Bettina Klein: Die Salafisten, so sagt die Definition, sind eine kleine Minderheit der Muslime, sie sind eine religiöse und politische Bewegung des Islam, die sich einer theologischen Modernisierung widersetzt und eine islamische Ordnung als einzig legitime Staatsform ansieht. Der Verfassungsschutz in Deutschland hat Teile der Gruppierung hierzulande im Verdacht, als Sammelbecken für gewaltbereiten Islamismus zu dienen, und die gewalttätigen Auseinandersetzungen jüngst in Bonn haben das Augenmerk der Politik wieder darauf gelenkt – natürlich auch deswegen, weil sich Nordrhein-Westfalen im Wahlkampf befindet. Bundesinnenminister Friedrich ließ noch einmal aufhorchen, als er den Salafisten ideologische Nähe zu al-Kaida bescheinigte.
Guido Steinberg arbeitet an der Stiftung Wissenschaft und Politik in der Forschungsgruppe Naher und Mittlerer Osten und ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Steinberg.
Guido Steinberg: Guten Tag, Frau Klein.
Klein: Bundesinnenminister Friedrich sieht eine ideologische Nähe der Salafisten zu al-Kaida. Trifft das zu aus Sicht des Wissenschaftlers?
Steinberg: Ja das ist sicherlich eine Verkürzung, vielleicht auch eine grobe Verkürzung, aber es trifft so im Großen und Ganzen das Phänomen. Nicht alle Dschihadisten sind Salafisten, es gibt auch welche, die aus einer anderen Tradition kommen, aber wenn man sich so im Großen und Ganzen das Gedankengut dieser jungen Leute hier in Deutschland anschaut, dann ist das doch weitgehend deckungsgleich mit dem von Bin Laden und anderen Dschihadisten. Der große Unterschied, über den auch immer wieder debattiert wird in dieser Szene, ist halt eben die Frage nach legitimer Gewaltanwendung, und da gibt es eben sehr große Unterschiede und deswegen sollte man vorsichtig sein, bevor man die Salafisten insgesamt mit al-Kaida in Verbindung bringt. Nicht alle sind der Meinung, dass man einen Dschihad gegen alle Feinde des Islam oder alle angeblichen Feinde des Islam führen muss, aber es gibt gewisse Sympathien in diese Richtung.
Klein: Sprechen wir da jetzt über die Salafisten in Deutschland, oder über das Phänomen weltweit?
Steinberg: Beides, da gibt es keine Unterschiede. Das ist ein transnationales Phänomen. In Deutschland wächst diese salafistische Szene genauso an, wie das in der arabischen Welt der Fall ist, und wir haben das eben schon gehört: Jemand wie Pierre Vogel ist jetzt nach Ägypten gegangen. Die Szene profitiert natürlich davon, dass jetzt die Operationsbedingungen auch in Ägypten sehr viel besser geworden sind. Der Austausch nimmt zu und es wird immer schwieriger zu kontrollieren, was es denn da für ideologische Strömungen gibt, die von Ägypten, von Saudi-Arabien nach Deutschland überschwappen.
Klein: Besser geworden wegen der instabilen politischen Verhältnisse in Ägypten?
Steinberg: Ja, das ist richtig. Unter dem Mubarak-Regime hat der Einfluss der Salafisten schon zugenommen, weil Mubarak wohl der Meinung war, dass diese Salafisten unpolitisch seien und deswegen eine willkommene Konkurrenz zur Muslimbruderschaft. Es zeigt sich aber jetzt, dass diese Salafisten durchaus politisch sind, und sie haben bei den Wahlen ungefähr 25 Prozent der Stimmen gewonnen im Land. Sie sind also dort wirklich ein Machtfaktor.
Klein: Sie haben gesagt, nicht alle Salafisten sind gewaltbereit, und das gilt auch für die in Deutschland lebenden, und auch im Beitrag klang es ja gerade an, dass sich offenbar nicht genau sagen lässt, wie die Zahlenverhältnisse sind. Haben Sie denn Erkenntnisse darüber, auf wie viele in Deutschland lebende Salafisten diese Art der Gewaltbereitschaft zutrifft?
Steinberg: Insgesamt ist die Zahl der Salafisten in Deutschland umstritten. Wir haben jetzt die Zahl 4000 gehört, in den letzten Monaten haben die Sicherheitsbehörden meist von 5000 geredet, viele Fachleute in den Sicherheitsbehörden aber gehen von einer größeren Zahl aus. Wenn es darum geht, wer wirklich Dschihadi ist, dann haben wir es wahrscheinlich mit einer Zahl von bis zu 1000 zu tun. Das Problem ist aber, dass wir gerade in dieser salafistischen Szene, die wir da am Samstag auch in Bonn am Werk gesehen haben, so eine Grauzone haben. Wir wissen, dass die bestimmte Formen der Gewalt befürworten, auch ihre Prediger machen Werbung dafür, aber sie machen das so geschickt, dass man sie oft gar nicht mehr belangen kann. Also eine grundsätzliche Gewaltbereitschaft, zumindest eine Befürwortung beispielsweise von Kämpfen im Irak oder in Afghanistan gegen ausländische Besatzer, kann man fast bei allen dieser Gruppen und Individuen voraussetzen.
