Im ersten Afrika-Lexikon des Peter Hammer Verlages aus dem Jahr 2001 findet sich unter dem Stichwort "König" – und es gibt nur die männliche Form dieses Begriffs – im letzten Absatz der Hinweis:
""Meistens haben Männer diese Ämter ausgeübt; aber auch Frauen haben politische Funktionen und oberste Ämter innegehabt, selbst wenn diese nicht immer mit der Bezeichnung ‚Königin’ oder ‚Chief’ belegt wurden.""
Ende des Zitats. Als einziges Beispiel bedeutender weiblicher Einflussnahme bei Hofe wird im Anschluss die Rolle der "Königinmutter" erwähnt. Im 15-bändigen Brockhaus online wie auch bei Wikipedia findet sich unter den Stichworten "Afrika" und "Königinnen" kein Eintrag. Liegt es daran, dass die Geschichtsschreibung allgemein nach wie vor männlich dominiert ist, oder bestimmt letztlich immer noch die Hautfarbe über die Aufnahme in die Annalen der westlichen Welt? Unbefriedigend ist die aktuelle Situation allemal.
Die im Großraum Paris lebende Journalistin und Historikerin Sylvia Serbin hat sich auf den steinigen Weg gemacht, diese Lücke zu schließen. Da die Quellenlage schwierig ist, gestaltete sich die Arbeit langwierig und mühselig. Einerseits ist die Geschichte der alten afrikanischen Gesellschaften bislang nur unzureichend erforscht; andererseits sind die letzten Hüter der oralen Traditionen im Verschwinden begriffen.
So basieren Sylvia Serbins Erkenntnisse vielfach auf mündlichen Überlieferungen, die die Autorin mit den Aufzeichnungen arabischer Reisender und kirchlicher Gelehrter abglich. Darüber hinaus zog sie mittelalterliche Chroniken und die späteren Dokumente der Kolonialmächte zu Rate, die allerdings unverkennbar von der Perspektive der Herrschenden bestimmt sind.
Auf diese Weise entstand in jahrelangen Recherchen das Buch "Königinnen Afikas", das in 22 Kapiteln einflussreiche afrikanische Frauen porträtiert und in ihre historischen Zusammenhänge stellt. Ihre Protagonistinnen klassifiziert Silvia Serbin als Königinnen, Kriegerinnen, politische und kirchliche Anführerinnen, Widerstandskämpferinnen, Prophetinnen und als Mütter großer Männer. Dabei gebraucht sie den Titelbegriff "Königinnen" als Synonym für charismatische, kühne, furchtlose Frauen.
Als Beispiel für den im 18. und 19. Jahrhundert überaus populären wissenschaft-lichen Rassismus hat die Autorin unter der abweichenden Kategorie "Opfer" auch die erschütternde Geschichte der sogenannten Hottentotten-Venus aufgearbeitet. Dabei geht es um eine junge Südafrikanerin, die den Europäern als Demonstrationsobjekt für eine eher animalische denn menschliche Identität diente, weil ihre Körpermaße von den üblichen ästhetischen Normen abwichen.
1810, im Alter von 20 Jahren, wird Saartjee Baartman als persönliches Eigentum eines Farmers und dessen Freundes nach Europa verschifft und von London bis Paris wie ein exotisches Zootier in einem Käfig herumgereicht, verschachert und begafft. Die Menschen, unabhängig von Alter und sozialem Stand, strömen in Scharen herbei. Wissenschaftler des Pariser Museums für Naturgeschichte reißen sich um sie. Fünf Jahre später stirbt die junge Frau auf mysteriöse Weise in Paris. Doch selbst nach ihrem Tod lässt man ihr keine Ruhe: Ihre Geschlechtsorgane werden herausoperiert, ihr Gehirn wird zerlegt.
"Um was zu beweisen?", fragt die Historikerin Sylvia Serbin. Sie beläßt es in diesem eindrucksvollsten Kapitel ihres vierhundert Seiten starken Geschichtsbuches nicht bei trockenen Zahlen und Fakten, sondern macht aus ihrer Abscheu vor diesem Beispiel wissenschaftlich beglaubigtem Rassismus’ keinen Hehl. Der – so die Autorin – die Verantwortung trage
"für die vom Westen universell verbreiteten Beschreibungen und Theorien über die Minderwertigkeit bestimmter menschlicher Rassen."
Wie sollen Kinder in Schwarzafrika heute eine Identität entwickeln,
"wenn sie sich auf eine Geschichtsschreibung stützen müssen, die nur Sklaverei und Kolonisierung kennt",
fragt Sylvia Serbin und erklärt damit den Antrieb für ihre Spurensuche. Dabei verschweigt sie in ihrem Buch nicht, dass Afrikaner an der Deportation von Millionen Sklaven nicht nur beteiligt waren, sondern gut daran verdient haben. Ihr geht es um die Rekonstruktion eines Geschichtsbildes, das zu viele Lücken und manch falsche Perspektive aufweist.
