Doris Simon: Heute Vormittag tritt Peer Steinbrück auf als Hauptredner seiner Partei in der Debatte zum Betreuungsgeld.
Jetzt aber ist er erst mal hier in der Sendung am Telefon. Guten Morgen!
Peer Steinbrück: Guten Morgen, Frau Simon.
Simon: Herr Steinbrück, hat das Betreuungsgeld mit Ihnen eine Zukunft?
Steinbrück: Nein! Es ist auch erstaunlich, dass dieses Betreuungsgeld in einer erstaunlichen Ignoranz und Selbstgefälligkeit zum 1. August des kommenden Jahres verabschiedet werden soll, also wenige Wochen vor der Bundestagswahl. Mit einer SPD-geführten Regierung wird es die kürzeste Halbwertszeit eines Gesetzentwurfes in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben.
Simon: Sie wollen es also zurücknehmen, wenn Sie regieren?
Steinbrück: Ja. Ja, es ist ja nicht nur so, wie der Chef des Sachverständigenrates, Herr Franz, es darstellt, fiskalpolitischer Unsinn, sondern noch viel schlimmer ist, dass es das Selbstbestimmungsrecht der Frauen beschädigt, eine eigene berufliche Karriere zu schreiben, dass es bildungspolitischer Unsinn ist und arbeitsmarktpolitischer Unsinn auch noch.
Simon: Man könnte ja wohlmeinend auch im Betreuungsgeld eine Anerkennung sehen, zum Beispiel für die Kindererziehung zuhause. Die ist ja auch nicht immer nur ein Vergnügen.
Steinbrück: Das ist alles richtig. Aber es ist überhaupt nicht einzusehen, warum denn Eltern eine öffentliche finanzielle Leistung bekommen sollen, wenn sie gerade öffentliche Einrichtungen nicht in Anspruch nehmen. Das Elternrecht, sogar das Wahlrecht ist ja nicht berührt für diejenigen, die sagen, ich möchte meine Kinder zuhause erziehen, sondern es geht darum, insbesondere alleinerziehenden Frauen die Möglichkeit zu geben, Kind und Beruf, Kind und berufliche Karriere in Übereinstimmung zu bringen.
Simon: Dafür brauchen wir natürlich mehr Kita-Plätze, das Problem ist diese Woche noch mal mit Zahlen belegt worden, es fehlen über 200.000 Plätze in Deutschland. Aber Sie haben in Ihrer Regierungszeit in Nordrhein-Westfalen jetzt auch nicht so ganz viel getan für die Schaffung von Kita-Plätzen?
Steinbrück: Na ja, tut mir leid: Da war ich nicht Regierungschef. Der Ausbau der Kindertagesplätze ist zustande gekommen in einer Zeit, als ich Bundesfinanzminister war und mit Frau von der Leyen zusammen ein Programm aufgelegt habe von dreimal vier Milliarden, finanziert von Bund, Ländern und Kommunen, um die Kindertagesplätze auszubauen.
Simon: Ja, andere Bundesländer haben ja auch schon vor diesem Programm was gemacht.
Steinbrück: Das ist alles richtig. Dennoch: Man muss zugeben, in den westdeutschen Ländern waren wir in dieser Frage lange zurückhaltend, während ich feststellen muss, in alten DDR-Zeiten, in den neuen Ländern, waren die sehr viel ehrgeiziger und tüchtiger im Ausbau von Kindertagesstättenplätzen.
Simon: Herr Steinbrück, was machen Sie denn jetzt? Warten Sie, ob und bis Sie vielleicht die Regierung übernehmen. Oder werden Sie auch klagen gegen das Betreuungsgeld?
Steinbrück: Ich glaube, dass es berechtigt ist zu klagen, zumal das ja nicht eine Privatmeinung nur der SPD ist, sondern ich habe die Justizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, im Ohr, die ebenfalls die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes anzweifelt. Und ich glaube, auch eine Ausschussvorsitzende der FDP ist auf demselben Weg.
Simon: Und die Klage kommt bald?
Steinbrück: Ja, das ist abzustimmen, ist abzustimmen auch mit anderen Fraktionen des Deutschen Bundestages, denn soweit ich es im Ohr habe, sind die Grünen derselben Auffassung. Und ich denke, wir sollten auch auf diesem Wege gegen ein so unsinniges, um nicht zu sagen schwachsinniges Gesetz vorgehen.