Klein: Sie haben gesagt, sie machen das so geschickt, dass man sie nicht belangen kann. Haben Sie ein Beispiel dafür?
Steinberg: Es gibt da ein ganz, ganz schönes Beispiel von einem ganz wichtigen Prediger, und zwar ist das Ibrahim Abu-Nagie aus Köln, der vor kurzem ein Video veröffentlicht hat, in dem er über die Situation in Gaza redet, aber faktisch nur Koranverse zitiert und dann darauf verweist, dass die Zuhörer ja ganz genau wüssten, was das bedeutet. Natürlich kann er sich dann immer darauf berufen, dass er dort ein heiliges Buch zitiert hat, das ist auch richtig, das sind korrekte Zitate, und allen Zuhörern ist klar, was er damit meint, nämlich dass es legitim und sogar notwendig ist, die Israelis mit Gewalt zu bekämpfen.
Klein: Können Sie vielleicht noch etwas genauer beschreiben, worin genau diese Nähe besteht zum ideologischen Gedankengut von al-Kaida? Ist das deckungsgleich, sind da die gleichen Sätze und Aufrufe zum Handeln zu hören, oder gibt es Unterschiede?
Steinberg: Nein, es gibt da Unterschiede. Diese salafistische Szene ist ungeheuer groß, ungeheuer dynamisch. Aber es gibt eine gemeinsame Grundlage, und diese Grundlage ist entstanden im Saudi-Arabien des 18. Jahrhunderts: das ist die sogenannte Wahabia. Salafismus insgesamt beschreibt eine Geisteshaltung, die zurück will zu den Quellen des Islam, zur reinen Urzeit der Muslime im 7. und im 8. Jahrhundert in Mekka und Medina, und das sind alles Gedanken, die von terroristischen Gruppierungen wie al-Kaida und Salafisten insgesamt geteilt werden. Es gibt dann aber verschiedene Strömungen: Es gibt einmal die, die sagen, wir müssen zunächst mal über eine Reform des Individuums, des individuellen Glaubens und der Doktrin zurück zu dieser Reinheit des 7. Jahrhunderts. Es gibt andere, die durchaus auch an Wahlen teilnehmen, was lange Zeit verpönt war unter Salafisten. Und dann gibt es eben die, die Gewalt anwenden, und die meisten, die hier in Deutschland aktiv sind, gehören einer Strömung an, die in der Fachwelt meist politischer Salafismus genannt wird. Das sind also Leute, die nicht im dschihadistischen Feld sind, aber auch nicht mehr dort, wo es wirklich nur noch um den individuellen Glauben geht, sondern darum, über eine Reform des Glaubens einzelner Individuen und Gruppen dann auch Gesellschaften zu verändern, und das hat durchaus politische Aspekte.
Klein: Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Steinberg.
Steinberg: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Guido Steinberg arbeitet an der Stiftung Wissenschaft und Politik in der Forschungsgruppe Naher und Mittlerer Osten und ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Steinberg.
Guido Steinberg: Guten Tag, Frau Klein.
Klein: Bundesinnenminister Friedrich sieht eine ideologische Nähe der Salafisten zu al-Kaida. Trifft das zu aus Sicht des Wissenschaftlers?
Steinberg: Ja das ist sicherlich eine Verkürzung, vielleicht auch eine grobe Verkürzung, aber es trifft so im Großen und Ganzen das Phänomen. Nicht alle Dschihadisten sind Salafisten, es gibt auch welche, die aus einer anderen Tradition kommen, aber wenn man sich so im Großen und Ganzen das Gedankengut dieser jungen Leute hier in Deutschland anschaut, dann ist das doch weitgehend deckungsgleich mit dem von Bin Laden und anderen Dschihadisten. Der große Unterschied, über den auch immer wieder debattiert wird in dieser Szene, ist halt eben die Frage nach legitimer Gewaltanwendung, und da gibt es eben sehr große Unterschiede und deswegen sollte man vorsichtig sein, bevor man die Salafisten insgesamt mit al-Kaida in Verbindung bringt. Nicht alle sind der Meinung, dass man einen Dschihad gegen alle Feinde des Islam oder alle angeblichen Feinde des Islam führen muss, aber es gibt gewisse Sympathien in diese Richtung.
Klein: Sprechen wir da jetzt über die Salafisten in Deutschland, oder über das Phänomen weltweit?
Steinberg: Beides, da gibt es keine Unterschiede. Das ist ein transnationales Phänomen. In Deutschland wächst diese salafistische Szene genauso an, wie das in der arabischen Welt der Fall ist, und wir haben das eben schon gehört: Jemand wie Pierre Vogel ist jetzt nach Ägypten gegangen. Die Szene profitiert natürlich davon, dass jetzt die Operationsbedingungen auch in Ägypten sehr viel besser geworden sind. Der Austausch nimmt zu und es wird immer schwieriger zu kontrollieren, was es denn da für ideologische Strömungen gibt, die von Ägypten, von Saudi-Arabien nach Deutschland überschwappen.
