Thekla Jahn: Der Mensch will Effizienz. Und so ist die folgende Fragenreihe nur folgerichtig: Wie lassen sich Arbeitsprozesse optimieren? Wie schreiben sich Algorithmen von selbst? Und wie ersetzen wir uns fehlbare Menschen durch unfehlbare Roboter?
Die Fragen lassen sich lösen, auf naturwissenschaftlichen Weg. Was dabei fehlt ist die Sinnfrage. Und das ist das Metier der Philosophen - Doch die bleiben ziemlich stumm in den gesellschaftlichen Debatten der vergangenen Jahrzehnte. Als hätte sie die Digitalisierung verschluckt. Natürlich stimmt das nicht ausnahmslos. Seit fünf Jahren versucht zum Beispiel die phil.cologne den philosophischen Fragen wieder Bedeutung zu verschaffen. Das internationale Festival für Philosophie beginnt heute mit seinem diesjährigen Programm und darüber wollen wir mit Wolfram Eilenberger sprechen, einem der Programmverantwortlichen, selbst Chefredakteur des Philosophie Magazins. Schönen Guten Tag.
Wolfram Eilenberger: Guten Tag.
"Fragen, die wir in diesem Philosophiefestival angehen wollen"
Jahn: Herr Eilenberger, am Anfang stand die Frage "Wer bin ich?" und aus der Beschäftigung mit dem menschlichen Geist erwuchs Erkenntnis der Welt. Doch die Naturwissenschaften haben ihre philosophischen Wurzeln gekappt. Ist das der Anfang vom Untergang der Menschen zugunsten hyperintelligenter und dem entsprechend Menschen überlegener Maschinen?
Eilenberger: Das sind sicher Fragen, die wir in diesem Philosophiefestival auch angehen wollen. Aber es ist richtig, dass der Mensch in seinem Selbstverständnis durch die Prozesse, die wir mit Digitalisierung im weitesten Sinne beschreiben, in einen neuen Zustand, in eine neue Fraglichkeit bekommen ist. Denn wir sind zum ersten Mal in der Geschichte unseres Seins damit konfrontiert, dass Maschinen Leistungen vollbringen, die wir bisher nur auf den Menschen bezogen haben. Und eben nicht nur im reinen Rechnen, sondern auch im Handeln und sogar im ethischen Urteilen. Und das wirft nicht nur schwere Fragen für uns auf, sondern natürlich auch für die Maschinen, die wir entwickeln oder die sich mittlerweile sogar selbst entwickeln.
Jahn: Hat die Philosophie in den vergangenen Jahrzehnten geschlafen?
Eilenberger: Nein, das würde ich nicht sagen. Es ist einfach ein Innovationstempo, das extrem hoch ist. Und die Philosophie ist - und das tut ihr auch gut - keine besonders schnelle Form des Fragens und Erkundens. Wir leben sicher in einer Zeit wie keine andere. Die Innovationsschübe der letzten 30 Jahre sind enorm. Und sofern die Philosophie ernsthafte und fundierte Orientierung will, würde ich nicht sagen, dass sie geschlafen hat, aber sie ist besonders gefordert. Und so verstehen wir auch den Auftrag des Festivals.
Untergräbt Big Data die Grundlagen der Demokratie?
Jahn: Religion vs. Aufklärung, Terror in Europa, Gerechtigkeit in einer zutiefst ungerechten Welt oder Philosophie und Sex. Das Thementableau der phil.cologne ist reich bestückt. 54 Veranstaltungen an 8 Festivaltagen. Da ist für jeden etwas dabei. Aber, wir haben den Schwerpunkt schon angesprochen, der liegt natürlich auf den Veränderungen der Lebensbedingungen in der digitalen Welt. Da gibt es eine ganze Reihe von Veranstaltungen, da wird darüber diskutiert, ob wir den totalitären Gefahren des Internets, von Facebook und Google, etwas entgegensetzen können. Können Sie mit der phil.cologne etwas dagegensetzen?
