In keiner Straußwirtschaft darf diese Moselhymne fehlen, auch nicht in Zell. Der Ort liegt ziemlich genau in der Mitte zwischen den einzigen größeren Städten der Mosel, Trier und Koblenz. Wer am Fluss entlang moselabwärts reist, macht in der Region rund um Zell zum ersten Mal Bekanntschaft mit der sogenannten Terrassenmosel - eine äußerst liebevolle Bezeichnung für Schwerstarbeit im Weinberg.
Lägen manche dieser Hänge in einem alpinen Skigebiet, müssten sie als tiefschwarz markiert werden. Seit jeher versuchen die Menschen diese schrägen Lagen in den Griff zu bekommen, um wenigstens einigermaßen Halt zu finden. Teils mannshohe sogenannte Trockenmauern, gestapelt aus brüchigen Schieferstücken, lassen aus den Steilhängen schiefe Ebenen werden. Und auf diesen Terrassen wächst in warmen Sommern allerfeinster Rebensaft.
Denn schon die Römer hatten vor 2000 Jahren erkannt, dass das angenehm milde Klima im Moseltal beste Voraussetzung für edle Weine bietet - hier ist die Durchschnittstemperatur um gute drei Grad höher als auf den Höhen der Eifel. Tagsüber wird die Sonne vom Schieferboden gespeichert, und kühle Nächte überbrückt die aufgewärmte Mosel mit ihrer Strahlung. Und die Wärme wird zu Öchslegraden, der Maßeinheit für Traubenmost, in den Träubchen. Für die römischen Winzer diente der Fluss als Transportweg, und natürlich mussten hier und dort Lager - Cellare also - eingerichtet werden. Zell war solch eine Lagerstätte, aber eben nicht nur. Ende der 70er-Jahre wurden bei Straßenarbeiten Reste eines römischen Bades gefunden.
"Und das war für Zell insofern eine ganz wichtige Sache, weil man damit klarmachen konnte: In Zell war nicht nur einfach ein Depot der Römer, sondern in Zell war tatsächlich eine römische Siedlung."
Wir treffen Gerd Bayer im Museum des Zeller Rathauses, das er liebevoll mitgestaltet hat.
"Zu einer römischen Siedlung gehörte ein Bad, weil: Die römischen Soldaten empfanden es als unmöglich, hier in Germania oder in Gallia Dienst zu tun, und da musste wenigstens für die Wochenenden ein Bad da sein."
Im 13. Jahrhundert erhielt Zell Stadtrechte. Aus diesen Tagen existieren noch Reste der Stadtmauer mit einem beeindruckenden viereckigen Turm, natürlich aus Schiefer, und einem Pulverturm, der heute weithin als "Runder Turm" bekannt ist. Er thront als Wahrzeichen, mitten in den Weinbergen liegend, über den Dächern der Stadt. Gegenüber wandern Urlauber auf Weinbergswegen und -pfaden einen Berg hinauf, um einen einzigartigen Blick ins Moseltal einzufangen. Es war hier, am "Runden Turm", als vor gut Jahren Herbert Sachsler und Willy Nickel vom Heimat- und Verkehrsverein eine Idee hatten.
"Der Herbert und ich, wir sind einmal spazieren gegangen, und da sagt er: 'Mensch, wie wäre das schön, wenn wir hier einen Steilpfad machen würden.' Das war so eine spontane Idee, und einen Monat später haben wir schon angefangen."
Männer der Tat eben. Es passt gut ins Bild: Der Weinbau prägt seit jeher das Bild an der Mosel. Urlauber waren zwar stets willkommen, aber wer noch vor rund 30 Jahren die Mosel besuchte, war zumeist in erster Linie Weinliebhaber.
Touristisch führte das Tal entlang dieses im besten Sinne romantischen Flusses einen Dornröschenschlaf. Das Erwachen geschah langsam: Erst der einbrechende Weinabsatz, auch wegen des Skandals um europaweit glykolgepanschte Weine Mitte der 1980er-Jahre, rüttelte auch Lokalpolitiker wach und führte zu der eigentlich so naheliegenden Erkenntnis: Diese einzigartige Kulturlandschaft hat ja weit mehr zu bieten als "nur" Wein.
