Etwa zwei Autostunden südlich von Mexiko-City liegt Temixco. Im Zentrum der knapp 100.000-Einwohner-Stadt eine Hacienda aus der spanischen Kolonialzeit. Drum herum zahlreiche Colonias, Stadtviertel, ganz am Rande der Colonia Rubén Jaramillo eine kleine Oase – das Reich von Maria Guadalupe Sanchez Recillas. 54 Jahre alt, ein junges Gesicht mit strahlenden Augen. Doña Lupe – wie sie von vielen respektvoll genannt wird – hat zupackende Hände. Mit raschen Bewegungen verschließt sie ein großes Glasgefäß. Darin allerlei Kräuter und etwas Alkohol. 30 Tage soll das Teufels-Gebräu ruhen, dann wird es eine wohltuende Wirkung haben, erklärt Lupe.
Das Areal ist ungefähr so groß wie ein Fußballplatz. Ein grüner Garten, Arbeiter bauen an Bungalows. Zwei sind schon fertig, Stahlträger werden zurechtgesägt für die Dächer. Längst fertig sind das Wohnhaus für Lupes Familie, eine Freiluft-Küche, eine Wäscherei, ein Massage- und Behandlungsraum, ein kleiner Badeteich, Duschen und Umkleidekabinen, ein großes, Schatten spendendes Palmendach. Im Zentrum dieser Wellness-Oase ein Temazcal, eine indianische Sauna.
Marcos und Abram verschließen den Ofen. Der Temazcal hat die Form eines Iglus, ist aber nicht aus Schnee oder Eis, sondern aus Lehm. Dicke Wände speichern die Wärme des Feuers. Marcos ist der Freund von Armanda, Doña Lupes ältester Tochter, Abram ist Lupes langjähriger Lebensgefährte. Wenn wir den Temazcal verlassen, kämen wir wie aus dem Schoß von Mutter Erde, fühlten uns wie neugeboren, verspricht Abram. Etwa ein Dutzend zahlender Gäste sind gekommen, um zu schwitzen oder sich behandeln zu lassen. Doña Lupe therapiert mit Magneten. In Mexiko eine durchaus übliche Methode. Deutsche Ärzte würden nur mit dem Kopf schütteln. Aber Marcos, der angehende Schwiegersohn von Lupe, sieht das ganz gelassen. Er hat Pharmazie studiert, nach europäischen Standards, und hat trotzdem Respekt vor Doña Lupes Behandlungsmethoden, wie er mir beim Schwitzen im Temazcal erklärt.
"Wir Pharmazeuten wissen auch nicht alles. Wir verstehen auch nicht alles. Andere machen es eben wie Doña Lupe, die nicht Pharmazie studiert hat. Aber ich glaube, sie ist eine große Heilerin, erfolgreicher als manche Pharmazeuten und als viele Ärzte."
Auch Armanda hat Pharmazie studiert, wie ihr Freund Marcos an der Universität von Cuernavaca. Sie schreibt gerade an ihrer Doktorarbeit und hilft an den Wochenenden ihrer Mutter bei der Magnettherapie.
Ja, sie möchte so wie ihre Mutter sein. Unabhängig, ein Mensch, der anderen hilft, wie ihre Mutter eben. Doña Lupe hat viel Glück gehabt in ihrem Leben, das ganz anders verlief als das ihrer Mutter. Die hatte zwölf Kinder, das erste mit 15. Der erste Mann verstarb früh, der zweite hatte Lupes Mutter als Zweitfrau. Ein Leben als Zweitfrau ist auch heute noch durchaus üblich in Mexiko. Ihr Vater war nicht sehr gut, sagt Lupe: ein halber Macho, dominant und grobschlächtig. Er lebte nicht mit uns, übernahm für uns keine Verantwortung, er hatte ja noch eine andere Familie.
Lupes Mutter führte in Mexiko City ein Restaurant. Lupe erbte etwas Geld, kaufte in der Hauptstadt ein kleines Grundstück, zusammen mit Abram. Eine Telefongesellschaft zahlte dann viel Geld dafür, um darauf einen Funkmast zu errichten. Ein Glücksfall und der Grundstock für die alternative Wellness-Oase in Temixco. Aber erst mal hieß es für Doña Lupe, drei Töchter großzuziehen, von drei Vätern, darunter Abram, der als kleiner Bauunternehmer ständig unterwegs war. Anders als heute. Er kommt jedes Wochenende und hilft. Und abends unter dem Palmendach singt er Karaoke-Lieder – eine mexikanische Leidenschaft. Die alleinerziehende Doña Lupe war eine Mutter mit strengen Regeln. Eine hieß für die drei Töchter: Lasst Euch nicht mit Männern ein!
"Weil ich viele Mamas gesehen habe – erklärt sie mir - viele Familien, die alles zuließen. Die Mädchen bekommen sehr früh Kinder, verlassen sehr früh die Schule und heiraten."