Eilenberger: Ja zum Beispiel der Informationsphilosoph Luciano Floridi ist einer der Vordenker und wichtigesten Philosophen in dem Bereich. Und er macht sich sehr stark darüber Gedanken, inwieweit auch die Datenkonzentration zusammen mit einer Konzernkonzentration die Grundlagen unserer Demokratie untergräbt. Ich glaube, wir wären sehr gut beraten - nicht nur als Philosophen, sondern auch als Bürger - hier nicht Automatismen vorauszusetzen. Nach dem Motto: Wir können das gar nicht mehr stoppen, das ist ein Prozess, den wir nicht mehr in der Hand haben. Aber wie wir ihn in den Griff kriegen und welche Institutionen und auch ganz persönlichen Handlungsweisen dafür wichtig sind, das ist etwas, womit sich Floridi beschäftigt. Aber auch sechs, sieben andere Veranstaltungen auf diesem Festival. Denn die Digitalisierung ist eben nicht nur ein Prozess, der in unsere Institutionen, in unsere Gesellschaftsstruktur eingreift, sondern auch in unser persönliches Leben. Und für uns als Festival ist es wichtig, dieses sichtbar zu machen, dass es eigentlich keine Trennung zwischen unserer persönlichen Lebensführung und den politischen Strukturen gibt, sondern das beide immer mehr miteinander verzahnt und miteinander bedingt sind.
"Wir verlieren sehr viel dabei, was unser Leben lebenswert macht. Und auch dabei kann die Philosophie helfen"
Jahn: Ja, genau. Sie stellen genau die entscheidende Frage: Können wir überhaupt noch etwas tun? Selbstfahrende Autos, autonome Roboter, selbstlernende Programme, deep learning, Big Data. Die sind ja gar nicht mehr so weit entfernt. Das war mal Science-Fiction und gesellschaftliche Dystopie. Aber die liegen eigentlich vor uns. Die werden wir in unserem Leben höchstwahrscheinlich noch erleben. Kann die Philosophie in irgendeiner Weise da noch eingreifen? Sind die Monopolbildungen nicht inzwischen so groß, dass tatsächlich diese Resignation, die herrscht - wir können sowieso nichts tun - stimmt?
Eilenberger: Also das wäre natürlich das Ende der Autonomie, im Sinne von Selbstbestimmung. Und das ist ein Problem und ein Prozess, der droht. Andererseits würde ich aber auch sagen, um mit einem Zitat von Wittgenstein zu sprechen: Der Fortschritt ist manchmal auch viel größer als er eigentlich aussieht. Wir werden unsere Kinder weiterhin erziehen müssen. Wir werden weiter Nahrung zu uns nehmen müssen, wir werden unseren Leib weiter schützen müssen. Das heißt: Es ist auch die Gefahr, durch diese Fokussierung auf die Innovation das, was unser Leben eigentlich lebenswert macht, aus dem Auge zu verlieren - das heißt: die Alltäglichkeit, das Miteinander. Und vielleicht ist eine Weise der Digitalisierung zu begegnen, uns auch einfach wieder mehr um uns, um einander zu kümmern. Denn das ist ja auch etwas, das wir sehen: Ganze Leben, ganze Existenzen wandern in den Bildschirm ab, werden zu On-life-Existenzen. Und wir verlieren sehr viel dabei, was unser Leben lebenswert macht. Und auch dabei kann die Philosophie helfen.
Jahn: Es gab mal einen Sponti-Spruch, der hieß: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. Meinen Sie das in diesem Sinne: Stell dir vor, es gibt das Internet und keiner nutzt es?
Eilenberger: Das ist eine Möglichkeit. Ich meine, das ist ja so ähnlich wie die Globalisierung. Da sagt man ja auch: Wer die Globalisierung beschimpft, das ist so wie über das Wetter schimpfen. Das ist halt da und das ändert sich nicht mehr. Aber es geht in der Philosophie immer darum, sich selbst als Handelnden, als Selbstwirksamen, auch als Gemeinschaft aus Handelnden zu begreifen. Und in dem Moment, in dem wir das als Automatismen, denen wir ausgesetzt sind, beschreiben, verlieren wir sehr viel mehr als nur die Kontrolle. Wir verlieren auch unser Selbstbild und Selbstverständnis, wir hören im eigentlichen Sinne auf, Menschen zu sein. Und das kann niemand erzwingen, auch keine Maschine.