Das Angebot für Feriengäste wurde erweitert, mosel-umspannende Rad- und Wanderwege entstanden, und die touristischen Organisationen begegnen seither konkurrierenden deutschen Ferienlandschaften auf Augenhöhe. Zell zum Beispiel konnte die Besucherzahl zwischen 1980 und 2008 fast verdreifachen. Touristische Begriffe wurden kreiert, wie zum Beispiel die "Moselerlebnisroute", unter der touristische Attraktionen unter verschiedenen Aspekten vermarktet werden; auch Wandern und Klettern, und irgendwann wird auch der neue Klettersteig in Zell hinauf auf den Collis-Aussichtspunkt hier vertreten sein. Zunächst führt der Pfad flach ansteigend durch Weinberge, und dann taucht eine steil ansteigende Wand auf - die erste echte Herausforderung für die "Pfadfinder" rund um Willy Nickels.
"Zuerst war der Felsen in dem Sinn gar nicht zu sehen. Der war vom Efeu in den letzten 50 Jahren überwuchert. Dann hat der Alpenwanderverein von Koblenz mitgeholt, weil uns das zu gefährlich war und wir keine Erfahrung haben. Das sieht man dann: Wir haben Steigeisen, Kletterbügel, Seil - und oben zum Ausstieg mussten wir eine Leiter holen. Es geht hier senkrecht hoch. Ich würde mal sagen, es sind 30 Meter, wo man halt schon im Fels klettern muss; und bestes Schuhwerk und Trittsicherheit ist schon Voraussetzung."
Darauf und dass man schwindelfrei sein sollte, weisen mehrere Schilder hin. Eine Vorsichtsmaßnahme auch aus Versicherungsgründen. Sind denn schon mal Leute umgekehrt?
"Ja, manche. Die stehen dann unten und sagen: 'Nein, ich nicht.' Und deswegen haben wir einen Weg drumherumgemacht, dass man immer wieder zusammen zum Collis-Türmchen kommen kann."
"Also, dann gehen wir mal los. Jetzt kommt man an den neuen Klettersteig, der geht so eine zehn Meter hohe steile Wand hoch - die ist aber wirklich ganz steil. Und da haben sie Klettereisen rein gemacht, da kommt man sich schon vor wie in den Alpen. Also man muss genau gucken, wo man hintritt. Da sind überall Steigeisen - und jetzt geht es hier einmal gerade rüber. Da haben sie ein Seil hingebaut - langsam - man muss gucken, wo man hintritt - und man hängt also tatsächlich in der Schieferwand drin. Einen Schritt vor den anderen - okay: oben. Ja, und dann blickt man ins Moseltal. Toll!"
Ein paar Höhenmeter liegen nun noch vor dem ultimativen Blick auf die berühmte Moselschleife zwischen Bullay an einem und Pünderich am anderen Ende. Ein paar Millionen Jahre vielleicht noch, und die Mosel wird sich von beiden Seiten durchgefressen und eine Insel geschaffen haben. Über eine gewaltige - aus zwei Tonnen Steinen neu gebaute - Schiefertreppe führt der Weg zu einem kleinen, runden, steingemauerten Häuschen mit offenen Guckfenstern zu allen Seiten. Das Collis-Häuschen auf 300 Metern Meereshöhe.
"Collis ist römisch und heißt Bergkuppe."
Wie auf einer Spielzeugeisenbahn schmiegen sich die Winzerdörfer in die Weinberge, und am Horizont schweift der Blick über die sanften toskanaähnlichen Hügel der Eifel. Des Wanderers Herz schlägt höher:
"Gigantisch, wirklich schön, jetzt im Frühling sowieso."
"Was fehlt ist der Schoppen Wein."
"Ja, ja, das trinken wir später."
"Man kann schön wandern hier?"
