Köln am späten Nachmittag, mitten in der Innenstadt. Die meisten Fußgänger tragen Einkaufstüten oder haben einen Kaffeebecher in der Hand. Viele gucken in die Schaufenster der Geschäfte – würden die Passanten jedoch nach oben schauen, dann sähen sie in gut 15 Metern Höhe eine Art Kasten. Der sieht von unten ungefähr so aus wie eine Straßenlaterne:
"Da ragt er mit einem Arm heraus, ganz am Ende, sehen Sie?," fragt Julian Aengenvoort und zeigt nach oben. Im Vorbeigehen ist es kaum zu erkennen, dass an der Fassade ein Laserscanner angebracht ist.
"Sie müssen sich jetzt hier virtuell vier Zähllinien vorstellen. Und sobald wir diese Zähllinien quasi durchschreiten, werden wir als eine eins im System registriert. Nicht mehr und nicht weniger. Und dann kann man bei Hystreet.com direkt sehen: Okay, jetzt in der letzten Stunde sind so und so viele Passanten hier entlang gegangen", sagt Aengenvoort.
Erfassung rund um die Uhr
Diese sogenannte Passantenfrequenz erfasst der Laserzähler rund um die Uhr. Online lässt sich auf der Seite des Unternehmens dann überprüfen, wie viele Menschen pro Stunde durch die gedachte Linie des Laserscanner laufen. Die Kurve auf der Webseite zeigt außerdem das Wetter an sowie das durchschnittliche Passantenaufkommen als Vergleichswert.
Mit diesen Daten lässt sich die Attraktivität des jeweiligen Standorts einschätzen. Dafür hat sich der 35-Jährige schon im Studium der Wirtschaftsgeographie interessiert. Als er später bei der Immobilienverwaltung Aachener Grundvermögen gearbeitet hat, stand er vor der Frage, wie solche Daten überhaut erhoben werden können.
Dabei sei ihm aufgefallen, erzählt er, dass es kaum Informationen dazu gebe, wie sich Innenstädte entwickeln. Gemeinsam mit seinem Kollegen Nico Schröder von der Immobilienverwaltung Aachener Grundvermögen hat er sich überlegt: Wie viele potentielle Kunden laufen denn überhaupt durch die Stadt?
"Bisher gab es händische Zählungen. Und die haben eine Stunde im Jahr gezählt. Und das war für Städte- oder Standortvergleiche eine Stichprobe. Und jetzt hat man viel mehr Möglichkeiten".
Hilfreiche Daten bei Mietverhandlungen
Diese Möglichkeiten seien wichtig, um den Standort einschätzen zu können, also zum Beispiel, wie gut die Lage für einen Laden ist. Denn die Aachener Grundvermögen besitze große Wertanlagen in den Innenstädten, so Aengenvoort. Bei Mietverhandlungen mit Ladenbesitzern sei es entscheidend, wie viele potentielle Kunden am Geschäft vorbeilaufen.
Um das herauszufinden, sei Hystreet als Tochterfirma innerhalb der Aachener Grundvermögen entstanden. Dafür hatte das Start-up in der Kölner Haupteinkaufsstraße einen ersten Laserscanner installiert. Mittlerweile misst Hystreet an neun "Top-Lagen" in Köln.
"Da hat man dann ein ganz gutes Bild, wie so die Verläufe sind, wie die Leute wo shoppen gehen, wo am meisten los ist und welche Standorte dann die begehrtesten sind".
Datenschutzrechtliche Bedenken
Für die Passantenfrequenz interessieren sich nicht nur die Immobilienmaklerinnen und Ladenbesitzer, sondern auch Behörden oder beispielsweise Stadtmarketinggesellschaften. Welche Auswirkungen haben bestimmte Jahreszeiten, was bewirkt eine Baustelle oder – gerade in Zeiten von Corona – wie voll ist es in den Innenstädten, nachdem die Geschäfte wieder öffnen durften? Erholt sich der Handel – und ist es womöglich schon zu eng?
Ganz der Start-up-Mentalität entsprechend hat Julian Aengenvoort mit seinem Kollegen 2018 einfach mit den ersten gut 20 Standorten angefangen – obwohl ein solches Vorgehen im Immobilienbereich ungewöhnlich sei, betont er:
"Weil der Immobilienbereich tendenziell eher ein traditioneller Bereich ist, wo alles noch sehr gut funktioniert und man sich mit neuen Ideen oft schwer tut".
Seit zwei Jahren sind er und sein Kollege Nico Schröder nun Geschäftsführer von Hystreet. Mittlerweile mit mehr als 120 Mess-Standorten. Von Anfang an wichtig dabei sei ihm Transparenz gewesen – auch weil die Messung der Passantenfrequenz datenschutzrechtliche Bedenken hervorruft. Für Julian Aengenvoort ist die Lasertechnik ohne Risiko:
"Weil wir uns nicht für eine Kamera entschieden haben, sondern für einen Laser. Und der Laser kann per se nur eine Lichtschranke machen, so eine Art Lichtschranke. Deswegen werden keinerlei persönliche Daten erhoben".
Der Laserscanner könne lediglich die Laufrichtung der Passanten messen, betont er. Dabei würden bloß Fußgänger gezählt, die größer als 80 Zentimeter sind, um keine Kinder zu erfassen.
Die Daten sind kostenlos - vorerst
Aengenvoort weist darauf hin, dass das Unternehmen die Daten kostenlos online zur Verfügung stelle. Wer sich anmeldet, könne dort die Daten-Diagramme von Biberach bis Rostock einsehen. Die freie Verfügbarkeit sei jedoch auch im Eigeninteresse gewesen, um bekannt zu werden, so Aengenvoort:
"Wenn wir jetzt von Anfang an ein Preisschild an die Daten gehangen hätten, dann ständen wir heute vielleicht gar nicht hier, weil wir gar nicht so relevant geworden wären. Und deswegen haben wir gesagt: Wir wollen erstmal diesen Weg gehen und gucken, wie die Rückmeldung ist. Und dann gemeinsam mit den Nutzern und anderen Akteuren das Angebot weiter entwickeln".
Momentan liefert Hystreet lediglich die Daten, interpretieren muss sie jeder selbst. Dabei habe sich jedoch gezeigt, dass der Bedarf nach einer weiteren Aufbereitung der Daten durchaus da sei. Und auch seine Arbeit habe sich verändert, sagt Aengenvoort. Am Anfang habe er viel Zeit damit verbracht, die Installation der Laser zu koordinieren. Jetzt sei er hauptsächlich damit beschäftigt, Anfragen zu beantworten, unter anderem aus der Wissenschaft, die die Zahlen nutzen wolle. Der Hystreet-Chef ist überzeugt davon, dass es für die Daten noch viele unentdeckte Anwendungsmöglichkeiten gebe:
"Der Händler kann zum Beispiel seine Personaleinsatzplanung optimieren, wenn er erkannt hat, dass in der Wettervorhersage ganz schlechtes Wetter angesagt ist und dass sich bei uns in den vergangenen historischen Daten gezeigt hat: Da ist nicht zu erwarten, dass da viele Leute in die Innenstadt kommen".
Wo sich Händler, Immobilienmakler oder Stadtplaner also bisher weitestgehend auf ihr Bauchgefühl verlassen haben, liefert Hystreet nun Daten. In Zukunft plant das junge Unternehmen, weitere Services zur Verfügung zu stellen – die sich anders als die kostenlosen Daten dann auch finanziell lohnen sollen.