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Steigende Emissionen der Schwellenländer

Klimaforschung. - Weniger als zwei Grad Klimaerwärmung sind das erklärte Ziel der Klimapolitik. Nur so könnten unumkehrbare Prozesse wie der Verlust des grönländischen Eispanzers noch verhindert werden. Britische Forscher haben nun ausgerechnet, dass die Industriestaaten für dieses Ziel ihren CO2-Ausstoß bis 2030 auf Null reduzieren müssten.

Von Volker Mrasek | 14.10.2009
    Nach der neuen Studie der englischen Forscher werden die Industriestaaten ihr CO2-Konto viel früher überziehen als bisher gedacht. Das Budget, das ihnen noch verbleibt, wird demnach überschätzt, weil steigende Treibhausgas-Emissionen der Entwicklungs- und Schwellenländer zu wenig Beachtung finden. Zusammen produzieren sie inzwischen mehr Kohlendioxid als die gesamte westliche Welt. Nicht einmal China und Indien haben bis heute Reduktionsverpflichtungen. Die Physikerin und Klima-Modelliererin Alice Bows von der Universität Manchester:

    "Die Emissionen der Vertragsstaaten ohne Reduktionsziele sind zuletzt stark gestiegen, um vier Prozent pro Jahr. In unserer Studie sind wir sehr optimistisch. Wir unterstellen, dass sie das 2020 nicht mehr tun und danach sogar zurückgehen. Aber selbst dann müssten die reichen Länder ihren CO2-Ausstoß schon 2030 fast auf Null heruntergeschraubt haben. Und nicht bloß um 80 Prozent bis zur Jahrhundertmitte, wie man bisher sagt. Nein, es sind praktisch 100 Prozent im Jahr 2030."

    Man könnte das Vorgehen von Alice Bows und ihrer Kollegen als "Budget-Ansatz" bezeichnen. Zunächst berechneten sie, wie viel CO2 die Erdatmosphäre überhaupt noch verträgt, wenn sie sich nicht stärker als zwei Grad Celsius erwärmen soll. Das ist das erklärte Ziel der Klimaschutzpolitik. Von dem zulässigen Gesamtbudget zogen die Forscher dann jene CO2-Mengen ab, die Entwicklungs- und Schwellenländer in den kommenden Jahren beitragen werden, und zwar nach dem optimistischen Szenario mit dem Emissionshöhepunkt im Jahr 2020. Übrig blieb am Ende das Restbudget für die Industriestaaten - ein stark zusammengeschrumpftes:

    "Als Klimaforscher wird man schnell bezichtigt, ein Unheilsprophet zu sein. Aber hier muss man sagen: Wenn wir es zulassen, dass Länder wie China und Indien den Höhepunkt ihrer Emissionen später als 2020 erreichen, dann müssten die Industriestaaten sogar noch vor 2030 praktisch emissionsfrei sein. Und das hinzubekommen, ist sicher unmöglich."

    Ehrlich gesagt kann man sich weder das eine noch das andere vorstellen. Die Industriestaaten werden sich kaum binnen zwei Jahrzehnten von einem Energiesystem verabschieden, das noch immer weitgehend auf Kohle, Öl und Gas abgestellt ist. Und für China liegen Studien vor, die prophezeien, das Land werde im Jahr 2030 80 Prozent mehr Energie verbrauchen als heute. An geringere CO2-Emissionen ist so nicht im entferntesten zu denken. In der neuen englischen Studie steht zwar nicht ausdrücklich, dass das Zwei-Grad-Ziel unter diesen Bedingungen nicht mehr zu erreichen ist. Doch fragt man Alice Bows danach, ist die Antwort unzweideutig:

    "Ich glaube nicht, dass wir noch eine ernst zu nehmende Chance haben, das Zwei-Grad-Ziel zu schaffen. Dafür ist es schon zu spät. Dafür hätte es bereits in den letzten zehn Jahren nennenswerte Emissionsreduktionen geben müssen. Wir sollten uns deshalb Gedanken darüber machen, was drei oder vier Grad plus bedeuten - für die Gesellschaft, für Ökosysteme und für unsere Wälder. Denn darauf steuern wir im Moment zu."

    Alice Bows darf sich durch Kollegen vom Massachusetts Institute of Technology in den USA bestätigt fühlen. In einer aktuellen Analyse kommen die Klimaforscher des MIT zu ganz ähnlichen Schlüssen. Auch in ihren Szenarien ist das Zwei-Grad-Ziel überhaupt nur dann noch zu schaffen, wenn die Industriestaaten ihren CO2-Ausstoß praktisch sofort drosseln und Länder wie China und Indien spätestens in zehn Jahren nachziehen. Auch wenn das illusionär scheint, betonen die US-Amerikaner: Es lohne sich in jedem Fall, die Treibhausgas-Emissionen so stark wie möglich einzuschränken. Denn mit jedem Grad Celsius mehr werde das Klima der Erde noch extremer werden.