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Stasi-Unterlagenbehörde
"Wir müssen Aufarbeitung gewährleisten"

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen der ehemaligen DDR, Roland Jahn, hat die Vorschläge der Expertenkommission zur Reform seiner Behörde gegen Kritik verteidigt. Es gehe nicht darum, die Behörde zu zerschlagen, sondern sie weiterzuentwickeln, sagte Jahn im Interview der Woche des Deutschlandfunks. Allerdings mahnte er, die Opfer besser einzubinden.

Christiane Habermalz im Gespräch mit Roland Jahn |
    Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Deutschen Demokratischen Republik (BStU), posiert am 07.12.2015 in Berlin in einem Büro.
    Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Deutschen Demokratischen Republik (BStU) (picture alliance/dpa - Paul Zinken)
    Habermalz: Herr Jahn, Sie sind einer der prominentesten Regimekritiker der DDR gewesen, Sie wurden von der Uni verwiesen, unter Druck gesetzt, inhaftiert, 1983 aus der DDR zwangsausgewiesen. Wann haben Sie Ihre eigene Stasi-Akte eingesehen?
    Jahn: Ja, ich hatte das Glück, als Journalist unterwegs zu sein, und ich habe das Bürgerkomitee begleitet, welches die Stasi-Archive gesichert hat. Und der erste Gang ins Archiv war sozusagen ein Gang, wo wir meine Akte gezogen haben und das war schon im Februar 1990.
    Habermalz: Und was war das für eine Akte, was stand da drin? Gab es irgendetwas, was Sie überrascht hat, was Sie da darin gelesen haben?
    Jahn: Na ja, vieles hat man gedacht, was möglich ist. Aber wenn man es dann schwarz auf weiß sieht, wenn man genau sieht, dass die Stasi eingegriffen hat in das Leben der Familie und wenn man auch sieht, dass sie sogar in West-Berlin unterwegs war, dass sie dort genau alles dokumentiert hat, welche Aktivitäten ich als Journalist unternommen habe, das ist schon sehr ergreifend gewesen. Und besonders beeindruckt hat mich, dass man eine Skizze meiner Wohnung in Berlin-Kreuzberg angefertigt hat, dass man genau beschrieben hat, wie welches Möbelstück steht und dass man sogar den Schulweg meiner achtjährigen Tochter observiert hat.
    Menschen sollen "Stück ihres gestohlenen Lebens" zurückbekommen
    Habermalz: Sie sind jetzt seit 2011 im Amt. Hat Sie das Amt, hat Sie die Behörde oder der tägliche Umgang mit der Staatssicherheit, mit den Akten, auch mit dem perfiden Denken der Staatssicherheit, hat Sie das verändert? Was macht das mit einem?
    Jahn: Also, ich sage Ihnen mal ganz ernsthaft, ich habe als Journalist mehr Stasi-Akten gelesen als jetzt als Bundesbeauftragter. Und das ist ja das Wichtige, dass wir ja die Akten insgesamt nutzen, dass wir sie bereitstellen für viele, viele Menschen. Es geht ja nicht darum, dass jemand eine Deutungshoheit über diese Akten hat, sondern die Akten stehen der Gesellschaft zur Verfügung nach rechtsstaatlichen Regeln. Und das ist das, was als Errungenschaft gilt, was wichtig ist. Dass die Menschen die Informationen, die die Stasi über sie gesammelt hat, zur Verfügung bekommen, dass sie ein Stück ihres gestohlenen Lebens zurückbekommen und dass die Akten natürlich unter Einhaltung des Datenschutzes auch Wissenschaftlern und Journalisten zur Verfügung stehen.
    Am 5. September 1990 demonstrieren Bürger für eine Einsicht in ihre Stasiakten.
    Am 5. September 1990 demonstrieren Bürger für eine Einsicht in ihre Stasiakten. (dpa / picture-alliance / Hammer)
    Habermalz: Wer ist das jetzt, der nach 26 Jahren noch Einblick verlangt in seine Akten, noch Akteneinsicht nehmen möchte? Sind das immer noch die Opfer oder sind das schon deren Kinder oder sogar deren Enkel?