"Ist wunderschön. Schön ruhig, ein Ausblick nach dem anderen, ist schon toll."
Beim Abstieg kommen wir im Ort an einem steinernen Brunnen vorbei, das Markenzeichen der Weinstadt Zell. Irgendwann vor weinselig langer Zeit wollten Weinkommissionäre bei einem Zeller Winzer ein Fass Wein kaufen. Schließlich, nach vielen Proben, entschieden sich die Händler für jenes Fass, von dem ein kleines schwarzes Kätzchen sie anfauchte. Die Geburtsstunde der "Zeller Schwarze Katz".
Wir treffen den Winzer mitten bei der Arbeit. Ein Teil des 2008er wird abgefüllt. Die meisten Weinberge von Peter Weis liegen im Steilhang. Warum diese Plackerei?
"Leidenschaft. Man muss an der Mosel Weinbau und gute Weine machen wollen, sonst wird man krank, weil es einfach zu steil und zu mühsam ist."
Der Moselwein hat eine Renaissance erlebt. Oder sollte man besser sagen: Der Rieslingwein wurde neu erfunden. Auch dem allgemeinen Trend folgend, statt schwer und süß, nun prickelnd, fruchtig und trocken.
"Vor 20 Jahren waren 20 bis 30 Prozent mild, heute ist es gerade umgekehrt. Da spielt uns die globale Erwärmung in die Hände. Die Weine sind einfach reifer. Die Säure ist nicht mehr so kratzig, so bissig, und ein trockener Wein darf nicht sauer sein. Und deshalb sind wir heute imstande, tolle trockene und halbtrockene Weine zu machen."
Recht hat er. Mit einer guten Flasche im Gepäck brechen wir auf nach Bremm, zum Calmont, dem steilsten Weinberg Europas, einige kräftige Paddelschläge entfernt. Auch das ist eine Errungenschaft des neu gewonnenen touristischen Selbstverständnisses: Kanufahren auf der Mosel - früher undenkbar, heute ein echtes aktives Erlebnis in wunderschöner Natur. Udo Marx vermietet Kanus und sitzt mit mir im selben Boot:
"Es ist eben alles noch ein bisschen tiefer, wenn man auf dem Wasser sitzt und schaut sich die Berge an, das macht einen ganz anderen Eindruck. Das ist schon ganz schön steil."
Vor uns liegt ein wahres Stück Terrassenmosel, der Calmont. Calidus mons nannten die Römer diesen schroff abfallenden, zerfurchten Berg - es war ihre Umschreibung für den heißen Berg. Denn in den nach Süden liegenden Calmont scheint von früh bis spät die Sonne. Rieslingtraube, was willst du mehr? Und schon Goethe war vom Calmont beeindruckt:
Jeder sonnige Hügel war benutzt, bald aber bewunderten wir schroffe Felsen am Strom, auf deren schmalen, vorragenden Kanten, wie auf zufälligen Naturterrassen, der Weinstock zum allerbesten gedieh.
Rund drei Stunden dauert die "anspruchsvolle Wanderung", wie es im Prospekt heißt, von Bremm nach Eller, oder umgekehrt, mitten durch den rebbestockten Calmont, hoch über dem Fluss. Auf einer Länge von gut drei Kilometern überwindet sie rund 1000 Höhenmeter. Aus breiten Weinbergswegen werden schmale Trampelpfade, felsige Schieferkanten sind an Stahlseilen zu überwinden, und wer nicht frei von Schwindelgefühlen ist, sollte lieber auf den Calmont-Höhenweg oben auf dem Berg ausweichen. Den grandiosen Blick ins Moseltal vom Gipfelkreuz erlebt er dennoch, wie diese Gruppe jugendlicher Niederländer:
"Sehr, sehr schön, toll, wunderbar."
"Und noch keine Angst gehabt bisher?"
"Nein, weil: Es hat viele Seile und Steigen und das hilft uns."