Simon: Dass Sie heute zum Betreuungsgeld sprechen - wie gesagt, bisher Finanz- und Euro-Themen vor allem -, ist das auch ein Versuch, sich, sagen wir mal, wenigstens einen Teil der Frauen, wenn schon nicht die zuhause erziehenden Mütter gewogen zu machen? Sie haben ja vor allem bei jüngeren Frauen in Umfragen ein größeres Problem.
Steinbrück: Offenbar unterstellt man mir da ein sehr verklemmtes Verhältnis, das ist nicht der Fall. Nein! Es ist die Notwendigkeit, dass ein Kanzlerkandidat, ein möglicher Kanzlerkandidat der SPD, sich breit politisch aufstellt. Und dies ist eines der zentralen innenpolitischen Themen.
Simon: Heute geht es auch um die Praxisgebühr im Bundestag. Die hat die Koalition ja abgeschafft, ist damit einer Forderung Ihrer Partei nachgekommen. Warum hören wir da nicht mehr Applaus von Ihnen?
Steinbrück: Das hat es ja gegeben. Das ist das einzige Element aus dieser Party, die es am letzten Sonntag im Koalitionsausschuss gegeben hat, wo jeder noch mal Geschenke gekriegt hat, wo wir sagen, das ist richtig. Die Abschaffung der Praxisgebühr ist richtig und findet die Zustimmung der SPD. Das ist aber zum Ausdruck gebracht worden.
Simon: Herr Steinbrück, seit dieser Nacht steht der Haushalt 2013. Nur eine Zahl daraus: Die Neuverschuldung wird gesenkt um 1,7 Milliarden, so heißt es bisher, gegenüber dem Ansatz von Bundesfinanzminister Schäuble. Ist das aus Ihrer Sicht ein guter Ansatz?
Steinbrück: Nein, denn nie sind die Zeiten so günstig gewesen für einen Bundesfinanzminister und eine Bundesregierung, die Nettokreditaufnahme deutlich zurückzuführen. Erstens: Die Steuerquellen sprudeln. Zweitens: Es gibt enorme Entlastung auf dem Arbeitsmarkt. Und drittens: Nie konnte sich die Bundesrepublik Deutschland international zu günstigeren Zinsen verschulden als heute. Für gewisse Laufzeiten muss man null Zinsen zahlen, nahezu null Zinsen. Und das bedeutet, dass man die Zielmarke, eine Neuverschuldung von null anzustreben, sehr viel früher erreichen kann als 2016. Das ist die Vorgabe im Grundgesetz. Und ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung hier ihren Ankündigungen sehr viel stärker Rechnung trägt. Im übrigen: Sie kann nicht in Europa als Schulmeister auftreten gegenüber anderen Ländern, was die Konsolidierung betrifft. Und selber im eigenen Land die Hausaufgaben verweigern.
Simon: Wo hätten Sie denn angesetzt? Was hätten Sie anders gemacht, wenn Sie gekonnt hätten?
Steinbrück: Nein, tut mir leid! Ich bin nicht derjenige, der jetzt noch in allen Haushaltspositionen als Oppositionspolitiker zu stecken hat, sondern das ist Aufgabe einer Regierung. Und wenn diese Regierung diese Aufgaben nicht erledigen kann, dann muss sie abgewählt werden.
Simon: Sie sagen einfach, es muss mehr gespart werden. Das haben wir ja auch eingangs gehört in dem kurzen Statement von Wolfgang Franz, dem Vorsitzenden des Sachverständigenrates. Dieses mehr sparen, ist das eigentlich angesichts der guten Lage wirklich machbar, ohne mehr soziale Verwerfung? Da haben ja sonst gerade die Sozialdemokraten einen scharfen Blick drauf.
Steinbrück: Na ja, es hat eine Zeit gegeben, wo ich zugegebenermaßen mit dem damaligen hessischen Ministerpräsidenten Koch ja einen sehr rigiden Vorschlag gemacht habe zum Abbau von Subventionen. Und der war erfolgreich. Das heißt, es gibt nach wie vor bei den direkten Zahlungen und bei den steuerlichen Erleichterungen, die man beide zusammenfassen kann unter dem Oberbegriff der Subventionen, Spielräume, um in der Tat Ausgaben zu senken.
