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Starke Wirtschaft, mäßige Reformen und ein populärer Regierungschef

der amtierenden Ministerpräsident der Türkei, Tayyip Erdogan, kann zuversichtlich auf einen Sieg schauen. Punkten kann er mit den wirtschaftlichen Erfolgen und die Zehn-Prozent-Hürde bei Parlamentswahl macht nur zwei Parteien für die islamisch-konservative AKP zur Konkurrenz.

Von Ulrich Pick und Steffen Wurzel | 09.06.2011
    Tayyip Erdogan:

    "Wir haben uns achteinhalb Jahre lang nicht einschüchtern lassen - nicht von der Mafia, von Banden und dunklen kriminellen Vereinigungen. Wir haben uns und unsere Seelen nicht den Banden und Organisationen verkauft. Wir haben die Türkei aus der Dunkelheit befreit und wir werden das Land noch weiter erleuchten."

    Es ist Wahlkampf in der Türkei und Tayyip Erdogan gibt sich ausgesprochen selbstbewusst. Niemand im Land - so scheint es - kann dem Regierungschef und seiner AKP die zweite Wiederwahl streitig machen. Denn die Mehrheit der Bevölkerung scheint zufrieden zu sein. Es herrscht keine Wechselstimmung:

    "Heute geht es uns im Vergleich von vor zehn Jahren gut. Zu gut kann ich mich ans Auf und Ab der Wirtschaft erinnern, die Wirtschaftskrise unter Tansu Çiller und so. Ich blicke heute mit mehr Hoffnung in die Zukunft als früher. Bei mir selber hat es in den letzten zehn Jahren nicht unbedingt eine Verbesserung gegeben - aber auch keine Verschlechterung, das ist doch etwas wert."

    "Jeder weiß ungefähr, was er wählen wird, aber es ist wichtig, dass über Projekte gesprochen wird unter den Politikern. Was wollen sie für uns tun? Darüber sollten sie sprechen. Ich werde die AKP wählen, weil ich weiterhin Stabilität im Lande möchte. Die Wirtschaft im Vergleich zu früher ist viel lebendiger. Die Kaufkraft der Bürger ist angestiegen. Das ist Stabilität."

    "Ich finde, es läuft gut. Die Straßen sind gut in Schuss, die Leute haben einen guten Lebensstandard erreicht. Ich selber habe Arbeit und das find ich gut. Früher habe ich MHP gewählt, aber diesmal werde ich AKP wählen. Denn es läuft wirklich gut. Und es wird noch besser werden. Die AKP leistet was, arbeitet gut. So sehe ich das."

    Diese weitgehende Zufriedenheit in der Bevölkerung dürfte mit den guten Wirtschaftsdaten zusammenhängen. Die Türkei hat sich nämlich nicht nur deutlich schneller als etliche andere Länder von der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 erholt. Sie kann mit einem Wirtschaftswachstum von derzeit 8,9 Prozent auch eine Rate vorweisen, die weltweit ganz vorne liegt. Entsprechend betont Marc Landau, Geschäftsführer der deutsch-türkischen Industrie-und Handelskammer in Istanbul:

    "Die Türkei hat sich zum zentralen Beschaffungsmarkt in den umlegenden Regionen entwickelt. Ich sehe es ja mit eigenen Augen in den letzten Jahren also bei sporadischen Besuchen in neueren Wirtschaftszentren wie also Gaziantep oder Kayseri - und es gibt ja noch eine ganze Reihe andere - dass immer, wenn man zwei Jahre nicht da war, ein derartiger Entwicklungsschub mit bloßen Augen zu beobachten ist, der schon wirklich beeindruckend ist."

    Ein weiterer Punkt, der für eine Wiederwahl von Ministerpräsident Erdogan spricht, ist die Schwäche der Opposition. Da die Türkei eine Zehn-Prozent-Hürde bei der Parlamentswahl hat, kommen letztlich nur zwei Parteien als echte Konkurrenten für die islamisch-konservative AKP in Betracht: Die ultranationalistische MHP, die fürchten muss, mangels Zustimmung an der Sperrklausel zu scheitern, und die kemalistische CHP, die Partei von Staatsgründer Kemal Atatürk und der langjährigen Führungselite. Die CHP hat zwar mit Kemal Kilicdaroglu einen neuen Vorsitzenden, der verfügt aber über deutlich weniger Charisma als Erdogan und hat letztlich auch keine inhaltliche Alternative anzubieten:

    "Ich will, dass Ihr nicht mehr ausgebeutet werdet. Ich will, dass Ihr frei seid. Ich will, dass Ihr denen Rechenschaft abverlangt, die Euch das Geld aus der Tasche ziehen."

