Archiv

Steffen Kopetzky: "Monschau"
Virusalarm in der Wirtschaftswunderära

Eine Pockenepidemie in der Eifel. Eine Liebesgeschichte in der Quarantäne. Und ein Bericht aus der Wirtschaftswunderzeit, in der Deutschland auch immer noch vom Nazi-Virus befallen war. "Monschau" ist ein kluger, humorvoller Geschichtsroman, in dem sich die aktuelle Coronakrise widerspiegelt.

Von Jörg Magenau | 04.05.2021
Vordergrund: Buchcover zu Kopetzkys Roman "Monschau"; Hintergrund: Schwarz-weiß Aufnahme der Stadt Monschau
In Kopetzkys neuem Roman braut sich über dem Eifelstädtchen Monschau Böses zusammen.... (Rowohlt Verlag)
"Es ist das eine, was wir im Augenblick wissen, und was wir noch nicht so genau wissen. Aber es gibt noch eine dritte, dunkle Kategorie: Dinge und Befunde, die plötzlich auftauchen und über uns hereinbrechen. Von denen wir nicht einmal ahnen, dass wir von ihnen wissen müssten."
Steffen Kopetzky legt diese bedrohlich klingenden Worte dem Dermatologen Günter Stüttgen in den Mund. Stüttgen, eine reale Figur, leitete im Jahr 1962 den Krisenstab gegen die Pockenepidemie in Monschau. Monschau ist ein Städtchen in der nördlichen Eifel, und es ist der Titel von Kopetzkys historischem und zugleich hochaktuellem Roman. Auch ohne plakative Hinweise auf die Corona-Pandemie lassen sich die heutigen Strategien der Bekämpfung eines gefährlichen Virus und die Reaktionsmuster der Bevölkerung im Monschauer Geschehen von 1962 wie in einem Brennglas studieren. Panik, Unwillen, Verleugnung, Verschwörungstheorien auf der einen Seite, Tests, Quarantänemaßnahmen und Impfungen auf der anderen Seite: Im Kleinen ist bei Kopetzky im kleinen Eifelstädtchen Monschau schon alles da, was heute im großen Corona-Schutzmaßstab in ganz Deutschland geschieht.

Die vergessene Pockenepidemie in Monschau 1962

Das Infektionsgeschehen allein wäre eigentlich schon reizvoll genug für eine Geschichte aus der Wirtschaftswunderära. Doch Steffen Kopetzky macht aus diesem Material noch viel mehr: Er erfindet da hinein eine zarte Liebesgeschichte und spinnt aus den Verflechtungen einzelner Figuren mit der nationalsozialistischen Vergangenheit eine Abenteuer-Story, die es in sich hat. Kolportage? Ja, unbedingt! Und zwar vom allerbesten.
Eines der literarischen Vorbilder für derlei moralisch-politische Spannungsliteratur tritt als Romanfigur namentlich auf: Johannes Mario Simmel. Getarnt als Quick-Journalist Grünwald, der vorgibt, sich für die Pockenepidemie zu interessieren, ist er im Besitz von belastendem Material über den Direktor der örtlichen Rither-Werke, wo Spezialöfen für Kunden in aller Welt hergestellt werden. Fabrik-Direktor Seuss, der seinen Übelkeitsanfälle mit einem "Gegenschlagskoffer" voller Drogen bekämpft, ist eine unvergessliche literarische Figur. Ihm geht es vor allem darum, die Produktion trotz Pocken und Quarantäne aufrechtzuerhalten. Wirtschaftsinteressen gegen Gesundheitsschutz: Das war schon 1962 der Grundkonflikt.
Im Mittelpunkt der Romanhandlung aber stehen Vera Rither, die Erbin der Rither-Werke, die ihr Erbe nicht antreten will, und der junge, griechische Arzt Nikos Spyridakis, der in einem Stahlkocher-Schutzanzug Hausbesuche unternimmt, um Verdachtsfälle zu untersuchen. Dass aus den beiden ein Liebespaar werden wird, ist von Anfang an klar. Doch wie Kopetzky ihre zögerliche Annäherung und ihr vielfaches Sich-Verpassen gestaltet, ist so hinreißend, dass es kein bisschen stört, wenn der Autor seine Absichten dabei so einsehbar macht

Süffige Abenteuerstory mit Bezügen zur Coronazeit

Vera, die in Paris Journalistik studiert, Cool-Jazz hört und von Beauvoir und Sartre schwärmt, gerät schließlich im städtischen Krankenhaus in Quarantäne, so dass die beiden, die sich ihre Liebe noch gar nicht gestanden haben, durch Lichtsignale miteinander kommunizieren müssen. Kopetzky macht aus dieser Fern-Annäherung eine herzergreifende Szene. Er schreibt so klug wie humorvoll, ist voller Empathie mit seinen Figuren und versucht, ihnen – und den Lesern – zuliebe aus der Geschichte ein möglichst gutes Ende herauszuwirtschaften. Literatur darf das, Kolportage allemal. Sie verbessert die Welt, indem sie die Bösen zugrunde gehen und die Guten siegen lässt.
Dabei ist Kopetzkys Erzähler jederzeit auf der Höhe des Geschehens. Er ist der Herr der Möglichkeiten, der auch Nichtgeschehenes geschehen lassen kann:
"Ausbleibende Ereignisse können ebenso bedeutungsvoll sein wie Fakten, nur dass man es eben nie wissen wird. Es gibt aber, der geizigen Neigung der Zeit wegen, immer nur ein einziges Ereignis stattfinden zu lassen, unendlich viel mehr nichtgeschehene als geschehene Dinge."

Kolportage? Aber ja - unbedingt!

Diesen Geiz der Zeit kontert der Erzähler Steffen Kopetzky mit einer verschwenderischen Fülle an Einfällen. Was für ein souveräner Darsteller von Geschichte und Erfinder von Geschichten er ist, zeigt sich nicht zuletzt an der Lust, mit der er ins Geschehen eintaucht. 1971 im oberbayrischen Pfaffenhofen geboren, wo er mit seiner Familie auch heute lebt, schreibt er sich hautnah in die rheinisch-katholische Mentalität hinein, etwa dann, wenn er den erhitzten Verlauf eines Karnevalsfestes schildert, das die doch eigentlich isolierten Monschauer verbotenerweise besuchen. Meisterhaft auch, wie er aus der Provinzperspektive heraus den historischen Horizont der Endphase der Adenauer-Ära mit den ersten Gastarbeitern, Hamburger Flutkatastrophe, Kubakrise und Algerienkrieg als Rahmen setzt. Ganz und gar unmerklich sind dabei die Übergänge zwischen fiktivem Romangeschehen und den genau recherchierten historischen Ereignissen und realen Figuren. Es gab lange keinen Roman, der vor Lebensfreude und Warmherzigkeit so funkelt wie "Monschau" von Steffen Kopetzky.
Steffen Kopetzky: "Monschau"
Rowohlt Verlag, Berlin. 352 Seiten, 22 Euro.