Dieses übliche Schicksal mexikanischer Frauen hat Lupe ihren drei Töchtern erspart: Sie war da rigider gewesen. Sie war keine "Freundin" ihrer Töchter. Sie war ihre "Mama", sagt sie.
Und als "Mama" war Doña Lupe sehr erfolgreich: Amanda, die Älteste, angehende Doktorandin, Edelmira, die Jüngste, mit gerade 18 studiert sie Englisch weit weg von daheim in Belize, und Belem, die Mittlere der drei Töchter, lebt noch bei der Mutter, studiert in der Nähe von Temixco in der pulsierenden Universitätsstadt Cuernavaca Malerei und Restaurierung und arbeitet dort an den Wochenenden in einer Studentenkneipe.
Demonstration in Cuernavaca. Eine Mutter beklagt die Ermordung ihres Sohnes. Es ist der Jahrestag eines Aufstandes: Sieben junge Leute wurden getötet, von wem, weiß bis heute niemand. Auch der Sohn eines bekannten Dichters zählte zu den Opfern. Studenten, Arbeiter und Intellektuelle organisierten Protestmärsche nach Mexiko-City und bis in die Drogenstadt Ciudad de Juarez. Belem war in vorderster Front:
Es war gut, dass die Leute aufbegehrten gegen die Gewalt, erzählt sie. Obwohl: Wirklich verändert habe sich seither kaum etwas. Frauen müssten immer noch Angst auf der Straße haben, auch Angst haben vor Übergriffen durch Polizei und Militär. Einer Umfrage, wonach die Mexikaner zu den glücklichsten Menschen der Welt zählten, glaubt sie kein Wort:
"Alle Menschen seien gestresst, die Arbeit, der Konkurrenz-Druck, die wirtschaftliche Krise, sie erlebe es besonders als Frau, wobei sie ja noch studieren könne, versuchen würde, eine bessere Zukunft zu haben."
98 Prozent der Verbrechen in Mexiko, darunter auch Verstöße gegen die Menschenrechte, bleiben ungeahndet, so kürzlich die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage von SPD und Grünen. Hinter dieser enormen "Straflosigkeitsquote" verberge sich oftmals Korruption und Einschüchterung von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten. 50.000 Tote hat es in den Drogen- und Bandenkriegen der letzten Jahren gegeben. Belem und Amanda setzen wenig Hoffnung darauf, dass sich mit den Präsidentschaftswahlen was ändern wird. Ob sie überhaupt wählen werden, wissen sie nicht. Anders ihre Mutter. Sie wird wählen. Wen?
Josefina natürlich, sagt Doña Lupe. Josefina Vazquez Mota, die Kandidatin der Konservativen, sei schließlich eine Frau. Allein schon dafür bekäme sie ihre Stimme!
Das Areal ist ungefähr so groß wie ein Fußballplatz. Ein grüner Garten, Arbeiter bauen an Bungalows. Zwei sind schon fertig, Stahlträger werden zurechtgesägt für die Dächer. Längst fertig sind das Wohnhaus für Lupes Familie, eine Freiluft-Küche, eine Wäscherei, ein Massage- und Behandlungsraum, ein kleiner Badeteich, Duschen und Umkleidekabinen, ein großes, Schatten spendendes Palmendach. Im Zentrum dieser Wellness-Oase ein Temazcal, eine indianische Sauna.
Marcos und Abram verschließen den Ofen. Der Temazcal hat die Form eines Iglus, ist aber nicht aus Schnee oder Eis, sondern aus Lehm. Dicke Wände speichern die Wärme des Feuers. Marcos ist der Freund von Armanda, Doña Lupes ältester Tochter, Abram ist Lupes langjähriger Lebensgefährte. Wenn wir den Temazcal verlassen, kämen wir wie aus dem Schoß von Mutter Erde, fühlten uns wie neugeboren, verspricht Abram. Etwa ein Dutzend zahlender Gäste sind gekommen, um zu schwitzen oder sich behandeln zu lassen. Doña Lupe therapiert mit Magneten. In Mexiko eine durchaus übliche Methode. Deutsche Ärzte würden nur mit dem Kopf schütteln. Aber Marcos, der angehende Schwiegersohn von Lupe, sieht das ganz gelassen. Er hat Pharmazie studiert, nach europäischen Standards, und hat trotzdem Respekt vor Doña Lupes Behandlungsmethoden, wie er mir beim Schwitzen im Temazcal erklärt.
"Wir Pharmazeuten wissen auch nicht alles. Wir verstehen auch nicht alles. Andere machen es eben wie Doña Lupe, die nicht Pharmazie studiert hat. Aber ich glaube, sie ist eine große Heilerin, erfolgreicher als manche Pharmazeuten und als viele Ärzte."