    Wie unterschiedlich die regierende AKP und die größte Oppositionspartei CHP aufgestellt sind, zeigt ein Besuch in Gaziantep, im Südosten des Landes. Klappern und Klopfen ist in der Altstadt zu vernehmen. Dutzende Kupferschmiede sitzen in oder vor ihren kleinen Werkstätten und bearbeiten Vasen, Töpfe und andere Gegenstände aus Kupfer mit Hammer und Pickel. Kulturtouristen flanieren durch die engen Gassen und fotografieren was das Zeug hält. Es gibt wenige Städte in der Türkei, in denen man so viele typisch-orientalische Motive findet wie hier. Doch der Schein trügt - denn das ist nicht alles.

    "Die Welt verändert sich - und Gaziantep verändert sich. Sowohl das Stadtbild, als auch die Industrie. Früher gab es hier zwei Industriegebiete, demnächst wird das fünfte eingeweiht. Der Flughafen Gaziantep war ein kleiner Regionalflugplatz, heute sind wir international angebunden. Früher gab es ein Fünfsterne-Hotel, heute sind es zehn. Und in den nun bald fünf Industriegebieten der Stadt arbeiten inzwischen 100.000 Menschen."

    Mehmet Aslan ist Präsident der Handelskammer der Region Gaziantep. Er sitzt in einem üppigen Ledersessel in seinem riesigen Büro und widmet seinem Gesprächspartner kaum einen Blick. Stattdessen konzentriert er sich auf ein kleines Plastikmundstück, in das er unablässig Zigaretten steckt. Selbstbewusst stellt er fest:

    "Gaziantep ist die führende türkische Provinz im Textilgewerbe, in der Nahrungsmittelproduktion, im Maschinenbau, in der Chemie und in der Kunststoffindustrie. 85 Prozent aller weltweit maschinengewebten Teppiche werden hier hergestellt. Wir exportieren in dieser Branche im Umfang von einer Milliarde Dollar pro Jahr. Weltweit sind wir die Nummer eins bei maschinengewebten Teppichen. "

    Gaziantep ist eine der aufstrebenden Städte des Landes. Wirtschaftsexperten vergleichen die Erfolgsgeschichte dieser und anderer neuer Wirtschaftszentren in der Türkei gerne mit dem Wirtschaftsboom in China. Vom "Anatolischen Tiger" ist immer wieder die Rede. Und tatsächlich ist es beeindruckend, wie westlich und modern die 1,3 Millionenstadt unweit der syrischen Grenze inzwischen aussieht, trotz ihrer traditionellen und orientalischen Wurzeln. Nach Ansicht vieler Einwohner ist es die Politik der AKP, die Gaziantep zu einem gewissen Wohlstand verholfen hat. Bürgerstimmen:

    "Meine Partei ist die AKP. Ich finde, die arbeiten besser als alle anderen. Das Gesundheitswesen funktioniert inzwischen tip-top. Die haben viele neue Krankenhäuser gebaut."

    "Ich wähle Tayyip Erdoğan! Bis ans Ende meiner Tage!"

    "Ich bin für die AKP! Ich weiß noch: Als ich klein war, standen wir in den Krankenhäusern und vor den Apotheken in langen Schlangen. Heute werde ich sofort behandelt und versorgt. Es geht uns gut."

    An einer belebten Zufahrtstraße hat die AKP Gaziantep ihre Wahlkampfzentrale eingerichtet. Die Partei hat kurzerhand ein leer stehendes Autohaus angemietet. Entsprechend viel Platz gibt es. Es stehen Dutzende Tische und Stühle herum, massenweise Flyer und Broschüren liegen aus, und auf einem riesigen Fernsehschirm in der Mitte des Raumes laufen Wahlkampfreden des Ministerpräsidenten. Jeder soll sich hier bei den Kandidaten direkt informieren können, so das Wahlkampfkonzept der AKP.