In den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts ließen immer mehr Winzer den Calmont links liegen. Und so blickten die Bremmer und ihr Bürgermeister Heinz Berg sorgenvoll auf ihren arg ramponierten Calmont. Steil und schroff und abweisend zwar, aber doch ihr Hausberg - ihr steiler, heißer Berg. Und so wurde aus einer Tourismusidee der Rettungsanker für einen ganzen Berg.
"So einen Berg können wir nicht sich selber überlassen, und da kam damals die Idee, den Klettersteig anzulegen - mit dem Ziel: Steillagenweinbau erlebbar zu machen, die Winzer wieder dazu zu animieren, wieder hier in den Berg neu einzusteigen, neu einzupflanzen - und das ist uns, so sieht man das hier, ganz gut gelungen."
Der Blick nach unten folgt einer fast senkrechten Falllinie: 65 Grad misst der Calmont in seinen steilsten Hängen - gefühlt ist das irgendwie schon ziemlich senkrecht. Zwei Leitern sind auf den drei Kilometern zu überwinden, und zwischendurch gibt es immer wieder Rastplätze, um die Bilderbuchmosel zu genießen - eine Wandergruppe aus dem Siegerland:
"Ja, toll, klasse, wirklich beeindruckend. Wunderschön, diese Moselschleife mit dem Blick ins Tal; und vor allem dadurch beeindruckt, in welcher steilen Lage hier gearbeitet werden muss."
"Da schmeckt der Wein gleich anders und besser?"
"Auf jeden Fall."
"Wie war denn bisher der Aufstieg?
"Ich denke mir, für den Ungeübten mit Sicherheit nicht unbedingt empfehlenswert. Man sollte schon auf die Hinweistafeln achten.
"Muss man schwindelfrei sein?"
"Das auf jeden Fall."
"Mein Mann ist nicht schwindelfrei. Er hat es trotzdem gemacht, und er ist bis hierher lebend gekommen. Wir hoffen, er kommt auch lebend bis Bremm."
90 bis 100 Grad Oechsle erreicht Uli Franzen in seinem Weinberg im Calmont. Der Wander- und Kletterweg führt mitten durch seine 7000 Rieslingreben, die er vor wenigen Jahren neu gepflanzt hat. In mühevoller Arbeit hat er dem Calmont diesen Weinberg durch Roden und Abholzen abgerungen.
"Es ist halt eben eine einzigartige Lage, einmal von der Exposition zur Sonne her - Südsüdwesthang, ideal für Riesling - dann vom Boden her. Es ist ein reiner Schieferboden, Devonschieferboden, und der ist ideal zur Erzeugung von einzigartigen Rieslingweinen."
Weinführer und Fachzeitschriften loben den kräftigen, erdverbundenen Riesling, den Uli Franzen im Calmont erzeugt, in höchsten Tönen, und so hat sich die hehre Idee, das Erbe der Vorfahren nicht einfach verfallen zu lassen, inzwischen auch in barer Münze ausgezahlt:
"Der Calmont ist ja nicht nur ein Naturdenkmal, es ist ja auch ein Kulturdenkmal. Hier haben Generationen dran gearbeitet. Sie sehen hier die Trockenmauern - Weinberge angelegt seit 2000 Jahren. Es ist auch ein Kulturdenkmal, und es ist wichtig, das auch für die nächste Generation zu erhalten."
Viel Wein - das war gestern. Herausragende Rieslingweine heißt die neue Devise. Peter Weis in Zell und Uli Franzen in Bremm gehören zu jener neuen Generation an Winzern, die erkannt haben, dass die Mosel nur mit Qualität im globalen Weinwettbewerb bestehen kann. Und das gilt genauso für das touristische Angebot, um zukunftsfähig zu bleiben: die naturgegebenen Vorteile bestmöglich zu nutzen. Bremms Bürgermeister formuliert es so:
"Unser Publikum ist nicht nur mehr, sondern im Durchschnitt auch wesentlich jünger, weininteressierter geworden. Auch wenn Kinder hier mit durchlaufen: Das sind potenzielle Gäste von morgen, und dafür haben wir es gemacht. Also, die Investition, die wir hier gemacht haben, hat sich in jedem Fall für alle gelohnt."
