne noch einmal Minister geworden, die andere Berlins Regierende Bürgermeisterin. Die Realität ist davon weit entfernt, die Blütenträume der Grünen erst einmal vorbei. – Werner Schulz ist Europaabgeordneter der Grünen, beobachtet das alles von Brüssel aus, was da gestern in Berlin und am Sonntag geschehen ist. Guten Morgen, Herr Schulz!
Werner Schulz: Schönen guten Morgen, Herr Meurer!
Meurer: Sie hatten ja schon am Sonntagabend den Skalp von Jürgen Trittin gefordert. War er doch der Hauptschuldige für die Niederlage?
Schulz: Nein, ich habe nicht den Skalp gefordert, sondern ich habe an die Verantwortung appelliert, die er und natürlich auch viele andere für diesen desaströsen Wahlkampf haben, denn wir sind ja enorm eingebrochen, von der erträumten kleinen neuen Volkspartei zur, wenn man so will, kleinsten Partei im Parlament. Und das hat Ursachen, das hat Gründe, und wenn man Spitzenkandidat war oder Spitzenkandidatin, dann trägt man dafür Verantwortung.
Meurer: War es so, wie Sie am Sonntagabend gesagt haben, Jürgen Trittin wollte unbedingt diese Steuerpolitik, weil er Finanzminister werden wollte, und alle anderen sind ihm da brav gefolgt?
Schulz: Das ist einer der Gründe, nicht allein nur. Wir haben das immer wieder mal erlebt, dass die Spitzenkandidaten der Grünen sich auf Kosten der Partei profiliert haben. Das war zu Zeiten von Joschka Fischer so, da stand immer nur die Außenpolitik im Mittelpunkt aller Parteitage, und am Ende, 1998, sind wir ebenfalls eingebrochen, weil die ökologischen Themen vernachlässigt wurden oder radikalisiert wurden. Hier war es ähnlich: Jürgen Trittin hat eigentlich nicht mit der Kompetenz gearbeitet, die er hat. Als Umweltminister hätte er deutlich machen können, dass wir diejenigen sind, die etwas gegen den Klimawandel tun und die Energiewende voranbringen, möglicherweise auch die Solarindustrie zurück nach Deutschland bringen, die eine neoliberale Politik aus dem Land vertrieben hat. All diese Dinge sind in dem Maße nicht zur Sprache gekommen. Sie standen jedenfalls nicht im Vordergrund. Man hatte sich eine aufwendige Basisbefragung geleistet, die Basis hatte abgestimmt …
Meurer: Genau. Bei der kam dann Katrin Göring-Eckardt als Spitzenkandidatin heraus. Sind Sie doch ein bisschen enttäuscht, dass sie so wenig gegengehalten hat?
Schulz: Ja, da bin ich auch stark enttäuscht, weil sie ist ja eigentlich gewählt worden – das war ja ein Überraschungssieg von ihr -, dass die Bandbreite der Partei erweitert wird. Man hat sich ja mit ihr versprochen, in die Mitte der Gesellschaft, also in dieses Kirchentags-Milieu hineinzukommen. Aber von ihr kamen die gleichen Abgrenzungsrituale und Abgrenzungsfloskeln, dass man auf Rot-Grün fixiert sei, also keinerlei Annäherung an die Union, obwohl wir durchaus gewisse Gemeinsamkeiten haben. Gerade das wertkonservative Milieu hat sie überhaupt nicht angesprochen. Und wenn sie jetzt sagt, der Platz der bürgerlichen Freiheitspartei sei frei, dann frage ich mich, warum hat sie den im Wahlkampf nicht besetzt. Warum fällt ihr plötzlich ein, dass wir keine Bevormundungspartei sind, die der Gesellschaft einen Veggie Day verordnen.
Meurer: Genau! Das hat sie uns eben im Interview gesagt, Katrin Göring-Eckardt. Sollte sie trotzdem Fraktionsvorsitzende werden?