    "Die Menschen in Gaziantep wollen Folgendes: Brot und Arbeit. Und sie wollen, dass die Demokratisierung des Landes weiter voranschreitet. Gaziantep will, dass die Türkei nach den Wahlen eine neue Verfassung bekommt. Weg von der Militärverfassung der 80er-Jahre, hin zu einer zivilen Verfassung der Bürger."

    Der Architekt Mehmet Has ist der Cheforganisator hier im AKP-Wahlkampfhauptquartier. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen. Während er spricht, fuchtelt er wild mit dem Handy herum und verschickt E-Mails.

    "Vor 15, 20 Jahren war Gaziantep eine Hochburg der CHP. Aber jetzt ist die Stadt fest in der Hand der AKP. Die Einwanderer aus dem Osten des Landes bilden inzwischen eine konservative Basis hier in der Stadt. Ich selber bin kurdischer Abstammung, aber ich habe den AKP-Ortsverein in Gaziantep mitbegründet. Nicht jeder Kurde ist automatisch in der Kurdenpartei BDP!"

    Die religiös-konservative AKP gibt sich sichtlich Mühe, den Eindruck, sie sei eine streng muslimische Klientel-Partei, abzumildern. Sie versucht offensiv zu zeigen: Schaut her, wir sind eine Volkspartei, mit Mitgliedern aus allen Schichten der Gesellschaft. Die Uni-Absolventin Aycan Zorkirişci unterstützt diese These. Sie komme aus einer religiösen Familie, betont sie, anders als ihre Mutter und ihre Schwestern trage sie aber absichtlich kein Kopftuch. So wie viele Frauen, die sich in der AKP engagierten, sagt die attraktive 24-Jährige.

    "Gaziantep ist im Vergleich zu den Nachbarstädten eine Art 'Paris des Ostens'. Aber das wurde Gaziantep erst, nachdem die AKP hier die Stadtverwaltung übernommen hat. Unser Wohlstand und unsere Modernität sind das Produkt der vergangenen zehn Jahre."

    Wenige Kilometer von der AKP-Wahlkampfzentrale entfernt, im zentralen Büro der Oppositionspartei CHP. Parteimitglied Kemal Dündar betont, irgendwelche auf jung und dynamisch getrimmte Wahlkämpfer habe die CHP nicht nötig.

    "Diese Leute, die Sie getroffen haben, das sind die typischen Vorzeige-Gesichter der AKP. Sicher, die sind gebildet, das will ich gar nicht abstreiten. Aber sie werden ausgenutzt!"

    Das Büro der CHP ist mit dem der Konkurrenz von der Regierungspartei nicht zu vergleichen. Es befindet sich im dritten Stockwerk eines Bürohauses, relativ versteckt, in der Innenstadt von Gaziantep. Statt aktiv auf die Wähler zuzugehen, so wie es die AKP tut, versucht es die CHP mit Theorie.

    "Vom neuen Wohlstand in der Stadt profitieren maximal 20 Prozent. Wir haben hier aber auch immer noch Menschen, die im Müll nach Essensresten suchen! Unser Spitzenkandidat verspricht den Bürgern dieses Landes eine Familienversicherung, zur Verbesserung des Sozialstaats. Und das versprechen auch unsere hiesigen Kandidaten."

    Von Wahlkampfschwung und einer optimistischen Stimmung ist bei der CHP, die auch in Gaziantep in den Umfragen deutlich hinter der AKP liegt, wenig zu spüren. Im Gegenteil: Das CHP-Büro wirkt ein bisschen morbide und heruntergekommen - trotz einiger frisch aufgehängter Plakate mit dem Konterfei des Spitzenkandidaten Kemal Kılıçdaroğlu. Die 52-jährige Müjgan Bilen vom Frauenverband der CHP Gaziantep stellt selbstkritisch fest:

    "Früher war Gaziantep eine CHP-Hochburg. Vor etwa zehn Jahren haben wir sie verloren. Zugegeben, die CHP hat hier Fehler gemacht. Wir haben uns auf unseren Lorbeeren ausgeruht und die entstandene Lücke wurde eben von der AKP gefüllt. "

    Der alles in allem recht unaufgeräumten und ideenlosen CHP dürfte es wohl kaum gelingen, der AKP den Wahlsieg streitig zu machen - und das nicht nur in Gaziantep. Dafür ist die islamisch-konservative Partei zu gut organisiert und ihr Vorsitzender zu populär. Denn im Laufe der vergangenen achteinhalb Jahren hat Tayyip Erdogan dank seines großen, wenngleich umstrittenen Charismas seine Macht im Land Stück für Stück zementiert. Ist die Türkei dadurch auch immer islamischer geworden, wie seine Gegner gebetsmühlenartig beklagen? Ekrem Güzeldere, Analyst der Europäischen Stabilitäts-Initiative, eines internationalen Think-Tanks, kann davon nichts erkennen:

    "Es ist so, dass die AKP-Politiker konservativ religiös leben und das auch als Modell präsentieren - religiös geprägte Medien, religiös geprägte Holdings werden einflussreicher und stärker, so dass man von einer gewissen stärker sichtbaren Religiosität in der Bevölkerung reden kann, aber was die Gesetze und Reformen anbetrifft, ist die Türkei nicht islamischer geworden, sondern im Gegenteil europäischer und westlicher."

    Dass Güzeldere mit seiner Sicht durchaus richtig liegt, zeigt sich im Gespräch mit Vertretern nicht-islamischer Minderheiten. Diese machen nämlich auf eine Entwicklung aufmerksam, die für Mitteleuropäer nur schwer verständlich ist: Unter dem bekennenden Muslim Erdogan, der seine Wurzeln im politischen Islam hat, ist die Situation beispielsweise für die Christen in der Türkei besser geworden. So wurden unter anderem mehrere bedeutsame und bislang verschlossene Kirchen der Griechen und Armenier wieder eröffnet. Zudem stattete mit Vize-Ministerpräsident Bülent Arinc erstmals nach mehr als einem halben Jahrhundert wieder ein hochrangiger Staatsvertreter dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios einen offiziellen Besuch ab. Entsprechend resümiert Holger Nollmann, der bis zum Frühjahr acht Jahre lang als Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Istanbul arbeitete:

    "Soweit ich das erkennen kann, gab es ähnliche Öffnungen nicht in Vorgängerregierungen. Von daher würde ich das politisch ganz klar bei der jetzigen Regierungspartei verorten. Was ich in den letzten Monaten feststelle, ist, dass diejenigen, die sich in der Türkei schon immer darum gekümmert haben, dass es hier eine kulturelle, ethnische, religiöse Vielfalt gibt, einen Aufschwung spüren. Dass sie hoffentlich berechtigte Aussichten darauf haben, dass ihr Einsatz auch politisch und staatlich gefördert wird. In den ersten Jahren war es so, dass, wenn ich Einrichtungen besucht habe, wo man sich um diese kulturelle Vielfalt kümmert, es eher in Hinterhöfen und Hinterzimmern stattfand, dass sie jetzt die Hoffnung haben, dass es auch anerkannt wird. Und ich bin der festen Überzeugung, dass diese Entwicklung unter einer anderen Regierung als der AKP Regierung völlig undenkbar wäre."

    Auch wenn längst noch nicht alle Probleme der christlichen Minderheit behoben sind - vor allem stehen die assyrischen Christen im Südosten weiterhin unter Druck - so scheint sich doch einiges zum Positiven entwickelt zu haben. Hinzu kommt, dass die nach wie vor bestehenden Schwierigkeiten nicht einer angeblich wachsenden Islamisierung geschuldet sind, wie der Sprecher des Ökumenischen Patriarchats, Dositheos Anagnostopoulos unterstreicht:

    "Mit dem Islam gibt es kein Problem. Mit dem Islam gibt es auch keine Terrorismus-Aktionen gegen uns. Gar keine. Alles, was in der Türkei terroristisch gegen die Christen geschah, und es geschah einiges, Sie wissen es, das ist eigentlich ein maskierter Ultranationalismus."