Aber noch liegt dieser Aussichtspunkt einige Höhenmeter von uns entfernt.
Lägen manche dieser Hänge in einem alpinen Skigebiet, müssten sie als tiefschwarz markiert werden. Seit jeher versuchen die Menschen diese schrägen Lagen in den Griff zu bekommen, um wenigstens einigermaßen Halt zu finden. Teils mannshohe sogenannte Trockenmauern, gestapelt aus brüchigen Schieferstücken, lassen aus den Steilhängen schiefe Ebenen werden. Und auf diesen Terrassen wächst in warmen Sommern allerfeinster Rebensaft.
Denn schon die Römer hatten vor 2000 Jahren erkannt, dass das angenehm milde Klima im Moseltal beste Voraussetzung für edle Weine bietet - hier ist die Durchschnittstemperatur um gute drei Grad höher als auf den Höhen der Eifel. Tagsüber wird die Sonne vom Schieferboden gespeichert, und kühle Nächte überbrückt die aufgewärmte Mosel mit ihrer Strahlung. Und die Wärme wird zu Öchslegraden, der Maßeinheit für Traubenmost, in den Träubchen. Für die römischen Winzer diente der Fluss als Transportweg, und natürlich mussten hier und dort Lager - Cellare also - eingerichtet werden. Zell war solch eine Lagerstätte, aber eben nicht nur. Ende der 70er-Jahre wurden bei Straßenarbeiten Reste eines römischen Bades gefunden.
"Und das war für Zell insofern eine ganz wichtige Sache, weil man damit klarmachen konnte: In Zell war nicht nur einfach ein Depot der Römer, sondern in Zell war tatsächlich eine römische Siedlung."
Wir treffen Gerd Bayer im Museum des Zeller Rathauses, das er liebevoll mitgestaltet hat.
"Zu einer römischen Siedlung gehörte ein Bad, weil: Die römischen Soldaten empfanden es als unmöglich, hier in Germania oder in Gallia Dienst zu tun, und da musste wenigstens für die Wochenenden ein Bad da sein."
Im 13. Jahrhundert erhielt Zell Stadtrechte. Aus diesen Tagen existieren noch Reste der Stadtmauer mit einem beeindruckenden viereckigen Turm, natürlich aus Schiefer, und einem Pulverturm, der heute weithin als "Runder Turm" bekannt ist. Er thront als Wahrzeichen, mitten in den Weinbergen liegend, über den Dächern der Stadt. Gegenüber wandern Urlauber auf Weinbergswegen und -pfaden einen Berg hinauf, um einen einzigartigen Blick ins Moseltal einzufangen. Es war hier, am "Runden Turm", als vor gut Jahren Herbert Sachsler und Willy Nickel vom Heimat- und Verkehrsverein eine Idee hatten.
"Der Herbert und ich, wir sind einmal spazieren gegangen, und da sagt er: 'Mensch, wie wäre das schön, wenn wir hier einen Steilpfad machen würden.' Das war so eine spontane Idee, und einen Monat später haben wir schon angefangen."
Männer der Tat eben. Es passt gut ins Bild: Der Weinbau prägt seit jeher das Bild an der Mosel. Urlauber waren zwar stets willkommen, aber wer noch vor rund 30 Jahren die Mosel besuchte, war zumeist in erster Linie Weinliebhaber.
Touristisch führte das Tal entlang dieses im besten Sinne romantischen Flusses einen Dornröschenschlaf. Das Erwachen geschah langsam: Erst der einbrechende Weinabsatz, auch wegen des Skandals um europaweit glykolgepanschte Weine Mitte der 1980er-Jahre, rüttelte auch Lokalpolitiker wach und führte zu der eigentlich so naheliegenden Erkenntnis: Diese einzigartige Kulturlandschaft hat ja weit mehr zu bieten als "nur" Wein.
