Plastik befindet sich überall auf der Welt, auch in Regionen, in die der Mensch selbst nicht vordringt wie in der Tiefsee. Täglich landet es mit einem Gewicht von 100 Eiffeltürmen im Müll. Gerade mal neun Prozent des Plastikmülls wird recycelt.
Die Vereinten Nationen haben auf dem 5. Umweltgipfel in Nairobi beraten, wie die weltweite Plastikflut eingedämmt werden könnte. Trotz der massiven Umwelt- und Gesundheitsprobleme, die durch den Kunststoff in maritimen und terrestrischen Ökosystemen entstehen, nimmt die weltweite Kunststoffproduktion weiter rasant zu.
Laut einem OECD-Report wurden im Jahr 2000 noch 234 Millionen Tonnen Kunststoff produziert. Zwei Jahrzehnte später hat sich die Zahl schon fast verdoppelt; 2019 waren es 460 Millionen Tonnen. Das bedeutet, dass jeder Einwohner in einem Industrieland 156 Kilogramm Plastik pro Jahr verbraucht.
Auf dem UN-Umweltgipfel wurde nun eine Vertragsvorlage für ein internationales Plastikabkommen vorgestellt. Deutschland unterstützt eine globale Plastik-Konvention und war auf UN-Gipfel durch Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) vertreten.
Das Interview im Wortlaut:
Britta Fecke: Dieses Abkommen oder dieser Resolutionsentwurf wurde von doch einigen als historisch gewertet – und eigentlich auch im gleichen Atemzug mit dem UN-Klimaabkommen genannt. Würden Sie das auch so einschätzen?
Steffi Lemke: Ja, auf jeden Fall, auch wenn die UNEA-Konferenz hier in Nairobi natürlich auch vom Krieg Russlands gegen die Ukraine überschattet ist, ist es doch ein sehr, sehr gutes Zeichen, dass die internationale Staatengemeinschaft für ein so bedeutendes Umweltabkommen jetzt wirklich Handlungsfähigkeit bewiesen hat und ein Abkommen einstimmig verabschiedet werden konnte, das den Auftrag gibt, die Vermüllung unserer Welt mit Plastik zu beenden. Deshalb würde ich es auf jeden Fall in einem Atemzug mit dem Pariser Klimaabkommen oder auch mit dem Abkommen von Montreal zur Bekämpfung des Ozonlochs nennen. Das ist wegweisend und ein ganz, ganz starker Auftrag an die Vereinten Nationen.
Der gesamte Produktzyklus: Produktion, Abfall, Recycling
Fecke: Internationale Unterhändler haben ja diese umfangreiche Vorlage für einen Vertrag ausgearbeitet. Lassen Sie uns doch einmal in die Vertragsvorlage schauen: Liegt der Schwerpunkt auf der Drosselung von neu produzierten Kunststoffen oder auf dem Recycling?
Lemke: Beides, ich würde da keinen Gegensatz aufmachen. Das Wichtigste in dem Abkommen ist aus meiner Sicht, dass es rechtlich verbindend sein soll und dass es den gesamten Produktzyklus ins Auge nimmt, tatsächlich von der Produktion über den Abfall hin zu nach Möglichkeit geschlossenen Stoffkreisläufen, also einer Recyclingwirtschaft, einer Kreislaufwirtschaft, damit wir weniger Ressourcen verbrauchen und die Rohstoffe, die wir verbrauchen, besser nutzen.
"Es würde nicht reichen, Plastikmüll aus dem Meer zu fischen"
Fecke: Nun werden aber bisher nur neun Prozent des Plastikmülls wieder recycelt. Von einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft kann ja bisher nicht die Rede sein.
Lemke: Genau so ist das, deshalb ist dieses Abkommen ein so starkes Zeichen, dass wir den gesamten Produktzyklus in Angriff nehmen müssen, und es nicht reichen würde, Plastikmüll aus dem Meer zu fischen. Das wäre nicht das wirkliche Bewältigen dieses Problems, sondern wir müssen weniger Plastikmüll produzieren und Plastikprodukte dort, wo sie produziert wurden, im Stoffkreislauf halten, also wiederverwenden, immer wiederverwenden, besser verwerten und damit weniger Abfall produzieren.
Langlebigere Produkte und werterhaltendes Produktdesign
Fecke: Nun ist ja das Recyclingprodukt, also das, was bei alten Badeschlappen oder Kaffeebechern rauskommt, das eignet sich ja nicht mehr für Lebensmittelverpackungen oder auch Medizinprodukte. Sollen durch dieses Abkommen neue Anreize auch für das chemische Recyceln gesetzt werden oder wie wollen Sie das Recycling so attraktiv machen, dass es auch wirklich eine Entlastung für das Plastikproblem darstellt?
Lemke: Mir ist das Wichtigste, dass wir langlebigere Produkte haben oder auch werterhaltendes Produktdesign haben, dass wir weniger Wegwerfprodukte, weniger Einwegartikel haben. Das ist aus meiner Sicht der Hauptstrang, chemisches Recycling kann das nicht alleine bewältigen, weil wir die Produkte dann ja letztendlich nicht mehr weiter nutzen können. Wir wollen den Rohstoffverbrauch reduzieren, das ist notwendig und dafür wäre chemisches Recycling keine hinreichende Lösung.