Vehement setzt sie sich deshalb zum Auftakt ihrer Ausführungen gegen das immer noch verbreitete Vorurteil zur Wehr, die Völker Afrikas seinen in präkolonialer Zeit geschichtslose Wilde gewesen, nur weil ihnen die Schriftlichkeit fehlte. Rund zwanzig Königtümer, Stadtstaaten oder Großreiche und ihre eindrucksvollen kulturellen und wirtschaftlichen Errungenschaften in den Jahrhunderten vor dem Beginn des Sklavenhandels und der darauffolgenden Kolonialherrschaft weiß die Autorin zu nennen.
Aber ihr Thema ist die überwiegend ungeschriebene Geschichte einflussreicher afrikanischer Führerinnen, die mit großem persönlichen Einsatz und außerordentlichem Mut das Rad der Geschichte vor Ort entscheidend weitergedreht haben. Ein Beispiel aus der Fülle ihrer Recherchen ist die gewiefte Taktikerin Anna Nzinga, Königin von Angola. Mit ihrer Unerschrockenheit, ihrer politischen Klugheit und ihrem unbeugsamen Stolz hielt sie im Laufe ihrer Regentschaft den Invasionsbestrebungen der Portugiesen 30 Jahre lang erfolgreich stand.
Oder die Geschichte der Königin Kassa von Mali Mitte des 14. Jahrhunderts – ein anderes Beispiel für ein ungehöriges Weibsbild. Kassa war die Hauptfrau des Herrschers Soleiman, dessen Reich in seiner Blütezeit so groß war wie das kaiserliche Rom und dessen Grenzen die heutigen Staaten Mali, Senegal, Guinea und Mauretanien umfassen. Ibn Battuta, der berühmte marokkanische Foschungsreisende, berichtet, dass Kassa bei ihrem königlichen Gemahl in Ungnade fiel. Die übliche Strafe hieß: Sieben Tage in Folge völlig nackt im großen Saal des Königspalasts zu erscheinen und vor Soleiman Abbitte zu leisten. Die stolze und selbstbewußte Kassa verstand es, sich dieser Strafe durch Frechheit und List zu entziehen, indem sie, in ein leichtes Seidentuch gehüllt, keck vor den Thron trat und ihre Dienerinnen sich statt ihrer bis auf die Haut entkleideten und sich vor Soleiman bußfertig mit Sand bestreuten.
Natürlich fehlen in Sylvia Serbins Reich der "Königinnen Afrikas" auch nicht die außergewöhnlich mutigen Amazonen von Dahomey, die als die berühmtesten Kriegerinnen in die afrikanische Geschichte eingegangen sind. Oder jene tapferen Senegalesinnen, die im 19. Jahrhundert, nachdem sie einen Angriff maurischer Sklavenjäger auf ihr Dorf zurückgeschlagen hatten, lieber in einem brennenden Haus den Freitod wählten als in der Knechtschaft zu enden. Auch die Afroamerikanerin Harriet Tubman findet in diesem Pantheon einen vorderen Platz, hat sie doch unter Einsatz ihres Lebens hunderte schwarzer Sklaven auf ihrer gefährlichenden Flucht in die Freiheit begleitet.
Mit zunehmender Seitenzahl verdichten sich Sylvia Serbins Geschichten über afrikanische Herrschaftsverhältnisse, das Leben am Hof, über Sklavenhandel, Missionierung und Kolonialisierung und die außerordentlichen Verdienste kühner, unbeugsamer Frauen. Und als Leser wird man mehr und mehr erkennen, dass die Lebensgeschichten schwarzer charismatischer Frauen vor allem eine Geschichte jahrhundertelangen Leids und des unermüdlichen Kampfes für die grundlegenden Menschenrechte ist.
Die besondere Anschaulichkeit der Darstellung, der Reichtum an Details und ihre gelegentliche Parteinahme mögen Puristen unter den Historikern als Mangel zu Lasten wissenschaftlicher Exaktheit und Neutralität betrachten. Als Leserin wird man dankbar anerkennen, dass "Königinnen Afrikas" nicht nur ein überfälliges, sondern auch eines der lebendigsten Geschichtswerke der letzten Jahre zum großen Themenspektrum Afrika ist. Deshalb sei dem Peter Hammer Verlag eine baldige zweite Auflage gegönnt, die die wunderbare Gelegenheit böte, die zukünftigen Leser mit einem etwas besser funktionierenden Korrektorat zu beglücken.
Sylvia Serbin: Königinnen Afrikas
Aus dem Französischen von Gudrun Honke, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2006, 407 Seiten, 25 Euro. Das Buch ist laut Verlag vergriffen, eine Neuauflage sei noch nicht in Planung.
