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Stasi-Morde
Dissidentin Freya Klier über Anschläge in der DDR

1988 wurde das Künstlerpaar Freya Klier und Stephan Krawczyk aus der DDR abgeschoben. Dass die Stasi es auch auf ihr Leben abgesehen hatte, darüber herrscht heute Gewissheit. Davon und von zahlreichen anderen Anschlägen berichtet Klier in ihrem neuen Buch „Unter mysteriösen Umständen“.

Von Marcus Heumann |
Freya Klier auf einem historischen Stasi-Foto und ihr Buch: "Unter mysteriösen Umständen. Die politischen Morde der Staatssicherheit"
Freya Klier als ehemaliges Überwachungsobjekt der Stasi schreibt über die politischen Morde in der DDR (Foto: IMAGO / Jürgen Ritter, Buchcover: Herder Verlag)
"Im Oktober 2019 erhielt mein geschiedener Mann und enger Freund Stephan Krawczyk plötzlich den Anruf eines Mannes, der sich als ‚Ihr Eingangsvernehmer in Hohenschönhausen‘ vorstellte: Er sei 85, habe einen schweren Krebs und nicht mehr lange zu leben. Und er wolle sich bei uns entschuldigen für das, was uns die Staatssicherheit angetan habe", schreibt Freya Klier in der Einleitung des vorliegenden Buches. Während der sieben Telefongespräche, die das einstige DDR-Dissidentenpaar gemeinsam oder einzeln mit dem Ex-Vernehmer führen kann, versuchen Klier und Krawczyk auch einen Vorfall aufzuklären, der sie 1987 fast das Leben gekostet hätte: Auf dem Weg zu einem Auftritt in einer Kirche in Stendal ist Klier plötzlich nicht mehr in der Lage, ihren Lada zu steuern.
"Schreiend und völlig gelähmt klammere ich mich am Lenkrad fest, Stephan reißt es noch kurz vorm Aufprall auf einen Brückenpfeiler nach links rüber, das Auto schleudert auf der leeren Landstraße, irgendwann kommt es zum Stehen."

Tödlicher Anschlag bestätigt

Ihr Mann, dem die Volkspolizei kurz zuvor unter fadenscheinigen Gründen die Fahrerlaubnis entzogen hat, lenkt den Wagen schließlich vom Beifahrersitz aus nach Berlin zurück, während Klier, die zuvor noch zwei weitere Male die Kontrolle über die Lenkung verloren hatte, quasi als Attrappe für die Volkspolizisten auf dem Fahrersitz verharrt, bremst, kuppelt, Gas gibt - und sich fragt, ob sie vielleicht verrückt geworden ist.
32 Jahre später lässt ihr Ex-Vernehmer nach Rücksprache mit einem damaligen Stasi-Kollegen sie wissen: Freya Klier und Stefan Krawczyk sollten tatsächlich Opfer eines verdeckten Anschlags werden, vermutlich durch ein am Griff der Fahrertür appliziertes schnell wirkendes Nervengift. Für Freya Klier war diese späte Gewissheit Impuls für das vorliegende Buch.
Das erste Drittel allerdings wird dem etwas reißerischen Titel "Unter mysteriösen Umständen" nicht gerecht: Hier schildert die Autorin ausgewählte Beispiele politischer Repression aus der DDR der 50er- und 60er-Jahre - darunter auch die Leidensgeschichte ihres eigenen Bruders, der sich nach jahrelanger Haft und Psychiatrie mit 30 Jahren das Leben nahm.

Angriffe auf Sportler, Journalisten u.a.