    Während in der türkischen Innenpolitik einige Fortschritte zu verzeichnen sind - mehr Spielraum für Christen und mehr Toleranz in Bezug auf die Kurden, so erhielten mehrere Ortschaften im Südosten ihre ursprünglich kurdischen Namen wieder. Die Außenpolitik ist dagegen eher ambivalent. So hat die Regierung Erdogan die bislang geltende strikt pro-westliche Linie des Landes aufgeweicht und dadurch - wie Analyst Ekrem Güzeldere erläutert - für gewisse Irritationen gesorgt:

    "Die Außenpolitik ist deutlich aktiver in dieser zweiten Legislaturperiode: Zum einen wurde mit Armenien ein Dialog begonnen, der aber dann eigentlich nicht weitergeführt wurde und jetzt auf Eis liegt. In der Außenpolitik gegenüber dem Nahen Osten ist man, was Demokratisierung und Menschenrechte anbetrifft, eben immer wieder sehr widersprüchlich, weil zum einen Israel stark kritisiert wird wegen Menschenrechtsverletzungen, wenn solche Menschenrechtsverletzungen aber von Iran oder Ägypten oder anderen Staaten mit muslimischer Mehrheit begangen werden, dann hält man sich sehr zurück oder schweigt komplett."

    Auch in ihrer Europapolitik hat die Regierung Erdogan ihren bisherigen Kurs leicht geändert. So galt der Beitritt zur Europäischen Union, der in der Regel von der Bevölkerungsmehrheit mangels echter Alternativen befürwortet wird, als Motor und Argumentationsgrundlage zahlreicher Reformen. Dies ist mittlerweile immer weniger der Fall. Allerdings beruht das abgekühlte Verhältnis zu Brüssel allem Anschein nach auf Gegenseitigkeit, wie Analyst Ekrem Güzeldere sagt:

    "Zum einen denke ich, ist die EU weniger präsent in der türkischen Innenpolitik und mischt sich weniger ein, als sie das noch vor Jahren getan hat. Zum Beispiel bei so grundlegenden Problemen wie den Gerichtsverfahren, sei es Ergenekon, hört man von EU- Seite sehr wenig an Kritik oder von Delegationen, die das begleiten. Zum anderen benutzt die Regierung auch immer weniger diesen EU-Faktor als Begründung für angestrebte Reformen, wie das noch besonders 2004, 2005 gemacht wurde. Jetzt wird diese Kurden-Initiative oder andere Initiativen gemacht, aber mit einer allgemeineren Begründung für Demokratisierung und nicht, um sich der EU oder EU-Standards anzunähern."

    Auch wenn die Parlamentswahl von Seiten der Europäischen Union durchaus mit Interesse beobachtet werden dürfte, im türkischen Wahlkampf spielt das Thema EU jedenfalls keine Rolle. Dafür kann Regierungschef Tayyip Erdogan viel leichter mit seinem innenpolitischen Thema Nummer eins punkten: den wirtschaftlichen Erfolgen. Der Weg der Türken nach Brüssel ist im Moment noch viel zu weit. Darüber hinaus haben die meisten von ihnen den Eindruck, dass - solange Angela Merkel in Deutschland und Nicolas Sarkozy in Frankreich die Politik bestimmen - den Ambitionen der Türkei auf eine EU-Mitgliedschaft immer wieder Hindernisse in den Weg gestellt werden. Trotz der schwierigen Beziehungen zwischen Ankara, Brüssel, Berlin und Paris aber ist eines so gut wie sicher: Tayyip Erdogan dürfte für die Europäer auch in den kommenden Jahren der Haupt-Ansprechpartner in der türkischen Hauptstadt sein. Denn die meisten Experten im Land gehen davon aus, dass der charismatische, aber auch manchmal ruppige Ministerpräsident im Amt bleiben wird. Entsprechend prognostiziert Mehmet Ali Birand, der Altmeister des türkischen Journalismus:

    "Die Regierungspartei AKP wird gewinnen, sie wird etwa 45 Prozent bekommen. die CHP wird ungefähr 30 Prozent bekommen und die MHP schafft es noch ins Parlament."