Mario Dobovisek: Wir wollen unseren Blick wenden in Richtung SPD. Ralf Stegner hat zugehört, stellvertretender Parteivorsitzender der SPD. Guten Morgen, Herr Stegner.
Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Wir haben sie gehört, die Begriffe aus dem Unionskompromiss: Grenzregime und Transitzentren. Kann die SPD einen solchen Kompromiss mittragen?
Stegner: Zunächst mal unabhängig von solchen Kampfbegriffen, wo man ja gar nicht weiß, was sich dahinter verbirgt, ist es ja ganz schön, wenn nach wochenlangem Rosenkrieg wir tatsächlich mal wieder über die Sache reden könnten, was die SPD übrigens die ganze Zeit tut. Da kommt dann mitten in der Nacht nach dem Rosenkrieg, nach Drohungen, nach Ultimaten, nach Beschimpfungen bis in der letzten Stunde und tränenreichen Versöhnungsszenen jetzt was auf den Tisch, das wir uns natürlich in Ruhe angucken werden.
Dobovisek: Aber trotzdem saßen Sie ja ziemlich lange schweigend auf der Zuschauertribüne.
Stegner: Na ja. Wir haben zum Beispiel als Sozialdemokraten gestern einen Fünf-Punkte-Plan beschlossen. Übrigens anders als die CSU wird bei uns das so gemacht, dass die Leute die Vorlage kennen, dass man über Inhalte redet, die man kennt, und das nicht geheim hält und dann gemeinsam abstimmt. Das haben wir getan. Und da haben wir gesagt, die Kriterien für uns sind, dass wir Lösungen finden, die europäische Lösungen sind, die keine nationalen Alleingänge sind, die Menschen nicht schikanieren, die in der Sache was voranbringen. Das ist nämlich unser Auftrag. Wir haben sehr wohl was vorgelegt. Und das sind am Ende ja auch die Prüfkriterien, wenn man sich so etwas in der Sache anguckt. Wenn da so ein nächtliches Ei ausgebrütet worden ist, muss man mal gucken, was da jetzt entschlüpft und was sich dahinter verbirgt.
Die Kampfbegriffe, die da schon wieder verwandt werden, sind dabei nicht besonders nützlich, denn 2015 haben wir über was anderes geredet. Da haben wir über Massenlager gesprochen, über geschlossene Einrichtungen, in die die Leute hinein müssen, exterritoriale Zonen entlang einer Grenze, die ja in weiten Teilen eine grüne Grenze ist, also Horrorvorstellungen. Was jetzt damit konkret gemeint ist, das muss man sich angucken, und das werden wir in aller Ruhe prüfen.
"Schmierenkomödie" hinterlässt Schäden
Dobovisek: Erkenne ich daraus, Herr Stegner, dass Sie weniger Bauchschmerzen haben im Jahr 2018 als noch im Jahr 2015?
Stegner: Nein. Sie erkennen daraus, dass es uns um die Sache geht, und da unterscheiden wir uns dann allerdings sehr stark von den beiden anderen Parteien. Die SPD ist momentan die einzige, die professionelle Regierungsarbeit macht. Die anderen erfreuen die Öffentlichkeit mit einer wirklichen Schmierenkomödie und das hinterlässt natürlich auch Schäden. Das will ich deutlich sagen. Es ist ja nicht so, dass man da einfach sagt, jetzt gehen wir zur Tagesordnung über und alles ist wieder gut. So was kommt ja nur in schlechten Komödien vor. Sondern ich fürchte, das hat richtige Schäden angerichtet, am Ende wahrscheinlich sogar nur den Rechtspopulisten genutzt.
Deswegen sage ich noch mal: Uns geht es um die Sache. Wir wollen europäische Einigungen. Wir haben immer unterstützt, dass es Verhandlungen gibt mit den europäischen Partnern, und deswegen ist das auch das Prüfkriterium, was wir anlegen: Ist es so, dass da Vereinbarungen rauskommen mit Italien und Österreich? Ist das so, dass es Probleme löst? Wir reden angeblich von einer sehr kleinen Personengruppe, die davon nur betroffen ist. Das muss man sich alles in Ruhe betrachten und das wird die SPD auch tun. Wir springen nicht einfach über Stöckchen, die man uns hinhält, sondern wir werden das in Ruhe in der Sache prüfen, und es gibt heute ja auch deswegen noch mal eine Sitzung des Koalitionsausschusses, um das miteinander zu vertiefen.
Dobovisek: Aber wenn Sie so auf europäische Lösungen und Regelungen pochen, dann kann das doch keine europäische, zumindest keine gesamteuropäische sein, wenn es nur um zwei, drei bilaterale Vereinbarungen geht.
Stegner: Wir haben immer gesagt, wir wissen ja sehr genau, dass gesamteuropäische Lösungen sehr schwierig sind und dass man auf dem Wege dahin auch Vereinbarungen zwischen Staaten hinbekommen muss.
Dobovisek: Also doch nur ein bisschen Europa?