Schulz: Nein, ich bin nicht dafür. Ich glaube, dass auch sie Verantwortung dafür trägt. Sie sollte sich jetzt nicht einen schlanken Fuß machen und auf Kosten von Jürgen Trittin aus dieser Misere herauskommen. Sie trägt ebenfalls Verantwortung. Ich war entsetzt, wie gesagt, welche Abgrenzungsfloskeln von ihr kamen, und dass sie gerade das, was wir aus Bündnis 90 ja mitbringen – wir sind ja eine ökologisch-liberale Bürgerrechtspartei mit sozialem Engagement gewesen, das haben wir bei den Grünen mit eingebracht -, das ist bei ihr in keinster Weise sichtbar geworden. Sie stand neben sich und jetzt hinterher fallen ihr diese Themen ein. Das ist alles etwas spät, finde ich.
Meurer: Sind Sie dafür, mit der Union über eine schwarz-grüne Koalition zumindest zu reden und auch ein bisschen ernsthafter zu reden?
Schulz: Also nicht nur reden, sondern wirklich ernsthaft verhandeln. Ich glaube, wir sollten uns größte Mühe geben, unsere Kompromissfähigkeit zu erproben, und wir müssen vor allen Dingen diese defensive Verweigerungshaltung aufgeben, so nach dem Motto, man kann ja darüber reden, aber es kommt ja sowieso nichts heraus, wir liegen meilenweit auseinander. Das stimmt so nicht. Früher war das vielleicht so, da hat man mal gesagt, CDU und Grüne, das ist wie Feuer und Wasser, und ich habe immer gesagt, na und, wenn das zusammenkommt, das ergibt Dampf, das ist eine ökologische Antriebskraft.
Meurer: Aber Sie müssen das Betreuungsgeld schlucken.
Schulz: Ja was heißt schlucken? Nun hängt nicht das Schicksal der Republik und die Entwicklung Europas am Betreuungsgeld. Noch dazu gibt es immer die Möglichkeit, solche Dinge zu überprüfen, zu evaluieren, sich anzuschauen, war das sinnvoll, dieses Betreuungsgeld, hat das etwas gebracht, oder sind da Veränderungen notwendig. Das kann nicht die Frage sein, an der eine Koalition scheitert. Wir haben ebenfalls eine Verantwortung. Dieses Land braucht eine handlungsfähige Regierung und da sind beide Parteien, die verloren haben, SPD und die Bündnis-Grünen, jetzt gefordert, sich nicht zu verweigern. Raus aus der Trotzecke! Ich höre von der SPD, die schließen eine Große Koalition generell aus. Das ist natürlich für uns eine große Chance, an dieser Stelle Verantwortung zu übernehmen und zu sagen, gut, wir haben zwar verloren, aber wir haben ja für eine Entwicklung in diesem Land gekämpft und nicht nur für die Profilierung unserer Partei.
Meurer: Aber Ihre Prophezeiung, es gibt keine schwarz-grüne Koalition, das macht die Partei in Berlin nicht mit?
Schulz: Es ist sicherlich der ungünstigste Moment, wenn sich eine Parteispitze gerade auflöst und viele jetzt auch in einen Richtungsstreit verfallen sind. Ich glaube, wir könnten einen guten Schritt weiterkommen, wenn wir zumindest in Hessen diese Option eröffnen. Mit Schwarz-Grün im Bund – ich frage mich, wer sind die Leute, die dieses in die Hand nehmen. Das ist sehr schwierig, alle sind zurückgetreten, sind eigentlich nur noch für eine gewisse Zeit da und werden diese Gespräche vermutlich nicht in der Ernsthaftigkeit führen. Vielleicht Cem Özdemir, der daran interessiert ist, dass wir uns hier wirklich nicht verweigern. Also schwierig. Dennoch: Es ist eine große Chance, und wenn der Klimawandel, wenn die Energiewende wirklich eine Jahrhundertaufgabe ist, die keinen Tag warten darf, dann sind wirklich alle Bündnis-Grünen gefordert, hier etwas zu bringen und zu beweisen, dass uns das ernst ist.