Simon: Was sagen Sie denn zu dem Argument, wir können jetzt nicht nur einfach sparen, wir müssen auch ein bisschen was bewegen, wir sind schließlich die Konjunkturlokomotive für Europa, wir sind mit das einzige Land, dem es noch gut geht, da können wir jetzt nicht schneiden?
Steinbrück: Na ja, dann muss man eben auf die zwei Milliarden als individuelle Transfers an Eltern verzichten, die ihre Kinder zuhause erziehen wollen. Und stattdessen zum Beispiel zwei Milliarden hineinstecken in den weiteren Ausbau der Betreuungsinfrastruktur, zumal, wie Sie richtig gesagt haben, nach wie vor über 220.000 Plätze fehlen und damit der gesetzliche Anspruch auf einen Betreuungsplatz ab nächstem Jahr erkennbar nicht mehr zu erreichen ist.
Simon: Herr Steinbrück, Sie haben am Sonntag einen ersten öffentlichen Auftritt mit einem hochrangigen IG-Metallgewerkschafter zu einem Thema, was für die SPD sehr schwierig ist, nämlich das Thema Rente. Zugleich ist die Unterstützung der Gewerkschaften für Sie sehr wichtig im Wahlkampf. Bekommen Sie bei der Rente eine Brücke gebaut zu den Gewerkschaften und wenn ja, zu welchem Preis?
Steinbrück: Das halte ich für möglich, dass wir eine Brücke bauen können mit Blick auf die Tatsache, dass in der Tat nicht alle Menschen bis 67 arbeiten können. Das erstreckt sich dann auf den Vorschlag der SPD, insbesondere die Erwerbsminderungsrente zu verbessern. Das wird eine Position sein, die die Gewerkschaften teilen. Und zweitens auch die Vorstellung, dass diejenigen, die 45 Versicherungsjahre gehabt haben als Beschäftigte, einen zuschlagsfreien Zugang zur Rente haben müssen. Aber ich sage auch ganz bestimmt, dass die SPD nicht mehr versprechen und mehr tragen kann als das, was sie anschließend in einer Regierungsverantwortung wirklich auch vertreten kann. Und für mich wird von entscheidender Bedeutung sein, dass an der Rentenformel auch nichts geändert wird.
Simon: Ja gut. Aber das, was Sie gesagt haben, das geht ja schon in die Richtung, denn so früh in Rente gehen, das muss ja irgendwo her auch bezahlt werden, selbst wenn man lange gearbeitet hat.
Steinbrück: Ja, selbstverständlich wird es einige Positionen geben, auch zum Beispiel die Solidarrente, die die SPD einführen will, die zusätzlich Geld kostet. Dies ist aber durchaus tragbar und finanzierbar in der Perspektive bis 2029/2030, wo der Rentenversicherungsbeitrag, wie Sie wissen, sukzessive auf 22 Prozent hochgehen soll, aber eben auch nicht höher zulasten der Beschäftigten und zulasten der Arbeitgeber.
Simon: Sie fürchten nicht, damit Ihr Image als klare Kante und als Finanzfachmann zu riskieren?
Steinbrück: Nein! Sie müssen ja was tun! Sie müssen ja was tun, damit die Leute eine auskömmliche Rente haben, auch in der Perspektive der nächsten zehn, 15 Jahre, auch gerade vor dem Hintergrund des demografischen Drucks, den es gibt. Darin ist die SPD ja auch gar nicht in einer besonderen Position, denn soweit ich das sehe, überlegt die CDU/CSU ja ähnliche Maßnahmen, die wir nur alle nicht für richtig halten.
Simon: Herr Steinbrück, die Debatte um Nebeneinkünfte hat Ihnen in den letzten Wochen sehr geschadet. Sie haben Ihre Position zum Teil geändert, Sie haben auch bei Vorgängen Klarheit geschaffen, Sie haben jetzt auch gesagt, Sie spenden die 25.000 Euro, die Sie völlig korrekt bekommen haben für eine Veranstaltung in Bochum. Trotzdem die Frage: Würden Sie im Nachhinein sagen, es hat Ihnen in der Sache an Gespür gefehlt?