Freya Kliers Buch ist voll solch deprimierender Opfergeschichten, die in ihrer Trostlosigkeit mitunter an Reiner Kunzes Prosasammlung "Die wunderbaren Jahre" denken lassen. Und es ist wichtig, sie immer wieder zu erzählen. Allein: Mysteriös ist an ihnen wenig. Zu ihrem eigentlichen Thema gelangt die Autorin erst, wenn sie zum Beispiel den Anschlägen der Stasi auf übergelaufene DDR-Spitzensportler oder unliebsame Westjournalisten wie den Leiter des Ost-Berliner "Spiegel"-Büros, Ulrich Schwarz, nachgeht. Letzterer überlebt 1987 nur knapp einen Unfall auf der Autobahn nahe Rostock, als sich auf kerzengerader Strecke sein Volvo überschlägt, nachdem Schwarz urplötzlich am Steuer bewusstlos geworden war.
Eingehend beleuchtet wird auch das Schicksal des politisch unbequemen Schriftstellers Klaus Schlesinger, dem der SED-Staat 1980 einen Reisepass ausstellt - in der Hoffnung, ihn loszuwerden.
"Klaus Schlesinger wird immer unbehaglicher, wenn er am Ost- West-Übergang in Berlin jedes Mal auf eine bestimmte Stelle fahren und dort fast eine Stunde ohne ersichtlichen Grund warten muss. Er kriegt von den Grenzern keinerlei Antwort auf seine Frage, was das soll. […] Klaus Schlesinger wird zwölf Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR an Blutkrebs sterben, doch das weiß er noch nicht."
Jürgen Fuchs, Bärbel Bohley, Rudolf Bahro, Joachim Walther, Gerulf Pannach - das sind nur einige prominente Namen in der langen Auflistung der inzwischen - oft an seltenen Krebsarten - verstorbenen Regimegegner, Bürgerrechtler, aber auch aufmüpfige Pfarrer, Musiker und Literaten der einstigen DDR, die Freya Klier hier bis in die jüngste Vergangenheit fortführt. Die Krankheitsverläufe entsprechen dabei oft genau jenen, die das MfS in einer auch intern hochgeheimen Studie prognostizierte. Initiiert wurde diese 1987 von Mielke-Stellvertreter Gerhard Neiber:
"Er beauftragt zwei Stasi-Offiziere, getarnt als Kriminalisten an der Humboldt-Universität Berlin, mögliche Giftmorde zu erforschen, von Arsen bis Zyankali. […] Die Giftakte beschreibt exakt, wie über 200 toxische Substanzen so zu verabreichen sind, dass sie kaum mehr nachweisbar zum Tod führen."

Der lange Arm der Stasi

In dieser sogenannten "Toxdat"-Studie findet sich unter anderem auch jene Methode wieder, mit der vermutlich Spiegel-Redakteur Schwarz umgebracht werden sollte: "Vortäuschung von Verkehrsunfällen durch Auslösung von sekundenschneller Bewusstlosigkeit mittels Minigasgenerator in Belüftungsschächten von PKW."
Besondere Beachtung erfahren in der Studie auch Langzeitgifte, die erst Jahre oder Jahrzehnte später todbringende Erkrankungen auslösen - inklusive radioaktiver Stoffe. 1999 untersuchen vier einstige Bürgerrechtler bei der Stasi-Unterlagenbehörde die Akten-Hinterlassenschaft des "Operativ-Technischen Sektors" jener Abteilung, in der Mielkes Spezialisten nicht nur an Abhör- und Sabotagetechnik, sondern auch an toxischen Stoffen tüftelten. Die Gruppe um die einstigen Regimegegner Thomas Auerbach und Sebastian Pflugbeil ahnt dabei nicht, dass selbst die Akten des OTS kontaminiert sind: während der anderthalbjährigen Arbeit werden alle vier von Symptomen wie Augenentzündungen, Nasenbluten, geschwollenen Lymphknoten, Darm-, Knochen- und Kopfschmerzen heimgesucht. Bei Auerbach wird 2014 nach zahlreichen ergebnislosen Untersuchungen eine Chronische Leukämie diagnostiziert, er stirbt im Juni 2020.
Freya Klier liefert mit ihrem Buch zwar an sich keine spektakulär neuen Erkenntnisse zum Thema – ihr Verdienst ist es vielmehr, weit verstreute Quellen und Opfergeschichten zu einem Gesamtbild kompiliert zu haben, welches eindringlich belegt, dass nicht nur die psychischen Verwüstungen, die die Stasi angerichtet hat, bis in die Jetztzeit fortwirken.
Freya Klier: "Unter mysteriösen Umständen. Die politischen Morde der Staatssicherheit"
Herder Verlag, 303 Seiten, 26 Euro.