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Stefan Weidner: Mohammedanische Versuchungen. Ein erzählter Essay.

Von Empathie für die islamische Welt war eben die Rede. Einer, der sie gewiss empfindet, der aber auch die Grenzen seines Einfühlungsvermögens erfahren hat, ist der Islamwissenschaftler und Autor Stefan Weidner. In seinem jüngsten Buch schildert er seine persönliche Auseinandersetzung mit dem Islam, verquickt die aber mit politischen Analysen und historischen, auch religionshistorischen Exkursen. Als 17-Jähriger zog Weidner in die arabische Welt, weil der Islam in faszinierte und verführte. Daher auch der Titel seines Buches: "Mohammedanische Versuchungen". Ich habe Stefan Weidner vor der Sendung gefragt, ob der Islam auch heute noch eine Versuchung für ihn ist:

Interview mit dem Autor: Christina Janssen |
    Weidner:
    Zum Teil ist er es, glaube ich, nicht, aber früher, als 17-Jähriger, auf meiner ersten Reise nach Nordafrika, als ich vielen sehr freundlichen Muslimen begegnet bin und versucht habe, den Koran zu lesen, war es einen Moment lang eine Versuchung, und diese Szene habe ich dann beschrieben. Ich bin aber schnell - noch während der Koran-Lektüre und durch die Koran-Lektüre - ein bisschen auch von dieser Versuchung abgeführt worden.

    Janssen:
    Sie schreiben in Ihrem Buch sinngemäß: In der arabischen Welt sind religiöse Visionen Realität, und bei uns hat man das Transzendentale den Spinnern überlassen. Würden Sie sagen, das ist so der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Kulturen, und das ist es dann auch, was diese Fremdheit ausmacht?

    Weidner:
    Es ist ein Aspekt. Es ist ein Buch, das sich auch mit der Frage der Religion auseinandersetzt und der Bedeutung der Religion für unser Leben. Da ist es natürlich so, dass die Religion dort in der arabisch-islamischen Welt eine viel größere Bedeutung hat als bei uns und sozusagen noch ein Phänomen ist, was auf massenhaften Anklang stößt, während es bei uns wirklich ein Randphänomen wird. Da ist für mich doch die Frage, ist da bei uns etwas verloren gegangen, können wir von dort vielleicht doch noch etwas lernen.

    Janssen:
    Sie haben gelernt durch Ihre Reisen, durch Ihre Auseinandersetzung mit dem Islam. Diese Auseinandersetzung hat auch dazu geführt, dass Sie viele eigene Positionen und viele vermeintliche Gewissheiten in Frage gestellt oder sogar auch über Bord geworfen haben. Ein Beispiel dafür ist vielleicht die Passage, in der Sie die Kriege, die der Westen führt, den Selbstmordattentaten islamischer Fundamentalisten gegenüberstellen. Da schreiben Sie, wenn der Westen einen Krieg führt, dann nimmt er das Böse willentlich in Kauf, und nichts anderes ist das ja auch, was uns ein Wort wie Kollateralschaden mitteilen will. Der Selbstmordattentäter dagegen handelt in dem festen Bewusstsein, das Rechte zu tun. Kann und soll man da überhaupt noch abwägen und entscheiden, was das kleinere Übel ist?

    Weidner:
    Das ist natürlich die Crux. In dem Moment, wo ich das Böse willentlich in Kauf nehme, handele ich da nicht böser als derjenige, der überzeugt ist, das Gute zu tun. Auch wenn es nach anderen Begriffen das noch Bösere, noch Schlimmere ist. Das ist einer der Extrempunkte, wo wir keine klaren Antworten mehr treffen können, wo wir wirklich in ein moralisches Dilemma geraten. Wir sollten dieses Dilemma als solches formulieren, und dann erst sind wir souverän, uns dazu zu verhalten, und nicht, indem wir sagen, der Selbstmordattentäter ist sowieso schlechter als wir. Bei uns ist das Böse ja nur eine Randerscheinung. So einfach kann man es sich nicht machen.

    Janssen:
    Ich kann mir vorstellen, dass es viele Leser provoziert, vor solch ein Dilemma gestellt zu werden. Wie oft mussten Sie sich denn über diese Passage streiten?

    Weidner:
    Noch gar nicht so oft. Es gibt ja lauter solche Passagen. Es geht ja in dem Buch auch darum, durch die Position auf die Spitzen zu treiben, die ganzen Schwierigkeiten systematisch bis an die Grenze unseres Verständnisses zu treiben. Nur dann, denke ich, können wir eine offene Diskussion führen. Sonst bewegt man sich in den Grenzen der Diplomatie.

    Janssen:
    Einer, der auch versucht hat, den Diskurs bis an die Grenzen zu treiben und dem das ja auch ganz gut gelungen ist, ist Samuel Huntington, mit dem Sie sich auch beschäftigen. Seine Grundthese ist es ja im sogenannten "Kampf der Kulturen", dass der Konflikt zwischen Islam und westlicher Welt sozusagen systemimmanent ist. Beide Seiten sind der Überzeugung, dass ihre Werte, ihre Auffassungen universal und überlegen sind, und deshalb ist der Konflikt unausweichlich. Also Islam und westliche Welt bekämpfen sich, weil sie sich nun mal seit jeher bekämpft haben. Teilen Sie denn diese geradezu tautologische Theorie?