    Jahn: Also, viele haben gedacht, dass im Jahre 2016 die Akteneinsichtsanträge minimal sind. Aber man muss feststellen, auch persönliche Akteneinsicht - gerade im letzten Monat waren es wieder über 5.000 Anträge - das sind Menschen, die sind jetzt meinetwegen schon älter, sie haben ihr Berufsleben beendet, sie haben Zeit, sich dem zu widmen. Oder aber auch, sie haben genügend Abstand und die Ängste, die sie in der Anfangszeit hatten, dass sie vielleicht ja Erkenntnisse bekommen, die sie erschüttern, dass sie mit diesen Ängsten jetzt anders umgehen können. Und deswegen stellen viele auch erst jetzt nach 25 Jahren einen Antrag. Aber was wir ganz oft hören ist, dass Menschen gerade von ihren Enkelkindern gefragt werden: Wie war das Leben im geteilten Deutschland? Wie habt ihr diese Zeit erlebt? Auf welcher Seite standet ihr? Und diese Großeltern werden oft animiert von ihren Enkeln, Akteneinsicht zu beantragen. Und das ist wichtig für die Diskussionen in den Familien.
    "Das ist eine Investition in die Demokratie"
    Habermalz: 2019 wird die Behörde 30 Jahre alt werden. Damit ist sie bald schon älter, als die Stasi selbst geworden ist. 100 Millionen Euro kostet es jedes Jahr die Steuerzahler, die Behörde aufrecht zu erhalten. Könnte man nicht mit einiger Berechtigung sagen: Das war eine wichtige Aufgabe, aber diese historische Aufgabe der DDR-Aufarbeitung ist auch irgendwann abgeschlossen? Könnte man nicht auch sagen: Das Land hat jetzt ganz andere Sorgen angesichts der vielen Flüchtlinge, die wir derzeit integrieren müssen?
    Jahn: Ach, wissen Sie, solche Argumente, die wurden schon Anfang der 90er-Jahre vorgebracht: 'Was kostet das alles? Und haben wir nicht ganz andere Sorgen?' Diese 25 Jahre Nutzung dieser Stasi-Akten, das hat gezeigt, dass es sich lohnt, hier zu investieren. Das ist eine Investition in die Demokratie, und ich glaube, das muss man immer wieder deutlich sagen. Wir haben natürlich nicht nur den Opfern damit geholfen, dass sie Einsicht in die Akten nehmen konnten, sondern diese Aufklärung über die Diktatur ist etwas, was die Chance bietet, das Demokratiebewusstsein zu stärken. Auch die nächsten Generationen haben etwas davon, und darum geht es ja jetzt. Es geht darum, Weichen zu stellen dafür, dass wir die Akten weiter nutzen können. Es geht darum, Weichen zu stellen dafür, dass Forschung und Bildung weitergehen können. Denn wenn wir diese Akten nutzen, dann können wir unsere Sinne schärfen für die Gegenwart. Und das ist nicht nur jetzt, 25 Jahre danach so, sondern das ist auch in weiteren 25 Jahren so.
    Habermalz: Aber Sie haben jetzt noch 1.600 Mitarbeiter - was machen die eigentlich den ganzen Tag?
    Jahn: Also, da kann ich Ihnen einiges erzählen. Das Wichtige ist ja, dass diese Akten bereitgestellt werden und das ist ein aufwendiges Verfahren. Weil wir wollen ja hier einerseits Transparenz herstellen über das staatliche Handeln in der DDR, über das Wirken der Staatssicherheit und andererseits wollen wir Datenschutz gewährleisten, dass die Informationen, die dort menschenrechtswidrig gesammelt worden sind, nicht einfach so rausgehen, sondern dass die Bürger, die es betrifft, auch geschützt werden mit ihren Daten. Und diesen Spagat hinzubekommen, ist ein aufwendiges Verfahren. Die Akten müssen vorbereitet werden, hier müssen Anonymisierungen gemacht werden. Ein Journalist, der eine Akte kriegt mit Personendaten, die müssen genau geprüft werden, ob die rausgegeben werden können oder nicht. Und das ist nun mal aufwendig.