Steinbrück: Das müssen andere entscheiden. Ich habe mich nach den Regeln des Deutschen Bundestages verhalten. Ich habe sehr viel mehr im Detail offengelegt, als von diesen Transparenzrichtlinien erwartet wird. Ich konnte für eine lange Zeit auch das Nachfragen Ihrer Branche, der Journalisten verstehen, wo es um die Klärung ging, ob ich in irgendwelchen Abhängigkeiten stehe. In dem Augenblick, wo auch meine Buchhonorare hineingezogen wurden in die Debatte, habe ich dies als eine Art Neidkomplex-Debatte empfunden, die auch ganz gezielt meine Integrität treffen sollte. Und das kann ich nicht akzeptieren. Jemand, der zwei Bestseller schreibt, kriegt entsprechende Honorare. Und dies in irgendeinen Geruch zu ziehen, das war eine Welle, die seit ungefähr einer Woche oder zehn Tagen in Gang gekommen ist, wo ich den Eindruck habe, da kippt etwas.
Simon: Das heißt, Sie haben den Eindruck, die Öffentlichkeit ist in manchen Punkten da zu empfindlich? Nicht anders herum: Sie sind zu wenig empfindlich?
Steinbrück: Entschuldigen Sie bitte! Ich habe nicht von der Öffentlichkeit gesprochen, die empfindlich ist, sondern ich habe davon gesprochen, dass einige Medienvertreter versucht haben, einen Geruch zu legen, auch über die Tatsache, dass ich erfolgreich Bücher geschrieben habe. Da bin nicht ich empfindlich, sondern da habe ich den Eindruck, dass etwas stattfindet, was in der Tat nicht nur mich beschädigen könnte, sondern wo man gelegentlich sehr selbstkritisch darüber nachdenken muss, wie wird mit Politikern umgegangen. Oder wie wird eine Atmosphäre geschaffen, in der viele Menschen auch gezielt nicht mehr politische Mandate anstreben, weil sie den Eindruck haben, dass sie anschließend sehr schnell diskreditiert werden können.
Simon: Peer Steinbrück, der designierte SPD-Kanzlerkandidat. Herr Steinbrück, vielen Dank für das Gespräch.
Steinbrück: Ich danke Ihnen.
Simon: Auf Wiederhören!
Steinbrück: Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Weitere Beiträge bei dradio.de:
Steinbrück-Honorar: Bochumer Stadtwerke streichen Veranstaltung - Personelle Konsequenzen nicht geplant
Koalition drückt Praxisgebühr und Betreuungsgeld in den Bundestag - Besonders Betreuungsgeld weiter umstritten
Jetzt aber ist er erst mal hier in der Sendung am Telefon. Guten Morgen!
Peer Steinbrück: Guten Morgen, Frau Simon.
Simon: Herr Steinbrück, hat das Betreuungsgeld mit Ihnen eine Zukunft?
Steinbrück: Nein! Es ist auch erstaunlich, dass dieses Betreuungsgeld in einer erstaunlichen Ignoranz und Selbstgefälligkeit zum 1. August des kommenden Jahres verabschiedet werden soll, also wenige Wochen vor der Bundestagswahl. Mit einer SPD-geführten Regierung wird es die kürzeste Halbwertszeit eines Gesetzentwurfes in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben.
Simon: Sie wollen es also zurücknehmen, wenn Sie regieren?
Steinbrück: Ja. Ja, es ist ja nicht nur so, wie der Chef des Sachverständigenrates, Herr Franz, es darstellt, fiskalpolitischer Unsinn, sondern noch viel schlimmer ist, dass es das Selbstbestimmungsrecht der Frauen beschädigt, eine eigene berufliche Karriere zu schreiben, dass es bildungspolitischer Unsinn ist und arbeitsmarktpolitischer Unsinn auch noch.
Simon: Man könnte ja wohlmeinend auch im Betreuungsgeld eine Anerkennung sehen, zum Beispiel für die Kindererziehung zuhause. Die ist ja auch nicht immer nur ein Vergnügen.
Steinbrück: Das ist alles richtig. Aber es ist überhaupt nicht einzusehen, warum denn Eltern eine öffentliche finanzielle Leistung bekommen sollen, wenn sie gerade öffentliche Einrichtungen nicht in Anspruch nehmen. Das Elternrecht, sogar das Wahlrecht ist ja nicht berührt für diejenigen, die sagen, ich möchte meine Kinder zuhause erziehen, sondern es geht darum, insbesondere alleinerziehenden Frauen die Möglichkeit zu geben, Kind und Beruf, Kind und berufliche Karriere in Übereinstimmung zu bringen.