Auch Armanda hat Pharmazie studiert, wie ihr Freund Marcos an der Universität von Cuernavaca. Sie schreibt gerade an ihrer Doktorarbeit und hilft an den Wochenenden ihrer Mutter bei der Magnettherapie.
Ja, sie möchte so wie ihre Mutter sein. Unabhängig, ein Mensch, der anderen hilft, wie ihre Mutter eben. Doña Lupe hat viel Glück gehabt in ihrem Leben, das ganz anders verlief als das ihrer Mutter. Die hatte zwölf Kinder, das erste mit 15. Der erste Mann verstarb früh, der zweite hatte Lupes Mutter als Zweitfrau. Ein Leben als Zweitfrau ist auch heute noch durchaus üblich in Mexiko. Ihr Vater war nicht sehr gut, sagt Lupe: ein halber Macho, dominant und grobschlächtig. Er lebte nicht mit uns, übernahm für uns keine Verantwortung, er hatte ja noch eine andere Familie.
Lupes Mutter führte in Mexiko City ein Restaurant. Lupe erbte etwas Geld, kaufte in der Hauptstadt ein kleines Grundstück, zusammen mit Abram. Eine Telefongesellschaft zahlte dann viel Geld dafür, um darauf einen Funkmast zu errichten. Ein Glücksfall und der Grundstock für die alternative Wellness-Oase in Temixco. Aber erst mal hieß es für Doña Lupe, drei Töchter großzuziehen, von drei Vätern, darunter Abram, der als kleiner Bauunternehmer ständig unterwegs war. Anders als heute. Er kommt jedes Wochenende und hilft. Und abends unter dem Palmendach singt er Karaoke-Lieder – eine mexikanische Leidenschaft. Die alleinerziehende Doña Lupe war eine Mutter mit strengen Regeln. Eine hieß für die drei Töchter: Lasst Euch nicht mit Männern ein!
"Weil ich viele Mamas gesehen habe – erklärt sie mir - viele Familien, die alles zuließen. Die Mädchen bekommen sehr früh Kinder, verlassen sehr früh die Schule und heiraten."
Dieses übliche Schicksal mexikanischer Frauen hat Lupe ihren drei Töchtern erspart: Sie war da rigider gewesen. Sie war keine "Freundin" ihrer Töchter. Sie war ihre "Mama", sagt sie.
Und als "Mama" war Doña Lupe sehr erfolgreich: Amanda, die Älteste, angehende Doktorandin, Edelmira, die Jüngste, mit gerade 18 studiert sie Englisch weit weg von daheim in Belize, und Belem, die Mittlere der drei Töchter, lebt noch bei der Mutter, studiert in der Nähe von Temixco in der pulsierenden Universitätsstadt Cuernavaca Malerei und Restaurierung und arbeitet dort an den Wochenenden in einer Studentenkneipe.
Demonstration in Cuernavaca. Eine Mutter beklagt die Ermordung ihres Sohnes. Es ist der Jahrestag eines Aufstandes: Sieben junge Leute wurden getötet, von wem, weiß bis heute niemand. Auch der Sohn eines bekannten Dichters zählte zu den Opfern. Studenten, Arbeiter und Intellektuelle organisierten Protestmärsche nach Mexiko-City und bis in die Drogenstadt Ciudad de Juarez. Belem war in vorderster Front:
Es war gut, dass die Leute aufbegehrten gegen die Gewalt, erzählt sie. Obwohl: Wirklich verändert habe sich seither kaum etwas. Frauen müssten immer noch Angst auf der Straße haben, auch Angst haben vor Übergriffen durch Polizei und Militär. Einer Umfrage, wonach die Mexikaner zu den glücklichsten Menschen der Welt zählten, glaubt sie kein Wort:
"Alle Menschen seien gestresst, die Arbeit, der Konkurrenz-Druck, die wirtschaftliche Krise, sie erlebe es besonders als Frau, wobei sie ja noch studieren könne, versuchen würde, eine bessere Zukunft zu haben."
98 Prozent der Verbrechen in Mexiko, darunter auch Verstöße gegen die Menschenrechte, bleiben ungeahndet, so kürzlich die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage von SPD und Grünen. Hinter dieser enormen "Straflosigkeitsquote" verberge sich oftmals Korruption und Einschüchterung von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten. 50.000 Tote hat es in den Drogen- und Bandenkriegen der letzten Jahren gegeben. Belem und Amanda setzen wenig Hoffnung darauf, dass sich mit den Präsidentschaftswahlen was ändern wird. Ob sie überhaupt wählen werden, wissen sie nicht. Anders ihre Mutter. Sie wird wählen. Wen?
Josefina natürlich, sagt Doña Lupe. Josefina Vazquez Mota, die Kandidatin der Konservativen, sei schließlich eine Frau. Allein schon dafür bekäme sie ihre Stimme!