    "Wichtige Erkenntnisse, um das gesamte Wirken der Stasi darzustellen"
    Habermalz: Zu Ihren Aufgaben gehört ja auch, das Zusammenpuzzeln von, ich glaube, 15.000 Säcken von Papierschnipseln von Akten, die von Stasi-Mitarbeitern noch im letzten Moment geschreddert wurden. Da hat der Bundestag ja noch mal 14 Millionen zur Verfügung gestellt, um ein Computerprogramm zu erproben, dass diese Arbeit erleichtern soll.
    Jahn: Also, zu unserer Aufgabe gehört es, die Akten bereitzustellen. In dieser Hinsicht, aus den 15.000 Säcken, die die Stasi uns hinterlassen hat, sind 500 zusammengesetzt worden, die manuell zusammengesetzt worden sind. Und da sind viele Erkenntnisse schon gekommen, die uns helfen. Zum Beispiel: Wie wurden Internierungslager organisiert, die geplant waren von der DDR. Oder es wurden auch Einzelfälle aufgeklärt: Der Rektor der Berliner Humboldt-Universität, dass der als inoffizieller Mitarbeiter erfasst worden ist. Oder aber auch Dokumente, die aufzeigen, wie die Rote Armee Fraktion, die Terrororganisation in der Bundesrepublik, Unterschlupf gefunden hat mithilfe der Stasi in der DDR. Das sind alles wichtige Erkenntnisse, um das gesamte Wirken der Stasi darzustellen.
    Habermalz: Und das sind Erkenntnisse, die aus den Schnipsel-Säcken stammen?
    Jahn: Das sind zum Beispiel Erkenntnisse. Man kann da noch viel Weiteres aufzählen. Aber auch gerade für die persönliche Akteneinsicht sind ja diese Säcke wichtig. Manch einer braucht ein Dokument gerade auch, um eine Rehabilitierung herbeizuführen. Wenn er zum Beispiel von der Uni geworfen wurde und konnte nicht nachweisen, dass das aus politischen Gründen geschehen ist, ist gerade diese Akteneinsicht sehr, sehr wichtig. Und da hofft er natürlich, dass auch in den Schnipseln vielleicht sich etwas findet, was ihm hilft.
    "Hier soll nichts zerschlagen werden"
    Habermalz: Die Böhmer-Kommission, die vor Kurzem im Auftrag des Bundestages Vorschläge für die Zukunft Ihrer Behörde vorgelegt hat, will Ihre Behörde im Prinzip zerschlagen. Die Akten sollen organisatorisch ins Bundesarchiv integriert werden und Sie selbst sollen nicht mehr der Herr der Akten und der Behördenleiter sein, sondern eine neue Position bekommen, eine Art Bundesbeauftragter für die Aufarbeitung der SED-Diktatur beim Bundestag werden. Wie finden Sie das?
    Jahn: Hier soll nichts zerschlagen werden, sondern hier soll etwas weiterentwickelt werden. Und Herr der Akten bin ich nicht gewesen, war auch Joachim Gauck und Marianne Birthler nicht, sondern wir haben eine Verantwortung, hier ein demokratisches Archiv zur Verfügung zu stellen. Und darum geht es, dass dieses Archiv auch langfristig zukünftig für Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur zur Verfügung steht. Und die Kommission hat Vorschläge gemacht, wie diese dauerhafte Sicherung des Stasi-Unterlagen-Archivs vollzogen werden kann.
    Habermalz: Was sehen Sie denn kritisch an den Böhmer-Vorschlägen? Also, für jemanden, dessen Amt gerade zur Disposition gestellt wird, wirken Sie immer sehr gelassen.