Simon: Dafür brauchen wir natürlich mehr Kita-Plätze, das Problem ist diese Woche noch mal mit Zahlen belegt worden, es fehlen über 200.000 Plätze in Deutschland. Aber Sie haben in Ihrer Regierungszeit in Nordrhein-Westfalen jetzt auch nicht so ganz viel getan für die Schaffung von Kita-Plätzen?
Steinbrück: Na ja, tut mir leid: Da war ich nicht Regierungschef. Der Ausbau der Kindertagesplätze ist zustande gekommen in einer Zeit, als ich Bundesfinanzminister war und mit Frau von der Leyen zusammen ein Programm aufgelegt habe von dreimal vier Milliarden, finanziert von Bund, Ländern und Kommunen, um die Kindertagesplätze auszubauen.
Simon: Ja, andere Bundesländer haben ja auch schon vor diesem Programm was gemacht.
Steinbrück: Das ist alles richtig. Dennoch: Man muss zugeben, in den westdeutschen Ländern waren wir in dieser Frage lange zurückhaltend, während ich feststellen muss, in alten DDR-Zeiten, in den neuen Ländern, waren die sehr viel ehrgeiziger und tüchtiger im Ausbau von Kindertagesstättenplätzen.
Simon: Herr Steinbrück, was machen Sie denn jetzt? Warten Sie, ob und bis Sie vielleicht die Regierung übernehmen. Oder werden Sie auch klagen gegen das Betreuungsgeld?
Steinbrück: Ich glaube, dass es berechtigt ist zu klagen, zumal das ja nicht eine Privatmeinung nur der SPD ist, sondern ich habe die Justizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, im Ohr, die ebenfalls die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes anzweifelt. Und ich glaube, auch eine Ausschussvorsitzende der FDP ist auf demselben Weg.
Simon: Und die Klage kommt bald?
Steinbrück: Ja, das ist abzustimmen, ist abzustimmen auch mit anderen Fraktionen des Deutschen Bundestages, denn soweit ich es im Ohr habe, sind die Grünen derselben Auffassung. Und ich denke, wir sollten auch auf diesem Wege gegen ein so unsinniges, um nicht zu sagen schwachsinniges Gesetz vorgehen.
Simon: Dass Sie heute zum Betreuungsgeld sprechen - wie gesagt, bisher Finanz- und Euro-Themen vor allem -, ist das auch ein Versuch, sich, sagen wir mal, wenigstens einen Teil der Frauen, wenn schon nicht die zuhause erziehenden Mütter gewogen zu machen? Sie haben ja vor allem bei jüngeren Frauen in Umfragen ein größeres Problem.
Steinbrück: Offenbar unterstellt man mir da ein sehr verklemmtes Verhältnis, das ist nicht der Fall. Nein! Es ist die Notwendigkeit, dass ein Kanzlerkandidat, ein möglicher Kanzlerkandidat der SPD, sich breit politisch aufstellt. Und dies ist eines der zentralen innenpolitischen Themen.
Simon: Heute geht es auch um die Praxisgebühr im Bundestag. Die hat die Koalition ja abgeschafft, ist damit einer Forderung Ihrer Partei nachgekommen. Warum hören wir da nicht mehr Applaus von Ihnen?
Steinbrück: Das hat es ja gegeben. Das ist das einzige Element aus dieser Party, die es am letzten Sonntag im Koalitionsausschuss gegeben hat, wo jeder noch mal Geschenke gekriegt hat, wo wir sagen, das ist richtig. Die Abschaffung der Praxisgebühr ist richtig und findet die Zustimmung der SPD. Das ist aber zum Ausdruck gebracht worden.
Simon: Herr Steinbrück, seit dieser Nacht steht der Haushalt 2013. Nur eine Zahl daraus: Die Neuverschuldung wird gesenkt um 1,7 Milliarden, so heißt es bisher, gegenüber dem Ansatz von Bundesfinanzminister Schäuble. Ist das aus Ihrer Sicht ein guter Ansatz?