Meurer: Der grüne Europaabgeordnete Werner Schulz ist für eine schwarz-grüne Koalition und dagegen, dass Katrin Göring-Eckardt wieder Fraktionsvorsitzende wird. Danke und auf Wiederhören, Herr Schulz.
Schulz: Bitte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Werner Schulz: Schönen guten Morgen, Herr Meurer!
Meurer: Sie hatten ja schon am Sonntagabend den Skalp von Jürgen Trittin gefordert. War er doch der Hauptschuldige für die Niederlage?
Schulz: Nein, ich habe nicht den Skalp gefordert, sondern ich habe an die Verantwortung appelliert, die er und natürlich auch viele andere für diesen desaströsen Wahlkampf haben, denn wir sind ja enorm eingebrochen, von der erträumten kleinen neuen Volkspartei zur, wenn man so will, kleinsten Partei im Parlament. Und das hat Ursachen, das hat Gründe, und wenn man Spitzenkandidat war oder Spitzenkandidatin, dann trägt man dafür Verantwortung.
Meurer: War es so, wie Sie am Sonntagabend gesagt haben, Jürgen Trittin wollte unbedingt diese Steuerpolitik, weil er Finanzminister werden wollte, und alle anderen sind ihm da brav gefolgt?
Schulz: Das ist einer der Gründe, nicht allein nur. Wir haben das immer wieder mal erlebt, dass die Spitzenkandidaten der Grünen sich auf Kosten der Partei profiliert haben. Das war zu Zeiten von Joschka Fischer so, da stand immer nur die Außenpolitik im Mittelpunkt aller Parteitage, und am Ende, 1998, sind wir ebenfalls eingebrochen, weil die ökologischen Themen vernachlässigt wurden oder radikalisiert wurden. Hier war es ähnlich: Jürgen Trittin hat eigentlich nicht mit der Kompetenz gearbeitet, die er hat. Als Umweltminister hätte er deutlich machen können, dass wir diejenigen sind, die etwas gegen den Klimawandel tun und die Energiewende voranbringen, möglicherweise auch die Solarindustrie zurück nach Deutschland bringen, die eine neoliberale Politik aus dem Land vertrieben hat. All diese Dinge sind in dem Maße nicht zur Sprache gekommen. Sie standen jedenfalls nicht im Vordergrund. Man hatte sich eine aufwendige Basisbefragung geleistet, die Basis hatte abgestimmt …
Meurer: Genau. Bei der kam dann Katrin Göring-Eckardt als Spitzenkandidatin heraus. Sind Sie doch ein bisschen enttäuscht, dass sie so wenig gegengehalten hat?
Schulz: Ja, da bin ich auch stark enttäuscht, weil sie ist ja eigentlich gewählt worden – das war ja ein Überraschungssieg von ihr -, dass die Bandbreite der Partei erweitert wird. Man hat sich ja mit ihr versprochen, in die Mitte der Gesellschaft, also in dieses Kirchentags-Milieu hineinzukommen. Aber von ihr kamen die gleichen Abgrenzungsrituale und Abgrenzungsfloskeln, dass man auf Rot-Grün fixiert sei, also keinerlei Annäherung an die Union, obwohl wir durchaus gewisse Gemeinsamkeiten haben. Gerade das wertkonservative Milieu hat sie überhaupt nicht angesprochen. Und wenn sie jetzt sagt, der Platz der bürgerlichen Freiheitspartei sei frei, dann frage ich mich, warum hat sie den im Wahlkampf nicht besetzt. Warum fällt ihr plötzlich ein, dass wir keine Bevormundungspartei sind, die der Gesellschaft einen Veggie Day verordnen.
Meurer: Genau! Das hat sie uns eben im Interview gesagt, Katrin Göring-Eckardt. Sollte sie trotzdem Fraktionsvorsitzende werden?