    Jahn: Ja, ich bin ja orientiert an dem, was die konkreten Dinge betrifft. Was wird sich für den Bürger ändern? Das ist doch die Frage. Und da muss man erst mal herausstellen: Dieses Stasi-Unterlagen-Archiv soll dauerhaft gesichert werden. Der Aktenzugang soll weiter möglich sein, so wie er sich 25 Jahre bewährt hat. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz mit seinen Bestimmungen des Aktenzugangs soll als Grundlage weiter benutzt werden. Das ist doch erst mal ein positives Zeichen. Aber auch die Forschung hat Zukunft. Und das sind alles Dinge, die doch begrüßenswert sind. Was mir wichtig ist, dass hier die Diskussion noch geführt wird gerade mit den Opferverbänden, dass alle mitgenommen werden. Und dass das Symbol des Stasi-Unterlagen-Archivs hochgehalten wird, einerseits als Monument des Überwachungsstaates wirkt, als Mahnmal, und auf der anderen Seite aber auch als Symbol dafür, dass Diktatur überwindbar ist, als Symbol einer Revolution, die erstmalig in der Welt die Akten einer Geheimpolizei gesichert und geöffnet hat. Wo haben wir Denkmäler für die friedliche Revolution? In Berlin ist das Einheits- und Freiheitsdenkmal gescheitert. In Leipzig ist das Freiheitsdenkmal gescheitert. Und diese Akten, diese Berge von Akten sind die einzigen Denkmäler, die wir in dieser Hinsicht haben. Und die gilt es auch zu zeigen, auch in der Region zu zeigen und sie darzustellen.
    "Es geht darum, das Symbol hochzuhalten"
    Habermalz: Aber sind nicht gerade die Akten auch wichtig für diesen Symbolwert, den Sie angesprochen haben? Braucht es nicht die Akten, um auch dem Amt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen das nötige gesellschaftliche Gewicht zu geben?
    Jahn: Ich denke, dass die Kommission hier Vorschläge gemacht hat, die im Einzelnen natürlich noch diskutiert werden müssen. Es kommt natürlich auch auf die Details an. Aber der Kommissionsbericht wird sehr unterschiedlich gelesen. Also, ich sehe hier weiterhin auch die Verantwortung, die politische Verantwortung eines Bundesbeauftragten für diese Akten. Und darum geht es ja, das Symbol hochzuhalten und die besten Voraussetzungen zu schaffen, dass die Akten gut genutzt werden können.
    Habermalz: Aber es gibt ja zwei Punkte, die immer wieder kritisiert wurden. Das eine war, dass es sehr lange dauert - bis zu drei Jahre Wartezeit sind, glaube ich, gerade aktuell -, bis ein Bürger seine Akte dann mal in der Hand hält. Das andere war der Vorwurf, dass externe Forscher schlechter Zugang bekommen zu den Akten als die behördeninternen Wissenschaftler. Sind das denn zwei Punkte, die zum Beispiel dadurch verbessert werden, dass die Akten ins Bundesarchiv übergehen?
    Jahn: Das sind zwei Punkte, die die Kommission auch im Blick gehabt hat. Und Thema "Wartezeiten", da sind wir natürlich schon jetzt dran. Wir haben alle Möglichkeiten genutzt, Abläufe zu verbessern. Wir haben alle Möglichkeiten genutzt, hier die Organisation so zu gestalten, dass der Berg von Akteneinsichtsanträgen abgearbeitet wird. Die Ursachen liegen ja darin, dass einfach der Bedarf so groß ist. Das ist überall so: Dort, wo ein großer Bedarf ist, bilden sich Schlangen und da muss man auch manchmal warten.
    Wartezeiten sollen reduziert werden
    Habermalz: Aber drei Jahre?
    Jahn: Also, ich kann nur sagen: Gerade, weil die Zahl der Anträge immer wieder gestiegen ist und nicht im Verhältnis stand zu dem Personal, was vorgesehen war. Es gibt hier eine natürliche Fluktuation: Wir haben zu den Zeiten von Joachim Gauck 3.000 Mitarbeiter gehabt, jetzt haben wir die Hälfte. Das heißt, hier ist ein ganz klarer Personalabbau vonstattengegangen, was den Planungen entsprach, wo man dachte: 'So und so viele Anträge wird es noch geben.' Die Anträge sind gestiegen, also musste reagiert werden. Und da haben wir es geschafft, gerade auch im letzten Jahr, über 20.000 von offenen Anträgen mehr abzuarbeiten, sodass der Berg um 20.000 reduziert worden ist. Und in dem Sinne haben wir jetzt noch einen Berg von 60.000 Anträgen, die sozusagen im Wartezustand sind. Aber da gilt es halt ganz aktiv weiter dran zu bleiben.
