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Starke Frau und tote Babys

Auf den ersten Blick ist „Taking Care of Baby“ von Dennis Kelly ein Drama um seelische Verwahrlosung und um den Tod zweier Kinder durch eine überforderte junge Mutter. Doch der britische Dramatiker hält seine Protagonistin keineswegs für schuldig.

Von Hartmut Krug |
    Auf deutschen Bühnen wird Medea stets als Opfer gezeigt. Gegen diesen Rechtfertigungs- oder Erklärungsversuch einer Kindsmörderin hat der Regisseur Clemens Schönborn in seiner Leipziger Inszenierung des Stückes mit Sophie Rois in der Titelrolle eine selbstbewusste Medea gezeigt, eine Macherin, die gegen Recht, Sitte, Bescheidenheit und „Anpassung als Lebensprinzip“ rebelliert. Bei dieser Medea bleibt es offen, ob sie ihre Kinder wirklich getötet hat, oder ob diese Tat eine Phantasie blieb.

    In Sascha Hawemanns Inszenierung von Dennis Kellys Stück „Taking Care of Baby“, die einen Tag nach der Leipziger Medea am Deutschen Theater in Berlin herauskam, bleibt ebenfalls offen, ob die junge Mutter Donna unschuldig ist oder ob die Behörden recht haben, die sie für eine doppelte Kindsmörderin halten. Kelly hält seine Donna allerdings für unschuldig und nennt sein Stück ein „gefälschtes Dokumentarstück.“ Ein Reporter und ein Autor befragen die fiktiven Figuren, und so wird nicht eine Geschichte erzählt, sondern bekommt allmählich Kontur durch die vielen Monologe, mit denen die Figuren antworten.

    Hawemanns Inszenierung macht die Ambivalenz dieser Konstruktion gleich zu Beginn deutlich, wenn einerseits eingeblendet wird, alles stamme „Wort für Wort aus Interviews und Schriftwechseln“ und andererseits dazu mit Märchenstimme von einer „fairy tale“ gesungen wird.

    Der Autor schrieb ein sozial engagiertes Stück, das mit holzschnittartigen Figuren und einer psychologisch schlicht gestrickten Erzählweise alle Türen einrennt, die uns viele Fernsehspiele längst geöffnet haben. Das Stück hält weder den Vergleich mit der „Medea“ des Euripides aus noch den mit Tom Lanoyes „Mamma Medea“, einer anderen aktualisierenden Version des alten Mythos.

    Kellys Figuren sind Klischees, denen eine Stückkonstruktion aufhelfen soll, die behauptet, sich sowohl mit dem „making of“ eines Dokumentarstückes wie mit dem Wirkungsmechanismus der Medien kritisch zu beschäftigen. Diese wenig überzeugenden Aspekte des Stückes sind allerdings in der Berliner Inszenierung weitgehend herausgekürzt. Ohnehin ist das Stück kräftig eingestrichen und auch um einige Figuren erleichtert worden.

    Was bleibt von der Auseinandersetzung mit der Arbeit der Medien, sind einige Fragen des Autors aus dem Off und ein ebenfalls meist aus dem Off insistierender Reporter, der in dieser Bühnenfassung kein Eigenleben besitzt und wenig über die sublimen und suspekten Mittel der Presse verdeutlicht. So wird der Reporter bei Regisseur Sascha Hawemann zum dramaturgischen Mittel für ein, wie man beim Film sagen würde, „Whodunit“-Stück. Für eines allerdings, das nur mäßig spannend ist.

    Maike Droste spielt eine leger unordentlich gekleidete Donna, die zugleich desorientiert wie verschlagen scheint und ihre Methode entwickelt hat, sich gegen alle Fragen lavierend zu behaupten. Die Schauspielerin zeigt das gleich zu Beginn, wenn sie von ihrem Gefängnisaufenthalt erzählt, sehr schön mit vielen stockenden Ähs und heftigem Gefingere am Rock, während Barbara Schnitzler als ihre Mutter im schicken Hosenanzug das vom Autor formulierte beinharte Klischee einer politischen Karrieristin auf die Bühne stellt. Diese Frau ist, man staune, von der Welt zu dem gemacht worden, was sie jetzt ist. Immerhin zeigt sie anfangs, als ihre Tochter im Gefängnis sitzt, nachdenkliche Momente und versucht ihr Leben zu ändern, doch als Donna in der Revision freigesprochen wird, benutzt sie ihre Tochter noch stärker als zuvor als Mittel für ihren Wahlkampf.

    Gespielt werden alle Figurenkonflikte im Als-ob-Stil mit einem Überdruck, der keuchend peinlich wirkt, wenn Donna bei einem Wutanfall ihre Mutter fast erwürgt, und der unerträglich wird, wenn sich Barbara Schnitzler heulend auf dem Boden wälzt, um ihre Tochter vom Auszug aus der gemeinsamen Wohnung abzuhalten, – schließlich würde das ihrer politischen Karriere schaden. Diese Spielweise führt weder Figuren vor noch stellt sie diese aus, sondern sie behauptet sie als echt. Nur Michael Schweighöfer, der einen selbstlosen Freund der Mutter spielt, stellt seine Figur mit spielerischem Witz auch aus, – und damit infrage. Was dem Zuschauer Raum lässt, anders als der Pseudorealismus der anderen Figuren es tut.

    Die Figur des Psychiaters, die Peter Moltzen als erfindungsreichen Ehrgeizling spielt, wird immerhin mächtig demontiert. Dieser Doktor Millard macht Donna zur Täterin, indem er für sie ein Leeman-Keatly-Syndrom erfindet, bei dem ihr Leiden am schlimmen Zustand unserer Welt sie zum Kindsmord treibt.

    Geändert hat sich am Schluss für niemanden etwas: während Donnas Mann, der sich lange hinter einer Mickey-Maus-Maske versteckte, seine Frau, mit der er nicht mehr zusammen ist, für eine Kindsmörderin hält, ist diese genauso ziellos wie am Anfang: Irgendwas mit Kunsthandwerk werde sie machen, und italienisch lernen. Außerdem, und das vertraut sie nicht wie bei Kelly dem Autor an, sondern ihrem Mann bei der letzten Aussprache, sei sie wieder schwanger.

    So bleibt mit dem Schicksal dieses erwarteten Kindes wenigstens etwas noch offen bei Dennis Kellys Stück und Sascha Hawemanns Inszenierung.