Das Angebot für Feriengäste wurde erweitert, mosel-umspannende Rad- und Wanderwege entstanden, und die touristischen Organisationen begegnen seither konkurrierenden deutschen Ferienlandschaften auf Augenhöhe. Zell zum Beispiel konnte die Besucherzahl zwischen 1980 und 2008 fast verdreifachen. Touristische Begriffe wurden kreiert, wie zum Beispiel die "Moselerlebnisroute", unter der touristische Attraktionen unter verschiedenen Aspekten vermarktet werden; auch Wandern und Klettern, und irgendwann wird auch der neue Klettersteig in Zell hinauf auf den Collis-Aussichtspunkt hier vertreten sein. Zunächst führt der Pfad flach ansteigend durch Weinberge, und dann taucht eine steil ansteigende Wand auf - die erste echte Herausforderung für die "Pfadfinder" rund um Willy Nickels.
"Zuerst war der Felsen in dem Sinn gar nicht zu sehen. Der war vom Efeu in den letzten 50 Jahren überwuchert. Dann hat der Alpenwanderverein von Koblenz mitgeholt, weil uns das zu gefährlich war und wir keine Erfahrung haben. Das sieht man dann: Wir haben Steigeisen, Kletterbügel, Seil - und oben zum Ausstieg mussten wir eine Leiter holen. Es geht hier senkrecht hoch. Ich würde mal sagen, es sind 30 Meter, wo man halt schon im Fels klettern muss; und bestes Schuhwerk und Trittsicherheit ist schon Voraussetzung."
Darauf und dass man schwindelfrei sein sollte, weisen mehrere Schilder hin. Eine Vorsichtsmaßnahme auch aus Versicherungsgründen. Sind denn schon mal Leute umgekehrt?
"Ja, manche. Die stehen dann unten und sagen: 'Nein, ich nicht.' Und deswegen haben wir einen Weg drumherumgemacht, dass man immer wieder zusammen zum Collis-Türmchen kommen kann."
"Also, dann gehen wir mal los. Jetzt kommt man an den neuen Klettersteig, der geht so eine zehn Meter hohe steile Wand hoch - die ist aber wirklich ganz steil. Und da haben sie Klettereisen rein gemacht, da kommt man sich schon vor wie in den Alpen. Also man muss genau gucken, wo man hintritt. Da sind überall Steigeisen - und jetzt geht es hier einmal gerade rüber. Da haben sie ein Seil hingebaut - langsam - man muss gucken, wo man hintritt - und man hängt also tatsächlich in der Schieferwand drin. Einen Schritt vor den anderen - okay: oben. Ja, und dann blickt man ins Moseltal. Toll!"
Ein paar Höhenmeter liegen nun noch vor dem ultimativen Blick auf die berühmte Moselschleife zwischen Bullay an einem und Pünderich am anderen Ende. Ein paar Millionen Jahre vielleicht noch, und die Mosel wird sich von beiden Seiten durchgefressen und eine Insel geschaffen haben. Über eine gewaltige - aus zwei Tonnen Steinen neu gebaute - Schiefertreppe führt der Weg zu einem kleinen, runden, steingemauerten Häuschen mit offenen Guckfenstern zu allen Seiten. Das Collis-Häuschen auf 300 Metern Meereshöhe.
"Collis ist römisch und heißt Bergkuppe."
Wie auf einer Spielzeugeisenbahn schmiegen sich die Winzerdörfer in die Weinberge, und am Horizont schweift der Blick über die sanften toskanaähnlichen Hügel der Eifel. Des Wanderers Herz schlägt höher:
"Gigantisch, wirklich schön, jetzt im Frühling sowieso."
"Was fehlt ist der Schoppen Wein."
"Ja, ja, das trinken wir später."
"Man kann schön wandern hier?"
"Ist wunderschön. Schön ruhig, ein Ausblick nach dem anderen, ist schon toll."