    Das Archiv der Stasiunterlagenbehörde in Berlin. Die Zukunft der Behörde ist ungewiss.
    Das Archiv der Stasiunterlagenbehörde in Berlin. Die Zukunft der Behörde ist ungewiss. (dpa / picture-alliance / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Habermalz: Aber ist das nicht eher ein Argument zu sagen, die Behörde muss erhalten bleiben, statt sie abzuschaffen?
    Jahn: Also, man kann diese Diskussion nicht so vereinfachen. Gerade was die Arbeitsabläufe betrifft, denke ich, ist es wichtig, dass wir das tun, was möglich ist. Die strukturellen Fragestellungen für die langfristige Entwicklung, die gilt es ja jetzt konkret auszuloten. Und da ist es wichtig, dass wir mit dem Bundesarchiv gemeinsam genau schauen, wo kann die Zusammenarbeit intensiviert werden. Das tun wir ja. Die Zukunft heißt doch: gemeinsame Datenbänke. Die Zukunft heißt: gemeinsame Rechercheportale. Die Zukunft heißt: gemeinsame Ausbildung, gemeinsame Liegenschaftsorganisation. All die Dinge, da ist es doch wichtig, dass wir die gemeinsam mit den Archiven des Bundes gestalten, damit wir Vorteile haben. Vorteile haben in den Arbeitsabläufen, Vorteile haben in der Kompetenz der Mitarbeiter, Vorteile am Ende für den Nutzer, ohne - und das ist ganz, ganz wichtig - das Symbol zu Beschädigen.
    "Es ist für mich ein gesetzlicher Auftrag, Aufarbeitung zu gewährleisten"
    Habermalz: Ich spreche mit Roland Jahn, mit dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR. Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk. Herr Jahn, Ihre Amtszeit ist offiziell abgelaufen, Sie sind jetzt kommissarisch im Amt, eigentlich hätten Sie schon im März wiedergewählt werden sollen - die SPD war gegen Sie. Was haben Sie der SPD eigentlich getan?
    Jahn: Also ich denke, dass hier eine Entscheidung getroffen worden ist im Deutschen Bundestag, die Wahl zum Bundesbeauftragten erst mal zurückzustellen, um die Ergebnisse der Expertenkommission abzuwarten. Das ist eine Entscheidung des Deutschen Bundestages, das gilt es zu respektieren. Und wichtig ist, dass bei allen Entscheidungen, ob die Wahl, aber auch die zukünftigen Entscheidungen, die Opfer gut einbezogen werden.
    Habermalz: Sie haben sich zu Beginn Ihrer Amtszeit ja bei einigen etwas unbeliebt gemacht mit der Forderung, die ehemaligen Stasi-Mitarbeiter aus der Behörde zu entfernen, die bis zu diesem Zeitpunkt noch dort arbeiteten. Das haben Sie sehr scharf kritisiert und haben gesagt, das wäre unerträglich. Ist das etwas, was Ihnen heute noch nachgetragen wird?
    Jahn: Also, mir wird es nicht mehr nachgetragen. Außerdem geht es nicht um die Frage, ob man sich beliebt macht oder unbeliebt macht. Sondern mir ist es wichtig und das ist für mich auch ein gesetzlicher Auftrag, Aufarbeitung zu gewährleisten. Und in den Gesprächen gerade mit den Opferverbänden wurde mir immer wieder gesagt, dass das etwas ist, was die Opfer schmerzt, was sie nicht hinnehmen wollen. Und mir ging es darum, einen rechtsstaatlich korrekten Weg zu finden, hier den Opfern entgegen zu kommen und das ist gelungen. Es ist gelungen, hier ein Verfahren zu entwickeln, dass diese ehemaligen Stasi-Offiziere versetzt werden in andere Bundesverwaltungen. Und das ist ein wichtiges Signal, was da erfolgt ist, nämlich die Opfer haben gesehen: Der Rechtsstaat hilft ihnen. Das, glaube ich, ist das Entscheidende. Und in dem Sinne, glaube ich, ist der Weg ein guter gewesen.
