Bildungs- und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat Teile der Wissenschaft gegen sich aufgebracht. Hintergrund ist ein Offener Brief von fast 400 Lehrenden an Berliner Universitäten. Darin sprechen sich diese gegen die Schließung von Pro-Palästina-Protestcamps aus und fordern die Universitätsleitungen dazu auf, von Polizeieinsätzen gegen die Studierenden abzusehen. Am 23. Mai war das Institut für Sozialwissenschaften der Berliner Humboldt-Universität, das von rund 50 pro-palästinensischen Aktivisten besetzt worden war, von der Polizei geräumt worden.
In Stark-Watzingers Ministerium gab es NDR-Recherchen zufolge Überlegungen, zu prüfen, ob den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern des Offenen Briefs Fördermittel gestrichen werden könnten. Nachdem das bekannt wurde, forderten einige Wissenschaftler den Rücktritt der Bundesbildungsministerin. Sie fürchten um die Meinungsfreiheit und die Freiheit von Forschung und Lehre. Das „Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft“ bezeichnete die Vorgänge im Bildungs- und Forschungsministerium als „Grenzüberschreitung“.
Ist die Kritik gerechtfertigt? Zwei Kommentare, zwei Meinungen.
Stark-Watzingers Prüfung ist legitim
Ein Kommentar von Sebastian Engelbrecht
Die Freiheit der Wissenschaft und der Meinung ist ein hohes Gut und muss unbedingt geschützt werden. Deshalb war es legitim, dass Universitäts- und Hochschuldozenten ihre Meinung zur Räumung des antiisraelischen Protestcamps an der Berliner Freien Universität äußerten.
Es gibt aber auch eine Freiheit der Politik. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat nichts weiter getan, als innerhalb ihres Ministeriums eine Frage zu stellen, nämlich ob die Dozenten und Autoren des Offenen Briefs mit ihrer Unterstützung etwas strafrechtlich Relevantes getan haben - und, falls ja, ob man ihnen die Fördermittel streichen könne.
Der Fall Stark-Watzinger ist kein Skandal
Es ist gut und richtig, dass das Ministerium die Fördermittel nicht angetastet hat, weil den Dozenten kein strafrechtliches Vergehen nachzuweisen ist. Denn an einer Universität muss die Meinungsfreiheit gelten. Gleichwohl ist es lächerlich, den Fall zu skandalisieren. Denn Stark-Watzinger hat lediglich um eine Klärung innerhalb ihres Ministeriums gebeten. Am Ende hat sie sich denen angeschlossen, die eine Streichung von Fördermitteln wegen einer Meinungsäußerung ablehnen.
Dass sie die Frage nach den Fördermitteln gestellt hat, war richtig. Denn womit haben es die Berliner Universitäten zu tun? Die Besetzung der Humboldt-Universität, die mehr als 24 Stunden geduldet wurde, hat gezeigt, dass die Anti-Israel-Aktivisten mitnichten einen friedlichen Protest im Sinn haben.
Jüdische Studierende haben Angst an deutschen Unis
Sie haben ein Gebäude der Humboldt-Uni besetzt – was sie auch an der Freien Universität versucht haben. Sie haben zudem bei ihrem Protest an der FU von Anfang an das Symbol des roten Dreiecks verwendet, mit dem die terroristische Hamas ihre Anschlagsziele markiert.
An der Humboldt-Uni kennzeichneten sie damit das Büro eines jüdischen Mitarbeiters. Die Aktivisten haben darüber hinaus jüdische Studentinnen und Studenten insgesamt in Angst und Schrecken versetzt, so dass sich viele von ihnen nicht mehr trauen, ihren Campus zu betreten.
Bedrohung durch präterroristische Gruppierungen
In der Nacht zum Donnerstag haben sie mit weiteren roten Dreiecken an beiden Universitäten namentlich beide Präsidenten, Günter Ziegler von der Freien Universität und Julia von Blumenthal von der Humboldt-Uni, mit dem Tod bedroht: „Ziegler will pay“ hieß es da. Unter dem Schriftzug „Julia“ war das rote Dreieck zu sehen. Berlins Regierenden Bürgermeister Kai Wegner nahmen die Aktivisten ebenso ins Visier.
Der Staat und die Universitäten haben es mit präterroristischen Gruppierungen zu tun – nun wirklich nicht mit friedlichen Versammlungen von Studentinnen und Studenten. Deshalb durfte die Forschungsministerin ihre behördeninterne Frage stellen, ob der Staat Solidarität von Universitätsbeamten mit diesen Aktivisten ohne Widerspruch dulden will.
Stark-Watzinger greift die Wissenschaftsfreiheit an
Ein Kommentar von Vladimir Balzer
Also eines sollte man auf jeden Fall vermeiden, wenn man für Forschungspolitik zuständig ist: die Wissenschafts-Community gegen sich aufzubringen. Darin ist Forschungsministerin Stark-Watzinger aber geübt. Diesmal in dem sie es zuließ – wenn noch nicht mehr – dass Forschungsförderung durch ihr Ministerium auf politische Opportunität überprüft wurde. Zum Glück haben hier die Selbstreinigungskräfte des Ministeriums gewirkt und Mitarbeiter haben dieses Ansinnen intern zurückgewiesen. Aber es gab den Versuch. Und das reicht schon.
In der Leitungsebene des Bundesministeriums für Bildung und Forschung der Bundesrepublik Deutschland wurde also ernsthaft darüber nachgedacht, einen Angriff auf die im Grundgesetz verbriefte Wissenschaftsfreiheit zu starten. Was wie eine Dystopie klingt, wurde wahr - in einem ausgerechnet von einer Liberalen geführten Ministerium.
Völlig inakzeptabel
Schon allein darüber nachzudenken, Forschenden ohne substanziellen Grund – sondern nur weil sie öffentlich ihre Meinung sagen – mit Steuermitteln finanzierte Fördergelder zu versagen, ist völlig inakzeptabel. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Ministerin dies selbst veranlasst hat, dann müsste sie zurücktreten, um weiteren Schaden vom Wissenschaftsstandort Deutschland abzuwenden.
Etwas völlig anderes ist es, den kritisierten Offenen Brief, der sich für ein Palästina-Camp an der Freien Universität in Berlin einsetzt, abzulehnen. Auch als Ministerin. Ja, darüber dürfen sich auch verantwortliche Politikerinnen öffentlich aufregen. Das muss man als Unterzeichner schon mal aushalten. Und sich nicht darüber wundern.
Denn natürlich hatte dieser Brief einen politischen Spin. Er war eben nicht neutral, sondern zeigte Verständnis für die Wut der Studierenden auf die israelische Armee. Der Brief benutzte den ideologischen Begriff der „Polizeigewalt“, als es um die legitime Räumung des Camps ging, das die Sicherheit des Uni-Betriebs gefährdete.
Autoritäres Verständnis von Wissenschaftspolitik
Die Unterzeichnenden hatten sich also auf eine bestimmte Seite geschlagen. Genau das kann eine Bundesforschungsministerin öffentlich kritisieren. Aber daran Fördermittel zu knüpfen, ist ein autoritäres Verständnis von Wissenschaftspolitik, das hierzulande keinen Platz haben sollte.