Steinbrück: Nein, denn nie sind die Zeiten so günstig gewesen für einen Bundesfinanzminister und eine Bundesregierung, die Nettokreditaufnahme deutlich zurückzuführen. Erstens: Die Steuerquellen sprudeln. Zweitens: Es gibt enorme Entlastung auf dem Arbeitsmarkt. Und drittens: Nie konnte sich die Bundesrepublik Deutschland international zu günstigeren Zinsen verschulden als heute. Für gewisse Laufzeiten muss man null Zinsen zahlen, nahezu null Zinsen. Und das bedeutet, dass man die Zielmarke, eine Neuverschuldung von null anzustreben, sehr viel früher erreichen kann als 2016. Das ist die Vorgabe im Grundgesetz. Und ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung hier ihren Ankündigungen sehr viel stärker Rechnung trägt. Im übrigen: Sie kann nicht in Europa als Schulmeister auftreten gegenüber anderen Ländern, was die Konsolidierung betrifft. Und selber im eigenen Land die Hausaufgaben verweigern.
Simon: Wo hätten Sie denn angesetzt? Was hätten Sie anders gemacht, wenn Sie gekonnt hätten?
Steinbrück: Nein, tut mir leid! Ich bin nicht derjenige, der jetzt noch in allen Haushaltspositionen als Oppositionspolitiker zu stecken hat, sondern das ist Aufgabe einer Regierung. Und wenn diese Regierung diese Aufgaben nicht erledigen kann, dann muss sie abgewählt werden.
Simon: Sie sagen einfach, es muss mehr gespart werden. Das haben wir ja auch eingangs gehört in dem kurzen Statement von Wolfgang Franz, dem Vorsitzenden des Sachverständigenrates. Dieses mehr sparen, ist das eigentlich angesichts der guten Lage wirklich machbar, ohne mehr soziale Verwerfung? Da haben ja sonst gerade die Sozialdemokraten einen scharfen Blick drauf.
Steinbrück: Na ja, es hat eine Zeit gegeben, wo ich zugegebenermaßen mit dem damaligen hessischen Ministerpräsidenten Koch ja einen sehr rigiden Vorschlag gemacht habe zum Abbau von Subventionen. Und der war erfolgreich. Das heißt, es gibt nach wie vor bei den direkten Zahlungen und bei den steuerlichen Erleichterungen, die man beide zusammenfassen kann unter dem Oberbegriff der Subventionen, Spielräume, um in der Tat Ausgaben zu senken.
Simon: Was sagen Sie denn zu dem Argument, wir können jetzt nicht nur einfach sparen, wir müssen auch ein bisschen was bewegen, wir sind schließlich die Konjunkturlokomotive für Europa, wir sind mit das einzige Land, dem es noch gut geht, da können wir jetzt nicht schneiden?
Steinbrück: Na ja, dann muss man eben auf die zwei Milliarden als individuelle Transfers an Eltern verzichten, die ihre Kinder zuhause erziehen wollen. Und stattdessen zum Beispiel zwei Milliarden hineinstecken in den weiteren Ausbau der Betreuungsinfrastruktur, zumal, wie Sie richtig gesagt haben, nach wie vor über 220.000 Plätze fehlen und damit der gesetzliche Anspruch auf einen Betreuungsplatz ab nächstem Jahr erkennbar nicht mehr zu erreichen ist.
Simon: Herr Steinbrück, Sie haben am Sonntag einen ersten öffentlichen Auftritt mit einem hochrangigen IG-Metallgewerkschafter zu einem Thema, was für die SPD sehr schwierig ist, nämlich das Thema Rente. Zugleich ist die Unterstützung der Gewerkschaften für Sie sehr wichtig im Wahlkampf. Bekommen Sie bei der Rente eine Brücke gebaut zu den Gewerkschaften und wenn ja, zu welchem Preis?
Steinbrück: Das halte ich für möglich, dass wir eine Brücke bauen können mit Blick auf die Tatsache, dass in der Tat nicht alle Menschen bis 67 arbeiten können. Das erstreckt sich dann auf den Vorschlag der SPD, insbesondere die Erwerbsminderungsrente zu verbessern. Das wird eine Position sein, die die Gewerkschaften teilen. Und zweitens auch die Vorstellung, dass diejenigen, die 45 Versicherungsjahre gehabt haben als Beschäftigte, einen zuschlagsfreien Zugang zur Rente haben müssen. Aber ich sage auch ganz bestimmt, dass die SPD nicht mehr versprechen und mehr tragen kann als das, was sie anschließend in einer Regierungsverantwortung wirklich auch vertreten kann. Und für mich wird von entscheidender Bedeutung sein, dass an der Rentenformel auch nichts geändert wird.
Simon: Ja gut. Aber das, was Sie gesagt haben, das geht ja schon in die Richtung, denn so früh in Rente gehen, das muss ja irgendwo her auch bezahlt werden, selbst wenn man lange gearbeitet hat.