    Versetzung von Ex-Stasi-Offizieren: "Wir arbeiten weiter daran"
    Habermalz: Das heißt, wie ist der Stand der Dinge? Diese ehemaligen Stasi-Mitarbeiter arbeiten jetzt nicht mehr in der Behörde?
    Jahn: Also, von 47 ehemaligen Stasi-Offizieren, die in der Behörde gearbeitet haben bei meinem Amtsantritt, sind jetzt noch 13 tätig. Das ist dem geschuldet, dass wir halt einen rechtsstaatlich korrekten Weg gehen und dass wir hier genau das, was das Gesetz auch vorschreibt, nämlich dass wir gleichwertige zumutbare Stellen brauchen. In den Außenstellen ist das schwierig, da gibt es keine Bundesverwaltung. Wir haben die Schwierigkeit, diese Versetzungen durchzuführen, aber wir arbeiten weiter daran. Alle 15 Gerichtsentscheidungen, die gefallen sind, sind zugunsten dieses Weges gefallen, also, die Versetzung in andere Bundesbehörden ist rechtsstaatlich.
    Habermalz: Aber das heißt, sie sind letztlich mit ihrem Wunsch gescheitert, die los zu werden.
    Jahn: Nein. Es ging darum, einen Weg aufzuzeigen, der rechtsstaatlich korrekt ist. Es ging darum, zu zeigen: Wir können den Opfern helfen. Und das ist gelungen. Den Rest des Weges gehen wir auch weiter und die letzten werden auch noch versetzt.
    Säcke mit vorvernichteten Akten der ehemaligen Stasi liegen im Keller der Außenstelle in Frankfurt (Oder) des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik
    Säcke mit vorvernichteten Akten im Keller der Außenstelle in Frankfurt (Oder) der Stasi-Unterlagenbehörde (picture alliance / dpa-Zentralbild, Patrick Pleul)
    "Wir müssen wegkommen von dieser Fixierung auf die Stasi"
    Habermalz: Das Amt eines Bundesbeauftragten am Bundestag, ist das eine Position, die Sie für sinnvoll erachten?
    Jahn: Was sinnvoll ist, ist, dass der Horizont erweitert wird. Die Arbeit in der Vergangenheit hat eine deutliche Fixierung auf das Thema Stasi mit sich gebracht, und der Kommission ist es wichtig, den Horizont zu erweitern. Wir müssen insgesamt eher wegkommen von dieser Fixierung auf die Stasi, weil man damit nicht die SED-Diktatur insgesamt erfassen kann und vor allen Dingen auch die Vielfalt des Lebens in der DDR außer Acht lässt. Denken Sie mal an die zwangsadoptierten Kinder, die ihr Schicksal aufklären wollen, die ihre Schwierigkeiten haben, hier Aktenzugang zu den staatlichen Ämtern zu finden. Oder denken Sie an die Heimkinder oder aber auch an die relegierten Schüler, die bis heute Schwierigkeiten haben. Also, es gibt viele, viele Opfergruppen, die politische Hilfe brauchen. Und hier arbeiten bis jetzt nur die Landesbeauftragten, die sich sehr intensiv darum kümmern, aber viele Fragestellungen sind halt bundesweite Angelegenheiten. Wir haben ja auch ganz viele Menschen, die in die Bundesrepublik ausgereist sind, viele Menschen, die freigekauft worden sind aus politischer Haft, die in Westdeutschland leben und für die ist ein bundesweiter Ansprechpartner natürlich auch oft hilfreich.