Stegner: Nein! Das ist ja Teil davon, dass man Fortschritte erzielt auf dem Weg dahin, dass die vorangehen, mit denen man sich verständigen kann. Das ist übrigens ein großer Unterschied zu der Debatte von 2015. Da war davon überhaupt nicht die Rede, sondern schlichtweg alleinige Maßnahmen. Das ist ja auch das, was Herr Seehofer seit Wochen wollte mit seinen nationalen Alleingängen und irgendwelchen Masterplänen und sonst was alles. Das kommt für die SPD auf gar keinen Fall in Betracht, sondern wir reden darüber, dass das im Einvernehmen mit Nachbarn passieren muss. Und noch mal: Zu Bedingungen, wo es rechtsstaatliche Verfahren gibt, wo die humanitären Standards nicht außer Kraft gesetzt werden.
All das muss man in Ruhe prüfen. Wir kennen ja den Vorschlag (und es ist ja gar kein Vorschlag; es sind ein paar dürre Zeilen, die auch noch kryptisch formuliert sind). Das muss man sich angucken und dann wird es darüber Gespräche geben. Die SPD ist an der Sache orientiert und nicht an dem Spektakel, was übrigens die Politik beschädigt hat, und zwar massiv in den letzten Wochen. Ich weiß gar nicht, wie die Personen zurechtkommen sollen.
Keine geschlossenen Einrichtungen mit der SPD?
Dobovisek: Das haben wir verstanden, Herr Stegner. Das haben Sie ja schon gesagt. Wenn Sie an der Sache so orientiert sind, dann würde ich Sie ganz gerne eine Sachfrage fragen. Und zwar: Sie haben in Ihrem Fünf-Punkte-Plan, den Sie angesprochen haben, ja gestern im Vorstand auch noch mal beschlossen, dass es keine geschlossenen Lager in welcher Form auch immer geben wird. Wie könnte ein Transitzentrum aussehen, wenn es nicht geschlossen ist, wenn Flüchtlinge einfach rein- und rausgehen können wie sie wollen?
Stegner: Das müssen Sie ja diejenigen fragen, die sich solche Dinge ausdenken.
Dobovisek: Aber Sie wollen ja mitregieren und sind an der Sache orientiert. Also frage ich Sie.
Stegner: Das ist richtig. Deswegen habe ich gesagt, es ist ein Prüfkriterium. Wenn wir als SPD-Parteivorstand beschließen, dass es keine geschlossenen Einrichtungen gibt, dann gibt es keine geschlossenen Einrichtungen mit unserer Zustimmung.
Dobovisek: Dann reicht mir, ehrlich gesagt, meine Fantasie nicht, um da eine Lösung zu finden als Kompromiss zwischen den Parteien.
Stegner: Sehen Sie, und deswegen lohnt es sich auch, das nicht nur per öffentlichen Zurufen zu machen, sondern darüber in der Sache zu reden. Was das denn bedeutet und was die sich vorgestellt haben, das wissen wir ja in Teilen gar nicht. Olaf Scholz und Andrea Nahles haben Fragen formuliert. Diese Fragen müssen beantwortet werden, darüber muss geredet werden und am Ende wird dann entschieden, und da lässt sich die SPD nicht öffentlich unter Druck setzen und auch sonst nicht, sondern das wird in Ruhe und Professionalität passieren. Und es muss sich schon an dem orientieren, was wir im Gegensatz zu anderen ja auch öffentlich die ganze Zeit gesagt haben.
Die Kriterien, die ich Ihnen eben genannt habe, sind ja keine geheimen Kriterien, sondern wir haben immer öffentlich gesagt, gemeinsame europäische Lösungen, vernünftige rechtsstaatliche Verfahren. Wir haben immer gesagt, wir wollen die Verfahren auch beschleunigen, damit die, die schon mal irgendwo registriert worden sind, ihre Verfahren auch dort bekommen, wo das sein soll. Wir haben aber auch gesagt, das Dublin-Verfahren, das hat sich nicht bewährt, das muss reformiert werden, weil wir die Länder nicht alleine lassen können wie Italien und Griechenland, die besonders betroffen sind, weil sie an der Außengrenze der Europäischen Union sind, und auch das muss gewahrt werden. Denn es nützt ja nichts, wenn man für drei Tage zurechtkommt und dann größere Probleme auslöst als vorher, und die ersten Stellungnahmen aus Wien heute Morgen zeigen ja auch, dass das noch ein komplizierter Weg sein wird.
"Merkel beschädigt, Seehofer beschädigt"
Dobovisek: Steht die SPD jetzt in der Ecke, erpresst von der Union, weil die SPD überhaupt gar keine Alternative hat, weil die einzige Alternative lauten würde: das Ende der Groko?