Steinbrück: Ja, selbstverständlich wird es einige Positionen geben, auch zum Beispiel die Solidarrente, die die SPD einführen will, die zusätzlich Geld kostet. Dies ist aber durchaus tragbar und finanzierbar in der Perspektive bis 2029/2030, wo der Rentenversicherungsbeitrag, wie Sie wissen, sukzessive auf 22 Prozent hochgehen soll, aber eben auch nicht höher zulasten der Beschäftigten und zulasten der Arbeitgeber.
Simon: Sie fürchten nicht, damit Ihr Image als klare Kante und als Finanzfachmann zu riskieren?
Steinbrück: Nein! Sie müssen ja was tun! Sie müssen ja was tun, damit die Leute eine auskömmliche Rente haben, auch in der Perspektive der nächsten zehn, 15 Jahre, auch gerade vor dem Hintergrund des demografischen Drucks, den es gibt. Darin ist die SPD ja auch gar nicht in einer besonderen Position, denn soweit ich das sehe, überlegt die CDU/CSU ja ähnliche Maßnahmen, die wir nur alle nicht für richtig halten.
Simon: Herr Steinbrück, die Debatte um Nebeneinkünfte hat Ihnen in den letzten Wochen sehr geschadet. Sie haben Ihre Position zum Teil geändert, Sie haben auch bei Vorgängen Klarheit geschaffen, Sie haben jetzt auch gesagt, Sie spenden die 25.000 Euro, die Sie völlig korrekt bekommen haben für eine Veranstaltung in Bochum. Trotzdem die Frage: Würden Sie im Nachhinein sagen, es hat Ihnen in der Sache an Gespür gefehlt?
Steinbrück: Das müssen andere entscheiden. Ich habe mich nach den Regeln des Deutschen Bundestages verhalten. Ich habe sehr viel mehr im Detail offengelegt, als von diesen Transparenzrichtlinien erwartet wird. Ich konnte für eine lange Zeit auch das Nachfragen Ihrer Branche, der Journalisten verstehen, wo es um die Klärung ging, ob ich in irgendwelchen Abhängigkeiten stehe. In dem Augenblick, wo auch meine Buchhonorare hineingezogen wurden in die Debatte, habe ich dies als eine Art Neidkomplex-Debatte empfunden, die auch ganz gezielt meine Integrität treffen sollte. Und das kann ich nicht akzeptieren. Jemand, der zwei Bestseller schreibt, kriegt entsprechende Honorare. Und dies in irgendeinen Geruch zu ziehen, das war eine Welle, die seit ungefähr einer Woche oder zehn Tagen in Gang gekommen ist, wo ich den Eindruck habe, da kippt etwas.
Simon: Das heißt, Sie haben den Eindruck, die Öffentlichkeit ist in manchen Punkten da zu empfindlich? Nicht anders herum: Sie sind zu wenig empfindlich?
Steinbrück: Entschuldigen Sie bitte! Ich habe nicht von der Öffentlichkeit gesprochen, die empfindlich ist, sondern ich habe davon gesprochen, dass einige Medienvertreter versucht haben, einen Geruch zu legen, auch über die Tatsache, dass ich erfolgreich Bücher geschrieben habe. Da bin nicht ich empfindlich, sondern da habe ich den Eindruck, dass etwas stattfindet, was in der Tat nicht nur mich beschädigen könnte, sondern wo man gelegentlich sehr selbstkritisch darüber nachdenken muss, wie wird mit Politikern umgegangen. Oder wie wird eine Atmosphäre geschaffen, in der viele Menschen auch gezielt nicht mehr politische Mandate anstreben, weil sie den Eindruck haben, dass sie anschließend sehr schnell diskreditiert werden können.
Simon: Peer Steinbrück, der designierte SPD-Kanzlerkandidat. Herr Steinbrück, vielen Dank für das Gespräch.
Steinbrück: Ich danke Ihnen.
Simon: Auf Wiederhören!
Steinbrück: Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Weitere Beiträge bei dradio.de:
Steinbrück-Honorar: Bochumer Stadtwerke streichen Veranstaltung - Personelle Konsequenzen nicht geplant
Koalition drückt Praxisgebühr und Betreuungsgeld in den Bundestag - Besonders Betreuungsgeld weiter umstritten