    Pegida-Demos: "Das Demonstrationsrecht gehört zur Freiheit"
    Habermalz: Ich spreche mit Roland Jahn, dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der DDR, im Interview der Woche, im Deutschlandfunk. Herr Jahn, die Montagsdemonstrationen in Leipzig und in anderen ostdeutschen Städten haben 1989 demokratische Rechte eingefordert und letztlich auch den Sturz der DDR herbeigeführt. Jetzt, fast 30 Jahre später, wird in Sachsen wieder demonstriert und wieder jede Woche, jetzt aber gegen Flüchtlinge oder gegen die "Lügenpresse". Ist die Einführung der Demokratie in den ostdeutschen Bundesländern gescheitert?
    Jahn: In dem Sinne beschäftigt mich das natürlich, weil das schon etwas ist, was einem Sorgen bereitet, wenn man sieht, was da an Positionen manchmal vertreten wird. Aber wir müssen klar und deutlich sagen: Das Demonstrationsrecht gehört zur Freiheit und jeder hat das Recht, seine Meinung kund zu tun, auch wenn uns die Meinung nicht passt. Und das ist immer wichtig, wieder zu betonen. Und mir ist es wichtig, dass aber natürlich dort Grenzen gesetzt werden, wo die Grundwerte unserer Gesellschaft infrage gestellt werden, wo Strafgesetzte verletzt werden. Und da, denke ich, ist der Staat herausgefordert auch zu handeln.
    Habermalz: Ist es nicht das falsche Signal, wenn gerade jetzt - wie die Kommission vorschlägt - die Außenstellen der Stasi-Unterlagen-Behörde in den ostdeutschen Bundesländern geschlossen werden sollen? Ist nicht das eigentlich ein Zeichen dafür, dass politische Bildung da besonders benötigt wird?
    Jahn: Auch das kann ich in den Vorschlägen der Kommission überhaupt nicht sehen. Sondern die Kommission hat Vorschläge erarbeitet, die sicherstellen sollen, dass auch in Zukunft die Aufarbeitung weitergehen kann und mit einer Qualität weitergehen kann, die langfristig wirkt. Es ist doch ganz klar an den Fakten zu erkennen, dass es, so wie wir jetzt arbeiten, nicht weitergehen kann. Sprich, wir haben keine einzige Außenstelle, die eine archivgerechte Lagerung sicherstellt. Die Liegenschaften sind zum Teil nicht geeignet, die Akten langfristig zu lagern, und darum geht es doch. Wir müssen Voraussetzungen schaffen, dass wir investieren können.
    "Ich glaube an die Korrekturfähigkeit der Demokratie"
    Habermalz: Die Akten erzählen ja auch die Geschichte der DDR als Überwachungsstaat - wir erleben eigentlich wieder eine Renaissance des Datensammelns, wenn man so will. Die NSA-Affäre hat das gezeigt, aber auch die Diskussion um Google und so weiter. Wenn Sie auf diese heutige Zeit blicken, was geht Ihnen da durch den Kopf oder man könnte auch sagen, wovor haben Sie mehr Angst, vor Unternehmen wie Google oder vor der NSA oder vor den Geheimdiensten?
    Jahn: Ich bin jemand, der immer an die Korrekturfähigkeit der Demokratie glaubt. Und ich denke, dass die demokratischen Strukturen geeignet sind, dass man überall dort, wo eine Gefahr droht für die Menschen, dass Menschenrechte verletzt werden, dass man da Stopp-Zeichen setzt. Und das zeigt es ja auch: Wir haben Untersuchungsausschüsse, wir haben eine freie Presse, die immer wieder einiges aufdeckt und die Diskussionen vorantreibt. Wir haben die Instrumente zu sagen, hier auch Stopp-Zeichen zu setzen, das war halt in der Diktatur nicht der Fall. Alle, die auf die Machenschaften der Stasi aufmerksam gemacht haben, sind ins Gefängnis gewandert oder haben andere Repressionen erlebt. Und auf diesen Unterschied gilt es auch immer wieder hinzuweisen. Aber was wir an Chancen haben, mit den Blick in die Vergangenheit, ist, dass wir gerade den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie erkennen können und dass wir halt unsere Sinne schärfen können dafür, auch wachsam zu sein, wo droht der Demokratie Gefahr. Und das, denke ich, ist die große Chance, und die sollten wir nicht verpassen.