Stegner: Nein, das ist überhaupt nicht so, sondern ich kann nur sagen, in der Ecke stehen die, die dieses unwürdige Spektakel aufgeführt haben. Da ist Frau Merkel beschädigt, da ist Herr Seehofer beschädigt, Rücktritte vom Rücktritt und all dieses. Das ist Soap-Opera-Niveau. Da hat sich die SPD nicht beteiligt und das tun wir auch nicht, sondern wir machen unsere Arbeit. Und wenn ich das mal sagen darf: Der öffentliche Eindruck, der hier entsteht, das sei im Augenblick unser Hauptproblem, ist ja auch falsch. Wir haben zurückgehende Flüchtlingszahlen seit einer ganzen Weile. Die Probleme, die wir eigentlich haben und lösen wollen, wozu es von der SPD auch Vorschläge gibt, die haben was zu tun mit Wohnen, mit Rente, mit Bildung, mit Pflege und mit solchen Themen.
Und Herr Seehofer hätte nebenbei bemerkt auch was anderes zu tun: Der könnte sich nämlich zum Beispiel darum kümmern, dass die Gefährder oder Straftäter zurückgeführt werden, dass Pass-Ersatzpapiere beschafft werden. Das sind Probleme, die wir auch in den Ländern und Kommunen haben, weil da nämlich Leute von betroffen sind, die wir nicht schützen wollen. Schützen wollen wir die, die bei uns Anspruch auf Hilfe haben, und da passiert gar nichts bei Herrn Seehofer. Das heißt, während die Propagandafeldzüge veranstalten und sich öffentlich streiten, arbeiten wir an der Sache. Das ist zugegebenermaßen weniger spannend, auch weniger spannend für Medien, aber das ist unsere Vorstellung davon, wie man vernünftig Verantwortung wahrnimmt und vernünftig Politik macht.
Dobovisek: Trotzdem klingt das längst so, als säßen Sie schon in der Opposition, weil da erkenne ich nicht viele Gemeinsamkeiten mit der Union und der SPD.
Stegner: Nein. Man kann ja auch keine Gemeinsamkeiten haben mit Ultimaten, mit Drohungen, mit öffentlichen Beschimpfungen, mit diesem Niveau, was wir erlebt haben in den letzten Tagen.
Dobovisek: Wie soll es da vertrauensvoll weitergehen, Herr Stegner?
Stegner: Na ja, Politik ist nicht "Wünsch Dir was" und wir haben die Union nicht geheiratet, sondern das ist ein Zweckbündnis auf Zeit. Wir erfüllen unseren Auftrag. Ich glaube, die Öffentlichkeit hat in den letzten Tagen auch gesehen, die SPD macht das besser als andere. Wir legen nämlich in der Regierungsarbeit konkrete Vorschläge vor, die was mit der Sache zu tun haben, die mit dem Vertrag zu tun haben.
Und wenn ich daran erinnern darf: Dieser Koalitionsvertrag, der ist unterschrieben worden nicht nur von der SPD und der CDU, sondern auch von Dobrindt, Seehofer, Söder, also von dem Führungspersonal der CSU. Das ist ein Vertrag und ich dachte immer, Konservative wüssten, wie das mit Verträgen ist, dass man die auch einhält. Aber das scheint ja auch nicht mehr so zu sein. Da sind die Sozialdemokraten offenbar auch alleine. Ich glaube schon, dass wir ein anderes Beispiel von Politik geben als andere. Aber in der Tat: Man muss mit den Parteien umgehen, die da sind, und da ist momentan nicht besonders viel Attraktives dabei.
Unverantwortliche "Operettenpolitik"
Dobovisek: Andrea Nahles hat gestern gesagt, bevor es den Kompromiss gab, ihr Geduldsfaden sei sehr dünn geworden. An Sie die Frage, Herr Stegner: Wieviel braucht es noch, damit Ihr Geduldsfaden reißt?
Stegner: Der Geduldsfaden ist extrem dünn. Da hat Andrea Nahles wirklich über die gesamte Sozialdemokratie gesprochen. Dieses Provokationsmuster, was wir ja aus anderen Ländern auch kennen – da orientiert sich ja offenkundig Herr Söder und Herr Seehofer an dem, was sie bei Trump sehen oder was sie bei Herrn Salvini sehen oder bei Herrn Strache in Österreich oder Orbán. Die laden die sich ja auch immer zu Parteitagen ein, um sich da Orientierung zu holen. Das ist nicht unsere Vorstellung von seriöser Politik.
Ich glaube übrigens, dass wir wirklich mal innehalten sollten und nachdenken. In einer Zeit, in der Europa vor solchen Herausforderungen steht, wie wir sie haben, Handelskrieg mit Trump, Herausforderungen von innen und von außen, ausgerechnet da eine Regierungskrise heraufzubeschwören, indem man solche Operettenpolitik veranstaltet, das ist wirklich unvertretbar. Wir verdanken Europa Wohlstand und Frieden seit Jahrzehnten und wir sind verantwortlich dafür, mit anderen zusammen dafür zu sorgen, dass es auch so bleibt. Das ist der Auftrag der Sozialdemokratie, und davon lassen wir uns auch nicht abbringen, egal von wem.
Dobovisek: SPD-Vize Ralf Stegner im Deutschlandfunk-Interview. Vielen Dank Ihnen!
Stegner: Sehr gerne!
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