Schulz: Nein, ich bin nicht dafür. Ich glaube, dass auch sie Verantwortung dafür trägt. Sie sollte sich jetzt nicht einen schlanken Fuß machen und auf Kosten von Jürgen Trittin aus dieser Misere herauskommen. Sie trägt ebenfalls Verantwortung. Ich war entsetzt, wie gesagt, welche Abgrenzungsfloskeln von ihr kamen, und dass sie gerade das, was wir aus Bündnis 90 ja mitbringen – wir sind ja eine ökologisch-liberale Bürgerrechtspartei mit sozialem Engagement gewesen, das haben wir bei den Grünen mit eingebracht -, das ist bei ihr in keinster Weise sichtbar geworden. Sie stand neben sich und jetzt hinterher fallen ihr diese Themen ein. Das ist alles etwas spät, finde ich.
Meurer: Sind Sie dafür, mit der Union über eine schwarz-grüne Koalition zumindest zu reden und auch ein bisschen ernsthafter zu reden?
Schulz: Also nicht nur reden, sondern wirklich ernsthaft verhandeln. Ich glaube, wir sollten uns größte Mühe geben, unsere Kompromissfähigkeit zu erproben, und wir müssen vor allen Dingen diese defensive Verweigerungshaltung aufgeben, so nach dem Motto, man kann ja darüber reden, aber es kommt ja sowieso nichts heraus, wir liegen meilenweit auseinander. Das stimmt so nicht. Früher war das vielleicht so, da hat man mal gesagt, CDU und Grüne, das ist wie Feuer und Wasser, und ich habe immer gesagt, na und, wenn das zusammenkommt, das ergibt Dampf, das ist eine ökologische Antriebskraft.
Meurer: Aber Sie müssen das Betreuungsgeld schlucken.
Schulz: Ja was heißt schlucken? Nun hängt nicht das Schicksal der Republik und die Entwicklung Europas am Betreuungsgeld. Noch dazu gibt es immer die Möglichkeit, solche Dinge zu überprüfen, zu evaluieren, sich anzuschauen, war das sinnvoll, dieses Betreuungsgeld, hat das etwas gebracht, oder sind da Veränderungen notwendig. Das kann nicht die Frage sein, an der eine Koalition scheitert. Wir haben ebenfalls eine Verantwortung. Dieses Land braucht eine handlungsfähige Regierung und da sind beide Parteien, die verloren haben, SPD und die Bündnis-Grünen, jetzt gefordert, sich nicht zu verweigern. Raus aus der Trotzecke! Ich höre von der SPD, die schließen eine Große Koalition generell aus. Das ist natürlich für uns eine große Chance, an dieser Stelle Verantwortung zu übernehmen und zu sagen, gut, wir haben zwar verloren, aber wir haben ja für eine Entwicklung in diesem Land gekämpft und nicht nur für die Profilierung unserer Partei.
Meurer: Aber Ihre Prophezeiung, es gibt keine schwarz-grüne Koalition, das macht die Partei in Berlin nicht mit?
Schulz: Es ist sicherlich der ungünstigste Moment, wenn sich eine Parteispitze gerade auflöst und viele jetzt auch in einen Richtungsstreit verfallen sind. Ich glaube, wir könnten einen guten Schritt weiterkommen, wenn wir zumindest in Hessen diese Option eröffnen. Mit Schwarz-Grün im Bund – ich frage mich, wer sind die Leute, die dieses in die Hand nehmen. Das ist sehr schwierig, alle sind zurückgetreten, sind eigentlich nur noch für eine gewisse Zeit da und werden diese Gespräche vermutlich nicht in der Ernsthaftigkeit führen. Vielleicht Cem Özdemir, der daran interessiert ist, dass wir uns hier wirklich nicht verweigern. Also schwierig. Dennoch: Es ist eine große Chance, und wenn der Klimawandel, wenn die Energiewende wirklich eine Jahrhundertaufgabe ist, die keinen Tag warten darf, dann sind wirklich alle Bündnis-Grünen gefordert, hier etwas zu bringen und zu beweisen, dass uns das ernst ist.
Meurer: Der grüne Europaabgeordnete Werner Schulz ist für eine schwarz-grüne Koalition und dagegen, dass Katrin Göring-Eckardt wieder Fraktionsvorsitzende wird. Danke und auf Wiederhören, Herr Schulz.
Schulz: Bitte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.