    Roland Jahn mit DLF-Redakteurin Christiane Habermalz auf der Terrasse des Deutschlandradio-Hauptstadtstudios
    Roland Jahn mit DLF-Redakteurin Christiane Habermalz auf dem Dach des Deutschlandradio-Hauptstadtstudios (Deutschlandradio/Ansgar Rossi)
    Habermalz: Denken Sie manchmal, wir sind zu sorglos im Umgang mit den Daten, auch vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Erfahrung?
    Jahn: Ja, zu dem Schärfen der Sinne gehört halt auch dazu, dass wir auch unsere Sorglosigkeit vielleicht im Alltag ein bisschen aufgeben, dass wir genau hinschauen, was geschieht mit unseren Daten, aber dass wir uns die Freiheit auch nicht nehmen lassen, selber zu entscheiden. Ich habe auch die Freiheit, sorglos zu sein.
    Habermalz: Haben Sie auch ein Smartphone?
    Jahn: Ich habe kein Smartphone, aber ich kann nur sagen, in dem Sinne muss ich mich frei entscheiden können, wo gebe ich meine Daten preis und wo will ich sie für mich behalten. Ich möchte aufmerksam gemacht werden, wo andere auf meine Daten zugreifen. Aber entscheidend ist immer die Selbstbestimmung über die Daten und dass der Staat mit Sorge trägt, hier den Bürger auch dort zu schützen, wo er vielleicht mal den Überblick verloren hat.
    "All das, was wir machen, hat eine internationale Wirkung"
    Habermalz: Zum Schluss noch eine Frage zur aktuellen Lage in Europa. Die Stasi-Unterlagen-Behörde war ja immer lange auch Vorbild für osteuropäische Länder in Sachen Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit. Jetzt erleben wir in Europa gerade einen Rechtsruck. Gerade in den osteuropäischen Ländern erleben wir, dass die ganz andere politische Wege einschlagen als wir. Hat das was zu tun mit Geschichte und mit Aufarbeitung?
    Jahn: Also ich denke, dass aktuelle Politik auch immer mit Geschichte zu tun hat. Und wir haben ja erlebt, dass gerade in den osteuropäischen Ländern der deutsche Weg als Beispiel genommen wurde. Die Öffnung der Akten der Geheimpolizei ist auch in osteuropäischen Ländern erfolgt, nach dem Vorbild in Deutschland. Und wir haben ein Netzwerk gegründet, wo wir uns austauschen über unsere Erfahrungen. Wir sind natürlich auch erschrocken, wenn zum Beispiel in Bulgarien die Regierung die Diskussion in Deutschland dafür nutzt, Einschränkungen vorzunehmen mit dem Bezug, auch die Deutschen würden ja jetzt was ändern.
    Habermalz: Die Diskussion um die Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde.
    Jahn: Ja, das ist ein Punkt, wo ich mir natürlich schon Sorgen mache. Umso wichtiger ist es, dass wir in Deutschland sehr sensibel sind damit, dass all das, was wir machen eine internationale Wirkung hat, dass alle genau hinschauen, welcher Weg wird in Deutschland beschritten. Und auch da gilt es wieder: Was sind die Maßstäbe? Die Länder müssen natürlich sich frei auch entscheiden können, welchen Weg sie gehen - das ist das Selbstbestimmungsrecht auch eines ganzen Volkes. Und da können an einem bestimmten Punkt natürlich wir nicht einfach sagen: Das passt uns nicht, sondern wir müssen klar einen Maßstab definieren. Und der heißt Menschenrechte, der heißt europäische Vereinbarungen, der heißt Europa, welche Vereinbarungen haben wir getroffen in bestimmen Bürgerrechten, und die gilt es einzuhalten. Und das müssen wir auch einfordern, ob das Polen ist, ob das Slowakei ist. Wenn hier europäische Regeln verletzt werden, dann müssen wir sie darauf hinweisen, dass das nicht hinzunehmen ist.
    Habermalz: Vielen Dank, Herr Jahn.
    Jahn: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.