""Meistens haben Männer diese Ämter ausgeübt; aber auch Frauen haben politische Funktionen und oberste Ämter innegehabt, selbst wenn diese nicht immer mit der Bezeichnung ‚Königin’ oder ‚Chief’ belegt wurden.""
Ende des Zitats. Als einziges Beispiel bedeutender weiblicher Einflussnahme bei Hofe wird im Anschluss die Rolle der "Königinmutter" erwähnt. Im 15-bändigen Brockhaus online wie auch bei Wikipedia findet sich unter den Stichworten "Afrika" und "Königinnen" kein Eintrag. Liegt es daran, dass die Geschichtsschreibung allgemein nach wie vor männlich dominiert ist, oder bestimmt letztlich immer noch die Hautfarbe über die Aufnahme in die Annalen der westlichen Welt? Unbefriedigend ist die aktuelle Situation allemal.
Die im Großraum Paris lebende Journalistin und Historikerin Sylvia Serbin hat sich auf den steinigen Weg gemacht, diese Lücke zu schließen. Da die Quellenlage schwierig ist, gestaltete sich die Arbeit langwierig und mühselig. Einerseits ist die Geschichte der alten afrikanischen Gesellschaften bislang nur unzureichend erforscht; andererseits sind die letzten Hüter der oralen Traditionen im Verschwinden begriffen.
So basieren Sylvia Serbins Erkenntnisse vielfach auf mündlichen Überlieferungen, die die Autorin mit den Aufzeichnungen arabischer Reisender und kirchlicher Gelehrter abglich. Darüber hinaus zog sie mittelalterliche Chroniken und die späteren Dokumente der Kolonialmächte zu Rate, die allerdings unverkennbar von der Perspektive der Herrschenden bestimmt sind.
Auf diese Weise entstand in jahrelangen Recherchen das Buch "Königinnen Afikas", das in 22 Kapiteln einflussreiche afrikanische Frauen porträtiert und in ihre historischen Zusammenhänge stellt. Ihre Protagonistinnen klassifiziert Silvia Serbin als Königinnen, Kriegerinnen, politische und kirchliche Anführerinnen, Widerstandskämpferinnen, Prophetinnen und als Mütter großer Männer. Dabei gebraucht sie den Titelbegriff "Königinnen" als Synonym für charismatische, kühne, furchtlose Frauen.
Als Beispiel für den im 18. und 19. Jahrhundert überaus populären wissenschaft-lichen Rassismus hat die Autorin unter der abweichenden Kategorie "Opfer" auch die erschütternde Geschichte der sogenannten Hottentotten-Venus aufgearbeitet. Dabei geht es um eine junge Südafrikanerin, die den Europäern als Demonstrationsobjekt für eine eher animalische denn menschliche Identität diente, weil ihre Körpermaße von den üblichen ästhetischen Normen abwichen.
1810, im Alter von 20 Jahren, wird Saartjee Baartman als persönliches Eigentum eines Farmers und dessen Freundes nach Europa verschifft und von London bis Paris wie ein exotisches Zootier in einem Käfig herumgereicht, verschachert und begafft. Die Menschen, unabhängig von Alter und sozialem Stand, strömen in Scharen herbei. Wissenschaftler des Pariser Museums für Naturgeschichte reißen sich um sie. Fünf Jahre später stirbt die junge Frau auf mysteriöse Weise in Paris. Doch selbst nach ihrem Tod lässt man ihr keine Ruhe: Ihre Geschlechtsorgane werden herausoperiert, ihr Gehirn wird zerlegt.
"Um was zu beweisen?", fragt die Historikerin Sylvia Serbin. Sie beläßt es in diesem eindrucksvollsten Kapitel ihres vierhundert Seiten starken Geschichtsbuches nicht bei trockenen Zahlen und Fakten, sondern macht aus ihrer Abscheu vor diesem Beispiel wissenschaftlich beglaubigtem Rassismus’ keinen Hehl. Der – so die Autorin – die Verantwortung trage
"für die vom Westen universell verbreiteten Beschreibungen und Theorien über die Minderwertigkeit bestimmter menschlicher Rassen."
Wie sollen Kinder in Schwarzafrika heute eine Identität entwickeln,
"wenn sie sich auf eine Geschichtsschreibung stützen müssen, die nur Sklaverei und Kolonisierung kennt",
fragt Sylvia Serbin und erklärt damit den Antrieb für ihre Spurensuche. Dabei verschweigt sie in ihrem Buch nicht, dass Afrikaner an der Deportation von Millionen Sklaven nicht nur beteiligt waren, sondern gut daran verdient haben. Ihr geht es um die Rekonstruktion eines Geschichtsbildes, das zu viele Lücken und manch falsche Perspektive aufweist.