"Philosophie ist nicht begrenzt auf Erwachsene"
Jahn: Wie groß ist die Resonanz bei jungen Menschen, denn die geht es ja ganz besonders an, weil es deren Zukunft bedeutet.
Eilenberger: Das ist wahr und da gibt es auch eine andere Selbstverständlichkeit, vielleicht sogar eine Form des kulturellen Existierens. Wir haben ja in diesem Festival nicht nur über 30 Veranstaltungen für Erwachsene im eigentlichen Sinne, sondern auch ein eigenes Schüler-Festival. Das heißt "Klasse denken". Und das ist für uns wichtig. Da sind wir besonders stolz drauf, dass wir mit genau diesen Fragen schon mit Sechst-, Siebt-, Achtklässlern ansetzen. 20 Veranstaltungen nur für Kinder und für Schüler. Und da ist es wichtig, glaube ich, dieses Gespür dafür, dass man nicht ausgesetzt ist, dass Verstehen immer auch Handlungsoption eröffnet, schon bei den Kleineren, bei den Kindern zu wecken. Und die Philosophie ist nicht begrenzt auf Erwachsene. Sie sehen ja schon, dass kleinste und kleine Kinder diese Fragen stellen und diesen Impuls wollen wir aufnehmen und weiterführen.
Jahn: Also eine Renaissance der Philosophie?
Eilenberger: Eine Renaissance der Philosophie in einer Zeit, die der Renaissance sehr gleicht. Denn vor etwa 500, 600 Jahren gab es auch so einen großen technischen Schub. Und ich glaube, er hat uns im Nachhinein sehr genutzt und sehr viel gebracht. Und vielleicht ist das die Zeit, die damit am ehesten vergleichbar ist.
Schwerpunkt: Europäische Identität
Jahn: Ein weiteres Schwerpunktthema der phil.cologne ist Europa: "Quo vadis, Europa?". Fragen werden gestellt, wie: Wer sind wir in Europa? Was ist unsere kulturelle Identität? Wo gehen wir hin? Wie halten wir zusammen? Was erwarten Sie sich in dieser Hinsicht, denn heute Abend startet das Festival mit der Frage: Europa in der Krise - Wo stehen wir? Eine Standortbestimmung mit Alfred Grosser, Daniel Cohn-Bendit und Patrizia Nanz.
Eilenberger: Ja sicher. Das zweite große Thema ist vielleicht das der Identität und Europa und europäische Identität ist eine Frage. Und wir sehen, dass diese Identitätsfragen den politischen Diskurs immer mehr bestimmen und diese Selbstverständigung wichtig ist. Denn das sind immer auch sehr explosive Fragen, in denen es sehr schnell gehässig und hasserfüllt wird. Und ich glaube, ein Gespräch, das offen ist, sich vom Gegenteil überzeugen lässt und auch neue Perspektiven eröffnet, ist immer das Gespräch der Philosophie. Und deswegen ist ein weiterer Schwerpunkt des Festivals die Frage nach der Identität, die wir einerseits ernst nehmen und andererseits auch einfallsreich öffnen wollen.
Jahn: Und vielleicht auch der Kommunikation.
Eilenberger: Natürlich. Auch die Frage, wie man ein Gespräch führt, die ist für die Philosophie entscheidend. Und die Philosophie ist eine fragende Form der Erschließung. Das heißt, man geht immer davon aus, dass man die Antwort noch nicht hat. Ich sage manchmal: Philosophie ist die Kunst, sich vom Gegenteil zu überzeugen. Und ich glaube, dass viele Menschen dieses Bedürfnis haben. Denn die einfachen, starren Antworten, von denen wissen wir alle, dass die nicht richtig sein können.
Jahn: "Keiner von uns sage, er habe die Wahrheit schon gefunden. Lass sie uns vielmehr so suchen, als ob sie uns beiden unbekannt wäre." Vielen Dank Wolfram Eilenberger, Chefredakteur des Philosophie Magazins und einer der Programmleiter bei der phil.cologne, die heute beginnt und bis zum 13. Juni zu spannenden Vorträgen und Diskussion rund um das Menschsein und unser Leben in der heutigen Welt einlädt.
Eilenberger: Ich danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Die phil.cologne findet vom 6. bis 13. Juni 2017 in verschiedenen Kölner Veranstaltungsstätten statt