Lange: Herr Tiefensee, Ihnen war die Biographie von Dirk Thärichen, um den es hier geht, in allen Einzelheiten bekannt. Sie haben sich gestern hinter ihn gestellt. Welche Bedeutung haben für Sie diese fünf Monate Wehrdienst zwischen August '89 und Januar '90 in diesem Wachregiment, denn darum geht es doch letztlich?
Tiefensee: Zunächst einmal gibt es einschlägige Äußerungen beispielsweise des Landesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit in der ehemaligen DDR aus Thüringen und aus Sachsen. Die sagen übereinstimmend, dass ein solcher Wehrdienst, der im Rahmen des aktiven Wehrdienstes geleistet wurde, kein Hinderungsgrund ist, im öffentlichen Dienst beschäftigt zu sein. Alles andere, wo man ihn beschäftigt, ist Ermessensfrage und Sie können mir glauben, dass jemand wie ich, der seine Jugend und Kindheit in der DDR verbracht hat, und als Bausoldat, also als jemand, der den Dienst mit der Waffe verweigert hat, nicht gerade auf der Seite der Regierung stand, um es vorsichtig zu sagen, sondern mit seinen Mitteln dagegen gekämpft hat, wohl zu unterscheiden weiß und auch unterscheiden muss: was ist Staatssicherheit, was sind informelle Mitarbeiter, was ist ein Führungsoffizier auf der einen Seite und was ist, wenn ein junger Mann ein halbes Jahr seinen normalen aktiven Wehrdienst, allerdings eben im Wachregiment Felix Dzierzynski ableistet.
Lange: Nun sagt ein anderer Beauftragter für die Stasi-Unterlagen, nämlich der sächsische Michael Beleites, wenn er im Wachregiment der Stasi gewesen sei, dann sei er für eine solche Stelle nicht geeignet, und er sagt, Leipzig hat nur dann eine Chance, wenn es gelingt, den ostdeutschen Sport aus dem Geruch von Doping und Stasi herauszuhalten.
Tiefensee: Zunächst einmal sind sich beide Landesbeauftragten, die vom Freistaat und von Thüringen, einig, dass einer Anstellung im öffentlichen Dienst im Prinzip nichts entgegensteht. Sie haben völlig Recht: die Frage ist dann - und das ist ein Ermessensspielraum -, an welcher Stelle setzt man einen solchen Mann ein. Nur wir müssen sehr genau aufpassen, dass wir in der Diskussion, die jetzt national beginnt und die vielleicht auch international wahrgenommen wird, nicht diese beiden Dinge durcheinander bringen. Wir haben es auf der einen Seite mit Stasi zu tun, mit einem perfiden menschenverachtenden System, das die Menschen in der DDR in Angst und Schrecken gehalten hat. Dafür stehen die IMs, dafür stehen die Offiziere, die die IMs geführt haben, dafür stehen die Generäle. Auf der anderen Seite sind Leute wie Dirk Thärichen in einem Wachregiment gewesen und haben ihren aktiven Wehrdienst abgeleistet. Wir dürfen diese beiden Dinge auch angesichts der internationalen Öffentlichkeit nicht durcheinander bringen, wenn wir die Vergangenheit der DDR aufarbeiten und bewerten wollen.
Lange: Aber gerade mit Blick auf die letzte Bemerkung von Beleites, der Geruch von Doping und Stasi, hätte man in diesem Fall jetzt mal unabhängig von der rechtlichen Bewertung, die ja wohl unstrittig ist, nicht nur 110-, sondern 150-prozentig genau und penibel sein müssen bei dieser Stellenbesetzung?
Tiefensee: Ich bin der Auffassung, dass bei all diesen Themen, ob das jetzt Doping oder Staatssicherheit ist, die internationale Öffentlichkeit vor allem wohl darauf schauen wird, wie wir mit diesen Themen umgehen. Wir können diese Kapitel der Vergangenheit, diese langen Schatten, die noch bis heute in unsere Gesellschaft hineinreichen, nicht tilgen. Eine Vergangenheit ist nicht teilbar. Die Vergangenheit von Menschen ist nicht teilbar und ist mit Licht und Schatten hinüberzunehmen. Jetzt kommt es nicht darauf an, das einfach abzuschneiden und zu sagen, wir reden nicht darüber beziehungsweise wir stellen Menschen, die damit in Berührung gekommen sind, ins Abseits, sondern wir müssen mit dieser Frage im einzelnen, im persönlichen Fall umgehen und umzugehen lernen. Ich denke das muss auch international wahrgenommen werden und ich erwarte auch, dass man international nicht alles in einen Topf rührt, sondern dass man sehr genau hinschaut.