Beim Abstieg kommen wir im Ort an einem steinernen Brunnen vorbei, das Markenzeichen der Weinstadt Zell. Irgendwann vor weinselig langer Zeit wollten Weinkommissionäre bei einem Zeller Winzer ein Fass Wein kaufen. Schließlich, nach vielen Proben, entschieden sich die Händler für jenes Fass, von dem ein kleines schwarzes Kätzchen sie anfauchte. Die Geburtsstunde der "Zeller Schwarze Katz".
Wir treffen den Winzer mitten bei der Arbeit. Ein Teil des 2008er wird abgefüllt. Die meisten Weinberge von Peter Weis liegen im Steilhang. Warum diese Plackerei?
"Leidenschaft. Man muss an der Mosel Weinbau und gute Weine machen wollen, sonst wird man krank, weil es einfach zu steil und zu mühsam ist."
Der Moselwein hat eine Renaissance erlebt. Oder sollte man besser sagen: Der Rieslingwein wurde neu erfunden. Auch dem allgemeinen Trend folgend, statt schwer und süß, nun prickelnd, fruchtig und trocken.
"Vor 20 Jahren waren 20 bis 30 Prozent mild, heute ist es gerade umgekehrt. Da spielt uns die globale Erwärmung in die Hände. Die Weine sind einfach reifer. Die Säure ist nicht mehr so kratzig, so bissig, und ein trockener Wein darf nicht sauer sein. Und deshalb sind wir heute imstande, tolle trockene und halbtrockene Weine zu machen."
Recht hat er. Mit einer guten Flasche im Gepäck brechen wir auf nach Bremm, zum Calmont, dem steilsten Weinberg Europas, einige kräftige Paddelschläge entfernt. Auch das ist eine Errungenschaft des neu gewonnenen touristischen Selbstverständnisses: Kanufahren auf der Mosel - früher undenkbar, heute ein echtes aktives Erlebnis in wunderschöner Natur. Udo Marx vermietet Kanus und sitzt mit mir im selben Boot:
"Es ist eben alles noch ein bisschen tiefer, wenn man auf dem Wasser sitzt und schaut sich die Berge an, das macht einen ganz anderen Eindruck. Das ist schon ganz schön steil."
Vor uns liegt ein wahres Stück Terrassenmosel, der Calmont. Calidus mons nannten die Römer diesen schroff abfallenden, zerfurchten Berg - es war ihre Umschreibung für den heißen Berg. Denn in den nach Süden liegenden Calmont scheint von früh bis spät die Sonne. Rieslingtraube, was willst du mehr? Und schon Goethe war vom Calmont beeindruckt:
Jeder sonnige Hügel war benutzt, bald aber bewunderten wir schroffe Felsen am Strom, auf deren schmalen, vorragenden Kanten, wie auf zufälligen Naturterrassen, der Weinstock zum allerbesten gedieh.
Rund drei Stunden dauert die "anspruchsvolle Wanderung", wie es im Prospekt heißt, von Bremm nach Eller, oder umgekehrt, mitten durch den rebbestockten Calmont, hoch über dem Fluss. Auf einer Länge von gut drei Kilometern überwindet sie rund 1000 Höhenmeter. Aus breiten Weinbergswegen werden schmale Trampelpfade, felsige Schieferkanten sind an Stahlseilen zu überwinden, und wer nicht frei von Schwindelgefühlen ist, sollte lieber auf den Calmont-Höhenweg oben auf dem Berg ausweichen. Den grandiosen Blick ins Moseltal vom Gipfelkreuz erlebt er dennoch, wie diese Gruppe jugendlicher Niederländer:
"Sehr, sehr schön, toll, wunderbar."
"Und noch keine Angst gehabt bisher?"
"Nein, weil: Es hat viele Seile und Steigen und das hilft uns."
In den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts ließen immer mehr Winzer den Calmont links liegen. Und so blickten die Bremmer und ihr Bürgermeister Heinz Berg sorgenvoll auf ihren arg ramponierten Calmont. Steil und schroff und abweisend zwar, aber doch ihr Hausberg - ihr steiler, heißer Berg. Und so wurde aus einer Tourismusidee der Rettungsanker für einen ganzen Berg.