Klein: Besser geworden wegen der instabilen politischen Verhältnisse in Ägypten?
Steinberg: Ja, das ist richtig. Unter dem Mubarak-Regime hat der Einfluss der Salafisten schon zugenommen, weil Mubarak wohl der Meinung war, dass diese Salafisten unpolitisch seien und deswegen eine willkommene Konkurrenz zur Muslimbruderschaft. Es zeigt sich aber jetzt, dass diese Salafisten durchaus politisch sind, und sie haben bei den Wahlen ungefähr 25 Prozent der Stimmen gewonnen im Land. Sie sind also dort wirklich ein Machtfaktor.
Klein: Sie haben gesagt, nicht alle Salafisten sind gewaltbereit, und das gilt auch für die in Deutschland lebenden, und auch im Beitrag klang es ja gerade an, dass sich offenbar nicht genau sagen lässt, wie die Zahlenverhältnisse sind. Haben Sie denn Erkenntnisse darüber, auf wie viele in Deutschland lebende Salafisten diese Art der Gewaltbereitschaft zutrifft?
Steinberg: Insgesamt ist die Zahl der Salafisten in Deutschland umstritten. Wir haben jetzt die Zahl 4000 gehört, in den letzten Monaten haben die Sicherheitsbehörden meist von 5000 geredet, viele Fachleute in den Sicherheitsbehörden aber gehen von einer größeren Zahl aus. Wenn es darum geht, wer wirklich Dschihadi ist, dann haben wir es wahrscheinlich mit einer Zahl von bis zu 1000 zu tun. Das Problem ist aber, dass wir gerade in dieser salafistischen Szene, die wir da am Samstag auch in Bonn am Werk gesehen haben, so eine Grauzone haben. Wir wissen, dass die bestimmte Formen der Gewalt befürworten, auch ihre Prediger machen Werbung dafür, aber sie machen das so geschickt, dass man sie oft gar nicht mehr belangen kann. Also eine grundsätzliche Gewaltbereitschaft, zumindest eine Befürwortung beispielsweise von Kämpfen im Irak oder in Afghanistan gegen ausländische Besatzer, kann man fast bei allen dieser Gruppen und Individuen voraussetzen.
Klein: Sie haben gesagt, sie machen das so geschickt, dass man sie nicht belangen kann. Haben Sie ein Beispiel dafür?
Steinberg: Es gibt da ein ganz, ganz schönes Beispiel von einem ganz wichtigen Prediger, und zwar ist das Ibrahim Abu-Nagie aus Köln, der vor kurzem ein Video veröffentlicht hat, in dem er über die Situation in Gaza redet, aber faktisch nur Koranverse zitiert und dann darauf verweist, dass die Zuhörer ja ganz genau wüssten, was das bedeutet. Natürlich kann er sich dann immer darauf berufen, dass er dort ein heiliges Buch zitiert hat, das ist auch richtig, das sind korrekte Zitate, und allen Zuhörern ist klar, was er damit meint, nämlich dass es legitim und sogar notwendig ist, die Israelis mit Gewalt zu bekämpfen.
Klein: Können Sie vielleicht noch etwas genauer beschreiben, worin genau diese Nähe besteht zum ideologischen Gedankengut von al-Kaida? Ist das deckungsgleich, sind da die gleichen Sätze und Aufrufe zum Handeln zu hören, oder gibt es Unterschiede?
Steinberg: Nein, es gibt da Unterschiede. Diese salafistische Szene ist ungeheuer groß, ungeheuer dynamisch. Aber es gibt eine gemeinsame Grundlage, und diese Grundlage ist entstanden im Saudi-Arabien des 18. Jahrhunderts: das ist die sogenannte Wahabia. Salafismus insgesamt beschreibt eine Geisteshaltung, die zurück will zu den Quellen des Islam, zur reinen Urzeit der Muslime im 7. und im 8. Jahrhundert in Mekka und Medina, und das sind alles Gedanken, die von terroristischen Gruppierungen wie al-Kaida und Salafisten insgesamt geteilt werden. Es gibt dann aber verschiedene Strömungen: Es gibt einmal die, die sagen, wir müssen zunächst mal über eine Reform des Individuums, des individuellen Glaubens und der Doktrin zurück zu dieser Reinheit des 7. Jahrhunderts. Es gibt andere, die durchaus auch an Wahlen teilnehmen, was lange Zeit verpönt war unter Salafisten. Und dann gibt es eben die, die Gewalt anwenden, und die meisten, die hier in Deutschland aktiv sind, gehören einer Strömung an, die in der Fachwelt meist politischer Salafismus genannt wird. Das sind also Leute, die nicht im dschihadistischen Feld sind, aber auch nicht mehr dort, wo es wirklich nur noch um den individuellen Glauben geht, sondern darum, über eine Reform des Glaubens einzelner Individuen und Gruppen dann auch Gesellschaften zu verändern, und das hat durchaus politische Aspekte.
Klein: Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Steinberg.
Steinberg: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.