Vehement setzt sie sich deshalb zum Auftakt ihrer Ausführungen gegen das immer noch verbreitete Vorurteil zur Wehr, die Völker Afrikas seinen in präkolonialer Zeit geschichtslose Wilde gewesen, nur weil ihnen die Schriftlichkeit fehlte. Rund zwanzig Königtümer, Stadtstaaten oder Großreiche und ihre eindrucksvollen kulturellen und wirtschaftlichen Errungenschaften in den Jahrhunderten vor dem Beginn des Sklavenhandels und der darauffolgenden Kolonialherrschaft weiß die Autorin zu nennen.
Aber ihr Thema ist die überwiegend ungeschriebene Geschichte einflussreicher afrikanischer Führerinnen, die mit großem persönlichen Einsatz und außerordentlichem Mut das Rad der Geschichte vor Ort entscheidend weitergedreht haben. Ein Beispiel aus der Fülle ihrer Recherchen ist die gewiefte Taktikerin Anna Nzinga, Königin von Angola. Mit ihrer Unerschrockenheit, ihrer politischen Klugheit und ihrem unbeugsamen Stolz hielt sie im Laufe ihrer Regentschaft den Invasionsbestrebungen der Portugiesen 30 Jahre lang erfolgreich stand.
Oder die Geschichte der Königin Kassa von Mali Mitte des 14. Jahrhunderts – ein anderes Beispiel für ein ungehöriges Weibsbild. Kassa war die Hauptfrau des Herrschers Soleiman, dessen Reich in seiner Blütezeit so groß war wie das kaiserliche Rom und dessen Grenzen die heutigen Staaten Mali, Senegal, Guinea und Mauretanien umfassen. Ibn Battuta, der berühmte marokkanische Foschungsreisende, berichtet, dass Kassa bei ihrem königlichen Gemahl in Ungnade fiel. Die übliche Strafe hieß: Sieben Tage in Folge völlig nackt im großen Saal des Königspalasts zu erscheinen und vor Soleiman Abbitte zu leisten. Die stolze und selbstbewußte Kassa verstand es, sich dieser Strafe durch Frechheit und List zu entziehen, indem sie, in ein leichtes Seidentuch gehüllt, keck vor den Thron trat und ihre Dienerinnen sich statt ihrer bis auf die Haut entkleideten und sich vor Soleiman bußfertig mit Sand bestreuten.
Natürlich fehlen in Sylvia Serbins Reich der "Königinnen Afrikas" auch nicht die außergewöhnlich mutigen Amazonen von Dahomey, die als die berühmtesten Kriegerinnen in die afrikanische Geschichte eingegangen sind. Oder jene tapferen Senegalesinnen, die im 19. Jahrhundert, nachdem sie einen Angriff maurischer Sklavenjäger auf ihr Dorf zurückgeschlagen hatten, lieber in einem brennenden Haus den Freitod wählten als in der Knechtschaft zu enden. Auch die Afroamerikanerin Harriet Tubman findet in diesem Pantheon einen vorderen Platz, hat sie doch unter Einsatz ihres Lebens hunderte schwarzer Sklaven auf ihrer gefährlichenden Flucht in die Freiheit begleitet.
Mit zunehmender Seitenzahl verdichten sich Sylvia Serbins Geschichten über afrikanische Herrschaftsverhältnisse, das Leben am Hof, über Sklavenhandel, Missionierung und Kolonialisierung und die außerordentlichen Verdienste kühner, unbeugsamer Frauen. Und als Leser wird man mehr und mehr erkennen, dass die Lebensgeschichten schwarzer charismatischer Frauen vor allem eine Geschichte jahrhundertelangen Leids und des unermüdlichen Kampfes für die grundlegenden Menschenrechte ist.
Die besondere Anschaulichkeit der Darstellung, der Reichtum an Details und ihre gelegentliche Parteinahme mögen Puristen unter den Historikern als Mangel zu Lasten wissenschaftlicher Exaktheit und Neutralität betrachten. Als Leserin wird man dankbar anerkennen, dass "Königinnen Afrikas" nicht nur ein überfälliges, sondern auch eines der lebendigsten Geschichtswerke der letzten Jahre zum großen Themenspektrum Afrika ist. Deshalb sei dem Peter Hammer Verlag eine baldige zweite Auflage gegönnt, die die wunderbare Gelegenheit böte, die zukünftigen Leser mit einem etwas besser funktionierenden Korrektorat zu beglücken.
Sylvia Serbin: Königinnen Afrikas
Aus dem Französischen von Gudrun Honke, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2006, 407 Seiten, 25 Euro. Das Buch ist laut Verlag vergriffen, eine Neuauflage sei noch nicht in Planung.