"So einen Berg können wir nicht sich selber überlassen, und da kam damals die Idee, den Klettersteig anzulegen - mit dem Ziel: Steillagenweinbau erlebbar zu machen, die Winzer wieder dazu zu animieren, wieder hier in den Berg neu einzusteigen, neu einzupflanzen - und das ist uns, so sieht man das hier, ganz gut gelungen."
Der Blick nach unten folgt einer fast senkrechten Falllinie: 65 Grad misst der Calmont in seinen steilsten Hängen - gefühlt ist das irgendwie schon ziemlich senkrecht. Zwei Leitern sind auf den drei Kilometern zu überwinden, und zwischendurch gibt es immer wieder Rastplätze, um die Bilderbuchmosel zu genießen - eine Wandergruppe aus dem Siegerland:
"Ja, toll, klasse, wirklich beeindruckend. Wunderschön, diese Moselschleife mit dem Blick ins Tal; und vor allem dadurch beeindruckt, in welcher steilen Lage hier gearbeitet werden muss."
"Da schmeckt der Wein gleich anders und besser?"
"Auf jeden Fall."
"Wie war denn bisher der Aufstieg?
"Ich denke mir, für den Ungeübten mit Sicherheit nicht unbedingt empfehlenswert. Man sollte schon auf die Hinweistafeln achten.
"Muss man schwindelfrei sein?"
"Das auf jeden Fall."
"Mein Mann ist nicht schwindelfrei. Er hat es trotzdem gemacht, und er ist bis hierher lebend gekommen. Wir hoffen, er kommt auch lebend bis Bremm."
90 bis 100 Grad Oechsle erreicht Uli Franzen in seinem Weinberg im Calmont. Der Wander- und Kletterweg führt mitten durch seine 7000 Rieslingreben, die er vor wenigen Jahren neu gepflanzt hat. In mühevoller Arbeit hat er dem Calmont diesen Weinberg durch Roden und Abholzen abgerungen.
"Es ist halt eben eine einzigartige Lage, einmal von der Exposition zur Sonne her - Südsüdwesthang, ideal für Riesling - dann vom Boden her. Es ist ein reiner Schieferboden, Devonschieferboden, und der ist ideal zur Erzeugung von einzigartigen Rieslingweinen."
Weinführer und Fachzeitschriften loben den kräftigen, erdverbundenen Riesling, den Uli Franzen im Calmont erzeugt, in höchsten Tönen, und so hat sich die hehre Idee, das Erbe der Vorfahren nicht einfach verfallen zu lassen, inzwischen auch in barer Münze ausgezahlt:
"Der Calmont ist ja nicht nur ein Naturdenkmal, es ist ja auch ein Kulturdenkmal. Hier haben Generationen dran gearbeitet. Sie sehen hier die Trockenmauern - Weinberge angelegt seit 2000 Jahren. Es ist auch ein Kulturdenkmal, und es ist wichtig, das auch für die nächste Generation zu erhalten."
Viel Wein - das war gestern. Herausragende Rieslingweine heißt die neue Devise. Peter Weis in Zell und Uli Franzen in Bremm gehören zu jener neuen Generation an Winzern, die erkannt haben, dass die Mosel nur mit Qualität im globalen Weinwettbewerb bestehen kann. Und das gilt genauso für das touristische Angebot, um zukunftsfähig zu bleiben: die naturgegebenen Vorteile bestmöglich zu nutzen. Bremms Bürgermeister formuliert es so:
"Unser Publikum ist nicht nur mehr, sondern im Durchschnitt auch wesentlich jünger, weininteressierter geworden. Auch wenn Kinder hier mit durchlaufen: Das sind potenzielle Gäste von morgen, und dafür haben wir es gemacht. Also, die Investition, die wir hier gemacht haben, hat sich in jedem Fall für alle gelohnt."
Aber noch liegt dieser Aussichtspunkt einige Höhenmeter von uns entfernt.