Lange: Sie wollen Herrn Thärichen nicht ins Abseits stellen, aber immerhin in die zweite Reihe. Er soll nicht mehr nach außen wirken. Ist das eine Konsequenz auf diese Diskussion?
Tiefensee: Nein. Dirk Thärichen ist eingestellt worden von den Gesellschaftern dieser GmbH als der Mann, der in der zweiten Reihe für Planung und Verwaltung zuständig ist. Er ist ja im übrigen auch derjenige, einmal fernab von all den Vorwürfen, die jetzt im Raum stehen, der ganz wesentlich dazu beigetragen hat, dass wir am 12. April erfolgreich gewesen sind. Das sind ja viele Menschen auch im Hintergrund, die nicht im Scheinwerferlicht gestanden haben. Dirk Thärichen war nie als der vorgesehen, der als Gesicht der Bewerbung nach außen tritt, der die Bewerbung international mit seiner Person, also auch mit seiner Vita zu repräsentieren hat. Das war nie der Fall und wird auch nie der Fall sein. Sie kennen die Schwierigkeiten, die wir mit der Besetzung des ersten Geschäftsführers hatten. Die will ich hier nicht noch einmal aufrollen. Wir gehen aber davon aus, dass der erste Geschäftsführer all diese Funktionen übernimmt, neben mir, neben dem NOK-Präsidenten, neben dem Innenminister und Ministerpräsidenten, die mit Repräsentation, mit äußerem Erscheinungsbild der Bewerbung zu tun haben, und ich denke das ist auch gut so.
Lange: Nun gibt es einen anderen Fall in Rostock. Der Präsident des dortigen Fördervereins soll ein hochrangiger Geheimdienstmann der Staatssicherheit gewesen sein. Wie bewerten Sie das?
Tiefensee: Ich finde es gut, dass wir jetzt auch anhand dieser Person mal die Unterschiede klar machen können. Wir haben es offensichtlich, ohne dass ich mit Herrn Lochotzke gesprochen habe, hier mit einem ganz anders gearteten Fall zu tun. Hier ist jemand - es gibt wiederum auch einen vergleichbaren Fall in Leipzig - in Führungsetagen der Staatssicherheit tätig gewesen. Er ist ein richtiger hauptamtlicher Stasi-Mann, wenn ich den Äußerungen glauben kann. Wie gesagt wir müssen das prüfen. Das hat also nichts mit der Sachlage von Dirk Thärichen zu tun. Der Mann ist offensichtlich in einem Verein tätig, der für die olympischen Spiele werben soll, und ich denke man sollte sich in Rostock genauso wie wir in Leipzig sehr gründlich darüber Gedanken machen, ob eine solche Person mit einer solchen Vita an dieser Stelle tragbar ist. Es ist aber wiederum Ermessen und es wird Ermessen bleiben.
Lange: Herr Tiefensee, es wird, wie überall schon zu lesen ist, demnächst einen sehr pro-minenten ersten Geschäftsführer geben. Würden Sie mir sehr energisch widersprechen, wenn ich den Namen Michael Groß nenne?
Tiefensee: Es ist nicht die Zeit zu widersprechen, sondern ganz klar auf die Geschäftslage hinzuweisen. Bei uns geht das so: der Aufsichtsrat hat zu beschließen, gibt den Gesellschaftern eine Empfehlung und die Gesellschafter entscheiden aufgrund dieser Empfehlung. Sie sehen es mir bitte nach, dass ich bevor dieses Prozedere nicht gelaufen ist keine Namen bestätigen oder dementieren möchte.
Lange: Aber den Namen Michael Groß sollten wir uns merken?
Tiefensee: Michael Groß ist ja ein ganz bekannter hervorragender Mann, Albatros wie Sie wissen. Es gibt viele Namen, die man sich in diesem Zusammenhang merken sollte, aber bitte dringen Sie da nicht in mich. Namen gibt es erst nachdem der Aufsichtsrat entschieden hat.
Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Wolfgang Tiefensee, der SPD-Oberbürgermeister von Leipzig. - Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!