Wer an der Küste wohnt, schaut bei Prognosen zum Meeresspiegelanstieg meist ganz genau hin. Welche Gebiete lägen unter Wasser, wenn das Meer im Schnitt um einen Meter steigen würde? Dabei herrscht meist die Vorstellung vor, das Wasser steige in den Meeren genauso wie in der Badewanne: ganz gleichmäßig und an allen Rändern gleich hoch. Tatsächlich aber sind unsere Weltmeere sehr viel komplexer. Wie stark der Meeresspiegel ansteigt, ist von Küste zu Küste sehr unterschiedlich. Der viel diskutierte globale Durchschnittswert ist für die meisten Küstenbewohner daher wenig aussagekräftig erklärt Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel:
"Meistens hört man, der Meeresspiegel wird um 50 Zentimeter, vielleicht einen Meter bis zum Ende des Jahrhunderts steigen, aber das gilt nur für den weltweiten Durchschnitt. Wenn Sie daran interessiert sind, wie der Meeresspiegel sich bei Ihnen vor der Haustür ändert, dann gilt dieser Mittelwert eben nicht mehr. Und wir haben gefunden, dass die Änderungen von Küste zu Küste im Extremfall bis zu einen Meter betragen können."
Strömungen und Winde sorgen für chaotisches Verhalten
Beobachten lässt sich das auch heute schon. Besonders auffällig sind die Unterschiede im Bereich des tropischen Pazifiks.
"Wir haben in den letzten 20 Jahren beobachtet, dass im Bereich des westlichen tropischen Pazifiks der Meeresspiegel dreimal schneller gestiegen ist als im globalen Durchschnitt, während er im östlichen tropischen Pazifik sogar leicht gefallen ist. Und das kommt dadurch zustande, dass wir längs des Pazifiks außergewöhnlich starke Passatwinde hatten, und die haben eben sehr warmes Wasser im Westen aufgestaut und im Osten fehlt eben dieses Wasser, und deswegen ist der Meeresspiegel dort sogar leicht gefallen. Das zeigt einfach, wie wichtig es ist, diese Änderungen der Meeresströmungen zu verstehen und auch mit vorherzusagen, um eben genau diese regionalen Änderungen im Anstieg des Meeresspiegels auch vorhersehen zu können."
Doch das ist sehr schwierig. Während etwa der globale Wert für den Meeresspiegelanstieg direkt mit der Konzentration des Kohlendioxids in der Atmosphäre zusammenhängt, gilt das für die konkrete Küstenregion nicht. Das haben Latif und sein Team mithilfe von Computersimulationen herausgefunden.
"Wir finden, dass selbst auf Zeiträumen von 100 Jahren, der Anstieg des CO2-Gehalts nicht bestimmt, wie sich die regionalen Änderungen darstellen werden. Das heißt, der globale Anstieg des Meeresspiegels, der hängt nur vom CO2 ab, wenn wir aber die regionalen Änderungen wissen wollen, die hängen ganz stark von den Meeresströmungen ab, und die sind eben auch unsicher aufgrund der chaotischen Natur des Klimas."
Chaotisches Klima
Diese chaotische Natur des Klimas können die Forscher nie ganz in den Griff bekommen. Der Einfluss, den das tägliche Wetter über 100 Jahre auf die Ozeane nimmt, lässt sich ganz einfach nicht berechnen. Doch die Unsicherheit der Prognosen ließe sich trotzdem minimieren - mit besseren historischen und aktuellen Daten über die Ozeane.
"Die Studie zeigt, dass die Vorhersagen noch deutlich verbessert werden können. Aber wir brauchen eben mehr Messungen aus den Meeren, insbesondere auch aus der Tiefsee. Wir haben gezeigt, dass selbst unterhalb von 2000 Metern die Vorgänge im Meer immer noch einen Einfluss haben können auf die langfristige Entwicklung des Meeresspiegels. Und die müssen wir erfassen, und das tun wir im Moment nicht. Und deswegen wäre es so wichtig, dass wir unsere Messsysteme erweitern."
Denn hierzulande ist der Küstenschutz so fortschrittlich, dass auch der voraussichtlich überdurchschnittliche Meeresspiegelanstieg im Nordostatlantik keine Probleme bereitet. Doch im tropischen Ozean zähle oft jeder Zentimeter, meint Latif. Da wären genauere Vorhersagen von enormer Bedeutung für den Küstenschutz.