"Kein Mensch vermisst den Plastikstrohhalm"
Fecke: Wo lassen sich denn Kunststoffe einsparen beziehungsweise wie könnte der Verpackungsmüll sanktioniert werden, damit auch wirklich die Produktion gedrosselt wird?
Lemke: Wir haben ja zumindest einige Einwegprodukte in Europa verboten, ich komme immer auf das Beispiel vom Plastikstrohhalm, der jetzt verboten ist – und kein Mensch vermisst ihn. Das ging relativ schnell, das ist ein guter Ansatz, löst natürlich das Problem noch nicht, aber es ist ein Beispiel dafür, wie man es machen kann. Produkte, die überflüssig sind, die wir in dieser Form überhaupt nicht benötigen, die zu viel Material erfordern, die berühmten Verpackungen, die viel zu groß sind, die viel zu viel Material verbrauchen, wo es überhaupt nicht nötig ist – all das ist mit werterhaltendem Produktdesign gemeint. Das heißt, Rohstoffe nicht mehr verschwenden, sondern sie so effizient wie nur irgendwie möglich einsetzen.
Die konkreten Instrumente müssen noch erarbeitet werden
Fecke: Im Moment nimmt ja die weltweite Produktion von Kunststoff rasant zu. Welche Anforderungen werden denn an die petrochemische Industrie adressiert?
Lemke: Das werden jetzt die nächsten Monate, wo das Abkommen erarbeitet werden wird, zeigen, an welchen Stellschrauben die internationale Staatengemeinschaft genau ansetzt, worauf sich die internationale Staatengemeinschaft an dieser Stelle des verbindlichen Abkommens dann einigen wird, welche Instrumente eingesetzt werden. Es sind eine Vielzahl möglich, es gibt auch die Möglichkeit von freiwilligen Instrumenten, das heißt die Wirtschaft, die Industrie könnte hier auch in Vorleistung gehen und eigene Vorschläge bringen. Ansonsten wird es verpflichtende Möglichkeiten dann in dem UN-Abkommen geben.
Fecke: Können Sie das ein bisschen konkretisieren, welche Instrumente da überlegt wurden?
Lemke: Nein, das kann ich gegenwärtig noch nicht konkretisieren, das ist Aufgabe der Gespräche und Verhandlungen in den nächsten Monaten.
"Die Menschen wollen diese Wegwerfmentalität nicht"
Fecke: Schon 2019 erklärte die UNO ja die Plastikschwemme zur planetaren Krise. Erst 2024 soll nun der Vertrag zur Unterzeichnung vorgelegt werden, das ist ja noch relativ viel Zeit. Haben wir diese Zeit?
Lemke: Natürlich wäre es mir lieber, wenn wir ein solches Abkommen schon vor fünf Jahren gehabt hätten. Und ich denke, dass die Gesellschaft als solche auch bereit gewesen wäre, ein solches Abkommen schon viel früher zu unterstützen. Die Menschen wollen diese Wegwerfmentalität nicht, davon bin ich fest überzeugt. Aber jetzt in zwei Jahren ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen zu schaffen auf UN-Ebene und das tatsächlich in die Praxis umzusetzen, das ist ein sehr ehrgeiziger Zeitplan. Und wir müssen es ja ab dem Zeitpunkt heute beginnen und jetzt starten, die Rückschau hilft jetzt leider nicht dabei. Zwei Jahre sind sehr, sehr kurz, um ein solches Abkommen hinzubekommen, deshalb starten die Arbeiten auch in den nächsten Wochen und Monaten bereits sehr intensiv. Ich hoffe – und Deutschland wird das massiv unterstützen –, dass dieses Abkommen dann 2024 tatsächlich in Kraft treten kann.
Spielregeln für den Plastikmarkt, die dann weltweit gelten
Fecke: Gibt es denn schon Ansätze, wie Verstöße gegen diese Plastikkonvention sanktioniert werden könnten?
Lemke: Auch das muss dann im Zuge der Verhandlungen über das Abkommen geklärt werden, weil es ja darauf ankommt, dass es einerseits verbindlich, aber andererseits eben auch im Konsens verabschiedet werden kann und es nicht einzelne Staaten sind, die mit Sanktionen vorangehen, sondern sich die Staatengemeinschaft gemeinsam darauf verständigt. Und genau das ist in meinen Augen auch das Interesse der Wirtschaft, dass es Regeln gibt, Spielregeln gibt für den Plastikmarkt, die dann weltweit gelten und die auch klarmachen, dass die Plastikflut eingedämmt werden muss, dass wir weniger Plastik produzieren dürfen – und das, was produziert wird, besser genutzt werden muss.
"Der Konsens war groß"
Fecke: Wie groß war denn der Konsens, wie viel Rückhalt hatte diese Vertragsvorlage?
Lemke: Nachdem, was mir alle Teilnehmer berichtet hatte, hatte sie sehr großen Rückhalt. Es gab ja verschiedene Resolutionsentwürfe, und das ist jetzt der, auf den sich alle gemeinsam comitted haben, den alle gemeinsam verabschiedet haben. Es gab natürlich Diskussionen verschiedener Natur auf dem Weg dorthin, aber der Konsens war groß und es hat auch keine Kontroversen ungewöhnlicher Natur darüber gegeben. Es war der gemeinsame Wille, wirklich mit diesem starken Signal für das internationale Abkommen, ein Symbol, die Vermüllung unserer Welt zu beenden, zu setzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.