    Weidner:
    Nein. Ich greife diese Theorie nur auf, um dann zu zeigen, dass im Grunde die Lösung des Konflikts auch in dieser Tautologie schon angelegt ist, nämlich indem sich die vermeintlichen Blöcke verschränken. Wie gesagt, der Islam ist Teil unserer Gesellschaft geworden, nicht nur durch die vielen Muslime, auch durch unsere ganzen Blicke auf die islamische Welt, wenn wir dort hinreisen. Der kulturelle Export andererseits des Westens in die arabische Welt ist eminent, ist nicht mehr wegzudenken aus dem, was die islamischen Länder heute sind. Somit ist die Konfrontation immer schon aufgehoben.

    Janssen:
    Sie schildern in einem Kapitel eine geradezu gespenstische Begegnung mit Studenten und Dozenten der Kairoer Al-Azhar-Universität. Da erklären Ihnen also diese jungen Leute, warum sie felsenfest der Überzeugung sind, dass die westliche Welt dem Untergang geweiht ist, wirtschaftlich, sozial, psychologisch, demographisch, und dass es deswegen nur eine Frage der Zeit ist, bis der Islam dann wieder die Oberhand gewinnt. Haben die Recht?

    Weidner:
    Das kann man so nicht sagen. Die Sache ist die, es gäbe eine Möglichkeit, dass es kommen könnte, wie sie sagen. Also es ist eine Spekulation, eine Wette auf die Geschichte. Allerdings ist diese Wette sozusagen ohne den Wirt gemacht, d.h. sie geht von Grundbedingungen aus, die wahrscheinlich so nicht eintreten werden. Das Gerede, dass die westliche Welt dekadent ist usw., dass die westliche Welt überaltert ist, darüber sind wir uns ja im klaren in der westlichen Welt, was aber noch lange nicht heißt, dass wir in hundert Jahren deswegen keine Rolle mehr spielen würden in der weltpolitisch.

    Janssen:
    Diese jungen Leute, von denen wir es eben hatten, würden für sich aber wahrscheinlich auch beanspruchen, dass sie den Islam reformieren wollen.

    Weidner:
    Ganz genau, das tun sie, und zwar auf eine relativ radikale Weise. Die Szene, so wie ich sie beschreibe, ist nicht real vorgefallen, darüber sollte man sich im klaren sein. Das ist im Grunde ein Zusammenfügen verschiedener Elemente, Personen, die mir begegnet sind, sozusagen in einem exemplarischen Diskurs habe ich sie zusammengefügt zu einer Art platonischem Dialog, wenn Sie wollen, über den Islam. Und die sagen dann, wir müssen den Islam reformieren, indem wir von der Vergöttlichung Mohammeds, des Propheten, abkommen. Mohammed ist ja sehr wichtig, weil er praktisch die gesamte islamische Gesetzgebung begründet, die es zum großen Teil gar nicht im Koran als solche gibt. Das heißt, solange man Mohammed als Person, als Propheten, heilig und unantastbar erachtet, ist auch alles, was er an Gesetzgebung gebracht hat, unantastbar, und damit wird der Islam natürlich zu einem ganz starren Islam, so wie er vor 1.400 Jahren war. Man muss Mohammed vermenschlichen, ihn zu einem Menschen machen, der sich eben auch irren kann, und der auch in einer gewissen Historie, in einer gewissen geschichtlichen Situation steht, nur dann ist man in der Lage, den Islam zu flexibilisieren. Und das ist eigentlich ein sehr faszinierender Gedanke, die Reform des Islam aus einem tatsächlich konservativen traditionellen Islambild, jedoch einfach in der Vermenschlichung der Person Mohammeds, der ja fast so eine Art Halbgott geworden ist für viele Muslime.

    Janssen:
    Aber auch diese Reform basiert letztlich auf der Konfrontation mit dem Westen, nicht auf einem Ausgleich.

    Weidner:
    Ich würde nicht sagen, sie basiert darauf, sondern sie zielt darauf ab. Ihr Endziel ist zu sagen, wir müssen den Islam reformieren, damit wir überhaupt konkurrenzfähig werden mit dem Westen.

    Janssen:
    Und das, würden Sie sagen, ist schon eine Mehrheitsmeinung in der arabischen Welt, in den arabischen Ländern?

    Weidner:
    Zur Zeit ja. Mir scheint es doch, das konfrontative Denken ist stark ausgeprägt, aber ich glaube, wenn Sie genau hinschauen, bei uns ist das ja nicht viel anders.

    Soweit das Interview mit Stefan Weidner. Der Titel seiner jüngsten Buch-Publikation lautet: "Mohammedanische Versuchungen. Ein erzählter Essay". Erschienen ist er im Ammann Verlag Zürich. 240 Seiten kosten 18,90 Euro.